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Laufberichte

Warschau Marathon: Laufspektakel in Polens Hauptstadt

26.09.21 Special Event
 

Registriert für den Marathon in Warschau habe ich mich bequem über die auch in Englisch geführte Veranstalter-Website. Wie immer bekommt man bei den meisten polnischen Marathons einen Altersrabatt von 30 bis 50%, wenn man einmal den Sechziger erreicht hat. Für die Startkarte plus Cotton-Shirt wurden von meinem Konto nur 27 Euro abgebucht. Für EU-Bürger genügt ein Impfnachweis für die Einreise (auch ein negativer Test reicht aus). Für die Durchfahrt durch Tschechien reicht ebenfalls ein Impfnachweis oder ein negativer Test aus. Doch keiner prüft dies nach, nur wenige Fahrgäste tragen im Zug einen Gesichtsschutz, der Schaffner schon, doch Beanstandungen unterbleiben.

Nach der Ankunft im Warszawa Centralna  gegen 13:30 Uhr begebe ich mich ins nahe Hampton Hotel, wo ich schon ein Dutzendmal genächtigt. Ich kann das erst vor einigen Jahren erbaute 17-stöckige Vierstern-Hotel nur weiterempfehlen, das Frühstücksbuffet beginnt täglich bereits um 06:00 Uhr.

Ein Novum in diesem Jahr – der Warschau Marathon 2020 wurde ja abgesagt – ist der Ort der Ausgabe der Startunterlagen: nicht das  gut 10 km entfernte in einem Park gelegene Sportzentrum im Süden von Warschau, sondern der neben dem Hauptbahnhof befindliche ehemals stalinistische Kulturpalast, den auch viele Warschauer als das heimliche Wahrzeichen der Stadt betrachten.

 

 

Ich bin auf das Vorzeigen eines Impfnachweises eingestellt, aber nein, die Schlange für die Besichtigung der Aussichtswarte des 237 m hohen Wolkenkratzers ist viel länger als der Zustrom zur Abholung der Startunterlagen. Vielleicht liegt das an der Tageszeit, jetzt um 16 Uhr am Nachmittag an einem Samstag ist das Aufkommen noch gering, bis 20 Uhr ist offen.

Die Expo ist mickrig, auch die Stimmung ist verhalten, das mag auch am Temperament der Polen liegen. Ich gebe meinen unterschriebenen Startkartennachweis am Schalter ab, es dauert keine 5 Minuten und schon ist alles erledigt. Ich kaufe mir einen neuen Startnummerntragegurt. Mehr als 100 Marathons bin ich bisher mit einem Gurt einer bekannten Salzburger Brauereimarke gelaufen. Irgendwann wird es fad, wenn man (indirekt und international) Werbung macht, aber der Bierwagen nie bei mir zu Hause vorbeikommt und eine Kiste abliefert. 

Kulinarischer Höhepunkt des frühen Abends ist für mich der Besuch des Selbstbedienungsrestaurants Marchais im EKZ neben dem Hauptbahnhof. Um 30 Zloty isst man da pickfein, und es schmeckt vorzüglich. Ich betone gerne, dass die Teilnahme an einem Marathon im Ausland auch das Gefühl Urlaub zu machen vermitteln soll. Als Pensionist hat man zwar immer Urlaub, aber eine Auslandsreise, auch wenn sie nur übers Wochenende dauert, ist nicht Alltag.

 

Mein Marathontag

 

Wer sich in Warschau nicht auskennt und sich den Weg zum Marathonstart vorher auf der Karte nicht angesehen hat, braucht sich nur hinter anderen, wohl zumeist heimischen Menschen in Laufkleidung anzuschließen und kommt hin. Mit der M1 geht’s 3 Stationen bis zum Knotenbahnhof Dworzek Gdanski, dann 5 Minuten zu Fuß durch einen Park mit diversen Sportstätten, u.a. befindet sich hier auch das Stadion Polonii.

So herbstlich frisch es sich am frühen Morgen anfühlt, so warm wird mir bei direkter Sonneneinstrahlung. Ich wechsle das Langarmshirt gegen ein kurzärmeliges und bringe den bei der Startnummernausgabe erhaltenen Kleidersack mit Namensaufkleber zu dem für mich vorgesehenen Bus. Langsam fühlt sich das direkt am Westufer der Weichsel gelegene Areal im Multimedialny Park Fontann, wo sonst auch Wasser- und Lichtspiele angeboten werden. Auf der Anhöhe thronen die beiden katholischen Gotteshäuser, die Benno und die Kasimir Kirche.

 

 

Es ist schon 7:50 Uhr, der Start, einige 100 Meter vom Park Fontann entfernt, ist für 8:00 Uhr vorgesehen.  Ich muss mich jetzt echt beeilen, schließlich will ich ja auch das vordere Feld mit einigen ausländischen Spitzenläufern noch fotografieren. Ich komme problemlos bis an die Spitzenläufer heran und mache über die Absperrung hinweg ein paar Schnappschüsse.

 

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Bemerkung in eigener Sache

„Old age sucks“, schrieb mir John Wallace, Präsident des Country Marathon Club, unlängst zurück, als ich ihm von meinen arthrotischen Problemen erzählte. Trotz einer gewissen Untätigkeit meinerseits jetzt in der Pandemie haben sich die Knie nicht von selbst regeneriert. So habe ich letzten Sonntag in Rom einen Wiedereinstieg versucht und die lange Öffnungszeit des Marathons von 6 ½ Stunden auch gut genutzt. Dank stabilisierender Knieschützer habe ich im Trabtempo und mit schnellem Gehen  mehrere Dutzend noch Langsamere auf dem Weg ins Ziel sozusagen hinter mir gelassen. Mit diesem „Erfolg“ stand einer Teilnahme am ebenso lange offen gehaltenen Marathon in Warschau die Woche darauf nichts im Wege.

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Erwähnen sollte ich an dieser Stelle schon noch, dass die 43. Auflage des Warschau Marathons, dessen Kurs ein Laufspektakel (trotz Corona-Einschränkungen) werden soll – den ganzen Tag über sind  Bewerbe vorgesehen. Die MarathonläuferInnen starten mit den Staffeln zuerst, dann folgen die Marathon-Weltmeisterschaften der Gehörlosen (mit zwei deutschen Startern) um 11 Uhr 30, auch die Rollstuhlfahrer sind schon  vormittags dabei, der Start der Halbmarathonis ist für 13 Uhr 15 vorgesehen und ein High Five Race über 5 km für 17 Uhr angesetzt.

Jetzt bin ich mitten unter hunderten Läufern, die auf den ersten Kilometern anspurten auf „Teufel komm raus“. Da ist für mich als Semi-Behinderter nichts zu holen, doch trotz langsamem Tempo bleiben auch noch welche hinter mir. Wir laufen nach Norden, es geht über die Überführung der Eisenbahntrasse beim Bahnhof. Bei der Metrostation sind 2 km erreicht,  wir biegen nach Osten in Richtung Weichsel ab und dann geht es auf einer gesperrten Schnellstraße nach Süden weiter.

Zu unserer Rechten sehen wir bei der Kilometertafel 4 - jeder Kilometer wird ausgewiesen - etwas erhöht die Warschauer Zitadelle, eine Touristenattraktion. Diese ehemalige Militäranlage ließ Zar Nikolaus I. zwischen 1832 und 1836 als Gefängnis und Exekutionsort für die polnischen Patrioten nach dem fehlgeschlagenen Novemberaufstand erbauen.  In einer Schleife geht es nun leicht ansteigend vorbei an einer Kindergruppe, die Rock 'n' Roll Feeling zelebrieren soll, zur ersten Versorgungsstation knapp vor Kilometer 5, wo Wasser und Gatorade ausgegeben werden. Als Helfer sind Dutzende SchülerInnen im Einsatz, die Kinder sind gut drauf.

 

 

Nun folgt die erste Brückenüberquerung über die Weichsel. Der Marathonkurs verläuft  über die  406,5 m lange und 17 m breite Gdański-Brücke, die nach dreijähriger Bauzeit im Juli 1959 eröffnet wurde. Das obere Deck trägt eine vierspurige Straße mit Gehsteigen, während das untere zwei Straßenbahngleise, einen Radweg und einen Fußweg hat. Mit einer Länge von 1047 km ist die Weichsel der längste Fluss Polens, sein Einzugsgebiet vom Bug bis in die Ostsee umfasst auch Teile der Slowakei, Weißrusslands und der Ukraine. Am Ende der Brücke geht es sanft auf tieferes Terrain, ich blicke mich um, die Kolonne der Nachkommenden reicht weit zurück, das ist aufmunternd, denn auch andere sind langsam unterwegs.

In einer langgezogenen Schleife bewegen wir uns nun nahe am östlichen Ufer der Weichsel vorbei am Warschauer Zoo, von dem wir aber entfernungsbedingt keine Bauten bzw. Gehege sehen können, weiter in südliche Richtung. Der Kurs verläuft durch Wohngebiete tlw. im Warschauer Außenbezirk Praga  erneut in einer Schleife weiter nach Süden.  Bei Kilometer 10 werden erstmals Bananenstücke ausgegeben.

Ein Veteran hat es auf mich abgesehen. Er ist kaum schneller als ich, überholt mich und hatscht nach 100 m wieder. Rücke ich auf, legt er wieder los.  Das  geht einige Zeit, bis wir bei Kilometer 12 gegenüber dem für die Fußball-Europameisterschaft 2012 erbauten Stadion  Narodowy nun Gegenverkehr bekommen. Bei Kilometer 13 ist der Spuk vorbei, der Veteran ist zurückgefallen, die meisten der Nachkommenden, die ich eben fotografiert habe, haben mich bis zum Anstieg auf die im Jahre 2000 eröffnete, 479 m lange  Most Świętokrzyski, die wir nun am Wege zurück in die Stadt überqueren, überholt.

Der Marathonkurs  verläuft nach Süden durch einen großen Park mit baulichen Sehenswürdigkeiten, wie etwa dem prunkvollen Schloss Ujazdów aus dem 13. Jh., das heute ein Museum für moderne Kunst beherbergt, oder dem Łazienki-Palast, eine königliche Sommerresidenz aus dem 18. Jh. mit Gärten und Orangerie, herrschaftlichen Gemächern und Kunstsammlung.

 

 

Am Ausgang des Parks stehen zwei aus der Truppe der als Legionäre verkleideten Läufer, es scheint, dass sie auf den Start des Halbmarathons warten. 19 km sind erreicht, der Kurs wendet nun wieder und führt nach Norden. Es ist ein langer Weg mit einigen Steigungen, die Halbmarathondistanz wird in der Stare miasto erreicht.

Die 1980 ins UNESCO Welterbe aufgenommene wiedererbaute Altstadt von Warschau ist von  Einheimischen und Touristen gut besucht, hier befinden sich viele bauliche Attraktionen mit tlw. großer historischer Bedeutung. Für Läufer (wie mich) ist die kopfsteingepflasterte Hauptstraße ab Kilometer 22 ein Handicap. Der Altstadtmarktplatz mit seinen Bürgerhäusern und Restaurants ist das Herzstück des Viertels. In der nahe gelegenen Johanneskathedrale aus dem 14. Jahrhundert finden im Sommer Konzerte statt. Weitere Sehenswürdigkeiten sind bspw. die 1816 gegründete Universität  von Warschau mit Platz für 50.000 Studenten, der Warschauer Präsidentenpalast  aus dem 17.Jh., das Königsschloss und die Sigmundsäule aus dem 16. Jh. 

Die nationalstaatliche Hoheit ist für die Polen ein hohes Gut. In der Zeit von 1795 bis 1918 war Polen als souveräner Staat von den Landkarten Europas verschwunden. Doch die polnische Kultur überlebte diese Zeit trotz fremdstaatlicher Unterdrückung und feierte nach 1918 eine Wiedergeburt. Fast wäre es im Dritten Reich erneut zu einer „Ausradierung“ der Eigenstaatlichkeit gekommen – heute ist Polen das sechstgrößte Land in der EU.

Ich bin froh,  aus der Altstadt draußen zu sein, anderseits befindet sich bei Kilometer 24 auf der anderen Seite der Durchlauf für jene Läufer/innen, die schon 35 km geschafft haben und nun zum zweiten Mal die Most Gdanski überqueren müssen. Ob das nun ein Ansporn sein kann, sei dahingestellt – für die Voranliegenden gewiss, für uns Nachzügler eher nicht.

 

 

Das verbliebende Feld hat sich stark aufgelockert, aber immer noch kommen zahlreiche hinter mir nach. Bei Kilometer 30 kommt ein Auto mit Blaulicht nach, die schnellsten Halbmarathon-LäuferInnen sind bereits auf der Strecke – und wie die beiden Führenden daher brausen, den leichten Anstieg auf die gesperrte Autobahn überwinden sie in Eiltempo. Ich komme gar nicht zum Knipsen, so rasant geht es in dem Moment zu. Der Marathon verläuft jetzt nach dem Dreh wieder nach Süden in Richtung Start bzw. zur Most Gdanski. Hinter mir dröhnt es, eine  „Kohorte“ der als Legionäre verkleideten Lauftruppe nähert sich. Die heranstürmenden Heerscharen von Halbmarathonläufern auf der breiten Autobahn beleben die Szenerie, manch einer klopft mir von hinten auf die Schulter und sagt etwas, das ich als Zuspruch interpretiere.

Die Passage bis Kilometer34, wo die „Rak  ‚n‘ Roll“-Warschauer-Kindergruppe winkt, geht für mich recht zügig voran. Es  geht ein weiteres Mal beim Zoo vorbei, entlang des ostseitigen Weichselufers und schnurstracks nach Süden. Das eine oder andere bekannte Gesicht sehe ich nun auch wieder, einige Marathonis sind zurückgefallen.  Die 40 km-Anzeige befindet sich bald nach der Brücke.

 

 

Auf den letzten 2 Kilometer bis ins Ziel beim Park Fontann nehme ich „Geh-Speed“ raus, wegen der Video-Finisherkamera trabe ich auf den letzten 200 m. Geschafft und erleichtert, aber mit schmerzendem rechten Knie, blutigem Zehennagel links und dem Vorsatz, im Oktober an weiteren Marathons teilzunehmen, erreiche ich das Ziel.

Die Stimmung unter den Finishern und Zuschauern im Zielbereich ist großartig, auch das Spätsommerwetter trägt wohl dazu bei. Man kann sich die Medaille von der Stange runternehmen. Man bekommt Bananen, sehr bekömmliches Mineralwasser mit einem hohem Magnesiumgehalt in Flaschen, das tausendfach beim Lauf in Bechern ausgeschenkt wurde, mehrere Sorten von Erfrischungsgetränken in Dosen sowie auch alkoholfreies Bier. Ob es auch noch Suppe gegeben hätte, kann ich nicht sagen, aber bei polnischen Laufveranstaltungen ist eine warme Kartoffelsuppe eine besondere Gabe und mit Tradition verbunden.

Als ich verspätet zum Kleiderbus zurückkomme, warten die Mädchen schon sehnsüchtig, dass nun ein weiterer Läufer seine Utensilien abholt – nur mehr ein halbes Dutzend sind übrig geblieben. Ich setze mich zu einer Eiche auf dem Kleidersack in die Sonne und pflege meine Füße und Beine. Die umgehängte Medaille ist Symbol, Rückversicherung und Motivation für mich, auch mit altersbedingten Wehwehchen dem Hobbymarathonlaufsport weiter treu bleiben.

 

Kurze Schlussbemerkung

Ich kann den Marathon in Warschau nur weiter empfehlen – auch in der Pandemie haben die Veranstalter mit viel Engagement das  größte Laufspektakel Polens bestens organisiert und über die Bühnen gebracht. Moderate Startgelder, Goodies im Startpaket, preiswerte Zusatz-Shirts, eine ansehnliche Medaille, was will man mehr? Wegen der viermaligen Brückenüberquerungen, die etwas Zeit kosten und auch der Kopfsteinpflaster-Passage in der Altstadt, ist vielleicht der Kurs nicht bestzeitentauglich, aber trotzdem schnell und bietet viele Sehenswürdigkeit beim Vorbeilaufen. Den Veranstaltern ist für die Abwicklung des 43. Marathons in Zeiten wie diesen herzlich zu gratulieren, sie können auf ihr Werk echt stolz sein.

 

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Siegerliste Männer:

1. SHEGUMO Yared (POL) – 02:14:37

2. NDUVA Boniface Wambua (KEN) – 02:18:03

3. GOSIEWSKI Krzysztof (POL) – 02:23:43

 

Reihung Frauen:

1. ANDRZEJCZAK Monika (POL)  – 02:31:08

2. STELMACH Dominika (POL ) – 02:41:43

3. ALDER-BAERENS Nele (GER) – 02:53:39 (die 43-jährige deutsche Marathon- und Ultraläuferin hat ihren Titel bei den Marathon-Weltmeisterschaften der Gehörlosen erfolgreich verteidigt)

 

2734 Finisher beim Marathon,
4536 beim HM,
75 Staffeln zu je 3 LäuferInn en im Ziel

 


 
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