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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (35)

 
Autor: Klaus Duwe

"Alles Hoffen und Bangen hat nichts genützt, jetzt müssen auch wir absagen. Das neuartige Coronavirus macht nun auch den Skatstadtmarathon am 13.Juni 2020 undurchführbar. So sehr unsere Läuferherzen auch bluten mögen, diese Festlegung ist in Anbetracht der Gesamtsituation alternativlos.  Gesundheit ist unser wertvollstes Gut und steht deshalb über allen anderen Interessen."

So lautet die Mitteilung des Organisationsteams des Skatstadtmarathons, die niemanden mehr überraschte.

Der Marathon in Altenburg gehört zu meinen persönlichen Favoriten. Die Veranstaltung wird mit viel Herzblut von Läufern für Läufer organisiert und ist in der Stadt und in der Region fest verankert. Ich habe auf meinen Reisen nirgendwo eine Veranstaltung dieser Größenordnung erlebt, die mehr Zuspruch von der Bevölkerung erfährt, als dieser Lauf. Die Stimmung und die Begeisterung der Zuschauer auf dem Marktplatz muss man einmal erlebt haben.

 

 

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Impressionen vom 10. Skatstadtmarathon
 

Helmut Nitschke (auf dem Foto links, rechts M4Y-Autor Anton Lautner) gehört zu den Gründern des Skatstadtmarathons und ist unter anderem für die Pressearbeit zuständig. Den 10. Skatstadtmarathon 2018 lief er selber mit. Es war sein 50. Marathon!
 

 

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Meine erste Teilnahme am Skatstadtmarathon war 2011. Davon handelt dieser Bericht. Anton Lautner war bereits bei der Premiere 2009 dabei und wird einen Beitrag vom diesjährigen "Jokerthon", der virtuellen Version des Skatstadtmarathons 2020, beisteuern.

Weitere Laufberichte und Bilder gibt es hier auf Marathon4you.de

 

2011: Ein Grand mit Vier

 

Skatspieler wissen Bescheid: Ein Grand mit Vier ist so ziemlich das Beste, was einem passieren kann.  Also großes Lob für den Marathon in der Skatstadt Altenburg.

Wo liegt Altenburg? Für alle, die zwar wissen, wie man für ein paar Euro nach Barcelona, Rom oder sonst wohin kommt, sich aber sonst nicht so gut auskennen, hier ein Hinweis: Altenburg liegt in Thüringen.  Von Nürnberg aus sind es ungefähr 250 km, von Frankfurt 100 km mehr.

 „Einmal ein Marathon in Altenburg“, das war die Idee einiger Laufverrückter.  Zum Glück haben Helmut Nitschke und Ulf Pohling  als ortsansässige Unternehmer gute Kontakte zu Kollegen, die gemeinsam für die Finanzierung des ersten Skatstadtmarathons 2009 zur Verfügung  stehen. Die Veranstaltung schlägt ein wie eine Bombe. Die Leute werden massenweise bedrängt, es auf keinen Fall bei dem einen Mal zu belassen.  Und so findet jetzt am Pfingstmontag bereits die dritte Auflage statt.  2183 Läuferinnen und Läufer haben sich für die verschiedenen Laufstrecken gemeldet - neuer Rekord.

Für eine Veranstaltung in dieser Größenordnung ist das Rahmenprogramm sensationell. Im „Goldenen Pflug“, der Sport- und Kulturhalle in Altenburg, wo es die Startunterlagen gibt, tritt am Vorabend Dieter Baumann auf. Der Andrang ist so groß, dass man schnell die Bestuhlung erweitern muss. Er kommt gut an, der Olympiasieger von der Schwäbischen Alb.

 

 

Der Pfingstmontag beginnt mit strahlend blauem Himmel. Ein paar Minuten und ich bin vom Hotel auf dem Start- und Zielgelände am Markt. Der Platz ist eine Augenweide. Wie bei einer Arena gruppieren sich um die langgezogene gepflasterte Fläche historische Gebäude mit prachtvollen, teils bunten Fassaden.  Das 1564 erbaute Altenburger  Rathaus, dessen achteckiger Turm eine Mondphasenuhr ziert, ist der zentrale Punkt. Das Ende des Platzes markiert die rote  Brüderkirche mit dem Mosaik der Bergpredigt.

 

 

Keine Chance für Morgenmuffel,  Stefan Bräuer als Moderator, Animateur und Kommentator und „Die Unkomplizierten“ mit ihrer Live-Musik heizen ohne Gnade ein. „Highway to hell“ am frühen Morgen. Im Nu füllt sich der Platz. Als erstes sind um 9.00 Uhr die Marathonis an der Reihe. Stars sind keine namenlosen Ostafrikaner sondern Läufer aus der Region und die Laufverrückten, die man halt überall trifft.  Weil nach dem Marathon verschiedene Kinder- und Jugendläufe gestartet werden und  jeder der Nachwuchsläufer mit mind. 4köpfigem Team (Mama, Papa, Oma und Patenonkel) antritt, ist der Platz gleich proppenvoll.  Da blicken  der OB und die Verantwortlichen stolz auf das, was private Initiative zustande bringt, in die Runde.

Ein Fehler, dass ich erst eine Stunde später mit den „Halben“ starten will? Jucken tut’s mich schon. Aber die Marathonstrecke wird in zwei gleichen Runden gelaufen und da begnüge ich diesmal mit einer und genieße die sagenhafte Atmosphäre, als meine Kumpels auf die Strecke gehen.

 

 

Dann haben die Kleinen ihren Spaß. Sichtlich genießen sie es, umjubelter Mittelpunkt zu sein. Weder die Musiker noch der Stefan fahren ihre Engagement herunter sondern drehen für den Nachwuchs voll auf. Der Markt bebt, Altenburg lebt – und wie!

Schlag 10.00 starte ich dann mit dem großen Feld der Halbmarathonläufer und wundere mich -  man lässt es relativ ruhig angehen. Schnell wird mir klar warum – es geht gleich zum Roßplan hoch, wo im gleichnamigen Hotel das Skatgericht tagt. Jeder Skatspieler weiß, dass kein Skatabend ohne Diskussion vergeht. Es ist wie beim Fußball. 90 Minuten wird gekickt und 120 Minuten analysiert. Und wie beim Fußball gibt es auch eine richtige Bundesliga mit Meisterschaft, eine Rangliste und jede Menge Kneipen-Turniere. Wenn mal bei einem Streit überhaupt keine Lösung gefunden wird, spricht das Skatgericht das letzte Wort.

Durch das mittelalterliche Nikolaiviertel  führt die schmale Fleischergasse direkt zur gleichnamigen Kirche, die irgendwann um 1200 an der höchsten Stelle des alten Stadtgebietes errichtet wurde. Den 45 m hohen  und 400 Jahre alten Turm kann man besteigen.

 

 

Vom holprigen Pflaster wechseln wir auf den staubigen Naturweg durch den Stadtwald. Links geht es über eine weiße Brücke zum Inselzoo, der der einzige Zoo in Deutschland auf einer Insel sein soll. Die Insel wurde bereits 1720 künstlich angelegt, die ersten Affen und Papageien zogen vor rund 100 Jahren ein.  Es ist schön hier. Ich kann mir vorstellen, dass sonst viele Jogger  im Park ihre Runden drehen.

Wir wechseln vom sonnigen Seeufer in ein schattiges Waldstück (km 3).  Manchmal sind die Wege recht schmal, manchmal sind sie flach, meist aber geht es rauf oder runter. Es gibt aber  (bis jetzt) keine langen oder giftigen Anstiege.  Alles spielt sich im gemütlichen, genussvollen Bereich ab. Bei km 5 kommt dann die erste Verpflegungsstelle  mit Wasser, Tee, Bananen und  Riegeln.

 

 

Nach einem weiteren Kilometer führt uns ein schmaler Pfad (neudeutsch: Trail) am Waldrand entlang hinauf zur Paditzer Straße.  Wir schauen über große Weizenfelder und Wiesen. Es ist warm geworden. Der Schweiß fließt in Strömen.  Statt zu klagen, nimmt man hin, was man sich ja selber eingebrockt hat und passt sein Tempo der Temperatur und dem Gelände an. Nur einer zieht gnadenlos durch: Steven Michel. Er ist der erste Marathonläufer, der uns überholt.  Er gewinnt auch mit großem Vorsprung.

 „Ich bin adlig, ich bin die Frau von der Brücke,“ ruft uns die Dame mit dem Tambourin entgegen, lacht und hat ihren Spaß. Die Brücke (km 9), die sie meint, führt uns über die B 93, der wir auf einem parallel verlaufenden Feldweg folgen und noch zweimal per Unterführung queren. Jedes Mal ist das mit einem kurzen Anstieg verbunden. Sonst geht es meist abwärts.

Das ist die Gelegenheit zu erklären, was ein Grand mit Vier ist. Dazu muss man wissen, dass  Skat immer zu dritt gespielt wird. Einer spielt gegen zwei. Durch Reizen wird bestimmt, wer dieser Eine ist. Das ist eine spannende Sache. Wie bei einer Auktion bietet man anhand seiner Karten bestimmte Spielwerte. Wer den höchsten Spielwert nennt, bekommt das Spiel. Das Gebot darf aber den Spielwert nicht übersteigen. Sonst hat man überreizt. Das kann man ausgleichen, indem man die Gegner  „Schneider“ oder „Schwarz“ spielt.  Bei „Schneider“ dürfen sie keine 30 Augen erreichen, bei „Schwarz“ dürfen sie überhaupt keinen Stich machen.

Die Spielwerte sind festgelegt. Kreuz ist das höchste Farbspiel und hat 12, ein Grand hat 24. Beim Grand sind nur die vier Buben (Wenzel) Trumpf. Hat man alle vier, lautet die Reiz-Formel: Mit vier, Spiel fünf, mal Grand (24) = 120! Nur wenige Spielwerte liegen darüber.

 

 

Zwei Kilometer geht es nun bergauf. Nicht steil, auch in meiner Preisklasse wird das im Laufschritt bewältigt. Wir erreichen eine kleine Wohnsiedlung, wo uns einige Bewohner liebevoll empfangen und erfrischen. In einer Wanne steht sogar Eiswasser bereit.  Vom Falkenplatz aus ist es nicht weit zum Schloss. Wir entfernen uns aber nordwärts wieder vom Zentrum und erreichen über teils ziemlich rustikale Wege die Datschen auf der Poschwitzer Höhe und ein ganz ansehnliches Gewerbegebiet.

Zu DDR-Zeiten waren der Braunkohle- und Uranabbau von großer Bedeutung und gleich drei namhafte Firmen beschäftigten sich mit der Herstellung von Nähmaschinen. Keine überlebte nach der Wende. Mit den Arbeitsplätzen verschwanden auch die Menschen. Altenburg hatte einmal 55.000 Einwohner.  Heute sind es noch um die 35.000.

Im  Altenburger Kraftfutterwerk, wir laufen gerade an der riesigen Siloanlage vorbei, werden zwar jährlich 150.000 to Mischfutter hergestellt, aber dazu braucht man nur ein paar Dutzend Menschen.  Gegenüber ist die Südostfleisch ansässig. Das Unternehmen zählt zu den modernsten Fleischereibetrieben in Deutschland, was nichts anderes bedeutet, als dass man ebenfalls mit verhältnismäßig wenigen  Arbeitskräften auskommt. Sonst gibt es in Altenburg viele mittelständische und kleine Betriebe, darunter eine Senffabrik (ich will keinen anderen mehr) und, nicht zu vergessen, die über 500 Jahre alte Altenburger Spielkartenfabrik.

Wir laufen eine kleine Runde durch ein schattiges Waldstück. Ein junges Mädel mit überdimensionierter Sonnenbrille weist uns den Weg. Sie lacht und ich will wissen, was der Grund ist für ihre Heiterkeit. „Ich hab‘ Spaß“, sagt sie. So einfach ist das. Gleich kommt einer angedüst, der hat auch Spaß. Es ist Bodo. „Grüß mir den Anton,“ dann ist er weg. Links sehen wir das moderne Fabrikgebäude der eben erwähnten Spielkartenfabrik, dann wird’s laut.

 

 

Beim Lindenau-Museum  beginnt der erste  Ansturm auf den Schlossberg, der von fetziger Musik begleitet wird. „Don’t stop“ dröhnt es aus den Lautsprechern. Die Rolling Stones, wie von mir bestellt. Trommler und ein paar Zuschauer sorgen für weitere Motivation. Oben ist eine Grillparty. Ich bekomme Lob für meinen Foto-Job, aber eine Bratwurst kriege ich nicht. Notgedrungen greife ich bei den Bananen zu, die es beim Teehaus im Schlossgarten gibt.  Das herzogliche Lusthaus wurde 1706 erbaut und bekommt gerade eine neue Fassade.

Eine urige gepflasterte Gasse geht es abwärts. Mit Riesenschritten überholt mich Silvia Schmied – sie gewinnt den Marathon.  Auch ihre Schritte werden gleich wieder kürzer, denn der Gegenanstieg ist diesmal nicht ohne, allerdings nur kurz. Dann sind wir beim Altenburger Wahrzeichen, den Roten Spitzen.  Die beiden Backsteintürme sind  Reste der zum Augustinerkloster gehörenden Kirche, zu deren Einweihung 1172 auch Kaiser Barbarossa angereist war. 1618 verpasste man einem der Türme eine barocke Haube.

Der nächste Turm ist bei weitem nicht so alt (1845), sieht aus wie ein Campanile, diente aber als reiner Zweckbau der Wasserversorgung. Trommler geben jetzt den Takt vor und etliche Zuschauer verlangen letzten Einsatz.  Auf der Wallstraße holen wir Schwung, um zum zweiten Mal den Schlossberg zu erstürmen. Diesmal nehmen wir sozusagen den Haupteingang hinauf zur Schlosskirche (1414). Auf der 1739 erbauten Orgel spielte einst Johann Sebastian Bach.

 

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Marathon-Impressionen

 

 

 

 

Der Schlosshof wird gerade für die Prinzenraub Festspiele vorbereitet. In der Nacht vom 7. auf 8. Juli 1455, der Kurfürst war gerade auf Reisen und der Hofstaat bei einer Hochzeit, entführte Ritter Kunz von Kauffungen mit einigen Helfern die Prinzen Ernst und Albrecht (damals 14 und 11 Jahre alt), um eine Entschädigung für im Krieg verlorengegangene Ländereien zu erpressen. Der Plan schien zu gelingen, aber auf der Flucht konnten die Entführer gestellt und die Prinzen befreit werden. In einem Schnellverfahren wurde der Ritter zum Tode verurteilt. Es war nicht einmal Zeit für eine Henkersmahlzeit. Da verlangte der Todgeweihte, ihm wenigstens noch zwei Krug Freiberger Bier zu gönnen.

Ich kenne einen, der ist kein Ritter und auch sonst ziemlich anständig. Aber der würde sich auch so entscheiden. Oder täusche ich mich, Joe? Ach so, das Skatmuseum ist auch im Schloss.

Am Zwinger vorbei verlassen wir durch das Torhaus, das ursprünglich der einzige Zugang war, das Schloss. Eine romantische Gasse endet für uns jäh an dem Schild, das vor einer Treppe warnt.  Die lassen hier nichts aus. Die einen stürzen sich zaghaft, die anderen mutig ins Vergnügen. Was folgt ist eine Gasse, so schmal, dass nicht mal zwei Läufer nebeneinander laufen können.  Jetzt noch der Skatbrunnen mit den drei raufenden Wenzeln, dann läuft man die Marktgasse rauf. Man ist noch nicht oben, schon wird man begeistert gefeiert.

 

 

Was aber dann kommt, habe ich bei einer vergleichbaren Veranstaltung  noch nicht erlebt. Jede Menge Zuschauer, die Live-Band und jetzt zwei Moderatoren halten die Stimmung am Höhepunkt. Die, die vom Orga-Team sonst selbst auf den Strecke unterwegs sind, gehen voll mit, klatschen die Finisher ab und gratulieren.  Wer hier spurtet, ist selber schuld. Genießen ist angesagt.

Das geht so weiter. Zwischendurch werden Siegerinnen und Sieger gefeiert. Man kennt sie schon. Entsprechend groß ist der Jubel.  Auch nach 5 Stunden denkt keiner ans Zusammenpacken. Irgendwann wird durchgesagt: „Der letzte Marathonläufer ist bei km 37! Wir warten und machen Musik!“ Die „Unkomplizierten“ fangen wieder bei „A“ an: AC/DC – Highway to hell.

Wenn die Klagen vieler Läuferinnen und Läufer bezüglich der Startgebühren wirklich ernst gemeint sind, müssen sich die Veranstalter des Skatstadtmarathon demnächst  warm anziehen. Denn zum  Schluss sage ich Euch noch, was das Vergnügen kostet. Ich reize praktisch den Grand mit vier weiter, spiele Hand und sage Schneider an.

20 Euro ist der Einstiegstarif, 33 Euro zahlen Nachmelder (Stand 2012).  Dafür bekommt man in diesem Jahr einen Original-Buff (jeder weiß, was so ein Ding kostet), eine Medaille, Kartoffelsuppe und Bier. Obst und die üblichen anderen Getränke und die Streckenverpflegung sind selbstverständlich. Die Urkunde druckt man sich im Internet aus.

Ok, ein paar Kleinigkeiten scheinen schief gelaufen zu sein. Ich hab’s nicht bemerkt. Aber die Verantwortlichen stehen dazu, sagen „sorry“ und wollen alles noch besser machen.

Ich habe Lust, wieder dabei zu sein.

 

Auf Wiedersehen in Altenburg am 12. Juni 2021

 

 

 

Informationen: Skatstadtmarathon Altenburg
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