Seven Summits (Sieben Gipfel) Siegen sind das Versprechen der Organisatoren, einen Stadtlauf mit dem von Läufen im Bergland bekannten Gipfelglück zu kreuzen. Ob Siegen wie Rom tatsächlich auf sieben Hügeln gebaut wurde oder doch deren acht zählt und nicht sogar zehn Berge im Stadtgebiet zu finden sind, ist letztlich unwichtig. Man hat sich eben auf sieben Hügel geeinigt, über die man uns zu jagen beabsichtigt. Natürlich besitzt alleine die schiere Zahl schon etwas Magisches: Man denke nur an Siebenmeilenstiefel, sieben Geißlein, sieben Brücken oder sieben Zwerge – schon lange vor den Märchen war die Sieben insbesondere im Judentum eine besondere Zahl gewesen.
Nun gilt Siegen als die Stadt der Berge und besitzt die steilste Fußgängerzone Deutschlands. Rund 86 Prozent der Fläche innerhalb der Stadtgrenzen sind bepflanzt. Das nenne ich mal günstige Voraussetzungen, die sieben Hügel Siegens sportlich zu erleben, denn das ist die Idee dieser Veranstaltung. Vor vier Jahren organisierte Henry Niemeyer vom Siegener Kletterzentrum des Deutschen Alpenvereins erstmals die Tageswanderung SEVEN SUMMITS SIEGEN. Und das mit großem Erfolg. :anlauf und die DAV-Sektion Siegerland haben diese Idee 2021 aufgenommen und ein ganz besonderes Event in komplizierten Zeiten realisiert.
Lautete die ursprüngliche Herausforderung noch „Sieben Gipfel - 23 km - 740 Höhenmeter“ ist sie zwar keine hochalpine Tour geworden, wie ich sie besonders liebe, aber auch beileibe kein Sonntagsspaziergang. 2021 mit 300 Aktiven gestartet, bietet man uns heuer neben dem Traillauf und der Classic-Wanderung über 25 km und rund 800 Höhenmeter sowie einer Langstreckenwanderung über 50 km mit rund 1.200 Höhenmetern erstmals (in Deutschland) einen Stadtmarathon mit 1.200 Höhenmetern an. Natürlich hängen die Trauben für einen zunehmend gereiften Menschen von Jahr zu Jahr höher, aber 1.200 Höhenmeter im Rahmen eines Marathons, wie vor zwei Wochen bei der Rennsteigquerung, sollten für mich grundsätzlich immer noch problemlos machbar sein.
Und so starte ich am frühen Samstagmorgen quer durch den Westerwald zu meinem neuesten Abenteuer. 78 km sind natürlich keine nennenswert weite Strecke, aber gefühlt durch die Walachei ohne Schnellstraßen gefahren benötige ich dafür satte anderthalb Stunden. Siegen, für mich bisher Terra inkognita, überspringt mit über 102.000 Einwohnern knapp die Hürde zur Großstadt. Wohnst Du selber in einem 2.000-Seelen-Dorf, kann das schon die große, weite Welt bedeuten.
Nordwestlich des Dreiländerecks Nordrhein-Westfalen – Hessen – Rheinland-Pfalz gelegen, schließt sich nördlich das Sauerland an, im Nordosten das Wittgensteiner Land im Rothaargebirge, südlich liegt der Westerwald und im Westen das Wildenburger Land. Zumindest vom Rothaargebirge könntet Ihr wegen des auf dem Rothaarsteig veranstalteten Marathons gehört haben (auch der bietet locker tausend Höhenmeter). Nicht zuletzt ist natürlich auch die diesjährige 800 Jahr-Feier ein Grund für mich, meine Geographiekenntnisse zu erweitern.
Geparkt wird problemlos an der Siegerlandhalle. Hatte man am Donnerstag und Freitag die Startunterlagen dort noch empfangen können, findet dieses heute kundenfreundlich unmittelbar am Start vor dem ehemaligen Stellwerk der ebenfalls ehemaligen Bahnlinie statt. Fast könnte man von einem kleinen M4Y-Familientreffen sprechen, denn auch Birgit und Norbert Fender, Klaus Klein und Rudo Grimm wollen sich diese Premiere nicht entgehen lassen. Natürlich ist auch Carsten Koczor vor Ort, er hat ein Heimspiel und bringt die Erfahrung aus dem 25 km-Lauf mit. Besonders stolz ist man auf die Teilnahme der Ultralauflegende Birgit Lennartz, die wie ich nur eine überschaubar weite Anreise hatte.
Das Startprozedere ist ein in Nicht-Pandemiezeiten ungewöhnliches: Der Beginn des Marathons zieht sich nämlich von 08:00 bis 08:30 Uhr hin, wobei minütlich in Kleingruppen gestartet wird. Die jeweils verbindliche, genaue Startzeit wurde vorab mitgeteilt bzw. hängt aus und ist sogar auf der Startnummer gedruckt. Ältere Herren sind ja für jede Hilfe dankbar. Als Spätanmelder bin ich erst um 8:28 Uhr dran. Der Grund erschließt sich vor Ort schnell: Würde man die immerhin gut 160 Vorangemeldeten auf einen Schlag von der Leine lassen, würde das einen veritablen Stau verursachen. Denn da der Lauf über öffentliche Wege und Straßen führt, mussten wir uns schriftlich verpflichten, die Straßenverkehrsordnung einzuhalten.
Die Strecke soll zwar ausgeschildert, aber nicht abgesperrt und mit 10 Kontrollpunkten (7 Gipfel und drei weitere Kontrollpunkte) versehen sein. Auf den öffentlichen Straßen gilt, wie erwähnt, die Straßenverkehrsordnung. Helfer des THW, von :anlauf und dem DAV sind an allen wichtigen Punkten positioniert und achten auf deren Einhaltung. Das bedeutet, soweit vorhanden, auf Bürgersteigen zu laufen und an roten Ampeln anzuhalten. Andernfalls droht Disqualifikation. Im Gegensatz zum z.B. Mauerweglauf werden zum Ausgleich beim Marathon allerdings Gutschriften für Ampelphasen gegeben.
Martin Hoffmann von :anlauf Siegen moderiert gekonnt und schickt uns im Minutentakt auf die Reise. Das allerdings von ihm aus zum letzten Mal, denn er hat sein Unternehmen veräußert, wie man so munkelt. Vorbei an der Sieg-Arena entdecke ich nach der erstmaligen Überquerung der Sieg direkt etwas Vorbildliches: Hier existiert eine 2,2 km lange, beleuchtete und im Winter von Schnee und Eis befreite Laufrunde. So etwas weiß man als Laufjunkie doch besonders zu schätzen. Über einen schönen, fluffigen Trail bestreiten wir den nächsten Kilometer und arbeiten auch die ersten Höhenmeter ab. Wer sich darauf vorbereitet hat, kann jetzt die Abraumhalde der ehemaligen Johanneshütte Ziegelberg als deren letztes Überbleibsel erkennen, bevor der erste Gipfel ruft.
Ein Beachflag markiert eine hiesige Besonderheit, der sich noch sechs weitere anschließen werden. Es geht hierbei darum, die Zeiten von sieben Bergaufpassagen als Bergwertungen zu addieren. Damit möchte man uns zum lockeren Bergablaufen sowie Halten an den Ampeln motivieren. Nach 1,26 km des Bergaufhechelns über 75 HM erreichen wir mit dem Fischbacherberg nach knapp drei km den ersten der sieben Gipfel und haben damit auf 453 m Höhe auch schon den ersten Teil des zweiten Wettbewerbs innerhalb des heutigen Laufs geschafft.
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Wir kommen am Einstieg in den 2016 gebauten Flow Trail Siegen vorbei, der, vier km und 160 HM lang, mittlerweile zum Eldorado für Mountainbiker aus der gesamten Republik geworden ist. Auch so kann man den Fremdenverkehr sinnvoll stärken. An der Wegegabelung teilen sich auch die Strecken, wir Marathoner und die 50 km-Wanderer legen eine Extrarunde ein.
Über das Gelände des Jugendwerks Siegen mit einigen interessanten Gebäuden und Skulpturen müssen wir beim Abstieg über einen verwunschenen, zugewachsenen Trampelpfad Obacht geben, uns nicht auf die Nase zu legen und eiern gemeinsam hinunter. Belohnt werden wir nicht nur anfangs mit einer wunderbaren Aussicht, sondern im Tal auch mit dem ersten VP gegenüber einer hübschen Fachwerkkapelle, der unseren Wasserpegel wieder normalisiert.
Wer erinnert sich noch an den Hans-guck-in-die Luft aus dem Struwwelpeter? Der landete im Hafenbecken, weil er nicht auf den Boden sah. Der Wolfgang landet in der falschen Richtung, weil er fasziniert nach einer Deutschlandfahne und derer von Schalke 04 stierte. Glücklicherweise fallen mir die fehlenden Bodenmarkierungen schnell auf und es geht fast genauso schnell zurück auf den Pfad der Tugend.
Kaum haben wir uns den Hang an großen Strommasten entlang hochgearbeitet, geht es auf bequemem Waldweg wieder hinunter. 80% der Wege, sagen uns die Veranstalter, sind Natur- und Waldwege, 20% liegen in der Stadt. Auf der Wiese lauert der Fotograf, aufgrund dessen segensreichen Wirkens wir uns hinterher kostenlose Heldenfotos von der Homepage herunterladen können, ein feiner Zug.
Kurz (700 m) und knackig (60 HM) geht’s auf den Wellersberg als zweite Bergwertung hinauf. Atzung, die zweite, diesmal auch mit Apfelschorle. Wir umrunden auf der Panzerstraße die in den fünfziger Jahren angelegte Panzerwiese seligen Andenkens an die Einheiten der belgischen Armee, die zeitweise hier stationiert war. In Weidenau begrüßt uns eine Glück-auf-Kampfbahn, die mir zum zweiten Mal den von den BVB-Anhängern heißgeliebten Revierclub nahebringt. Arbeiter der Weidenauer Grube Neue Hardt kickten dort nach einem harten Arbeitstag auf dem Ascheplatz.
Wieder über die Sieg gekommen, stehen wir vor einer längeren Passage durch die Stadt. Ja, Stadt, Land, Fluss, an dieses bewährte Gesellschaftsspiel erinnert der heutige Kurs in der Tat. Herb, wirklich herb sind bei der dritten Bergwertung zum Giersberg die zu nehmenden Treppen: Auf wiederum nur 700 m Länge sind diesmal 83 HM zu überwinden. Aber die Belohnung in Form eines weiteren VP mit allem, was das Herz begehrt, entschädigt für alle Mühen. Es wird warm und wärmer. Zwar weht ein leiser Wind, aber die Sonne steht fast senkrecht über uns, die 30°-Marke ist bestimmt schon überschritten. Kurz zögere ich am Rabenhainturm, einer stählernen Aussichtsplattform. Entscheide mich schließlich gegen einen Aufstieg und werde mich hinterher darüber ärgern, es nicht getan zu haben.
Eine unverhoffte, kurzfristig eingerichtete Wasserstelle rettet mich wieder einmal und stärkt mich vor den nächsten, steilen Treppen. „Hopp, Arno, auf geht’s“! Arno gehorcht seiner Gattin und setzt für mich und meine Begleiter den Wasserschlauch in Gang. Ahhh! Danke, Arno, das tat gut!
Der Aufstieg zum Lindenberg als vierte Bergwertung hat trotz der Treppen etwas Mitleid mit uns, denn die hier zu bewältigenden 105 HM verteilen sich auf 1,35 km. Die zunehmende Beanspruchung der Beinmuskulatur lässt den Unterschied zu der vorangegangenen durchschnittlichen Steigung von 11,1 % allerdings nicht wirklich spüren. Die beiden Helferinnen auf dem Lindenberg deuten meinen etwas ratlosen Blick richtig: „Ja, Du bist auf dem Lindenberg. Leider hat uns der Beachflag nicht erreicht.“ Egal, Hauptsache oben. Wie gewonnen, so zerronnen, es geht wieder bergab. Mehrfach überqueren wir die Weiss, aber auch wieder die Sieg, die auf ihrem Weg zum Rhein 155 km zurücklegt.
Der Blick über die Stadt ist herrlich, aber auch der auf den nächsten VP, dem ich mich hingebungsvoll widme. Diesen betreibt der sehr freundliche Dirk Büdenbender, der mit seiner Frau in dritter Generation u.a. das Hotel Bürger führt. Kaum Freundschaft geschlossen, muß ich schon weiterziehen, denn mit dem Siegberg wartet am Fuße des Schlossparks die kürzeste und harmloseste der sieben Bergwertungen, denn hier sind lediglich 17 HM auf 340 m zu nehmen. Aber sehr attraktive! Mir gefällt die schön restaurierte Schlossanlage sehr gut.
Weiter ziehen wir durch die heiße Stadt, die gelegentliche Wartezeiten an roten Ampeln sind willkommene Gelegenheiten zum Durchschnaufen. Knackig wird’s nochmal auf dem Weg hinauf zum Häusling, denn die 110 HM auf 1,14 km Länge gehen nochmal richtig ins Fahrgestell. Aber auch hier erstickt man jedes Gejammere direkt mit einem erfrischen Schluck aus der Pulle.
Laut schallt es aus dem Tal herauf, unter uns liegt neben einem Gewerbegebiet eine größere Sportanlage, wo im Leimbachstadion ebenfalls Schweiß vergossen wird, allerdings ohne umgeschnallte Startnummer. Im weiteren Auf und Ab erreichen wir die gegenüberliegende Talseite und gelangen schließlich zur finalen Qual: Über 1,22 km steigen wir 86 HM auf. Damit ist die Herausforderung Summit/Martin Hansel Challenge gemeistert, die man eben nach Martin Hansel, dem „Unverwüstlichen“, benannt hat.
Der heute Sechzigjährige hat vor sieben Jahren die dreifache Triathlon-Langdistanz in Lensahn absolviert und dafür nur gute 45 Stunden gebraucht. Oha! Dagegen muten die addierten heutigen 536 HM über 6,95 km im Wettbewerb innerhalb des Wettbewerbs wie ein Kindergeburtstag an. Wobei, wer als Eltern und/oder Großeltern mal Kindergeburtstage ausgerichtet hat, kann mit dem Begriff Herausforderung auch etwas anfangen, ohne gelaufen zu sein.
Nach der finalen Auftankung mit allem Notwendigen versehen und durch Sprühnebel aus bunten Einhörnern erfrischt, trete ich die letzten km an. Doch die Erfrischung gleicht einer Henkersmahlzeit, denn um die 180°-Kurve gebogen, zieht mir ein strammer Aufstieg in praller Sonne sämtliche Zähne. Nahe komme ich dem WDR-Funkturm, dann beglückt mich meine Uhr mit der Botschaft „40 km“, gefolgt von einem Streckenschild „Die letzten zwei km!“. Die beinhalten nochmals einen netten Trail, bevor ich durch die Stadt mit dem DAV-Kletterzentrum nach knappen fünfeinhalb Stunden das heutige Ziel erreiche. Mehrere Kaltgetränke beleben mich wieder, bevor ich (bei sehr überschaubarer „Konkurrenz“) tatsächlich nochmal zu einer Siegerehrung darf, denn die Opa-Klasse habe ich für mich entschieden.
Das ist auch das passende Stichwort, denn die Entscheidung, mich hier und heute für diese Premiere entschieden zu haben, war genau richtig. Die abwechslungsreiche, nicht zu schwere Strecke hat mir Spaß gemacht, es war eine wirklich runde Sache. Ja, Martin Hoffmann hat sein Unternehmen :anlauf wohl wirklich veräußert. Da kann man nur hoffen, daß der erstmalig ausgetragene Marathonlauf keine Eintagsfliege bleiben wird. Der Lauf hat wirklich Potential, sich im Laufkalender zu etablieren.
Streckenbeschreibung:
Attraktiver, abwechslungsreicher und grüner Stadtmarathon über sieben Hügel mit selbst ermittelten 1.206 Höhenmetern insgesamt. Gute Markierung mit Pfeilen auf Schildern, orangenem Flatter- und Klebeband sowie orangener Sprühkreide.
Die Maximalzeit beträgt aufgrund der Startfensters von einer halben Stunde für die Erstgestarteten sechseinhalb, für die Letzten sechs Stunden.
Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt 44 oder 49 € für den Marathon.
Weitere Veranstaltungen:
25 km-Lauf und -marsch sowie ein 50 km-Marsch.
Leistungen/Auszeichnung:
Holzmedaille, Sofort- und Onlineurkunde für alle, Pokale für die ersten drei Frauen/Männer. Netter Sonderpreis für die Ak-Sieger. Bereitstellung des Streckenverlaufs für Komoot und als gpx-Datei. Verzehrgutschein für die Finisher-Party am DAV Kletterzentrum. Kostenlose Start- bzw. Zielfotos zum Download. Umfangreiche Vorabinformationen per E-Mail.
Logistik:
Gepäckaufbewahrung und Transport vom Start zum Ziel.
Verpflegung:
8 VP mit allem, was das Herz begehrt (Kaffee und Tee im Startbereich, 4 Verpflegungspunkte „Basic“ (57wasser, Krombacher 0,0, Obst, Riegel), 1 VP „Regional“ (Reibekuchen), 1 VP mit warmem Essen, Zielverpflegung am DAV Kletterzentrum (57wasser, Krombacher 0,0, Suppe).
Zuschauer:
Seien wir ehrlich: So gut wie keine.