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Laufberichte

Ein Traum von Schmiedefeld

 

Schmiedefeld, 8 Uhr morgens. Ich freue mich, wieder am Rennsteig zu sein. Einzeln werden wir auf die Reise geschickt. Kein Massenstart wie sonst üblich. Auch nicht in kleinen Gruppen, wie es die Corona-Hygiene-Konzepte anderen Ortes vorsehen. Sondern einzeln. Zeitfenster 07.30 bis 09.00 Uhr. Ich wähle einen frühen Zeitpunkt, denn so habe ich die Chance, trotz langsamen Laufens möglichst viele Mitstreiter vor die Linse zu bekommen, insbesondere auf dem Rückweg …

Spätestens jetzt wird der eine oder andere stutzen. Wurde denn nicht der Rennsteiglauf abgesagt? Und Schmiedefeld ist doch der Zielort und nicht der Startort? Außerdem ist der Rennsteiglauf kein Rundkurs, oder? Wer derlei Zweifel hat, liegt richtig.

Was aber nicht heißt, dass der Autor vor lauter Entzugsentscheidungen unter Halluzinationen leidet. Ich befinde mich tatsächlich in Schmiedefeld. Aber eben nicht DEM Schmiedefeld am Rennsteig,  Zielort des Rennsteiglaufes. Die Rede ist von Schmiedefeld unweit von Neuhaus am Rennweg (dem Startort des Rennsteigmarathons),  bekannt vor allem durch das Schaubergwerk Morassina. Das ist ein ehemaliges Bergwerk zur Gewinnung von Metallsulfaten (Salze), mit vielen sehenswerten Tropfsteinen. 2002 nach getaner Arbeit (Rennsteiglauf von Neuhaus nach Schmiedefeld am Rennsteig) haben wir einige Tage in der Region verbracht und das Bergwerk besucht und dabei dieses zweite Schmiedefeld entdeckt.

Damals gab es hier noch keinen Marathon. Einige Jahre später wurde der Saale-Rennsteig-Marathon ausgerichtet mit Start in Uhlstädt an der Saale und Ziel in eben in unserem Schmiedefeld. Leider hatte der Lauf keinen ausreichenden Zuspruch und so entschloss man sich 2018 zu einer Neuerung. Ab dem Folgejahr sollte es einen Rundkurs von 21 km geben, mit Start und Ziel in Schmiedefeld. So konnte man den Aufwand verringern und gleichzeitig einen Halbmarathon integrieren. Letztes Jahr dann die erste Austragung mit 35 Marathon-Finishern und 73 Halbmarathonis sowie weiteren Teilnehmer auf kürzeren Distanzen.

 

 

Und heute nun die zweite Austragung, Corona trotzend dank vorbildlichem Hygienekonzept. Abholung der Startunterlagen in der Schule, mit Maske natürlich, Abstands- und Wegemarkierungen am Boden sollen Begegnungen vermeiden helfen. Das Startareal bis auf die Helfer ist fast menschenleer, durch den zeitlich gestreckten Einzelstart verlieren sich die ohnehin nicht sehr zahlreichen Teilnehmer auf dem Gelände. Es sind 42 Marathonis,  54 nehmen sich die Halbdistanz vor, 51 die 9-km Strecke. Bevor wir loslaufen dürfen, müssen wir auf grünes Licht warten. Was wörtlich gemeint ist, denn erst wenn das rote Licht auf einer speziellen Vorrichtung erlischt und das grüne leuchtet, dürfen wir zur Startlinie vorrücken.

Als es für mich grün leuchtet, hellt sich auch meine Laune auf. Gestern noch fuhr ich mit gemischten Gefühlen her. Mein schlechter Trainingszustand und das herbstlich-feuchte Wetter machten  mir doch etwas Sorgen. Und dann ist der Schiefergebirgslauf für mich ja auch nur „Ersatz“ für den ausgefallenen Berlin-Marathon, der heute gestartet worden wäre. Es wäre mein 25ter in Folge gewesen.

 

Einrollen

 

Wie gesagt, mit dem Start hellt sich meine Laune auf. Nicht jedoch das Wetter. Allerdings war Tage zuvor noch Dauerregen für den Rennsteig vorhergesagt, heute lautete die Prognose nur noch „Nebel“.  Daher lasse ich meine Regenjacke in meiner Sporttasche zurück, die man übrigens bewacht im Startareal deponieren kann. Dann setzt gleich bei den ersten Schritten leichter Nieselregen ein.

 

 

Der erste KM ist gut zum „Einrollen“, es geht leicht abwärts durch den Ort. Regennass glänzen Asphalt und Hausdächer, eine trübe Wolkendecke verspricht wenig Gutes. Direkt nach mir gestartet überholen mich bald Andrea und Wolfgang, unterwegs mit Sandalen. Dass dürfte heute nasse Füße geben – ich komme mit meinen Brockenchallenge-erprobten Goretex-Schuhen trockenen Fußes durch. Schon nach einem Kilometer sind wir im Wald. Hier stört das Wetter nicht mehr so sehr. Was in der Stadt als trüb empfunden wird, bedeutet in der Natur Lebendigkeit und Frische. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, heute hier und nicht  in Berlin zu sein…

Allerdings wäre es dort nicht so steil wie hier.  Schon nach wenigen hundert Metern geht es so heftig rauf und runter, dass sich für mich Laufen verbietet.  Aufwärts gilt es Körner zu sparen,  abwärts Stauchungen und Stürze zu vermeiden. Stichwort Rutschgefahr. Irgendwo müssen die 1100 HM, die der Veranstalter angibt, ja her kommen. Sogar je 1370 HM aufwärts und abwärts sagt meine App am Ende, also fast doppelt so viel wie der Rennsteigmarathon.

Wenigstens muss ich mir um die Orientierung kein Sorgen machen, gelbe Pfeile auf dem Boden weisen uns den Weg. Aufgesprühte Striche auf dem Boden oder Flatterbänder verhindern zusätzlich ein falsches Abbiegen. Ein solches Flatterband ist auch an einem Baumwegweiser befestigt. Während man diese am Rennsteig in großer Zahl antrifft, sehen wir heute nur wenige. Offensichtlich ist die Region hier weniger stark touristisch erschlossen als der Thüringer Wald Kamm, obwohl nicht weniger attraktiv. Bald tut sich ein schöner Blick ins Tal auf, die Wolken hängen nicht mehr so tief. Insgesamt sind die ersten 6 Kilometer gut laufbar, leicht ansteigend meist auf breiten Fortstraßen. Zwischenzeitlich hat es aufgehört zu regnen, die Laune steigt weiter.

 

So kann es bleiben …

 

… denke ich gerade noch, bevor das „Unheil“ beginnt. Für zwei Kilometer geht es stark wellig auf Wiesenwegen durch den Wald,  dann auf der Forststraße steil abwärts, wo ich nach 8 km bereits die zweite Versorgungsstation erreiche. Insgesamt finden wir 4 Stationen unterwegs verteilt und eine an der Wendestelle, so dass wir uns 9 Mal verpflegen können. Tee, Wasser, Iso, Cola, Apfel, Bananen und Riegel sind unter anderem im Angebot.

Direkt hinter der Verpflegungsstelle ist ein großer Kahlschlag, hier wurden wohl abgestorbene Bäume gefällt. Dennoch scheint mir der Wald hier relativ gesund zu sein. Nur vergleichsweise wenige Spuren der Trockenheit bzw. des Borkenkäferbefalls sind auszumachen. Von der Baumfällaktion sind Rinden und Äste auf dem ohnehin aufgeweichten Weg liegen geblieben, erste Traileinlagen werden fällig. Es geht weiter abwärts, auf den durchfeuchteten Wiesenwegen schmatzt jeder Schritt.

 

 

Es folgt ein Trail, den ich so hier nicht erwartet hätte. Wir befinden uns ja im Thüringer Schiefergebirge und nicht im Thüringer Wald, der sich westlich anschließt. Wobei man es oft nicht so genau nimmt und „Thüringer Wald“ gerne als Oberbegriff verwendet. Das Schiefergebirge (wen wundert’s) besteht natürlich vornehmlich aus Schiefer, welches auf den folgenden zwei Kilometern besonders zu Tage tritt. Wir laufen nämlich auf einem schmalen Pfad an einer offensichtlich etwas brüchigen Bergflanke entlang.  Immer wieder sind unter uns am Hang abgestorbene Reste von Bäumen zu sehen, deren Wurzeln auf dem losen Gestein wohl keinen Halt mehr hatten. Da es zudem rechts ordentlich runter geht, der Weg teilweise nach rechts geneigt und auch feucht ist, gilt es achtzugeben. Überholvorgänge gestalten sich hier schwierig, bis es für kurze Zeit ein wenig breiter wird. Dies nutzt Vielläufer Günther (erst letzte Woche traf er meinen M4YOU-Kollegen Anton beim Drei-Talsperren-Marathon), um an mir vorbeizuziehen. Noch schneller ist Katharina, die allerdings auch nur die halbe Strecke laufen muss und einen Marathoni als Pace-Maker hat. Auch ich sehe zu, dass ich weiterkomme, denn jetzt ist mir hier noch zu viel los, auf dem Rückweg will ich diese Passage noch einmal besonders genießen.

 

Abwärts

 

Am Ende des Trails erreichen wir bei KM 12 die dritte Versorgungsstelle. Nun ändert sich die Landschaft. Noch ein kurzes Stück auf breiten Forstwegen, dann erreichen wir die offenes Gelände.  Über feuchte Wiesenwege geht es geschwungen ins Tal durch das kleine Sommersdorf. Ein kleiner Anstieg danach, keine nennenswerte Höhemeter, aber beschwerlich, weil steil und rutschiger Untergrund, bremst uns wieder aus. Auf den folgenden Singletrails quer durch Wald und Wiesen, weiterhin leicht abwärts, begegnen mir die ersten Marathonis, bei km 16. Wer hat jetzt eigentlich Vorfahrt? Oder heißt es Vorlauf?

 

 

Unter uns sehen wir bald bei km 17 Gebersdorf. Nach einer steilen (was denn sonst) Abwärtspassage erreichen wir den Tiefpunkt der Strecke und treffen auf die vierte Verpflegungsstelle am Dorfteich. Keinesfalls auf dem Tiefpunkt ist hier ist Stimmung. Die drei Mädels am Stand versorgen uns fleißig mit Flüssigem und Festen. Unklar bleibt zunächst die Rolle der Herren der Schöpfung gegenüber. Beaufsichtigen sie das Ganze? Oder machen sie gerade Pause? Oder sind sie für die Unterhaltung von Läufern und Standcrew zuständig? Jens-Peter vom 100MC, der etwas atemlos kurz nach mir herunter zur Verpflegungsstelle kommt, findet die Erklärung. Es sind die Wächter über den Gerstensaft.  Er spricht für den Rückweg gleich eine Sonderversorgung ab.

Ich mache mich derweil wieder auf den Weg,  denn nun geht bis zum Wendepunkt 4 km bergauf, zunächst einige hundert Meter durch das Dorf. Mir fällt das schöne Gemeindehaus auf, was als Backsteinbau von der üblichen Schieferbauweise doch optisch deutlich abweicht. Groß ist Gebersdorf nicht mit seinen 268 Einwohnern, aber alt.  Schon 1337 wird er urkundlich erwähnt.

Bald schon geht es durch ein kleines, schmales Tal wieder in den Wald, immer dem Großenbach entlang. Meine Hoffnung, dass es bis zum Wendepunkt auf festen Wegen nicht allzu steil und eher kontinuierlich bergauf geht, erfüllt sich. Zwischendurch es einfach mal „laufen“ lassen, tut auch mal gut, Singletrails und profilierte Strecken darf ich ja auf den Rückweg wieder ausreichend genießen. Regelmäßig kommen mir nun Mitstreiter entgegen. Unter anderem Torsten, auch vom 100MC, der mir zuruft, dass er heute seinen 200sten läuft. Glückwunsch!

 

Zweite Runde

 

Ich erreiche das Schaubergwerk Morassina, nun ist es bis zur Wende nicht mehr weit. Dort befinden sich auch die fünfte Verpflegungsstelle und die Streckentrennung. Mitten im tiefen Wald kann ich es kaum glauben, dass die „Halben“ (links herum) nach wenigen Hundert Metern wieder im Start- und Zielgelände angekommen werden. Wir müssen nach der Versorgungstelle, wo ich mir mit einer Helferin ein Fotoduell liefere, rechts herum. „2. Runde M“ zeigt die Bodenmarkierung an.

Wer denkt, jetzt wird es langweilig, weil alles schon gesehen, der irrt sich. Seid Ihr auf Euer Stammstrecke schon mal gegen die gewohnte Richtung gelaufen? Eben, es sieht alles anders aus, nicht wahr? Wenige Läufer kommen mir noch entgegen, darunter Ralf, er dürfte hier noch 2 km Rückstand auf mich haben.  Dabei wird es aber nicht bleiben. Ich genieße zunächst den leicht abfallenden Weg bis Gebersdorf, wohl wissend, dass es danach wieder mächtig bergauf geht.

 

 

In Gebersdorf fallen mir erst jetzt die schönen Schieferhäuser auf.  An der 25 km-Markierung holt mich Jens-Peter wieder ein und zieht vorbei. Liegt es an der lockenden Sonderverpflegung, die ihm Flügel verleiht?  Das Hopfengetränk aus dem nahen Sachsen gibt ihm wieder Kräfte, auch mir bieten die Mädels eines an, ich bleibe aber lieber bei Cola und nutze die Gelegenheit, mich ein zweites Mal von Jens-Peter abzusetzen.

Kurz nach Gebersdorf geht es über eine 2006 leider stillgelegte Bahnstrecke, die von Probstzella kommend auch über schöne Viadukte führte, wieder den Hang hinauf. In Sommersdorf fällt mir diesmal der Giebel eines schiefergedeckten Hauses auf, an dem Schlägel & Eisen, Symbol des Bergbaus, abgebildet sind. In der Nähe wurde nach Eisenerz gegraben, was heute in einem Bergbaumuseum bei Schmiedefeld nachvollzogen werden kann. Auf den folgenden ansteigenden Wiesenkilometern bin ich allein unterwegs. Zeit, mir auf dem Hinweg entgangene schöne Ausblicke  zu genießen.

 

Verschönerungsweg

 

Kurz bevor es nach der nächsten Verpflegungsstelle wieder über den Verschönerungsweg geht, läuft Guido auf mich auf. Er kommt mir gleich bekannt vor. Ach ja, wir hatten im gleichen Hotel übernachtet, einer Empfehlung des Veranstalters, solide Qualität zum kleinen Preis, nur 3 km vom Start entfernt, Frühstück auch für Marathon-Frühaufsteher. Auch Guido lief letzte Woche den Drei-Talsperren-Marathon und dazu noch gestern den Borderland Ultra (50 km), trotzdem kann ich nicht lange mit ihm mithalten.

Den Verschönerungsweg habe ich nun für fast mich allein. Aus Vorsichtsgründen laufe ich hier nicht mehr, da mein Koordinationsvermögen doch etwas nachlässt. Gelegenheit, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen und Fotos von den steilen Abhängen am Wegesrand zu machen. Auch von dem auf einem Stock aufgespießten Tierschädel.  Soll dies eine Warnung sein? Für wen und vor was? Am liebsten möchte ich den Weg gar nicht mehr verlassen. Denn danach kommen nacheinander die Steigung auf dem matschigen Wiesenweg (ich bleibe ich fast kleben)  und die noch stärkere Steigung auf dem Forstweg. Gut, dass zwischendurch die vorletzte Versorgung kommt, wo uns erneut, diesmal von der Frau des Streckenchefs Frank, ein Zaubertrank angeboten wird.

 

 

Aber auch die letzte Steigung ist irgendwann geschafft und so können wir es auf den letzten Kilometern Richtung Ziel langsam ausrollen lassen. Mir gelingt es auf Karl-Heinz aufzuschließen, der sein Alter auf der Startnummer ablesen kann. Auch ihm ist M4YOU bekannt , traf er doch kürzlich auf Reporter-Kollege Joe. Lauter „alte“ Haudegen am Start hier… Umgekehrt holen mich an der letzten Verpflegung Jens-Peter und Ralf ein. Beide stöhnen über die schwere Strecke, haben aber noch genug Energie, um die Hygieneregeln fürs Foto zu demonstrieren und mich anschließend zu versägen.  Das ficht mich nicht mehr an, wohl aber die schwere Steigung kurz vor Schluss im Wald, die ich fast verdrängt hatte.

 

Das Ziel vor Augen

 

Bald nach der 40km Markierung ist Schmiedefeld sichtbar, allerdings oberhalb, was mich dann auch noch an die Schlusssteigung im Ort erinnert…

Im Ziel werde ich von Streckenchef Frank empfangen. Nach Medaillenempfang (aus Schiefer  natürlich - wird nur überreicht und nicht umgehängt) schnell die Versorgung (mit Abstand)  und duschen (im Gegensatz zu den meinen bisherigen Corona-Marathons hier möglich – selbstverständlich nur einzeln). 

 

 

Vielen Dank, Frank, an Dich und Dein Helferteam von mehreren Vereinen, zusammengefasst im LAV Saale-Rennsteig e.V., dass Ihr diesen Lauf möglich gemacht habt, dazu noch für wenig Geld (30 € für Spätmelder). Hier stimmte wirklich alles. Außer, dass die Thüringer Rostbratwurst aus war, als ich ins Ziel kam. Aber „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ wusste schon ein berühmter russischer Langstreckenläufer...

Schade, dass nur insgesamt 147 Läufer einen Startplatz von den angebotenen 250 angenommen haben.  Potential für 500 Teilnehmer wäre vorhanden, meint Frank. Das Team und die Strecke hätten‘s verdient.

 

Informationen: Schiefergebirgslauf
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