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Laufberichte

Spürst Du dat Jeföhl?

 
Autor: Joe Kelbel

23 Tonnen wiegen die Liebesschlösser, die an der Hohenzollernbrücke angebracht sind. Die meistbefahrene Eisenbahnbrücke Deutschlands hält das aus, aber die vielen Schlösser, halten die aus, was versprochen wurde? Das Wetter ja. Bis ich auf der  Deutzer Seite bin, hat mich der Regen durchnässt, also schnell Richtung Tanzbrunnen.  Aber die Startnummernausgabe ist in der Lanxess Arena.  Wo ist die denn?

Ein Zeitlimit für den Köln Marathon habe ich auf die Schnelle auch nicht gefunden, aber den Hinweis, dass das Mitführen von Tieren eine Disqualifikation zur Folge hat. Habe deshalb heute Morgen  geduscht. Hätte ich mir sparen können, aber als Vielläufer hat man mehr sebamed Proben im Bad, als Bierflaschen im Kühlschrank.

Die Fabrikhallen in Deutz, wo einst Wilhelm Maybach, Gottlieb Daimler und Nicolaus August Otto arbeiteten, sind nun Firmensitz von Dienstleistungsunternehmen. „Deutz“ ist die Firmenbezeichnung für die älteste Motorenfabrik der Welt. Wenn wir am Ottoplatz starten, mal bisschen Respekt vor dem Ottomotor-Denkmal zollen. Hat nichts mit Ottekolong zu tun, dem Eau de Cologne von der Hausnummer 4711.

 

 

Habe die Lanxess Arena gefunden. Lanxess (franz.: lancer = in Gang bringen und engl. Success = Erfolg) ist eine Chemiefirma, die sich 2004 von Bayer abgespaltet hat. Das Unternehmen engagiert sich viel in Köln. Die Arena sieht klasse aus. Die Sicherheitskontrollen am Eingang sind befremdlich, man hat Mitleid, weil meine Klamotten nass sind. Ich habe noch nie eine Marathonmesse gelobt, aber diese hier ist wirklich der Hit. Gute Lichteffekte, angenehme Akustik und viele Messestände, bei denen man Sportgeräte ausprobieren kann. Der Starterbeutel-Rucksack sieht sehr gut aus, und nur der wird aus Sicherheitsgründen morgen früh bei der Gepäckaufgabe akzeptiert.

Am Sonntagmorgen verziehen sich die Nebelschwaden schnell. Ich gehe wieder über die Hohenzollern- und schaue hinüber zur Deutzer Brücke, die gerade von unglaublich vielen Halbmarathonläufern gequert wird. 15.000 treten beim Halben an, mehr als 30 Minuten dauern die Blockstarts auf dem Ottoplatz.

 

 

„Spitzen vum Dom“ ist die Hymne vom Köln Marathon, die vom Barden Björn Heuser gesungen wird. Björn ist Songschreiber für Bläck Fööss, Paveier, Zeltinger Band, Klüngelköpp, Funky Marys und Brings. Stimmung können die Kölner. Das Kölsche Jeföhl ist bierseelig, wenig kampfmäßig. Die letzten Blocks der Halbmarathon-„Läufer“ beginnen unter Konfettiregen und dem Jubel der begeisterten Familienmitglieder ihren Wandertag.

Die 6000 Marathonläufer starten um 10 Uhr, die 3200 Staffelläufer um 11:20 Uhr. Ich mag nicht in den Startblock, ist mir zu eng.  Ich quetsche mich erst rein, als der erste Block unterwegs ist, komme so ganz zügig an die Startlinie. Zack los geht´s! Verdammt schnell für mich, ich muss aber auch schnell auf die Deutzer Brücke kommen, dann habe ich Zeit für Fotos und zum Luftholen.  

 

 

Aufgabe erledigt, schnell weiter, die Brückenrampe hinunter: „Klatsch, Klatsch“, kein Beifall, es sind meine dünnen Schuhe, oder meine schmerzenden Fersensporne, die zertrümmert werden. Natürlich laufe ich einige Preisklassen zu hoch. Aber egal, ich darf das.  

8000 Euro hat der Quadratmeter Wohnfläche in den Kranhäuser vor 6 Jahren gekostet. 1,6 Kilometer lang ist die Tiefgarage unter den Häusern. Von den Balkonen hat man schönen Blick auf den Jachthafen und das Olympiamuseum, von dessen Dach mit dem zwei Sportplätze man einen tollen  Blick auf den Dom und das Schokoladenmuseum hat. Gründer des Schokoladenmuseums war Hans Imhoff, der Mehrheitsbesitzer der Stollwerk AG. Die Kölner Firma Stollwerk (1839) wurde groß, weil sie 1890  auf New Yorker Bahnhöfen 4000 Schoko-Automaten installierte.

Als Stollwerk gegründet wurde, bestand Bayenthal noch aus drei Häusern und einem Kalkofen. Gebrannter Kalk war wichtiger Baustoff. Köln-Kalk, Wohnort von Hausmeister Krause, wurde nach einem römischen Kalklagerplatz benannt.

In Bayenthal passieren wir die Bismarksäule. 1902 war man noch politikbegeistert. Trotzdem blieben  die Spenden für den Bau des Turmes aus, also übernahm Heinrich Stollwerk, das dritte Kind des Schokoladenmannes, die Finanzierung des Turmes. Nebenan stand bis 1935 die Villa Stollwerk, die im Volksmund Bismarckburg genannt wurde, alljährlich Schauplatz der Bismarckpartys.  

In Rodenkirchen beginnen die Marathonpartys. In der Alteburger Straße ist die Psychiatrie. Leute mit Borderline, Burn-Out oder sonst was gehen dort morgens rein und kommen abends geheilt wieder raus, sogar Kassenpatienten. Ich laufe Borderline, nicht vernünftig, aber geil! Blick nach Norden, der Dom scheint weit weg zu sein.

Der Severinstorbogen ist einer von vier erhaltenen gebliebenen Stadttoren. Vor dem Tor, in  der Severinsstraße Nr 5, ist eine Bäckerei, früher der „Backes“ Schmitz. Bis dorthin mussten Straftäter  vom Gefängnis auf der Domplatte laufen, entweder in einem schweren Holzmantel, was nicht jeder überlebte, oder sie wurden zum Staupenschlag verurteilt, eine Art Spießrutenlauf, was auch nicht jeder überlebte.  „Du bes noch nit lans Schmitz-Backes“ (Du bist noch nicht am Schmitz-Backes vorbei). Kümmert mich nicht, auch wenn die 4 Std Pacer nun vorbeiziehen. Laufe zügig weiter, brauche auch keine Verpflegungsstelle, habe das im Rucksack, was jeder ahnt. Klaus Nolfs wird  seine 10 Marathonerstlinge dank „ungewöhnlicher“ Ernährung auch sicher ins Ziel bringen.

 

 

Am Neumarkt sieht man die Teilnehmer des Schülerlaufes auf der anderen Seite.  Es sind sehr viele. Gut so. Der Rudolfplatz (km 14) ist zu Ehren des für Köln bedeutendsten Habsburgers benannt. Rudolf von Habsburg war zwar König des Reiches, aber nicht Kaiser. Die Könige kamen nach der Wahl in Aachen durch die Hahnentorburg am Rudolfplatz nach Köln. Den Kaisertitel mussten sich die Könige aber beim  Papst abholen, und die wollten nicht immer. Ich schon, also schnell weiter.

Der Stadtteil Sülz  hat seinen Namen von einem Hof namens Sulpece (Suhle). In diesem Stadtteil suhlen sich jetzt 3000 Frauen mehr als Männer, und… von 36.000 Einwohnern sind 25.000 Single. Hier befindet sich passenderweise das Geißbockheim des 1. FC Köln. Der Geißbock wurde 1950 vom Zirkusdirektor dem ersten Präsidenten des FC im Rahmen einer Karnevalsveranstaltung geschenkt.

Auf dem Melatenfriedhof liegt die Kölner Prominenz und am Aachener Weiher( km 23) die Sonnenanbeter. Eine Bürgerinitiative will die Wasserfontänen regenbogenfarbig beleuchten: „Köln wäre nicht nur um eine Augenweide, sondern um eine weitere, echte Attraktion reicher“. Doch niemand macht sich Gedanken, ob die bunten Fontänen die Karpfen, ob schwul oder hetero, nicht eventuell bei ihrer Fortpflanzungstätigkeiten beeinträchtigen.

Rudolfplatz nun zum Zweiten ( km 24), jetzt deutlich aufgepeitschteres Publikum. Klasse. Über den Hohenzollernring geht es bis zum Friesenplatz mit enormen Push durchs Publikum.

Ehrenfeld hieß zu römischer Zeit „ad martyres“. Der römische Offizier und Stadtheilige von Köln, der Gereon, bekannte sich zusammen mit seinen Soldaten zum Christentum.  Alle wurden geköpft und in den Brunnen geworfen. Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin, ließ über dem Brunnen die Gereonskirche bauen.  In deren Inneren steht eine Säule, die Blut ausschwitzt. Die Türme der Gereonskirche werden heute vom Fernsehturm und der Moschee überragt. Das Drehrestaurant im Fernsehturm (Colonius, 266 m) ist seit 1994 geschlossen. Schicksal vieler Fernsehtürme in Deutschland, die den Brandschutzvorschriften nicht mehr genügen. Der Blick von der Aussichtsplattform auf die Stadt bleibt einigen Technikern der Telekom vorbehalten.

 

 

„Lauf Jan!“ –„ Ich glaub der hieß Joe“ höre ich noch und zische weiter.

Vor dem Ebertplatz (km 29) ist das Eigelsteintor, während der französischen Besatzungszeit 1794-1814 noch Porte d´Aigle (Adlertor) genannt. Daraus wurde Eigeltor. Oben am linken Fries steht geschrieben:  "Halt fass am Rich do kölsche Boor, loss et nit fall ov söös ov soor" : Halt fest am Reich, du Kölscher Bürger, lass es nicht fallen, ob die Zeiten süß oder sauer sind.

Den nördlichsten Punkt unserer Laufstrecke erreichen wir bei km 32 in Nippes. Man sagt, der Name kommt daher, weil hier nie die Pest wütete, „Nie-pes“ halt. Nippes, bedeutet aber „sinnloser Kleinkram“, und den gibt es hier genug.  Gerade in der Neusser Straße (km 34) stehen die Billig- und Ramschläden dicht gedrängt. Die  Tourismusbehörde lobt das“ typische orientalische Flair und das multikulturelle Leben zwischen Teestuben und Dönerbuden“.

 

 

Ich freue mich über die Normalität der „run squad cgn“ ein absolut geiler Laufclub, der hier unter Grill-und Konfettischwaden Party macht: „We are much more than just the people you run with - we fight together; we grow together and celebrate together. The squad is our pack, our home, our circle of friends.“ Geiler Laufclub, passt zu mir!

Auch das Nippeser Tälchen, der kleine Park auf der linken Seite unserer Laufstrecke, ist sehenswert, doch ich ärgere mich, dass wir uns immer weiter vom Pascha entfernen. Weit berühmter ist natürlich der Arbeitgeber Ford. Adenauer brachte die Ford Werke 1929 von Berlin nach Köln und spendierte dafür 12 Millionen Reichsmark. Als mich die 4:45 Pacer einholen, werde ich wach.  Ja, ich spüre dat Jeföhl. Dies ist kein Traillauf, dies ist ein Stadtmarathon.

 

 

Und wieder Rudolfplatz (km 40) vorbei am Hahnenburgtor, vor dem die Zuschauer sich über die Absperrgitter hängen und mir ihre Arme entgegenstrecken, um mich, den Helden, der kurz vor seiner Krönung steht, zu berühren.

 

 

Dem Vanman Jochen lehne ich ein Interview mit Gebrüll ab: „Hab keine Zeit!“ Das hat ihn aus dem Konzept gebracht.  Bis zur Kurve in die Hohe Straße höre ich nix mehr. Dann sehe ich über den Dächern der Hohen Straße die Spitzen vom Dom: „Wenn Du die Spitze siehst vum Dom, dann spürst Du dat Jeföhl!“ lautet die Marathonhymne. Es ist ein überwältigendes Gefühl. Danke Köln, Du hast mich glücklich gemacht!

 

Informationen: Generali Köln Marathon
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