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Laufberichte

Streetlife

31.05.14

Ich führe ein Doppelleben, den gegensätzlicher könnte es nicht sein: Letzten Samstag faszinierten mich noch die wildwüchsigen Inseln der Azoren, deren Einsamkeit und Stille. Heute laufe ich inmitten Luxemburgs 42 km langer open-Air-Party-Zone.  

Dass man Reisen aber auch immer begründen muss. Was willst du denn dort? Fragen mich die Kollegen. Luxemburg gehört wie Frankfurt am Main zu den bedeutendsten Finanzplätzen der Welt; ist nur etwas kleiner: Blitzblanke Bürohausarchitektur, Großraumbüros, Banken und Banker. Zuerst habe ich es humorvoll versucht: Ich suche den Graf von Luxemburg. Allgemeines Gelächter. Ich versuche es weiter: Ich wolle mir billige Zigaretten kaufen und günstig tanken. Das glaubte mir auch keiner. Denn dass ich nicht rauche ist bekannt und dass ich lieber Fahrrad als Auto fahre, schloss mein Wunsch auf billigen Sprit ebenfalls aus.

Dann suchte ich alle nur halbwegs glaubwürdigen Gründe zusammen: Es ist doch nicht verboten, Geld im Ausland anzulegen, oder? Die Prozentzahl derer, die mir das glaubten, stieg. Aber es ist nicht die Wahrheit. In Wirklichkeit habe ich diesen Kurztrip unternommen, weil es außer Geld noch andere Dinge gibt, die glücklich machen können: Zum Beispiel eine rauschende Party - bis in die frühen Morgenstunden.

 

Samba de Luxe


Ein Hauch von Karneval in Rio in der Innenstadt von Luxemburg. Auf dem Place d´Armes drängen sich bereits am Freitagabend Studenten und Touristen um die Sambaspieler.  Büroangestellte stoßen bei der After-Work-Party  mit Bofferding-Bier an. Rundherum befinden sich elegante Shoppingmeilen und verlockende Brasserien. Die Bewohner genießen in dieser Wirtschaftswunderlandschaft den beinahe höchsten Lebensstandard weltweit. Diese Anziehungskraft der Stadt lockt Arbeitswillige aus den Nachbarländern an – abwandern tun nur die Steuergelder. Doch ein Märchen ohne Happy End, jedenfalls was das Bankgeheimnisses anbelangt. Keine Frage, das Großherzogtum Luxemburg ist reich und schön, kennt keine Krise, schon gar keine finanzielle und gilt damit als mustergültigste Geschäftsstelle der Europäischen Union. Dann wird es dunkel, die Akteure räumen die Arena, aber nur für ein paar Stunden. Die Schilder am Straßenrand weisen hin auf das große Sportereignis im kleinen Großherzogtum Luxemburg am Samstag.

 

 

Samstag


Noch immer acht Stunden bis zum Start. Wie bringt man die rum? Noch einen weiteren Kaffee trinken und Spazierengehen, oder lieber noch mal Füße hochlegen auf dem Hotelbett?


Ich entscheide mich für zwei Runden mit dem Hop-On-Hopp-Off-Sightseeing-Bus, einer Tasse Kaffee und dem Hotelbett. Um 17:30 rolle ich in dem übervollen Shuttlebus vor das Messegelände der LUXEXPO auf dem Kirchbergplateau. Um 19:00 öffnen sich zum neunten Mal die Pforten der Open Air Großraumdiskothek, dann startet die Partypower, und es wird gelaufen, einige wohl bis weit nach Mitternacht!



Was sofort auffällt, ist die Menge von wirklich jungen, auch unerfahrenen Läufern. Marathon-Tyrannosauren, also erfahrene und unkaputtbare Läufer, sieht man eher wenig. Siegried Eichner, die 73jährige Extremultraläuferin habe ich schon erblickt. Sie ist im Vergleich zweier ebenfalls hier am Start stehender Senioren noch grün hinter den Ohren.

 

Zwei 81jähige lassen es krachen


Ist das zu glauben?  Zwei rasend rüstige Rentner stehen in Laufschuhen ebenfalls am Start. Sie sind nicht gekommen, um ihre Enkel und Urenkel anzufeuern, nein, die fitten Senioren sind gekommen um zu laufen, aber nicht nur zum Spaß. Es geht um Rekorde. Wie beim Boxkampf forderte der gebürtige Luxemburger, Josy Simon (81), den Franzosen Maurice Jean (81) zum Duell und Opa Maurice ist vorbereitet. Und wie: Den New York Marathon vergangenen November gewann er in einer Zeit von 4:43:49 (Altersklasse). Josy ist ein starker Herausforderer, erst im vergangenen Jahr hat er einen 100 Kilometerlauf in einer Zeit von 12:17:04 Stunden gewonnen und wurde damit Weltmeister seiner AK im Ultramarathonlauf - da war er immerhin schon achtzig Jahre alt.

 

Keine Tickets mehr an der Abendkasse!


Türsteher kontrollieren den Einlass in die Läuferzonen. Manche versuchen dennoch hinein zu gelangen, lassen sich so einiges einfallen, um an den „Türstehern“ vorbei zu kommen. Wo sonst Anzug, Hemd und Krawatte das Bild bestimmen, sind es jetzt Läufer. Sie tragen Startnummern so groß wie Plakate auf modisch schicker Funktionskleidung oder schrillem Faschingskostüm. Das europäische Herz wirkt durchtrainiert, hat die High-Society-Zwänge abgelegt. Aufgerüschte Mädels mit spraygehärteten Kopfbüscheln und grellem Make-up oder Jungs mit eingedrehter Discowelle. Das bunt fröhliche Bild ergänzen die Luftballons, die blau und besonders in orange in der Sonne strahlen.

Überhaupt erlebt man hier sein orangefarbenes Wunder und das außerhalb der Niederlande. Die orangefarbenen Hüte, eine geniale Werbeidee des Titelsponsors, auf den Köpfen vieler löst auch meine Begierde aus.

Schnell trinke ich noch einen Sundowner in Form eines Energiedrink für den letzten Koffeinkick, mit dem nun die Nacht lang werden kann. Was monatelang an den Wochenenden eine verschlafene Stadt ist, wird jetzt zur wilden Partymeile. Es gibt wenige Städte auf der Welt, in denen man sich nachts über temperamentvolle, gutgelaunte Menschen freut. Luxemburg jedenfalls heißt die Läufer in der Stadt willkommen und ständig werden es mehr. Dass man auf der Strecke ordentlich feiern kann, hat sich rumgesprochen. Schon längst ist der Night-Marathon bei Sportlern aus der ganzen Welt ein begehrtes Ziel und noch nie war er so frühzeitig ausgebucht, höre ich eine Stimme aus dem Mikrofon über den Startbereich.

Der Moderator unterhält sich mit Irina Mikitenko, Deutschlands seit Jahren erfolgreichste Weltklasse-Langstrecklerin, erzählt etwas von vergleichbarer Strecke zum New York Marathon und dass es hier wie dort doch immerhin knapp 400 Höhenmeter zu bewältigen gilt - ich werde hellhörig.


Auf Letzeburgisch werden die letzten Sekunden heruntergezählt: 15 Sekunden, 10 Sekunden – orangefarbener Konfettiregen und Sommerpartymusik. Es ist 19:00 Uhr, erst 12 Minuten später bin auch ich (aus dem vorletzten Startblock) im Rennen. Die Meute tobt. Die vor mir liegende Strecke ist wie Stricken für Anfänger ein einziges koordinatives Rätsel, bestehend aus links und rechts, vorne und hinten, unten und oben Kombinationen. Sie führt durch die kleine kosmopolitische Stadt von Ost nach West, von Süd nach Nord und zurück nach Ost, ein dicht gewebtes Netz aus Avenues, Boulevards und Parkanlagen, die sich über die 42 Kilometer lange Strecke zieht wie ein ausgeklügeltes Strickmuster. Alles in allem hat die Stadt ideale Ausmaße, um die Miniaturmetropole binnen eines Nacht-Marathons zu entdecken und so erfahre ich, quasi ganz nebenbei, auch jede Menge über die 90.000-Einwohner-Stadt Luxemburg.

 
 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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