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Laufberichte

Ohne Viez durch die Endlosschleife

 
Autor: Joe Kelbel

Am ersten Sonntag im September ist Marathontag in Merzig. Die Veranstaltung wird SaarschleifenLand Marathon genannt.  Merzig liegt in einer länglichen Talaue der Saar. Klimatisch begünstigt, ergeben die Apfelbäume rund um Merzig einen sehr guten Apfelwein. Der wird Viez genannt, weil man davon die  Viezekacke bekommt. Und wo man diese bekommt, da braucht man gute Porzellanschüsseln. Was Hoechster Porzellan in Frankfurt, sind in Merzig die Produkte von Villeroy und Boch. Die werden nämlich hier hergestellt, und die gibt es auch in der Stadthalle, wo die Startnummernausgabe ist.

Viez bedeutet eigentlich „Ersatz“, also ist Viez der Ersatz für den Wein. Apfelweinarten werde noch überall dort getrunken, wo sich Kelten (Gallier) gegenüber den weintrinkenden Römern behaupten konnten. Erst als Asterix und Obelix bei den Goten waren, lernten sie das Bier (lat: bibere=trinken) kennen. Bier gibt es in Merzig natürlich auch, und zwar im Saarfürst Brauhaus, direkt gegenüber auf der anderen Flussseite, leider nicht auf der Laufstrecke.

Die Startnummern gibt es am Sonntag ab 7 Uhr in der Stadthalle, kein Andrang, Frühstück wird angeboten. Die Buden für die Zeit nach dem Lauf werden aufgebaut.  Es wird Bier, Würstchen und Flammkuchen geben. An den Verpflegungstischen, die alle fünf Kilometer aufgestellt sind, wird es Wasser, Cola, Honigkuchen, Melone, Salzgurken und einiges mehr geben.

 

 

Auch dieses Jahr wird die Landesmeisterschaft ausgetragen. Der amtierende Meister Martin Schedler läuft eigentlich nur Trails, aber für die Verteidigung des Meisterschaftstitels begibt er sich wieder auf die Marathonstrecke. An den letzten Wochenenden ist er den HuBuT und den Hartfüssler gelaufen. Viez hat er noch nie getrunken.

Die Strecke führt ausschließlich durch Natur, auch wenn die Uferwege asphaltiert und geschottert sind. Bis zur Mündung der Saar in die Mosel laufen wir nicht, unser Laufrevier ist die Saarschleife. Einmal am inneren Ufer, einmal am äußeren Ufer, das ergibt 42,2 Kilometer, amtlich vermessen.

8:30 Start. Nach einigen Metern durch den Stadtpark laufen wir schon auf dem Uferweg  saarabwärts. Jemand schrieb mir, der Lauf sei langweilig. Das stimmt zwar nicht, würde mir aber nichts ausmachen, denn ich trainiere für die 220 Kilometer, die ich nächste Woche in Albanien laufen werde. Bei nur 72 Marathonläufern hat man viel Platz. Viel mehr sind es auf der 15 und auf der 21 km Strecke, die später gestartet werden.

Rechts ist der Wolfspark Werner Freud. Der Einzelkämpfer der Bundeswehr lebte im Wolfrudel. Von seinen Fernsehsendungen bleibt mir im Gedächtnis, dass er sich von seinen Wölfen ständig durchs Gesicht lecken ließ. Geschadet hat es ihm nicht, er wurde 80 Jahre alt. Der Eintritt zum Wolfspark ist frei.  

 

 

Wo jetzt das Firmengelände von Kohlpharma ist, stand in den 80er Jahren ein runtergekommenes Gebäude. Dort war die einzige Diskothek Merzigs. In Endlosschleife lief „Sex Machine“ von James Brown, und mir fiel auf, dass die Lichtreflexe der Discokugeln auf der Tanzfläche aussehen, als hätte man eine geschälte Orangenhälfte in der Mitte geöffnet.

Schon bald verlassen wir das Ufer für kurze Zeit, wir müssen um den Hafen laufen. Ja, es gibt einen Hafen, in dem werden Schotter aus Basalt und schieferartigem Gestein aus der Gegend verladen. Es gibt auch noch einen Yachthafen, der ist bei der Saarfürst Brauerei.

Wegen meines gebrochenen Fußes durfte ich die letzten Monate nicht laufen, jetzt habe ich Anlaufschwierigkeiten. Meine Konditionsprobleme äußerten sich in einem Alptraum: Ich war bei einem Arktisrun, dessen Laufstrecke durch eine Eishöhle führte, die für mich zu schmal war. Als ich das Problem durch Körperwärme gelöst hatte, bekam ich eine Zeitstrafe.  Diejenigen die hinter mir waren, bekamen eine Zeitgutschrift, dabei hatte ich denen doch den Weg bereitet. Das ist heute nicht nötig, es gibt keine Läufer hinter mir.  So lerne ich Kay kennen. Dass er der Schlussläufer ist, ist  mir nicht bewusst.  Ich wundere mich nur, dass er neben mir stehen bleibt, als ich pinkeln muss.

Auf der anderen Seite der Saar steht die Biereiche. Leider auch nur ein Traum, denn sie wird so genannt, weil 1956 ein Zeitungsredakteur einen Aprilscherz machte: Es wäre ein Kasten Bier unter der 300 Jahre alten Eiche deponiert. Die Merziger stürmten sofort die Wildnis. Seitdem wird das Biereichen-Fest abgehalten, das von „Die Strammen e.V.“ jeweils am 1. April organisiert wird. Ausgeschenkt wird das Biereichenbier (nicht das Bierleichenbier) der Saarfürst Brauerei. Auf unserer Flussseite ist nun die Ponter Hausbrauerei, die kleinste Brauerei des Saarlandes.

Über der gesamten Laufstrecke liegt eine angenehme Stille. Die spiegelglatte Wasseroberfläche der Altarme der Saar schlucken jedes Geräusch, außer dem einsamen Tapp-Tapp meiner Hokas, von denen sich Teile der Sohle ablösen. Also versuche ich auf einem Bein stehend die Teile abzureißen, was in einen Vieztanz ausartet. Ich entscheide mich, ordentlich die Füße zu heben und die Schuhe dann in Albanien zu verschenken. Aber wer braucht dort Saarkähne?

Rechts ist die Kirche St. Gangolf und Reste eines Klosters zu sehen. Gangolf war ein wundertätiger Ritter aus dem Burgund, der vom Liebhaber seiner Frau getötet wurde. Am Grab von Gangolf gingen die Wundertaten weiter, worauf seine Frau spottete: „Gangolf verbringt ebenso Wunder, wie mein Hintern Lieder singt“. Kaum hatte sie das ausgesprochen, ertönten aus ihrem Hintern unanständige Geräusche. Fortan war das immer so, sobald sie nur ein Wort sagte. Wunder, oder lag’s am Viez?

Mit einem Poppo geht’s weiter. Der Fels, den wir gerade umkurven gehörte einst Poppo von Babenberg, einem Österreicher. Abgesehen von seinem Namen und seiner Nationalität, ist der Mann interessant, weil er ins Heilige Land pilgerte. 25.000 Kilometer sei er dabei gelaufen, deswegen hatte er keinen Bock mehr und ließ sich in die Porta Nigra in Trier einmauern, lebendig. Ich habe erst 17.500 Wettkampfkilometer hinter mir.

Dass man bei diesem Lauf ein Zeitlimit vorgibt, stimmt nicht. Allerdings kommt nur derjenige in die Saarland-Altersklassenwertung, der unter 5 Stunden läuft, da bin ich weit drunter.

Von der anderen Seite hört man Töne, keine Vieztöne, sondern die wunderbaren Töne eines Alphorns. Es ist Charly, dem das große Marathon-Verdienstkreuz verliehen werden sollte. Von den grünen Waldwänden der Saarschleife wird die Musik zurückgeworfen und begleitet uns fortan durch die Schlucht.

 

 

Über mir ist der Aussichtspunkt Cloef sichtbar. Baumwipfelpfad nennt sich das Konstrukt, das sich über einen 800 Meter langen, rollstuhlgerechten Weg nach oben schraubt.

Kurz vor der Staustufe Mettlach kommt mir Martin Schedler entgegen, noch führt er, aber Phillipe Weingarth ist dicht hinter ihm. Dahinter kämpft sich Jörg Hoos nach vorne.

Querung der Schleuse, Blick auf das Kloster in Mettlach, das nun der Firmensitz von Villeroy und Boch ist. Unterhalb der Staustufe liegt die Saar 11 Meter tiefer, das ist beeindruckend. Jetzt laufe ich an der Außenseite der Saarschleife flussaufwärts. Über mir hatte ein Mann namens Orko seine Burg, von dort beobachtete er vor 1200 Jahren, wer hier entlangläuft.

 

 

Ich beobachte, wer mir entgegenläuft und wen ich noch einholen kann. Rund um das Steinbachtal wird es wildromantisch.  Der Steinbach führt kaum Wasser, doch die  Steinkrebse werden in den Pfützen überleben. Kurzes Gespräch mit Charly, dem Alphornbläser, dann ist der Wendepunkt am Alten Fährhaus erreicht. Die Felsen in meinen Schuhen haben kein stilles Plätzchen gefunden, ich muss mich setzen, um den Ballast zu entfernen. Mein ehemals gebrochener Fuß ist geschwollen, also Schnürsenkel lockern und Aufholjagd starten. Das gelingt mir nach der wiederholten Querung der der Schleuse, es läuft gut.

Mittlerweile sind auch Touris unterwegs, die meisten allerdings auf weißen Schiffen. Angler machen auch Sport, anscheinend Leistungssport. Immer wieder versuche ich das Tempo zu steigern, immer wieder meldet sich der Schweinehund. Erst dort, wo ich Kay, den Besenläufer kennengelernt habe, gelingt mir der Durchbruch.  Jetzt kann ich einsammeln und die Schlussleuchte abgeben.

 

 

Bei Kilometer 36 kommen wir am Zielgelände vorbei.  Ich kann das Bier riechen, Viez nicht. Drei Kilometer geht es weiter flussaufwärts bis zum Wendepunkt. Die letzte Halbmarathonläuferin bewundert lautstark jeden Marathonläufer, obwohl sie sichtlich selbst Probleme hat. Ich finde es gut, dass sie überhaupt angetreten ist. Es ist aber auch mental sehr fordernd, wenn man am Zielgelände vorbeiläuft, um  am Wendepunkt kehrt zu machen und wieder zurück zu laufen.  

Auch wenn ich sechs Minuten langsamer bin als letztes Jahr, bin ich bin froh, dass es diesen schnellen Naturlauf ohne Traileinlagen gibt. Ein Trail ist oft genug Freund des Schweinehundes und schreit nach Gehpausen. Eine Marathonstrecke schreit nach neuer Bestzeit.

 

 

 

 

Marathonsieger

 

Männer

1 Philippe Weingarth LLG Wustweiler 2:44:12,6
2 Jörg Hooß LTF Marpingen 2:51:51,9
3 Martin Schedler LAZ SAAR 05 Saarbrücken 2:56:17,6

Frauen

1 Sandra Fuchs LG Saar 70 3:18:19,8
2 Tanja Hooß LTF Marpingen 3:22:55,9
3 Tina Menges-Braun LLG Wustweiler 3:36:09,8

 

Informationen: SaarschleifenLand-Marathon
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