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Laufberichte

Kleine Weihnachtsgeschichte

 
Autor: Joe Kelbel

Sicherlich denkt der Leser, der Heiligabend Marathon wäre nur was für verrückte Marathonsammler ohne Familie. Ich sehe das so: Nach dem Lauf kann man die Familie noch besser ertragen. Vor Jahren schrieb mir Klaus, ich könne mir Zeit lassen mit dem Bericht über den Heiligabendlauf, die Leute hätten über die Feiertage eh keine Zeit, den zu lesen. Auch Klaus kann sich mal irren.

Am westliche Ende des Hunsrücks, zwischen Rheinland-Pfalz und Saarland, dort ist Hoppstädten Weiersbach. Es  besteht nur aus Verkehrskreiseln. Der Vorteil: egal aus welcher Richtung man kommt, man findet immer das Movietown, wo die Startnummernausgabe am Vorabend ist. Also auch Dan aus Frankreich, den viele erkennen, wenn er als Moses verkleidet zusammen mit Jesus alias Gilbert läuft. Nur, dass hier die Startnummernausgabe ist, das erkennt Moses nicht, denn Robert verteilt die Startnummern in der hintersten Ecke.  Und Moses hat nicht so eine familiäre Veranstaltung erwartet, ist erstaunt, dass wir statt  cinema „Kino“ sagen.

Viele Läufer übernachten im Vicinity, das auf dem Berg liegt, wo die Uni eine Außenstelle für Ökologiestudien hat. Ich habe mich für das Hotel Waldesruhe entschieden, das liegt näher am Startort, denn der riesige Parkplatz vor dem Ökoheizwerk ist von der Stadt gesperrt worden.

Das Waldesruhe wird nun von Chinesen geführt. 600 Chinesen leben in der 3000 Einwohner zählenden Gemeinde. Grund ist die Idee der „Weltfabrik“, die Andreas vor sechs Jahren hatte, als er den Chinesen Hou im Terminal 1 am Frankfurter Flughafen traf. Sie gründeten die ICCN GmbH, die nun vom „Oak Garden“ aus den Im-und Export mit China kontrolliert.

Das deutsch-chinesische Bier Tsingtau gibt es noch nicht, doch das gute Kirner im Waldesruhe ist ausreichend.  Moses kann  jedenfalls seine Zimmertür im Vicinity nicht mehr aufschließen und übernachtet im Auto. Ich schaue noch „Forest Gump“ bei Kabeleins, da bekommt die Zimmerdecke ein Leck. Vorbei ist es mit der Ruhe im Wald, der Regen plätschert durchs Dach. Mit Handtüchern versuche ich zu retten, was zu retten ist. Vergeblich, das Waldesruh säuft ab!  

 

 

Am Samstag, beim MMM haben wir uns noch über die Möglichkeit eines Frühstartes beim Bärenfels Heiligabendlauf unterhalten.  Aber an dem Tag, an dem Maria und Josef nach ihrem 113 Kilometermarsch von Nazareth nach Bethlehem angekommen, werde ich doch keinen Frühstart machen. Schon gar nicht nach dieser Nacht, in der ich die Wassermassen gekämpft habe.

Kurz vor acht Uhr stehe ich unter der Autobahnbrücke, es gibt leckere Brötchen, geliefert von der Esso-Tankstelle. Ein Kasten Bier lugt verschämt zwischen Plastikflaschen hervor. Start ist um 8:15, damit die Läufer rechtzeitig ankommen, die mit der Bahn anreisen.

Es gibt nur beim Bärenfels die Möglichkeit, den Gewinner des Trans Amerika Laufes, Rainer Koch zu treffen. 12 bis 16 Liter hat er bei dem Lauf vom Pazifik an den Atlantik pro Tag getrunken. Das schaff selbst ich nicht. Den Transeuropalauf hat er auch gewonnen,  genau wie Réné Strosny.  Auch ihn trifft man nur noch hier, oder vielleicht beim  Nonstop Lauf demnächst auf dem Goldsteig.

Robert macht das Briefing: Um 13 Uhr werden die Verpflegungstische abgebaut, um 14 Uhr, also nach 5:45 Stunden ist Zielschluss. „Was hat er gesagt? Fragt mich Moses auf Französisch. Ich sage: „Du musst laufen! Fünf Runden!“  „Waaas?“ – „Und 1200 Höhenmeter hat der Trail auch noch.“

Vor Jahren gab es mal eine Werbung für einen französischen Frischkäse: „Der frische Franzose“. Ich habe meiner Mutter damals erklärt, dass es keine frischen Franzosen gibt, sonst hätten die ja nicht das Parfüm erfunden. Noch nie sind so viele Läufer beim Heiligabendlauf gestartet, klasse!

Als ich Opa Franz entdecke, bin ich mir sicher, dass ich das Zeitlimit einhalten werde, aber dann sagt er, dass er nur die 8,5 Kilometer läuft, und dass er 10 Kilometermeister sei. Er ist stolz, dass er die 10 Kilometer unter zwei Stunden geschafft hat. Etwa 80 Jahre alt ist Franz.

Plötzlich sind alle gestartet, ich quäle mich die ersten 300 Höhenmeter hinauf. Keule, ein weiterer Transeuropaläufer, zischt ab. K.-P. ist froh, dass ich nach dem Shanghai Marathon direkt abgereist bin, das hätte seinen Bierkonsum auf ein Minimum reduziert. Deutschlands schnellster Briefträger zieht auch an mir vorbei.  Ängie schließt auf, wir teilen unseren Zweifel, ob wir das Zeitlimit heute einhalten werden. Die ersten Frühstarter kommen mir entgegen.  Endlich erreiche ich den zweiten VP, vor dem  Nicole 2009 nicht bremsen konnte und voll in die leckeren Dominosteine bretterte.

 

 

Nach etwa 4 Kilometern der Runde ändert sich alles, es geht abwärts, jetzt bin ich der Held des Tages: Drei, vier Jahre habe ich meine Knie mühsam mit Gewichtheben auf Vordermann gebracht, jetzt kann ich sie wieder voll belasten und fliege hinab, zurück zur Autobahnunterführung, wo der Wendepunkt ist. Zweite und dritte Runde duelliere ich mich mit Zimmermän, dem schnellsten Briefträger, dann steigt er aus: „Erkältung“. Moses ist tatsächlich ein frischer Franzose, er wird mir 30 Minuten abnehmen.

Vierte und fünfte Runde laufen perfekt. Nach 5:16 und 1200 Höhenmetern laufe ich ins Ziel, persönlicher Streckenrekord. Ich bin sowas von happy! Werde mich gleich zu neuen Läufen anmelden. Jetzt kann ich die Familie ertragen. Fröhliche Weihnachten!

 

 

Informationen: Bärenfels Heiligabend Marathon
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