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Laufberichte

Glücksgefühle auf der Himmelsleiter

 

Vor nicht allzu langer Zeit konnten mir Trails nicht wild genug, Steigungen nicht steil genug und Abstiege nicht steinig, wurzelig oder schlammig genug sein. Auf der Suche nach immer größeren Herausforderungen habe ich viele tolle Strecken und Laufabenteuer erlebt. Inzwischen ziehe ich wieder überschaubarere Distanzen vor und Trails, auf denen man laufen kann, anstatt zu balancieren, rutschen oder zu kraxeln. Dass ich in Heidelberg bereits zum dritten Mal starte, obwohl ich normalerweise eigentlich lieber bei jedem Lauf neue Regionen kennenlerne, zeigt deutlich, wie sehr ich diese Strecke mag.  

Heidelberg bietet eine angenehme Mischung von  normalen Wanderwegen, kurzen Asphaltstrecken und vor allem vielen technisch nicht allzu schweren Trails, auf denen erfahrene Trailrunner schnell laufen können und Einsteiger erste Erfahrungen im Trailrunning sammeln, ohne überfordert zu werden. Und mit der Himmelsleiter steht gegen Ende ein brutal steiles, aber wunderschönes Schmankerl im Programm.

Wer noch nie in Heidelberg war, der sollte diese Lücke auf jeden Fall schließen, denn die Stadt zieht durchaus berechtigt viele Touristen aus der ganzen Welt an. In diesem Jahr dürfen wir zwar wegen Bauarbeiten auf der Hauptstraße nicht durch die Fußgängerzone und leider auch nicht durch das Schlossgelände laufen, aber die Besichtigung kann man ja gerne anschließend nachholen.

Die Anmeldungen verteilen sich wie heutzutage üblich auf verschiedene Disziplinen. Beim Marathon (42 km mit 1500 Höhenmetern) starten 44 Frauen und 244 Männer, beim Half-Trail (30 km mit 1000 Höhenmetern) 79 Frauen und 207 Männer und beim  Himmelsleiter Trail (9 km mit 450 Höhenmetern) 63 Frauen und 126 Männer, außerdem gibt es Staffeln und Kinderläufe.

 


Start und Ziel ist wieder wie im letzten Jahr der Karlsplatz am östlichen Ende der Fußgängerzone, mit schönem Blick hinauf zum Schloss. Vor dem Start erzählt uns ein Moderator noch etwas zum Rennen, stellt einige Promis unter den Läufern vor und weist die Triathleten gleich darauf hin, dass sie den Neckar auf der Brücke überqueren und nicht schwimmen sollen. Dann gibt es noch ein bisschen Blasmusik und wir laufen los.

Gleich nach dem Start kommen wir am Rathaus vorbei, sehen die Fassade des barocken Gebäudes aber nur, wenn wir uns umdrehen. Nun geht es über den Marktplatz, in dessen Mitte der Herkulesbrunnen steht. Dieser wurde 1706 bis 1709 errichtet und soll an den Wiederaufbau der im Pfälzischen Erbfolgekrieg schwer zerstörten Stadt erinnern. Blickfang ist hier aber die große Heiliggeistkirche. Das gotische Kirchenschiff aus Sandstein trägt ein barockes Dach. An der Kirche wurde von 1398 bis 1515 gebaut. So lange braucht heute vermutlich nicht einmal mehr der Berliner Flughafen. Der achteckige Turm wird von einer barocken Turmhaube gekrönt. Auffällig sind an der schmucklosen Fassade vor allem die vielen kleinen Läden, die zwischen den Pfeilern Andenken und mehr anbieten. Diese sind keine Erfindung des modernen Tourismus, sondern gab es schon damals. In den Emporen der Kirche stand einst die weltberühmte Bibliotheka Palatina, deren rund 5000 Bücher und 3524 Handschriften im Dreißigjährigen Krieg geraubt wurden. Bis 1936 diente die Kirche 230 Jahre lang zwei Konfessionen. Eine Mauer trennte das protestantische Langhaus vom katholischen Chor.  

Gleich darauf laufen wir über die 1788 erbaute Alte Brücke, das abgesehen vom Schloss für die internationalen Touristen wichtigste Fotomotiv der Stadt.  Das fotogene Brückentor wird momentan aber von einem Baugerüst komplett verhüllt. Auf der Brücke stehen Standbilder des Kurfürsten Karl Theodor und von Minerva, der Göttin der Weisheit.   



Die Nepomukstatue steht etwas abseits. Diese Statue wurde nur neun Jahre nach Nepomuks Heiligsprechung erschaffen. Dies zeigt, wie schnell sich seine Symbolik als Beschützer von Brücken verbreitete.

Wir laufen ein Stück am Neckar entlang, mit Blick hinüber zum Schloss und zur Altstadt, dann geht es steil bergauf. Im hinteren Teil des Läuferfeldes ist nun Wandern angesagt. Doch bald sind wir oben am Philosophenweg und können wieder richtig Gas geben, zumal es sogar noch einmal etwas bergab geht.  

Vom Philosophenweg aus genießt man die schönsten Postkartenblicke auf Heidelberg. Beim heutigen Traumwetter wahrhaft eine Strecke wie auf Kitsch-Fotos.  Bald liegt der Asphalt hinter uns und wir marschieren auf Waldwegen bergauf. Bei diesem herrlichen Spätsommerwetter ist das perfekt.  

Bald steigen wir 178 Stufen durch die 56 Zuschauerreihen der Thingstätte hoch, eine im Stil griechischer Theater von den Nationalsozialisten errichtete Freilichtbühne. Bei der Eröffnung versammelten sich hier 20.000 Menschen. Da ist mir die heutige Nutzung als Laufstrecke lieber.


 

Fast direkt oberhalb der Thingstätte steht auf dem Gipfel des Heiligenbergs die Ruine des Michaelklosters. Das umzäunte Gelände kann zwar von Wanderern kostenlos betreten werden, wir Läufer müssen es aber immer außerhalb des Zaunes komplett umrunden und sehen nur ein Stück vom Turm der frühromanischen Kirche.

Nun folgt das erste richtige Trailstück des Tages. Während der nächsten Stunde geht es meist mit moderatem Gefälle bzw. Steigung auf mal schmalen, mal breiteren Trails hinauf und hinab. Zwischendurch bieten auch ein paar breitere Wege etwas Erholung für die Läufer.  

Nach 7 km erreiche ich die erste Verpflegungsstelle. Bananen, Gel, Riegel, Iso und Wasser - hier muss man nicht lange überlegen, was man will. Ab km 30 gibt es dann auch Cola. Alle Wegkreuzungen und Abzweigungen sind sehr gut gesichert. An der Stelle, wo die 30 km Läufer links abzweigen, passt ein Streckenposten sehr gut auf, damit alle auf ihre richtige Strecke gelangen. Nachdem der Trailmarathon in den letzten Jahren oft im Oktober bei herbstlichem Wetter stattfand, ist es heute sommerlich warm. Entsprechend froh sind viele, als wir an einem Brunnen vorbei kommen.


 

Am Weißen Stein steht ein 1906 erbauter, 23 m hoher Aussichtsturm, der inzwischen unter Denkmalschutz steht. Hier treffe ich an der Verpflegungsstelle Volker, mit dem ich letztes Jahr teilweise beim  GR20 Trans-Korsika gelaufen bin. Eine Weile plaudern wir, dann muss ich weiter.

Die im Kurpfälzer Dialekt geschriebenen Sprüche an den Kilometerschildern amüsieren mich. „18 - Volljährisch!“ und mehr originelle Ideen zieren die Strecke.
 Nach dem Weißen Stein geht es viele Kilometer weit meist auf breiten Wegen mit wenig Höhenunterschieden leicht bergab oder zwischendurch auch mal wieder hinauf. Nach einem langen, nicht sehr spannenden ebenen Weg folgt ein netter Trail, der uns schnell hinab führt. Bald erreiche ich Ziegelhausen, wo man von der Brücke aus einen schönen Blick auf den Neckar hat. Wegen einer Fußverletzung konnte ich zwei Wochen nicht laufen und war mir nicht sicher,  ob ich heute km 30 mit der Verpflegungsstelle vor dem Zeitlimit erreichen kann. Nun bin ich aber sogar 50 Minuten früher da und habe mehr als 2,5 Stunden Zeit für die letzten 12 Kilometer. Jetzt kann ich Tempo raus nehmen.

Kurz geht es etwas steil bergauf, dann folgen wieder längere, recht flache Auf- und Abstiege, mal auf breiten Wegen, mal auf leichten Trails. Ich genieße es, nun völlig ohne Zeitdruck laufen oder marschieren zu können.



 
Für Trailrunner ist der unbestrittene Höhepunkt der Strecke die Himmelsleiter. Diese 1844 aus Felssteinen erbaute Naturtreppe führt von der Altstadt bis zum Gipfel des Königstuhls mit 1600 Stufen steil bergauf. Wir Marathonis dürfen aber nur etwa über 850 Stufen im oberen Teil steigen. Doch das reicht. Treppe klingt harmlos, das hier ist aber keine normale Treppe. Die Felsstufen der Himmelsleiter sind höllisch hoch. Für Läufer, die während der letzten 34 km schon ihre Energie verbraucht haben, ist die Himmelsleiter eher eine Stairway to Hell. Ich liebe diese Herausforderung, muss aber zugeben, dass ich mich heute langsamer als gewohnt hinauf plage.  Oben bei der Verpflegungsstelle vor der Bergbahnstation auf dem Königstuhl nehme ich mir natürlich wieder die Zeit und gehe noch die wenigen Meter zur Aussichtsplattform mit Blick auf Heidelberg.

Dann beginnt ein langer Abstieg auf teilweise recht steinigen Trails. Da ich noch mehr als genug Zeit bis zum Zielschluss habe und meine Finisher-Zeit völlig egal ist, renne ich nicht im Kamikazetempo bergab, sondern laufe für meine Verhältnisse eher vorsichtig.  Dass der Läufer hinter mir stürzt, hat aber nichts mit der Strecke zu tun. Ein Hund von zwei Spaziergängern, eigentlich mehr Fell als Tier, rennt ihm zwischen die Beine. Ich kommentiere das nicht …

Die Trails bergab machen mir wie gewohnt Spaß, der kurze Zwischenaufstieg schreckt mich nicht mehr, denn ich kenne die Strecke mittlerweile fast auswendig. Am Hotel Molkenkur vorbei, über die Bergbahntrasse, dann erreiche ich bald das Schloss.  

 


Leider müssen wir dieses Mal oberhalb vorbei laufen statt hinunter in den Schlossgarten. Auf einer Straße laufe ich in mehreren Serpentinen abwärts zur Altstadt. Am Karlsplatz geht es durch ein Zelt, dann erreiche ich das Ziel nach wenigen Sekunden über 6 Stunden. Ich hätte es problemlos auch ein paar Minuten schneller geschafft, doch wozu?  

Ich liebe Trailrunning! Aber nächstes Jahr werde ich an keinen Wettkämpfen teilnehmen, da ich für mein D-Wanderer Projekt 10.000 km auf den schönsten Fernwanderwegen Deutschlands unterwegs sein werde. Aber ich komme wieder!

 

Weitere Infos: d-wanderer.de

 

Zunächst steht nächste Woche noch mein 100. Marathon/Ultramarathon als Heimspiel auf einer absolut trailfreien Strecke in Karlsruhe auf dem Programm.   Schnellste Marathon-Läuferin war Dioni Gorla mit 3:48, gefolgt von Aoife Quigly mit 3:57 und Lisa Miksch mit 4:13.

Schnellster Mann war Moritz Auf der Heide mit 3:09, dicht gefolgt vom einstigen Triathlon Vizeweltmeister Steffen Justus mit 3:10 und Dominik Meier mit 3:24.

 

Informationen: Trail Marathon Heidelberg
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