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Laufberichte

Volksfest in „Zentralafrika“

23.05.09

Da soll ich also in Luxemburg laufen. Wo liegt das eigentlich? Wenn ich unserem Finanzminister Peer Steinbrück, der das (ehemalige?) Steuerparadies neben anderen Ländern mit Burkina Faso verglichen hat, folge, vermutlich irgendwo in Zentralafrika.

Das muß auch tatsächlich so sein, denn die Leute kommunizieren, wie ich unterwegs unschwer feststellen konnte, hauptsächlich über Trommeln miteinander. Das scheinen wohl die bei uns üblichen Telefonzellen zu sein. Ein Läufer mit Senegal-Shirt und überall französische Töne verstärken bei mir den Eindruck, weit weg von zuhause zu sein.

Am Samstagmorgen mache ich mich mit meiner gesetzlich angetrauten Ehefrau auf den Weg und zunächst Station in Grevenmacher, um die morgigen Öffnungszeiten des Supermarktes zu erkunden (sonntags 8 – 18 Uhr!), die sagenhaften Spritpreise (25 Cent weniger als bei uns!) zu bewundern und sowohl den Tank als auch die Mägen zwecks Kohlenhydratzufuhr zu füllen. Alles gelingt bestens.

Wir gönnen uns eine Übernachtung im Flughafenhotel und sind hoch erfreut über ein nettes Präsent, einen kleinen mit „Good Luck“ beschrifteten Karton, der ein Elektrolytgetränk, eine Banane und zwei Riegel enthält. Nach dem Einchecken fahren wir direkt zu unserer abendlichen Wirkungsstätte. Da wir vorgewarnt sind, nicht die unmittelbar an Start und Ziel gelegenen Parkplätze anzufahren (hier kommt man wegen der Straßensperrungen nicht vor 0 Uhr wieder weg), fahren wir vom Hotel nur eine Autobahnausfahrt weiter (No. 8), parken an der Messe und nutzen den kostenlosen Shuttlebus. Eine weise Entscheidung, denn in der „heißen“ Zeit fährt der alle fünf Minuten, auch abends/nachts.

Messe, Start, Ziel und das ganze Drumherum findet in der sog. Coque statt, eine muschelförmige Halle (erinnert ein wenig an die Berliner „schwangere Auster“), das Centre National Sportif & Culturel. Kann man denn nirgends ungestört seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen? „Aha, der Wolfgang von marathon4you.de“ begrüßen uns mal wieder Birgit Hagelauer und Bernhard Sesterheim, die nur schlappe vierzig km Anfahrt haben. Vor der Halle bekomme ich noch den 98jährigen (in Worten: achtundneunzig) Inder Fauja Singh vor die Linse, der sich am Teammarathon beteiligen wird. Achtundneunzig. Das heißt Geburtsjahr 1911. Da hatte Kaiser Willi II. noch sieben Jahre vor sich. Unvorstellbar...

Die Startunterlagen haben wir schnell ergattert und nutzen die verbleibende Zeit, uns die Halle für den späteren Zieleinlauf anzusehen. Wow, das verspricht eine prickelnde Atmosphäre! Zwei Torbögen für den halben und ganzen Marathon sind phantastisch beleuchtet und vom Zuschauerrund überall einzusehen. Einen so schönen Zieleinlauf habe ich bisher nur in Frankfurt erleben dürfen. Und da bin ich Depp viel zu schnell durchgelaufen, habe von der Stimmung kaum etwas mitbekommen und war schneller wieder aus der Halle heraus als ich hereingekommen bin. Das wird mir heute nicht passieren.

Vor der Halle sind Zelte aufgebaut, in denen wir über einen Bezahlfernsehsender die Bundesligakonferenz schauen können. Alles läuft wie erhofft und die von mir nicht sonderlich geschätzte Mannschaft landet eben nicht auf dem ersten Platz. Ein guter Einstieg in einen erfolgreichen Abend!

Um 18 Uhr geht es unter massenhaft aufsteigenden oranje Ballons los, nachdem einige Fallschirmspringer unter dem Beifall der Läufer niedergegangen sind. Elke steht am Rand nach wenigen hundert Metern, der Held bekommt einen noch nicht verdienten Knutsch und wird weitergeschickt: „Sieh zu, daß Du fortkommst!“. Also, Madame, so viel Zeit ist immer. Ich bin ja schließlich bei der „Arbeit“ und nicht auf der Flucht! Gleich danach, fotografierend am Rand, die Viel-, Gern-, Toll- und Wasweißichnochalles-Läufer Claudia Weber und Thomas Wenning. „He, Ihr zwei Süßen, Ihr seid toll!“ „Ihr seid alle toll!“ Ja, was soll da heute noch schiefgehen?

Ich kann relativ schnell frei laufen und frage mich doch, jetzt ernsthaft, wie es mir heute wohl gehen wird. Drei Marathons innerhalb von 27 Tagen, das habe ich noch nie gemacht und bin entsprechend unsicher. Es fühlt sich aber gut an, die Zuschauer sind sehr zahlreich und feuern uns auf der großen ersten Runde um die Coque frenetisch an. Nach guten 5 km sind wir wieder an der Halle (Winke winke zum Weibe, jaja, ich laufe ja schon!) und machen uns auf in Richtung Stadt ein lange Gerade hinab. An einem Schild drehe ich mich um und entdecke „39“. Ja super, das wird spaßig werden auf dem 38. Km stramm bergauf.

Bei km 11 sind wir in der Stadt und genießen in vollen Zügen das wirklich tolle Publikum, das uns unermüdlich und lautstark anfeuert. Sagenhaft sind die Streckenteile, die über enge Straßen führen und man beiderseits im Laufen die ausgestreckten Hände abklatschen kann. Hier fühlt man sich auch im Mittelfeld, wahrscheinlich sogar auch ganz hinten, wie ein Sieger. Nach weiteren fünf km kommen wir in einen schönen Park, auf dessen geteerten Wegen es sich zwischen Bäumen und Grasflächen phantastisch laufen läßt, klasse! Km 17 und 18 führen uns in die Innenstadt. Hier zweigen die Halbmarathonis ab und dürfen zurücklaufen, wir hingegen haben das Meiste noch vor uns.

Wieder ein Stück durch den Park führt uns die Strecke jetzt ganz nach Westen, wo wir immer wieder Wohnbereiche durchmessen. Häufig nutzen die Anwohner den Lauf dazu, ihr Abendbrot nach draußen zu verlegen und mit vollen Backen kauend anzufeuern. Was mich wundert ist, daß es zwar recht viele nette Häuser gibt, deren optischer Erhaltungszustand nach deutschen Maßstäben aber zu wünschen übrig läßt. Ist hier schon der französische Einfluß spürbar? Ich glaube ja.

An ungezählten Verpflegungsstationen werden wir bestens versorgt. Es gibt immer Wasser und Iso, später ab ca. km 30 auch Cola, immer auch Bananen, Orangen und auch Riegel. Ich bevorzuge das Flüssige und nehme bei km 20 und 30 je ein Gel. Es ist immer noch sehr warm. Wir sind bei wohl 25° gestartet, die Sonne hatte sich aber Gott sei Dank die meiste Zeit verzogen. Und auch recht schwül ist es, schon nach dem ersten km lief die Brühe nur so an mir herunter.

Halbzeit ist bei 1:55 Std., au Backe, ist das zu schnell? Ich fühle mich aber gut und beschließe, das Tempo beizubehalten. Was nicht immer ganz einfach ist, denn der Kurs ist für einen Stadtmarathon recht hügelig; ich denke, so an die 200 Höhenmeter werden insgesamt schon zusammengekommen sein. Gepaart mit dem winkligen Verlauf ist das sicher kein Kurs zum Rekorde laufen. Auch die Sieger werden heute deutlich unterhalb der bisherigen Bestzeiten bleiben.

Bei km 25 erlebe ich etwas noch nie Gesehenes: Vor mir läuft plötzlich ein Zugläufer für 3:45 Std. - abgekackt!  Seine beiden Ballons hat er zerstochen und schleift die Reste hinter sich her. OK, denke ich mir, kann passieren. Trotzdem ist das peinlich. Der 28. Km führt wieder durch einen Park, das ist wirklich sehr attraktiv und bei km 29 wird der Peinlichkeit die Krone aufgesetzt, denn ich überhole den zweiten abgeschlafften 3:45er Tempomacher. Wenigstens hat der sein mit der Zielzeit beschriftetes Shirt umgedreht, ist aber immer noch deutlich zu identifizieren. Ich wünsche deren „Schäfchen“, die sich ja auf die Burschen verlassen haben, daß sie es trotzdem gepackt haben.

Der 30. Km führt uns über die Adolfbrücke, die ein tiefes innerstädtisches Tal überquert. Dieses höchst attraktive Stück Natur spaziere ich am nächsten Morgen mit Elke ab, echt klasse. Einerseits schade, daß man uns hier nicht durchgeschickt hat, andererseits wären das jede Menge weitere Höhenmeter geworden. Es folgen immer wieder enge, zuschauergesäumte Streckenteile, einfach klasse! Kopfsteinpflaster? Sch... drauf!

Es wird jetzt zu dunkel zum Fotografieren und ich versuche, meine Pace vergleichsweise hochzuhalten, was mir erstaunlicherweise auch gut gelingt. Das reihenweise Einkassieren der Mitläufer ersetzt fehlende Kohlenhydrate! Obwohl die km für mich überraschend schnell vorübergehen bin ich doch froh, auf dem 37. Km wieder stadtauswärts in Richtung Coque zu laufen. Gut, daß ich auf das Folgende mental vorbereitet bin.

Wie schon erwähnt, führt km 38 stramm nach oben. Der Hammer aber ist, daß man bei km 39 nur 200 m am Ziel vorbeiläuft und noch eine Zusatzrunde um die Coque absolvieren muß. Darauf sollte man wirklich vorbereitet sein, denn wer hier körperlich am Ende ist, bekommt mental noch einen mit. Ich aber lache darüber (nee, nicht wirklich!) und beiße mich weiter voran. Der 40. Km führt wieder leicht hoch, aber bei km 41 ist es geschafft: Jetzt geht’s nur noch abwärts und wer kann, läßt es rollen. Ganz toll schon die letzten drei-/vierhundert Meter außerhalb der Halle: Hier liegen beiderseits der Straße viele hundert Mega-Teelichter, die die mittlerweile hereingebrochene Dunkelheit verzaubern.

Richtig geil sind die letzten hundert Meter, die in die Halle führen. Hier fühlt sich jeder, der es geschafft hat, als Sieger. Die Atmosphäre, aus der Dunkelheit auf Teppichboden in eine gut besetzte und beleuchtete Halle einzulaufen, ist schon etwas ganz Besonderes. Und so geht es mir wie Bernhard: mit einem Jauchzer und einem kleinen Luftsprung wird die Ziellinie überquert. Ich koste ausgiebig die Stimmung im Zielbereich, bevor wir uns in Richtung Verpflegungsbereich aufmachen. Die Medaillenausgabe finden wir noch, doch die Verpflegung nicht mehr.

Wir sind schon aus dem Bereich heraus wieder auf der Straße, bis uns der dritte Gefragte endlich richtig lotst. Und glücklicherweise werden wir auch wieder hereingelassen. Was man uns anbietet, finde ich etwas dürftig (zumindest das, was ich sehe), aber vielleicht bin ich durch die großartigen REWE-Verpflegungsdörfer in Köln und Bonn schlicht verwöhnt. Alles ist jedoch sofort vergessen, als ich mir meinen geliebten Lebensretter aus Erding einflößen kann.

Ja, mit diesen afrikanischen Verhältnissen kann man bestens umgehen! Ich bin sehr zufrieden mit der Organisation und auch mit meiner Zeit, denn auf 3:51:14 Std. hätte ich nach Bonn und Mannheim und den vielen Fotostops nicht zu spekulieren gewagt. Ein wirklich gelungenes Läufer-/Volksfest, das eine Reise wert ist. Auf Bestzeiten sollte man hier aufgrund des anspruchsvollen Kurses aber besser nicht hoffen.

Sieger
Frauen
1. CHEROP, Irene (KEN) 2:43:05 h
2. KIBARUS, Mercy (KEN) 2:44:53 h
3. DESTA GIRMA, Tadesse (ETH) 2:47:37 h

Männer
1. NGENO, John (KEN) 2:19:15 h
2. EL RIYAD, Mostapha (BHR) 2:20:19 h
3. BAGGY, Hakim (MAR) 2:23:36 h

Streckenbeschreibung:

Rundkurs vom Bankenviertel Kirchberg in die Stadt und wieder zurück, teilweise eng, aber schön (vielfach Tour de France-Gefühl), sehr wellig (geschätzte 200 Höhenmeter), viele Kurven.

Rahmenprogramm:

Marathonmesse mit Startunterlagenausgabe im Sportzentrum Coque.

Auszeichnung:

Medaille (Gravur 10 €), Soforturkunde vor Ort (3 €), Urkunde über das Internet und per übersandter CD (das wenigstens ömmesons).

Logistik:

Sehr kurze Wege, alles top nahe beieinander.

Verpflegung:

Alle 5 km Verpflegungsstände und zusätzliche Wasserstellen dazwischen, gut, reichlich und der Wärme angepaßt. Es gibt Wasser und Iso, Bananen, Orangenstücke und Riegel als feste Nahrung, später auch Cola. Nach meinem Geschmack etwas dürftige Zielverpflegung (aber ERDINGER aloolfrei!).

Zuschauer:

Sehr gutes, durchgehendes Interesse, auf der zweiten Hälfte etwas weniger (aber immer noch gut), sehr stimmungsvoller Zieleinlauf. Viele Bands und Trommlergruppen.

 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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