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Laufberichte

Trommler sind in der Stadt

20.05.07
Autor: Klaus Duwe

Luxemburg - kleines Land, ganz groß

 

Schade, dass man die Kleinen (Luxemburg ist nach Malta das kleinste Land in der EU) oft übersieht, man könnte so viel lernen. Zum Beispiel, wie man die Strukturkrise in der Stahlindustrie meistert. Da ist dem Großherzogtum nämlich ein erstaunlicher Spagat gelungen. Einerseits beherbergt man mit Acelor (hervorgegangen aus der einheimischen Arbed) den umsatzstärksten Stahlkonzern der Welt, andererseits hat man sich auf Dienstleistungen, vor allem Finanzen und Versicherungen, verlegt und generiert dort heute mehr als 80 % des BIP.

 

Dazu lassen clevere Steuergesetze die Geldquellen sprudeln. Alleine aus dem Tank- und Tabaktourismus sollen dem Finanzamt 1 Mrd. Euro jährlich zufließen. Die niedrigste Mehrwertsteuer in der EU (15 %) lockt internationale Firmen wie eBay, Amazon, Apple oder Microsoft ins Land.

 

Bei soviel Internationalität macht auch die Integration von Ausländern kein Problem. Dabei liegt deren Anteil an den 460.000 Einwohnern insgesamt bei knapp 40 %, in der Hauptstadt sind es sogar über 60 %. Hilfreich ist dabei ganz bestimmt, dass an Luxemburgs Schulen Französisch und Deutsch Pflichtfächer sind und Englisch als dritte Fremdsprache gelernt wird. Amtssprache (neben Französisch) ist „Lëtzebuergesch“, ein moselfränkischer Dialekt, das außerhalb des Landes aber bestimmt kein Mensch versteht.

 

Absolut Spitze sind Löhne und Gehälter. Ich glaube, nur im Vatikan und in Liechtenstein wird noch mehr verdient, als in Luxemburg. Das bringt noch einmal 120.000 Berufspendler ins Land. Dabei sind die Lebenshaltungskosten mit Ausnahmen der Mieten, die im Durchschnitt über dem Niveau in Deutschland liegen, mit den unsrigen durchaus vergleichbar. Klar, es gibt Ausnahmen. Die Portion Nudeln für 10,50 Euro in einem Restaurant in der Coque ist wie das Land: klein, aber oho.

 

Coque, das ist das Stichwort. Das Centre National Sportif et Culturel, oder einfach Coque (Muschel), ist eines der größten und modernsten Sportzentren Europas. Neben der Sporthalle für 5.000 Zuschauer gibt es eine Schwimmhalle mit 50 m-Becken, Restaurants und ein Hotel.


Zusammen mit den breiten Zufahrtstraßen und großen Parkflächen im neuen Banken-, Versicherungs- und Verwaltungsviertel Kirchberg steht für den ING europe marathon luxembourg eine Infrastruktur bereit, die man sich besser nicht vorstellen kann.

 

Die „Expo 42“ glänzt mit niveauvollen Verkaufs- und Präsentationsständen. Dazwischen findet der Besucher Erfrischungs- und Imbisstheken, Live-Music sorgt für eine angenehme Atmosphäre. Nachdem man aus der ausgehängten Teilnehmerliste seine Startnummer entnommen hat, bekommt man seine Startunterlagen. Mehr als  7.800 Anmelder (ausgebucht!) aus 66 Ländern (wo gibt es so was?) und viele Besucher sorgen am Nachmittag zeitweise für eine ziemliche Enge.

 

Gestartet wird gemeinsam (Marathon, Halbmarathon, Staffel) auf der Av. J. F. Kennedy. Weil dazu nur eine Straßenseite zur Verfügung steht, zieht sich das Feld ziemlich in die Länge und erscheint noch größer, als es ist - Absicht? Platz wäre auf der zweiten Fahrbahn vorhanden – dort starten zeitgleich die Kinder und Jugendlichen.

 

Egal, der Start um Punkt 18.00 klappt reibungslos, orangefarbene Ballons steigen in den immer freundlicher werdenden Himmel und die erwartungsfrohe Schar macht sich auf den 42 oder 21 Kilometer langen Weg. Applaus und rhythmisches Getrommel wirken wie Beschleuniger und nach zwei Kilometern muss ich die Euphoriebremse treten, sonst schaffe ich heute nicht mal den „Halben“.

 

Die erste Schleife führt auf den Kirchberg, wo auch RTL zu Hause ist. Ich muss unwillkürlich an meine frühe Jugend und die Anfänge des Beat in den 1960er Jahren denken. Die Sender der ARD spielten die neue Musik nicht, schon gar nicht gab es eine eigene Musiksendung für Jugendliche. RTL erkannte die Chance und sendete auf den „4 fröhlichen Wellen“ die neuesten Hits aus England und den USA, moderiert von Camillo Felgen, Frank Elstner und Thomas Gottschalk. Erst als der Südwestfunk die Marktlücke erkannte und SWR 3 und den Pop-Shop ins Rennen schickte, bekam RTL Konkurrenz. Heute ist die RTL-Group der größte private Radio- und Fernsehsender in Europa.

 

Wenig später passieren wir das Gebäude der Handwerkskammer, das äußerlich nicht von dem einer Versicherung oder Bank zu unterscheiden ist. Bei Kilometer 5 kommen wir nicht weit vom Startplatz entfernt auf die Avenue John F. Kennedy, laufen jetzt aber in entgegen gesetzter Richtung ins Banken- und Versicherungsviertel, das mit seinen Glaspalästen stark an Frankfurt erinnert. Nach 1,5 Kilometern wird gewendet und es geht schnurstracks westwärts Richtung City. Am Place de l'Europe fällt zwischen den Verwaltunstürmen sofort der 2005 fertig gestellte Säulenbau der Philharmonie auf. Um die Musikgruppe haben sich viele Zuschauer versammelt.

 

Überhaupt, obwohl wir die ganze Zeit durch keine Wohngebiete laufen, sind viele Zuschauer an der Strecke. Die erste Stunde vergeht wie im Flug. Bei Kilometer 11 geht es über die Alzette und dann rechts auf den Limpertsberg. In diesem Wohnviertel sind viele Schulen und die Universität angesiedelt, außerdem einige Botschaften (z.B. USA) und Konsulare. Viele Bewohner stehen an der Straße und freuen sich mit dem bunten Läufervolk. Wo mehr als 10 Leute zusammen stehen, hat mindest einer eine Trommel oder ein anderes Lärminstrument in der Hand.

 

Bei Kilometer 16 laufen wir durch den Parc Belair ins Centrum. Hier stehen die Zuschauer dicht gedrängt links und rechts der Straße und jubeln den Marathonis zu. Nirgendwo kann die Stimmung besser sein, es ist einfach phantastisch. Auf dem Knuedler, dem zentralen Platz vor dem Rathaus (km 17,5) ist dann Streckenteilung. Ein großes Reiterstandbild erinnert an den König und Großherzog Wilhelm II (Guillaume II), der dem Land 1848 die erste parlamentarische Verfassung gab. Nach ihm ist auch der Platz benannt, denn eigentlich heißt er Place Guillaume.

 

Wieder führt uns der Kurs durch den Parc Belair, diesmal in den gleichnamigen Stadtteil. Das Läuferfeld ist jetzt deutlich ausgedünnt, Teamläufer und  Marathonis sind unter sich. Auch an der Strecke wird es ruhiger. Unangenehm ist es nicht, sich einmal eine gewisse Zeit auf den Lauf zu konzentrieren, oder ein paar Worte mit den Mitstreitern zu wechseln.

 

Dann hört man schon wieder einen Trommler oder laute Radiomusik aus einer Straßenkneipe und ein „allez, allez“ als Anfeuerung. Auf der Av. Gaston Diderich wird ohne Aufsehen die Halbdistanz erreicht, denn erst ein Stück  weiter, bei der Kirche von Belair, steigt  das große Straßenfest. Die Menschen sind fröhlich und genießen den schönen Abend, Trommler bearbeiten engagiert ihre Instrumente und die Läufer zeigen statt verbissener Minen ein freundliches und dankbares Lächeln.

 

Dann sind wir wieder im schon bekannten Park (km 23), um auf der nächsten Schleife einen weiteren Stadtteil zu erkunden - Merl ist jetzt an der Reihe. Sieben Kilometer ist die Strecke lang und ziemlich mühsam, weil zwei kleine zusätzliche Schleifen jeweils mit einem deutlichen Anstieg abgeschlossen werden. Labile Sportsfreunde können hier leicht auf den falschen Weg geraten. Langweilig ist die Strecke nicht, leicht auch nicht.

 

Wenn Rom auf 7 Hügeln gebaut ist, sind es in Luxemburg 70. Auch wegen der vielen Kurven wird hier nie ein Weltrekord gelaufen. Ich denke aber, das wissen die Verantwortlichen. Das Konzept ist deshalb ein ganz anderes und lässt sich am ehesten umschreiben mit „Sport, Spaß und Unterhaltung“ - für Läuferinnen und Läufer und für die Bevölkerung. Ich bin noch lange nicht im Ziel, ich weiß es aber schon jetzt: dieses Konzept geht auf. Es macht einfach Freude, die begeisterten Menschen zu erleben.

 

Die Verpflegungsstelle bei km 30 auf der Av. Marie Thérès kommt ganz vornehm daher. Das Personal trägt schwarze Weste und weißes Hemd, die Tische sind geschmückt mit Blumen und schweren Leuchtern. Nur Speis und Trank sind dem Anlass angemessen: Wasser, Iso und Cola, verschiedene Riegel, Bananen und Orangen.

 

Neun Uhr ist vorbei, es ist gerade noch hell genug, um von der Pont Adolphe und der „Spuerkees“ ein Bild zu machen. Die 42 Meter hohe und 153 lange Brücke quert das Petruss-Tal und verbindet die Altstadt mit dem Bahnhofsviertel. 1899 bis 1903 wurde an der damals größten Steinbogenbrücke der Welt gebaut. Auf einer kleinen Schleife kommen wir am Sitz des Stahlriesen Acelor vorbei und passieren dann noch einmal das historische Sparkassengebäude (km 34), bevor es zum Feiern erneut in die Altstadt geht. Mit „It’s my life“ werden wir begrüßt. Jetzt, wo es dunkel wird, ist alles noch viel schöner, weil ungewohnt und neu.

 

Auf der Av. John F. Kennedy geht es zurück Richtung Kirchberg. Viele Menschen sind auf der sonst den Autos vorbehaltenen Straße unterwegs. Die Philharmonie erstrahlt in wechselnden Farben und Sternendekor. Wenn die Straße nicht permanent ansteigen würde, könnte man die Atmosphäre und Szenerie noch mehr genießen. So aber stehen zwei harte Kilometer auf dem Programm.

 

Schon von weitem sind die Trommler zu hören, dann der Jubel der fast nicht zu übersehenden Menschenmenge vor der Coque, es ist der Teufel los. Was hab ich geleistet? Ich bin 39 Kilometer gelaufen, war dafür mehr als 4 Stunden unterwegs und werde gefeiert wie ein Weltmeister. Die spinnen, die Luxemburger.

 

Sie spinnen tatsächlich, ich muss das Fest verlassen, es geht in den Park. Ein Marathon hat auch in einem kleinen Land 42,195 Kilometer. Also fehlen noch 3. Hier im Dunkeln und in der Stille reißt sich keiner mehr einen raus. Die meisten gehen. Auch auf dem Kilometer hin und zurück auf Av. John F. Kennedy, den wir schon kennen, sind mehr am Gehen als am Laufen, trotz Trommler.

 

Erst als das hell erleuchtete Rund der Halle und blitzende Laser zu sehen sind, rechts und links Kerzenlichter den Weg zur Halle weisen, reißt sich jeder zusammen und gibt den lockeren Marathoni und glücklichen Finisher. Über den roten Teppich geht es in die in buntes Scheinwerferlicht getauchte Halle, Applaus und Jubel dröhnt von den Rängen und der Sprecher ist bemüht, jeden der Nachtläufer namentlich zu begrüßen.

 

Ein tolles Finale, ein toller Lauf, eine tolle Stadt, eine perfekte Veranstaltung. Und wenn das alles jetzt noch mehr an Frankfurt erinnert, so ist das kein Zufall. Jo Schindler, der Frankfurter Race-Director, mischt auch hier etwas mit.

 

Jeder bekommt seine Medaille, eine Folie gegen das Auskühlen und eine Flasche Wasser. Mehr zum Essen und Trinken gibt es draußen im großen Versorgungsbereich. Von dort kommt man auch zum Kleiderdepot, zu den Duschen und zu der Schwimmhalle.

 

Dann geht das Fest weiter. Auch die letzten Läuferinnen und Läufer werden gefeiert. Mitternacht ist lange vorbei und noch immer herrscht Volksbeststimmung, noch immer sind die Trommler zu Gange und die Bewirtungsbereiche vor und in der Coque gerammelt voll.

 

Informationen: ING Night Marathon Luxemburg
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