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Laufberichte

Trailrunning & More

 

Zum sechsten Mal ruft Innsbruck die Trailrunner zum gemeinsamen Run durch Natur und Berge in die Tiroler Landesmetropole. Erneut allerdings nicht im Frühjahr, sondern im Herbst, nachdem sich die Veranstaltung zunächst traditionell als „der“ Saisonopener der Trailszene etabliert hat. Aber es sind eben die „Umstände“, die auch sonst die Szene durcheinander wirbeln und viele Laufveranstaltungen nicht nur im Kalender verschoben haben, sondern ganz haben kippen lassen. So gesehen wirkt das ohne Unterbrechung alljährlich stattfindende Innsbrucker Trailrunning Festival fast schon wie ein Fels in der Brandung.

2017, 2018 … 2021. Zum dritten Mal in fünf Jahren bin auch ich auf Laufbesuch in Innsbruck und kann mich fast schon als Stammgast fühlen. Von solchen scheint es eine ganze Menge zu geben. Denn über 2.800 Läufer aus 51 Ländern sind es, die sich trotz anhaltendem Pandemiehype für eine der Distanzen im breiten Laufangebot des Festivals entschieden haben. Von Donnerstag bis Sonntag hat man die Qual der Wahl zwischen 7 und 103 Kilometern in der Vertikalen und 350 bis 4.400 Metern in der Horizontalen, konkret zwischen K110, K85, K42, K25, K15, K7 Business und K7 Nighttrail.

Nachdem ich 2018 noch die große Runde des K65 unter die Beine genommen hatte, bescheide ich mich, wie schon 2017, mit dem K42. Doch hat der Marathon von damals mit dem Marathon von heute nicht mehr viel gemein. Start, Ziel, Laufstrecke – fast alles ist anders und neu. Und um es vorweg zu nehmen: Letzteres auch noch besser.

 

Olympiaworld Innsbruck

 

Zwei Mal schon - 1964 und 1976 – hat Innsbruck die Ehre gehabt, Ausrichter der olympischen Winterspiele zu sein. Das ist schon eine Weile her, aber die Anlagen von damals gibt es auch heute noch. Da das bisherige Start-/Zielgelände vor dem Tiroler Landestheater im Herzen der Stadt nicht verfügbar ist, ist der Veranstalter auf das Gelände der Olympiaworld, wie der aus den einstigen olympischen Stätten entstandene Sportanlagenkomplex im Süden der Stadt genannt wird, ausgewichen. Und der bietet vor allem eines: sehr viel Platz.

 

 

Im Freigelände des Eisschnelllaufrings zwischen Olympiahalle, Eishockeyarena und Tivoli-Fußballstadion finde ich die Expo. In einem großzügig angelegten Pavillondorf hat man reichlich Gelegenheit, an den Ausrüsterständen sein Laufequipment zu optimieren, es sich an einem der Foodtrucks und Bars gut gehen zu lassen und an einem der zahllosen Tische und Bänke in der Sonne zu relaxen. Zutritt hat allerdings nur, wer den GGG-Nachweis erbringen und sich danach per Bändchen am Arm als „approved“ ausweisen kann.

Mein erster Anlaufpunkt am Freitagnachmittag ist die Startnummernausgabe am Rand des Festival Village. Daran denken muss man, bereits das komplette Pflichtgepäck einschließlich der Trailschuhe mitzunehmen. Akribisch, Stück für Stück, wird bei jedem die Liste durchgegangen. So strikt wie hier wird bei nur wenigen Bergläufen kontrolliert. Da ich das schon weiß und es keine Warteschlange an den K42-Schaltern gibt, bin ich aber flott „durch“.

 

 

Ab 18 Uhr starten auf der Expo-Bühne nacheinander die Briefings der Langdistanzen. Einmal mehr zeigt die professionelle Präsentation: Alles ist überaus durchdacht und wohlorganisiert. Der einzige Wermutstropfen: Die Wetterprognose sieht für morgen auch Regen und Gewitter vor, zumindest für die, die nicht ganz so schnell sind. Und damit auch für mich. Aber im Hier und Jetzt genieße ich den lauen Abend, einen frisch gebrühten Cappuccino und die wunderbare Kulisse der Berge im letzten Tageslicht.

Sozusagen als Appetizer für morgen und gleichzeitig Betthupferl für die Nacht lasse ich mir den Start des K85 und K110 nicht entgehen. Nachtstarts haben ihr ganz eigenes Flair. Hell strahlt das Pavillondorf im Flutlicht, laut donnert die Musik – eine motivierende Stimmung. Um 23 Uhr fällt für die etwa 300 Starter beider Gruppen zusammen der Startschuss. Mit rotem bengalischem Feuer wird der Startkanal ausgestrahlt und schafft eine geradezu infernalische Szenerie beim Auszug der Karawane der stirnlampengerüsteten „Glühwürmchen“ aus der Olympiaworld, hinein in die lange, finstere Nacht. 

 

Start in Kranebitten

 

Nur für die Starter der Ultradistanzen ist die Olympiaworld der Ziel- wie auch der Startort. Alle anderen und so auch die Marathonis müssen erst den Busshuttle zum jeweiligen Startpunkt nehmen. Das bedeutet für mich: Ausschlafen ist am Samstag nicht angesagt. Schon um 5:30 Uhr klingelt mein Wecker. Auch wenn ich draußen noch nicht viel sehe, kann ich es doch hören: Das Prasseln des Regens. Schon in der Nacht hat es mich geweckt. Kein motivierender Morgengruß.

Mein Quartier im Olympiawelt-Landessportzentrum ist zwar schlicht, hat aber den ungemeinen Vorteil, an allem, was mit dieser Veranstaltung zu tun hat, nahe dran zu sein. So auch an der Abfahrtsstelle der Shuttlebusse, die um 7 Uhr vor der Olympiaworld an- und gleich auch wieder ausrücken. Über die Autobahn führt die Fahrt flott aus der Stadt hinaus. Für ein kleines Schläfchen reicht die Zeit nicht. Schon eine Viertelstunde später kommen wir in Kranebitten an. Kühl und feucht ist die Luft, dicke Wolken umwabern die Berge, aber immerhin hat der Regen nachgelassen.

 

 

Bekannt ist Kranebitten vor allem wegen des hier ausgesprochen stadtnah im Tal angelegten Innsbrucker Flughafens, passagierzahlmäßig immerhin der drittgrößte der Republik. Nur aus der Ferne erspähen wir kurz die Start- und Landepiste, ansonsten präsentiert sich uns Kranebitten in beschaulicher dörflicher Idylle. Quasi in der Pampa am Ortsrand werden wir „ausgesetzt“. Schnell füllt sich das aus Gittern, Bändern und Startbogen gezimmerte Areal, schaufelt ein Bus nach dem anderen die Läufer heran. Immerhin 670 Läufer sind für die Marathondistanz gemeldet, wenn auch deutlich weniger am Start. Damit stellen die Marathonis das zweitgrößte Kontingent. Nur beim Halbmarathon sind es noch ein paar mehr. Nettes Bonmot des Startmoderators: 51 % der Teilnehmer seien Deutsche, verkündet er, da müsse man als Österreicher wohl noch dran arbeiten.

Erst kurz vor acht heißt es in einem der drei Blöcke Aufstellung zu nehmen. Je nachdem wie man sich bei der Anmeldung eingeschätzt hat, findet man sich in der Kategorie Elite, ambitioniert oder Genussläufer wieder. Auch wenn meine Ambition eher auf Genuss ausgerichtet ist, fühle ich mich im mittleren Block gut aufgehoben, schon weil ich weiß, dass ich mit den ersten Fotos ohnehin nach hinten durchgereicht werde.

Mit Disko-Pop werden wir in Laune gebracht, Rockmusik wäre mir offen gesagt lieber. Aber egal: Hauptsache, die Stimmung ist gut, und das sie ohne Zweifel. Um Punkt 8 Uhr knallt es und wir geben uns die Sporen. 

 

Via Völs nach Birgitz

 

Gleich nach dem Start queren wir den hier mächtig und gemächlich durch das Tal fließenden Inn. Auf einem breiten, flachen Schotterweg folgen wir seinem Lauf ein Stück weit. Ein optisch reizvoller Einstieg ist diese Passage, denn sie eröffnet uns gen Norden wie nach Süden freien Bergblick. Zumindest theoretisch. Denn trübes Himmelsgrau schränkt diesen entscheidend ein. . Beeindruckend ist dennoch der Blick auf ein tief hängendes Wolkenkissen, aus dem sich die schroffe Nordkette des Karwendelgebirges bis über 2.500 m üNN über das Inntal erhebt.

Nach rechts abzweigend und unter der Inntalautobahn hindurch gelangen geradewegs nach Völs. Durch die Gassen am Ortsrand schleichen wir uns am Ort vorbei und werden auf einen schmalen, erstmals kräftig durch dichten Wald ansteigenden Pfad gelotst. Jäh stockt der entspannte Trab und das Geklacker der Laufstöcke verrät, dass sie der schweigsam gewordenen Karawane der Läufer erstmals zusätzlichen Schub beim steilen Anstieg geben. Es ist eine jener Steigungen, die man auf den Streckenplänen nicht recht erkennen und daher auch nicht erahnen kann: kurz, aber heftig. Und davon wird es heute noch eine ganze Menge geben.

 

 

Im Auslauf des Anstiegs geht es in flottem Trab durch dichtes Busch- und Baumwerk weiter. In einem breiteren und bequemeren Weg setzt sich unser Kurs tendenziell weiter an Höhe gewinnend fort. Wir queren den uns zeitweise rauschend begleitenden Axamer Bach und treten hinaus in offeneres Gelände. Weit reicht der Blick über die saftig grünen Wiesen auf die bewaldeten Berghänge rundum. Nicht wenige Häuser und Gehöfte erblicke ich dort, aber der Zivilisation nahe kommen wir nicht.

Ein landschaftlich besonders schönes Wegstück durch die Almen liegt hier vor uns. Fast mystisch muten die von Wolkenfetzen umnebelten hohen Berge im Hintergrund an, deren Kulisse uns hier laufend begleitet. Meterhoch türmt sich zuweilen der reife Mais neben uns. Ein weiterer Abzweig führt uns durch das Grün eine Etage höher, hinauf nach Axams. Wie auch in Völz bleibt der Ortskontakt auf ein Minimum beschränkt und, einen steilen glitschigen Wiesenpfad erklimmend, stehen wir kurz darauf schon oberhalb Axams. Durch das offene Gelände traben wir geradewegs Birgitz entgegen, so wir nach acht Kilometern erstmals mit Speis und Trank mitten im Ort erwartet werden.

 

Anstieg zur Muttereralm

 

Die wohl anstrengendste, in jedem Fall zeitraubendste Passage unseres Kurses steht bevor. Und mit ihr ein erheblicher Teil der insgesamt 1.600 zu bewältigenden Höhenmeter.

Vor der Kulisse der mächtigen Nordkette im Hintergrund geht es auf einem asphaltierten Sträßlein zunächst noch gemütlich durch die offene Weidelandschaft. Kühe beäugen neugierig unser Tun. Aus dem Sträßlein wird ein Forstweg, der sich schnell im Wald verliert und zusehends an Höhe gewinnt. Die Steigungen sind keineswegs extrem, aber extrem beständig. Keiner läuft hier mehr, sondern ein jeder sucht powerwalkend seinen Idealschritt. In schier endlosen Geraden geht es dahin, weitestgehend frei von optischen Reizen. Nur selten geben die Bäume den Blick in Richtung der Berge frei. Aber solch dröge Passagen muss man eben auch hinter sich bringen.

 

 

Der Forstweg wird zu einem breiten Pfad, der matschig und wurzelig an Steigung noch ein wenig zulegt. Nur kurz bringt ein Forstweg Entspannung, schon geht es auf einem nun schmalen Trail im Slalom zwischen den Bäumen weiter bergan. Für eine Weile lassen die Wolken, in die wir eintauchen, die Umgebung zum Nebelwald werden. Durch dschungelige Natur windet sich unser Pfad schließlich in ständigem Auf und Ab dahin. Und das macht wieder richtig Spaß.

Eine steile Abwärtspassage durch ein gerodetes Waldstück fordert den Gleichgewichtssinn. Im rutschigen Morast versagt sogar den Trailschuhen bisweilen der Grip. Ein geschotterter Fahrweg lotst uns schließlich weiter bis zur Götzner Alm, auf der der gleichnamige urige Alpengasthof mit traumhafter Aussicht auf den Karwendel auf das Wandervolk wartet. Nicht allerdings auf uns. Wir müssen weiterziehen, können uns allenfalls am Brunnen am Wegesrand erfrischen. Auf mittlerweile 1.540 m üNN angelangt weiß ich zumindest, dass uns nur mehr hundert Höhenmeter vom Scheitelpunkt unseres Kurses trennen.

Aber wieder zieht sich der Weg über den Forstweg durch den Wald. Eine steil aufwärts über eine Skipiste führende Passage lässt die noch fehlenden Höhenmeter schnell abschmelzen. Unvermittelt blicke ich über das Oval des Speichersees auf der Sennalm.

 

Von der Muttereralm nach Telfes

 

Der höchste Streckenpunkt unseres Kurses ist wohl auch der pittoreskeste, auch wenn die Optik ein wenig unter dem trüben Himmel leidet. Im stillen Wasser spiegeln sich die Gipfel der Nordkette, eine malerische gerundete Brücke am anderen Ende des Sees trennt den Haupt- von einem Nebenteich. Am Ufer des Sees entlang und über die Brücke hinweg umkurven wir den See, ehe sich der Pfad kräftig nach unten senkt, geradewegs dem Bergrestaurant und der Seilbahnstation auf der Muttereralm (1.608 m üNN) entgegen. Gleich hier, nach 17,5 km, freue ich mich auf die zweite Verpflegungsstation. Wurst und Käse, Tomaten und Oliven, Kuchen und Schokolade, Bouillon und Cola, Orangen und Bananen – und das ist nicht alles. Reichhaltig ist das Angebot und ich genieße es, dieses Buffet auszukosten. 

 

 

Irgendwie gedacht hatte ich es mir, jetzt geht es nur noch abwärts. Aber so leicht wird es uns nicht gemacht. Auf einem breiten Forsthöhenweg geht es stetig auf und ab durch den Wald. Auch bei Mountain Bikern scheint die Route beliebt zu sein. Über eine Wiese hinweg sind wir dann aber wieder auf Trailkurs. Ein schmaler, häufig ausgesetzter Pfad schlängelt sich hinab zur 200 m tiefer

gelegenen Kreithiger Alm. Weicher Waldboden bestimmt einen großen Teil der folgenden Wege gen Tal, mal Single Trails, mal mit etwas mehr Platz. Steine und Wurzeln erfordern aber stets die Konzentration. Dort, wo der Wald sich lichtet, gewährt er erste Einblicke ins Stubaital tief unter uns. Ein paar Kilometer Downhill-Run, zum Schluss nochmals richtig steil, sind es dann schon noch, ehe bei km 25,5 versteckt am Rande von Telfes die Verpflegung zur nächsten Rast lockt.

 

Durchs Stubaital

 

Bekannt ist das Stubai vor allem durch seine Gletscher und sein Höhenskigebiet im Talausgang. Von alledem bekommen wir jedoch auf unserem weiteren Streckenkurs durch das Tal nichts mit. Vielmehr bestimmt sich der Kurs unseres Weges nur nach einem Motto: Trail und nochmals Trail. Kein Abschnitt unseres Laufs bildet das Trailmotto intensiver ab als dieser.

Große Steigungen gibt es (fast) nicht mehr, dafür aber viele kleine und damit korrelierend entsprechend viele Abwärtspassagen. Wer noch genug „Saft“ in Muskeln und Krochen hat, für den sind die folgenden zehn Kilometer auf zumeist fluffigen Single Trails durch die pralle Natur ein Traum. Für den, der das nicht mehr hat, wird es ein bisserl mühsam … aber dennoch ein Genuss, wenn man sich einfach etwas mehr Zeit lässt. So wie für mich.

Auch Telfes bleibt uns weitgehend verborgen, sieht man einmal von dem hübschen Kirchlein ab, das zwischen ein paar Häusern spitzhaubig in die Bergwelt ragt. Am Ortsrand bleibend werden wir zunächst auf den Leitensteig geleitet. Durch den Nadelwald schlängelt sich dieser Steig allmählich gen Talgrund. Ein letztes Mal auf unserem Kurs dürfen wir das satte Grün weiter Wiesen genießen. Wir queren die das Tal durchströmende Ruetz, um auf der anderen Talseite als Intro zum sogenannten Stollensteig - ausnahmsweise – nochmals eine etwas längere Berganpassage erklimmen zu dürfen. Sie führt uns auf einen Höhenweg, der über Kilometer talauswärts der Hangflanke folgt.

 

 

Der Stollensteig hat alles, was einen schönen Trail ausmacht: Ein erdiger Pfad, immer wieder mit reichlich Wurzeln und Stein ausgestattet, bei dem man oft nicht weiß, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet.  Mal eben, mal steil auf oder ab führend, mit morastigen Einlagen, so morastig, dass teilweise Holzplanken durch den Sumpf führen. Natur, die immer wieder ihr Gesicht wechselt, mal urwaldartig eingewachsen, dann wieder Nadelholzstangen, soweit das Auge reicht.

Der Stangensteig mündet in einen breiten Naturweg, der nun klar und eindeutig in Richtung Talgrund strebt. Schon vorher habe ich automobiles Rauschen hoch über mir aus Richtung der Baumwipfel vernommen und nur für Momente die „strada del sole“ als monströsen Fremdkörper in dieser Landschaft wahrgenommen. Hier nun blicke ich, ein paar Meter nach rechts in einen Seitenweg abschweifend, auf das „Prunkstück“ der Brennerautobahn: Die 815 m lange, den Talgrund des Wipptals bis zu 190 m überragende Europabrücke.

Immer weiter geht es ins Tal hinab, bis zur B182, der Brenner Bundesstraße. Von Lotsen gesichert queren wir diese unweit der über die Ruetz führenden, immerhin schon 175 Jahre alten Stefansbrücke. Ein weiterer Pfad senkt sich steil in die Tiefe und mündet in eine schmale Stahlbrücke, die auf einem mächtigen Rohr thronend die Sill überspannt. Kurz darauf stehen wir am einsamen Bahnhof Unterberg-Stefansbrücke, folgen auf einem staubigen Weg den Gleisen ein Stück weit, ehe sich dieser als Höhenweg durch das Tal fortsetzt. So grün die Natur um uns herum sprießt, so unangenehm ist der Lärm der Fahrzeuge, der wie aus dem Off zu uns schallt. So sehr ich mich bemühe, kann ich dennoch keine Fahrzeuge hinter der grünen Wand erspähen. Eine letzte Verschnaufpause gewährt nach 36,5 km der Versorgungsposten am ÖAMTC-Gelände unweit der Autobahn.

 

 

Das Beste zuletzt: Durch die Sillschlucht

 

Dem Wegweiser zur Sillschlucht folgend lotsen mich winkelige Wege hinab in den Talgrund. Auf Höhe der Zenzenhofbrücke erreiche ich das dort rauschende Flüsschen -  die Sill. Gerade einmal 42 km, in den Bergen oberhalb des Brenners entspringend und in den Inn mündend, ist die Sill lang. Und kaum zu glauben ist, dass dieser Wildbach so nahe der City eine solch faszinierende und urtümliche Landschaft geschaffen hat.

Unberührte Naturlandschaft säumt die steilen, bisweilen bizarr felsigen Ab- und Überhänge zu beiden Seiten der Schlucht. Da, wo die Sill mehr Platz hat, wirkt sie relativ zahm, laden idyllisch gelegene Kiesbänke zum Verweilen ein. Doch an den vielen Engstellen tost das milchig-hellbläuliche Wasser beängstigend ungestüm und gischtend dahin. Auch unser Pfad wechselt ständig das Temperament. Mal verläuft er gemütlich und flach entlang des Ufers, dann wieder führt er in jähem Rauf und Runter ausgesetzt durch Fels und Urwald. Einige Stellen sind durchaus prekär, was das Absturzrisiko anbetrifft. Besondere Achtsamkeit ist hier gefragt. Hoch über der Schlucht, geradezu weltentrückt, sehe ich die Brenner-Autobahn queren. Zu hören ist nichts von ihr,  das Rauschen des Wassers schluckt jedes sonstige Geräusch.

Der wilde Pfad, Teil des St. Romedius Pilgerweges, mündet in einen etwas komfortabler ausgebauten Weg. Wie ein Zeuge aus einer anderen Welt mutet der futuristische Turm an, den ich auf einmal hoch oben silbrig über den Baumwipfeln blitzen sehe. Es ist die berühmte Sprungschanze auf dem Bergisel. Eine Schanze gibt es hier zwar schon sein 1927, die heutige Konstruktion der unlängst erst verstorbenen Londoner Stararchitektin Zaha Hadid erst seit 2003.

 

 

Das Teilstück direkt unterhalb des Bergisel ist optisch nochmals besonders eindrucksvoll. Teils über Stege und Brücken führt der Weg hier entlang der Sill. Für die Läufer endet der Sill-Lauf jedoch an der ersten Brücke. Am jenseitigen Ufer wartet als letzte bergläuferische Herausforderung der Ausstieg aus der Schlucht auf uns. Zunächst über einen ausgesetzten Pfad, dann auf dem präparierten Kiesbett des Panoramarundwegs windet sich unser Kurs den Abhang empor. Auf dem Weg nach oben blicke ich hinab auf die Aufsichtsplattform Drachenfelsen, die mit transparentem Boden frei über der Schlucht schwebt.

Ein Stück weiter sehe ich unter mir die rauschende Brennerautobahn aus dem Tunnel treten. Kurz darauf signalisieren in exponierter Höhenlage ein moderner Glaskubus neben einem herrschaftlichen Gebäude: Jetzt sind wir in Innsbruck angekommen. Das Tirol Panorama und das Tiroler Kaiserjägermuseum passierend senkt sich der Weg hinab in die Stadt. Vorbei am Bierstindl, einer Innsbrucker Biertrinkinstitution und mit Blick auf die markante kaminrote Wiltener Basilika führt uns die Laufroute über stille Straßen quasi von hinten an das Zielgelände in der Olympiaworld heran. Das Ziel vor Augen kann man es auf den letzten paar hundert Meter locker ausrollen lassen. 

 

Finish in der Olympiaworld

 

Im Ziel mischen sich die Finisher aus vier Laufdistanzen – K42 bis K110. Da sie meist nur einzeln eintröpfeln, wird ein jeder persönlich und überschwänglich vom Zielmoderator angekündigt und mit Beifall empfangen. Nach so langer Zeit mal wieder einen vollen Marathon bewältigt zu haben, ist ein richtig gutes Gefühl. In diesem Moment nicht minder aber jenes, nach dem Zieleinlauf ein kühles Bier die Kehle herunter rinnen zu lassen. Vollends der Trägheit - und einem zweiten Bier – verfalle ich, als die sich zwischen den Wolken durchkämpfende Sonne alles in ihr Wärmebad taucht.

 

 

Vorbei ist das Laufevent des K42 damit aber noch längst nicht. Ab 19 Uhr startet die After Race Party im gewaltigen Bauch der Olympiahalle. Das einstige Eislaufstadion von 1964 und jetzt multifunktional genutzte Gebäude fasst theoretisch bis zu 12.000 Zuschauer. Es ist also reichlich Platz für die Finisher samt Begleittross. Mein erster Weg führt zum Catering: Rindergulasch mit Spätzle oder Rahmschwammerl mit Knödel lautet die Alternative, mal etwas anderes als dröge Pasta. Ab 20 Uhr wird die Halle abgedunkelt: Es beginnen die Siegerehrungen der heute beendeten Läufe: K42, K65, K85 und K110, launig inszeniert vom Veranstalterteam. Draußen laufen derweil noch bis tief in die Nacht die letzten Finisher der langen Ultradistanzen ein.

Es hat Spaß gemacht. Getreu dem Veranstaltungsmotto „Trailrunning Festival“ ist den Veranstaltern gelungen, diese beiden auf den ersten Blick widersprüchlichen Aspekte in harmonischer und eindrücklicher Weise zu verbinden und dem naturnahen Lauferlebnis so einen zusätzlichen Kick zu verleihen. Das kommt an, gerade auch bei den jüngeren Läufern und ist vielleicht auch ein Abbild des zeitgeistgemäßen Strebens nach „work-life-balance“. Sich ambitioniert laufend in der Natur austoben, das ist gut, vor und danach feiern und die Seele baumeln lassen, das muss aber auch sein. Da kann man der veranstaltenden „Laufwerkstatt“ nur zurufen: Super habt ihr das gemacht – macht weiter so.

 

Informationen: Innsbruck Alpine Trailrun Festival
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