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Laufberichte

Hamburg feiert Marathon-Comeback

 

Nur etwas mehr wie sieben Monate ist es her, dass ich den letzten Hamburg-Marathon gelaufen bin. Wie doch die Zeit vergeht! Richtig gelesen: nach etlichen, coronabedingten Planungsabweichungen und mehrfachen Verschiebungen wurde der 35. Frühjahrsmarathon in der Hansestadt im Herbstmonat September 2021 ausgetragen. Neben den regelmäßig angepassten Hygienevorschriften war damals jedem Teilnehmer gleichermaßen klar, welch schmerzhafte Abstriche in Kauf genommen werden mussten: Rahmenprogramme wie Marathonmesse, Pasta-Party oder Kinderrennen wurden von vornherein gestrichen. Dennoch waren gut 5000 Aktive im Vorjahr überglücklich, endlich wieder an einer waschechten Marathonveranstaltung teilzunehmen. Nur sieben Monate später folgt die 36. Auflage eines Marathons, welcher nach zwei Jahren Pandemie ohne größere Corona-Beschränkungen stattfindet.

Am Veranstaltungstag reisen wir frühmorgens an und erreichen aufgrund normaler sonntäglicher Verkehrslage auf den Autobahnen von Hannover kommend nach knapp zwei Stunden die Hansestadt. Wir wissen, dass viele Straßen kurzzeitig gesperrt sind. Unweit vom Veranstaltungsort überlasse ich das Auto meiner Frau und flaniere vom Hauptbahnhof zügig Richtung Messegelände.

Herrlich frühlingshaftes Wetter, perfekte Bedingungen: leicht windig bei blauem Himmel, Sonne, Temperaturen um die 13 Grad. Menschengewimmel vor, hinter und in den Messehallen - ein absolut ungewohntes Bild in solchen Zeiten. Ein Schilderwald und mehrere Servicekräfte lotsen mich zielsicher zur korrekten Messehalle, vorbei an unzähligen Dixies und Desinfektionsspendern.

War das Vorjahr noch geprägt von gegensätzlichen Stimmungen, bleibt der Veranstalter für 2022 optimistisch. Schon früh hatte man sich mit der Stadt Hamburg auf 2G (geimpft oder genesen) geeinigt. Der Impfstatus wird bereits vor Ausgabe der Startunterlagen in einem entsprechenden Kontroll-Center auf dem Messegelände in Halle A3 geprüft. Danach erhalte ich ein blaues Nachweisbändchen, welches ich fortan tragen muss. Durch das Hallenlabyrinth aus Glas und Beton werden sämtliche Teilnehmer zu den Startblöcken A bis N gelotst. Auf dem Weg dahin lerne Ich Bettina kennen. Sie läuft für die Ukraine Air Rescue, einer aus mittlerweile mehr als 100 Piloten bestehenden privaten Vereinigung, welche u.a. medizinische Hilfsgüter wie Medikamente, OP-Bestecke und Verbandmaterial von Mainz-Finthen an die polnisch-ukrainische Grenze fliegen. Auch Dave und Steffi lächeln in die Kamera, freuen sich auf diesen besonderen Tag, laufen für run4peace. Heute werden viele weitere Organisationen für Solidarität, Frieden und Selbstbestimmung auf der Strecke unterwegs sein. Geeint in der Überzeugung: Schluss mit Krieg! Waffen nieder! Weltweit!

 

 

An diesem frühlingshaften Sonntag werden über 20.000 Aktive in den Wettbewerben Marathon, Halbmarathon und Staffelmarathon an den Start gehen, darunter ein starkes Elitefeld, so hochkarätig wie schon lange nicht mehr. Es galt, den neun Jahre alten Streckenrekord von Marathon-Weltrekordhalter Eliud Kipochge zu brechen. Wird die damalige Zeit von 02:05:30 Stunden geknackt? Spannend wird es auch bei den Frauen. Eindeutige Topfavoritin ist die Äthiopierin Yalemzerf Yehualaw, welche mit 29:14 Minuten den 10-km-Weltrekord hält.

Worauf ich mich persönlich am allermeisten freue: hunderttausende Zuschauer entlang der 42,195 km langen Strecke! Und im Gegensatz zum Vorjahr sollen Musik-Bands und Spielmannszüge das ohnehin feierwütige Publikum sowie Teilnehmer wieder ordentlich einheizen.

Weithin sichtbar der Heinrich-Hertz-Fernsehturm, eines der Wahrzeichen der Stadt. Der Marathon-Massenstart soll um 9.30 Uhr auf der Karolinenstraße beginnen. Ich schaue mich um, entdecke unweit meines Blocks Wasserträger Jens Strøm. Als Hamburger Wasserträger verkleidet ist er nicht mehr aus dem Läuferbild des Hamburg Marathon wegzudenken. Derweil heizt der Moderator die Menge an, tausende Hände recken sich gen blauem Himmel, es wird gejubelt, geklatscht, gelacht. Auf den Ruf „Hummel, Hummel“ antwortet Strøm jedes Mal mit einem „Mors, Mors“ - worüber sich sogar Polizisten freuen. Obwohl hier in der Hansestadt  jeder weiss, dass das übersetzt „Leck mich am Allerwertesten“ heißt.

Ich erreiche Startblock K, unvermittelt tönt der Countdown aus allen Himmelsrichtungen: „60 Sekunden...30...5...!“. Dann lassen Sportsenator Andy Grote und Haspa Finanzvorstand Jürgen Marquardt die Schiffsglocke ertönen, das traditionelle Startsignal. Das Elitefeld wird vom Stapel gelassen, verlässt blitzartig den roten Teppich. Die ersten Startblöcke kommen allmählich in Bewegung. Gefühlt endlose Minuten später kommt der erlösende Ruck dann auch in Block K an. Das Läuferfeld zieht sich langsam auseinander. Das Marathon-Abenteuer beginnt!

 

 

Ich werde von der Menge wellenartig mitgerissen, überquere den roten Teppich, beidseitig flankiert von Tribünen voll jubelnder Zuschauer. Spaßpräsident Michel winkt uns so beherzt und freudig wie eh und je zu, während zehntausende Laufschuhe über einen Teppich aus abgeworfenen kunterbunter FFP2-Masken rennen.

Zwischen den großen Wallanlagen und dem Heiliggeistfeld folge ich dem Läuferstrom Richtung Millerntorplatz. Kurz kommt das Stadion des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli, Flakturm IV und der Hamburger DOM in Sichtweite. Dann biege ich an den „Tango-Türmen“ vorbei, dem neuen Wahrzeichen von St. Pauli.  So wird ein leicht geschwungenes Hochhaus-Paar an der wohl sündigsten Vergnügungsmeile der Welt bezeichnet. Irgendwo dort oben und damit rund 105 m über dem Elbniveau soll eine verglaste Dachterrasse mit Relaxliegen und einer Champagnerbar liegen. Verlockender Gedanke!

 

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Auch Reporter-Kollege Carsten Koczor war
beim Marathon-Comeback in der Hansestadt dabei.

Hier sind seine Bilder

 

 

 

Nach zweijährigem Dornröschenschlaf steht die berüchtigte Reeperbahn - nach der Wall Street übrigens zweitbekannteste Straße der Welt - wieder für vieles, wofür die Pandemie garantiert nicht stand. Sie erhielt ihren Namen von den sogenannten Reepschlägern, das waren damals Schiffstaumacher, die für die Herstellung eine lange, gerade Bahn benötigten. Vorbei geht es an St.-Pauli-Theater, Operettenhaus, Davidwache, Spielbudenplatz. Zum Amüsier- und später Rotlichtviertel avancierte die Reeperbahn erst ab dem 17. Jahrhundert, als ein Jahrmarkt dort umherzog. Doch mich zieht es wie alle anderen weiter über die 1,2 km lange Königstraße, welche Altona mit St. Pauli verbindet. Immerhin hat es das gut situierte Bürgertum damals wie heute nicht weit bis zum Amüsierviertel.

 

 

Schnurgerade führt die Strecke nun vom gutbürgerlichen Altona bis hinaus zu den Othmarschen. Scharenweise Zuschauer am Straßenrand, auf Terrassen, an Fenstern und auf den Balkonen strahlend weißer Prachtbauten. Alle haben heute eines gemeinsam: sie jubeln, lachen, klatschen und winken, was das Zeug hält!

Kehrtwende auf der Elbchaussee, Hamburgs feiner Adresse. Es geht wieder stadteinwärts. Erste Lücken öffnen sich zwischen dichtem Grün und erlauben einen ausgedehnten Blick auf Elbe und den gigantischen Krananlagen des Containerhafens im Hintergrund. 

Ein Schluck Hamburger Brunnenwasser bei VP km 7, mehr braucht es vorerst nicht. Stromaufwärts und entlang der Elbe folge ich der „blue-line“ auf die vierspurige Palmaille, eine der ältesten Straßen der Stadt. So schnell kann’s gehen, das erste Viertel des Marathons liegt bereits hinter mir. In einer leicht abfallenden Kurve und an rot-glänzenden Fassaden vorbei geht es nun entlang der Elbe hinunter zu den St. Pauli Landungsbrücken und mitten hinein in die Zuschauermassen nebst Altonaer Fischmarkt, U-Bootmuseum, altem Elbtunnel, Museumsschiff Cap San Diego, Elbphilharmonie.

 

 

„Mario, hier sind wir!“, höre ich Frau nebst Cousine und Kids aus der Menge kreischen. Mein eigens angereister Fan-Hotspot! Ich renne freudig rüber, halte an, mache ein Foto, verteile Küsschen. Meine Jüngste wirft mir Blumen zu. Wow! Schön, dass auch die Kids bei diesem Dauerparty-Marathon soviel Spaß haben, sie genießen ebenfalls diese ganz besondere Stimmung! Dann zieht es mich zurück in den Läuferpulk. Meine Blicke wandern immer wieder hinüber zu den Backsteinfassaden der Speicherstadt, dem weltgrößten Lagerhausensemble, errichtet auf tausenden Eichenpfählen. Gegenüber der Speicherstadt die HafenCity, maritimes Vorzeigeviertel der Hansestadt. Von überall her kommen Gesänge, Gejodel, Gekreische, Getrommel - was ein Hexenkessel! Gänsehaut pur!

Hauptbahnhof und Hamburger Kunsthalle kommen zwar noch in Sichtweite, jedoch gehen sämtliche Läufer vorher auf Tauchstation. Ja, für einen kurzen Moment wird es beinahe zappenduster und merklich kühler, denn der Wallringtunnel muss durchquert werden. Schnell geht’s wieder hinaus, wir treffen mitten hinein ins Herzstück der Hamburger Innenstadt Richtung Jungfernstieg, am südlichen Ufer der Binnenalster gelegen. Woher der Name?  Einst führten Familien sonntags ihre unverheiratete Jungfern auf der Flaniermeile spazieren - ein bürgerlicher Ritus. Heutzutage wird hier Einkaufen zur Kultur: große Kaufhäuser, feine Geschäfte und umliegende Shopping-Zonen und Passagen übertreffen sich mit exquisiten Angeboten. Hier würde ich mit der Family wohl eher ein leckeres Eis schlecken und eine Runde auf einem Alsterdampfer genießen. Weiterhin nah am Wasser geht die Party ungebrochen weiter, führt die Sightseeing-Tour doch nach Umrundung der Binnenalster über die Kennedybrücke zum Ostufer der Außenalster. Hier kann man sich nach dem Shopping beim Segeln oder Spazierengehen erholen. Ich werfe einen letzten Blick nach hinten. Beide Seen bereits umrundet? Wahnsinn, kann nicht glauben, wie schnell sich der Marathon heute anfühlt - wie dann erst fürs Elitefeld?

 

 

„Über sieben Brücken musst Du geh’n...“, summe ich im Stillen den bekannten Refrain, während ich über die 130 Jahre alte Schwanenwikbrücke mit seinen Liebesschlössern laufe. Hamburg ist mit 2500 Überquerungsmöglichkeiten die brückenreichste Stadt Europas. Venedig? Läppische 400. Laufreporter-Kollege Carsten gönnt sich vermutlich später ein Feierabendbierchen als Sundowner mit herrlichem Blick auf die Alster und den zahllosen Segelbooten auf dem Wasser. Er wollte ja noch ein paar Tage länger in Hamburg verweilen. Trink eins für mich mit!

Immer weiter geht es nun gen Norden, immer wieder vorbei an idyllischen, teils knorrigen Bäumen mit ihrem frühlingsfrischen rosa-weißem Blütenkleid beidseits der Strecke. Hochbetrieb und haufenweise Plastikbecher an der Verpflegungsstelle. Bei km 20 gibt es Elektrolyt Getränke, Bananen, Gels. Hey, schon Halbzeit? Na, dann kippe ich mir einfach alles in den Rachen, was bei einem Lauf dieser Größenordnung generell nicht schaden kann.

Wir streifen nun den Stadtpark, die „grüne Lunge“, ein beliebtes Ausflugsziel. Gern hätte ich ja mal das Planetarium näher in Augenschein genommen.  Mit Ohlsdorf ist der nördlichste Streckenpunkt erreicht. Bevor es über die Hasenbergbrücke wieder zurück in die Innenstadt geht, streifen wir mit 391 Hektar die größte Grünanlage Hamburgs und den sage und schreibe größten Parkfriedhof der Welt. Hier haben übrigens auch Helmut Schmidt, Roger Cicero, Inge Meysel ihre letzte Ruhestätte gefunden. Ganze 235.000 Gräber sind querbeet über dem Areal verteilt, und oft auch von Gebüsch bedeckt. Ein weiteres Hamburger Superlativ.

 

 

Die letzten zehn Marathon-Kilometer liegen vor mir, nun geht es über endlose Alleen schnurgerade ins Ziel. Dann wird es nochmals spannend, denn Eppendorf überrascht sämtliche Läufer nochmals mit viel Schmackes und Dampf. Angeheizt von Trommlergruppen stehen die Marathon-Fans Höhe Eppendorfer Baum fast einen Kilometer lang Spalier und bereiten einen superben Empfang! Konkurrieren die vielen Stadtteile eigentlich untereinander, wer die meiste Stimmung entlang der Strecke erzeugt? Immer wieder Gänsehaut-Momente, verursacht von Weltklasse-Zuschauern, für die Hamburg bekannt ist. Ein Mädel hält den Läufern ein Schild mit dem Pilz aus dem Super-Mario-Spiel als Power-Up hin. Ich berühre das Schild, tanke Energie. „Im nächsten Jahr dann ein Stern?“, rufe ich ihr Dankend zurück. Motivation ist alles!

 

 

Der Alsterwanderweg am Westufer der Alster ist Teil des norddeutschen Jakobswegs, der durch Hamburg führt. Heute bin Ich also auch ein Marathon-Pilger, sauge vielfältige Eindrücke am Streckenrand auf, lasse mich treiben. Dammtor-Bahnhof, Staatsoper, Konzerthaus rauschen an mir vorbei. Auf dem Dammtordamm Höhe Stephansplatz steht die Family erneut. Herrlich, wie sie winken und grinsen. Ach so, die wollen, das ich weiterlaufe. Ich habe aber keine Eile, mache einen Fotostopp, um den Augenblick (und die kurze Verschnaufpause) zu genießen. Kurz vor der Zielgeraden geht es noch an Planten un Blomen vorbei, einer großen Parkanlage. Mehrmals fand hier die internationale Gartenbauausstellung statt - zuletzt 1973.

Irgendwann haben auch die schönsten Momente ein Ende, daher fackele ich nicht lange und lasse mich endlich von dem unentwegten Jubel der Zuschauer auf der langen Zielgeraden über dem leuchtend roten Teppich durch den Haspa-Torbogen tragen. Adrenalin Pur bei Zieleinlauf - jedes Mal aufs Neue ein unbeschreibliches Gefühl, kann ich euch sagen! Mir werden von den Helfer*innen Glückwünsche zugerufen und die hübsch gestaltete Siegesmedaille um den Hals gehängt.

 

 

Wie in Trance torkele ich zu den Verpflegungsstellen, erhalte eine Maske, setze diese auf, torkele weiter. Ich merke jetzt erst, in welch Verfassung ich mich eigentlich von Kopf bis Fuß befinde. Der ganze Körper unterliegt aufgrund der hohen Belastung einer physiologischen Entzündung, das Immunsystem ist in den nächsten Tagen beansprucht. Ich trinke eine heiße Brühe, dazu ein paar Brezeln. Mann, tut das gut! Bevor die Unterkühlung einsetzt, hole ich meinen Kleiderbeutel ab, ziehe eine Jacke drüber. Dann wieder raus aufs Gelände und Marathonluft tanken. Ja, hier im Venedig des Nordens ist die Luft einfach anders, die Leute sind anders. Hamburg, es tat gut, an diesem Lauffest wieder etliche Deiner schönen Ecken zu erkunden, hach, Du hast so furchtbar viele davon! Und die unzähligen Zuschauer*innen und Helfer*innen haben mich ebenfalls erneut zutiefst beeindruckt!

Hamburg, Du wunderbar liebenswerte Stadt, ich verbeuge mich und danke für diesen grandiosen Marathontag!

Ach ja, die anvisierten Rekorde wurden ebenfalls gebrochen. Dabei hat sich besonders Yalemzerf Yehualaw hervor, die gleich bei ihrem ersten Marathon in die Weltspitze lief. Nie war eine Debütantin schneller!

Einen Bericht dazu gibt es hier

 

 

Ergebnisse 2022

 

Marathon Männer      

1 Kotut, Cybrian (KEN)                  02:04:47
2 Kissa, Stephen (UGA)                02:04:48
3 Tadesse, Workineh (ETH)         02:05:07

 

Marathon Frauen

1 Yehualaw, Yalemzerf (ETH)     02:17:23
2 Wereta, Fikrte (ETH)                   02:26:15
3 Cheluke, Bone (ETH)                 02:26:23

 

 

 

Informationen: Haspa Marathon Hamburg
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