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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (34)

 

Wegen Corona kann es einen aktuellen Laufbericht vom Europa Marathon in Görlitz 2020 leider nicht geben. Dafür gibt es wie gewohnt einen Rückblick, der in diesem Fall fast als historisch zu bezeichnen ist. Denn Anton, unser laufender Reporter, beschreibt eine Strecke, die es so heute nicht mehr gibt. 2010, aus diesem Jahr stammt der Bericht, wurde eine große Runde gelaufen und dabei die Grenze zu Polen passiert.

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zum Europa Marathon in Görlitz einsehen

 

 

2010: Saxndi, ein harter Lauf

 

Was mir aber heute ein wenig Sorge bereitet: Es ist schon vor dem Start so warm, dass sich kaum einer in der Sonne aufhält. Saufen wie ein Gully und bei jeder Möglichkeit Wasser über die Birne schütten ist angesagt. Und von vorneherein ein ruhiges Tempo.

Gegen neun Uhr beginnen die Starts fast im Minutentakt. Die Landskron Herolde Görlitz unterhalten mit ihrem Spiel die Teilnehmer und Sportler.

 

"Sport frei" zum Marathon

 

Dann werden wir um 09.15 Uhr aufgerufen. Kurz vorher hören wir noch ein Grußwort vom Oberbürgermeister, der uns dann mit einem Schuss auf die Strecke schickt.

Ein kleines, aber feines Feld von gut 100 Marathonis macht sich vom Acker. Es geht kurz durch die Altstadt, dann am Stadtpark entlang. Auf der anderen Straßenseite sind die Skater schon wieder aus Polen zurück und kämpfen sich vom Grenzübergang kommend die Steigung hoch.

 

 

Kilometer eins wird angezeigt. Dann überlaufe ich die Johannes-Paul II-Brücke, die die Neiße überspannt. Was früher eine äußerst zeitraubende Angelegenheit machte, ist heute ganz einfach. Keiner kontrolliert den Grenzübertritt, auch wenn auf beiden Seiten noch im Bedarfsfalle jederzeit der Grenzverkehr geprüft werden kann. Schon nach ein paar Metern in der Partnerstadt Zgorzelec spielt eine Blaskapelle auf. Der Dirigent grinst verschmitzt wie der brave Soldat Schweijk.

 

Ausflug zu den polnischen Nachbarn

 

Zgorzelec bildet mit Görlitz seit 1998 eine Europastadt. Es hätte nicht viel gebraucht, und Görlitz wäre als Kulturhauptstadt 2010 gewählt worden. Essen war nur knapp vorne. Die Stadt blieb im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen fast völlig verschont. So finden wir heute gut 3500 größtenteils wieder hergerichtete Baudenkmäler.

Als ich auf die Neiße einen Blick werfe, sehe ich lediglich das Wasser braun schimmern, Hochwasser führt die Neiße nicht. Ich bin rund zehn Minuten unterwegs, da fällt mir auf, dass ungewöhnlich viele Helfer an der Strecke als Absperrposten und an der Strecke stehen. Gerade habe ich einige Polen passiert. Einer hat diese zur Fußball-Weltmeisterschaft kreierten Tröten in Betrieb. Natürlich ist sein lautstarkes Werkzeug in rot gehalten.

 

 

Ein Stück weiter hat ein anderer einen Generator zur Stromerzeugung in Betrieb, womit er uns mit lautstarken Techno aus großen Lautsprecherboxen versorgt. Da kann man fast Gänsehaut kriegen.

Kilometer vier, die Wende der Halbmarathonis liegt hinter uns, da verlassen wir Zgorzelec. Die Hauptstraße führt immer leicht wellig geradeaus,  wir haben ein wenig Schatten. Dann kommen uns die Führenden des Marathonfeldes auf der anderen Straßenseite entgegen. Hinter der Spitze schleicht sich ein Görlitzer Bus, der „Stadtschleicher“. Es schaut fast so aus, ob da Stadtprominente drin hocken und das Rennen beobachten.

Etwa bei Kilometer 7,5 kommt für mich die Wende. Es geht die gleiche Strecke zurück. Auf dem Rückweg lasse ich mir noch ein Bier von einem polnischen Freund andienen. Nach seinem Willen hätte ich die ganze Halbe mitnehmen sollen. Ich nehme einen großen Schluck, der natürlich gleich in die Birne geht.

Ein Wort zu den zahlreichen Verpflegungsstellen. Es gibt Wasser, Iso, Cola, Obst in Hülle und Fülle. Gut geregelt ist der Abstand dieser Tankstellen. So alle drei, vier Kilometer finden wir Nachschub.

Auf dem Rückweg laufen wir in das Ende der Walker und Genussläufer hinein. Es gibt aber keine Probleme mit den Überholmanövern. Die Straße ist komplett gesperrt und auch breit genug. Ich treffe sogar noch einen Landsmann. Tino aus Freising.

Es geht an einer Kirche vorbei, wo gerade der Gottesdienst zu Ende ist. Viele Gläubige strömen aus dem Gotteshaus, bleiben erst mal stehen und applaudieren auch vereinzelt.

 

Zurück in Görlitz

 

Kurz nach Kilometer 13 (jeder Kilometer ist angezeigt) betreten oder besser belaufen wir wieder bundesdeutschen Boden. Nicht weit von hier verläuft der 15. Meridian östlicher Länge, an dem sich die Mitteleuropäische Zeit orientiert.

Görlitz hat eine weit zurückreichende Geschichte, in einer Schenkungsurkunde wird sie 1071 erstmals erwähnt. Bereits im 14. Jahrhundert ist von einer Befestigung die Rede. Und dann gab es 1491 den Bierkrieg. Man stritt mit den Zittauern, die Bier zollfrei einführen wollten.

 

 

Kilometer 15 liegt hinter uns, das Bahnhofsgebäude vor uns. Die Bahnhofshalle ist im Jugendstil ausgestaltet, das Gebäude zählt ebenfalls zu den Kulturdenkmälern. Nach weiteren zwei Kilometern verlassen wir die Innenstadt, es geht auf Asphalt auf dem Zubringer zur Autobahn.

Görlitz war kurz nach dem Krieg wegen der Flüchtlings- und Vertriebenenwelle eine Großstadt mit über 100.000 Einwohnern. Später sank die Zahl wieder. Heute zählt die Stadt gut 56.000 Einwohner. Was überrascht ist, dass viele Senioren zuziehen, was wohl in erster Linie den günstigen Mieten und Lebenshaltungskosten geschuldet ist. Obendrein ist Görlitz eine wahnsinnig attraktive Stadt.

Ein kurzer Schwenk führt uns jetzt in eine renovierte Plattenbausiedlung, bevor sich ein kleiner Rundkurs in ein Industriegebiet anschließt. Wir müssen ja die notwendigen Kilometer zusammenbringen. Die Sonne heizt uns jetzt schon ordentlich ein.

 

Es geht übers Land

 

Halbzeit. Ich bin ganz knapp an den zwei Stunden dran. Es wird noch ein harter Kampf werden, da jetzt die Runde übers Land ansteht. Und der Kurs wird wohl nicht leichter werden, es warten noch zahlreiche Hügel. „Angreifen“ lese ich an einer Brücke. Soll ich vielleicht Tempo machen? Das lasse ich lieber bleiben.

Unser Kurs geht an der Stadtumgehung entlang. Rechts ist ein Segelflughafen. Ich laufe nun auf den Letzten des Halbmarathonlaufes auf. Der kämpft schon gewaltig.

Streckentrennung. Halbmarathonis links, wir rechts. Wir laufen durch Schlauroth, ein Vorort von Görlitz. Wieder eine Tankstelle. Ich bleibe stehen, lege Sonnenbrille und Fotoapparat weit zur Seite und schütte mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. „Eine Gesichtswaschung“, entgegne ich einem fragenden Blick eines Helfers.

 

 

Wer nach links blickt, der sieht die 420 Meter hohe Landeskrone, das Wahrzeichen von Görlitz. Der Basaltkegel ist vulkanischen Ursprungs. Auf dem Gipfel steht die Bismarcksäule, zu Ehren von Fürst Otto von Bismarck. Einen Berglauf da hinauf möchte ich jetzt nicht mehr machen. Mir reicht das hügelige Auf und Ab bei wenig Schatten vollends.

Kilometer 30. Ich laufe auf den letzten Rollstuhlfahrer auf, der gerade an einer Steigung eine kleine schiebende Unterstützung der zwei begleitenden Radfahrer erhält.

Pfaffendorf und Kunnerwitz heißen die nächsten Orte. Es geht mit wenigen Unterbrechungen nur hoch, Schatten gibt es keinen. An jeder Tankstelle brauche ich Wasser für‘n Kopp. Dann folgt Gott sei Dank ein Entlastungsstück. Es geht für rund zwei Kilometer leicht bergab. Kilometer 35, ich bin schon so weit und das Ziel ist doch noch so fern.

Am Ende des Gefälles geht es links ab nach Weinhübel. Zuerst eine Kleingartenanlage. Ein Anwohner läuft mit einer blechernen Gießkanne im Galopp zur Getränkestelle und bietet mir kühles Brunnenwasser an. Wieder ein Schwall über den Kopf. Ich muss mittlerweile aufpassen, nicht dass mir die Kamera absäuft. „Es folgt noch eine Steigung“, werde ich vorgewarnt.

Dirk kommt von hinten angebraust, wie von einer Tarantel gestochen. „Es geht noch unter vier Stunden“, lässt er beim Vorbeilaufen von sich.

 

 

Kilometer 40, es geht wieder in die Innenstadt. Die Abstände nach vorne und hinten sind jetzt meilenweit. Für die Schönheit der Gebäude habe ich keinen Blick mehr. Dabei wären hier ganze Straßenzüge mit Gebäuden aus der Gründerzeit und im Jungendstil zu bewundern. Anzuschauen oder zu besteigen wären auch zahlreiche Kirchen und Türme.

Aber ich bin nur noch froh, als das Kilometerschild 42 auftaucht und als nach der folgenden Linkskurve das Zielbanner zu sehen ist. Saxndi, war das ein harter Lauf.

Ich brauche eine ganze Weile, bis ich mich einigermaßen erhole. Nachdem ich noch nicht viel von der Innenstadt gehen habe, beschließe ich, noch einen halben Tag für eine Stadtbesichtigung dranzuhängen.

 

 

Informationen: Europa-Marathon Görlitz
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