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Laufberichte

Was Krupp in Essen, sind wir im Marathon

11.10.09
Autor: Joe Kelbel

 „Baron Schropp“ so nannte er sich, als er in  England  britische Walzwerke ausspionierte. 1852 meldet Alfred Krupp einen nahtlosen, bruchsicheren Radreifen als Patent an.  Die nordamerikanischen Eisenbahngesellschaften rissen sich um diese Erfindung  und die marode Firma seines  verstorbenen Vaters Friedrich, die er mit 14 Jahren übernommen hatte, kam wieder auf die Beine. Die drei Ringe des  Firmensymbols  erinnern  bis heute an diese Stahlringe der Eisenbahnräder.

Schon 1863 beabsichtigte Alfred Krupp, hoch über der Ruhr seine „Rückzugsvilla“ zu bauen. Doch das Gelände war durchlöchert von mittelalterlichen Schachtanlagen und so konnte die Familie erst 1873  in die Villa Hügel einziehen.

In der Villa fanden regelmäßig größere Bälle statt. Auffallend war, dass nur ein Teil der Eingeladenen auch erschien.  Der Hochadel aus dem Rheinland machte kaum Anstalten, zu den Bällen Krupps zu erscheinen. Auch Vertreter anderer Stahlfirmen oder von Banken fehlten oft. Regelmäßig erschienen aber die Vertreter der Regierung, der Gerichte, der Eisenbahnen, der Kommunalpolitik und der Unternehmerverbände.  Vor allem aber waren Vertreter des Militärs anwesend, was die Stellung der Firma als Waffenlieferant widerspiegelte. Erst der technikbegeisterte Kaiser Wilhelm II verschaffte der Familie  schließlich das notwenige Ansehen. Der Kaiser selbst machte auch den Heiratsvermittler für Alfreds Tochter Bertha, die  den preußischen Diplomaten  Gustav von Bohlen und Halbach heiratete und mit ihm acht Kinder hatte.

Als 1931 die Ruhr für den Baldeneysee gestaut werden sollte, fand es Gustav Krupp von Bohlen und Halbach nicht lustig, daß seine Grundstücke unterhalb der Villa geflutet werden sollten. Aber die Aussicht auf den See und eine  Segelparty zusammen mit dem eventuell aus dem holländischen Exil zurückkehrenden Kaiser überzeugten ihn.  Die Segelschiffe, die heutzutage auf dem See zu sehen sind, gehören zur Klasse der  L-Boote, die auch noch vom Kaiser selbst entworfen wurden - eine Rennyacht, die „nur von drei Herren gesegelt wird, die ihren Lebensunterhalt nicht durch ihrer Hände Arbeit verdienen“.

Unter Seglern wird der Baldeneysee, der nach dem Schloss Baldeney am unteren Ufer genannt wurde, auch  Baldriansee genannt, denn das Tal ist bananenförmig und erzeugt urplötzlich tückischen Fallwinde. Wer hier segelt, braucht also starke Nerven oder Baldrian.

Als Läufer braucht man keinen Baldrian. Der TUSEM (Turn-und Sportverein Essen-Margarethenhöhe) richtet diesen Marathon zum 47 mal aus und genießt vollstes Vertrauen bezüglich der Orga. Der Marathon wird ausschließlich ehrenamtlich durchgeführt und ist damit eine der wenigen vollständig vereinsgetragenen Veranstaltungen dieser Größe in Deutschland. Man muss dies erstmal arbeiten lassen: Der älteste Marathon Deutschlands und der TUSEM macht dies zum 47ten Mal, einfach so, locker, fluppig, leicht!

Sieben Minuten braucht man mit der S-Bahn vom HBF Essen zum Start unterhalb der Villa Hügel (Station Hügel). Das Startgeld von 30-40 Euro, je nach Anmeldezeitpunkt macht die Veranstaltung  sympathisch.

Ich checke im offiziellen Marathonhotel ein. Das Hotel Bredeney mit Sauna und Schwimmbad ist ideal für Marathonläufer, schließlich hat man schon Silvia Krull, Romy Spitzmüller, Tobias Sauter, Stefan Koch, Mario Kröckert und Carsten Schütz hier massiert und bewirtet. Keine zugekauften Eliteläufer aus Afrika oder Osteuropa haben  in all den Jahren die spannungsfreie Stimmung hoch über dem See durcheinander gebracht.

Nicht weit vom Hotel ist die Villa Hügel. Auch wenn man sich in der Siedlungsstruktur des Ruhrgebietes nicht einfach orientieren kann, so finde ich rasch den Friedhof mit den imposanten Grabanlagen der Familie Krupp. Beeindruckend ist die Kolonie Brandenburg, eine edle Siedlung, die 1895  für die zahlreichen Angestellten der Familie gebaut wurde. Der Weg durch den gewaltigen Park der Villa zieht sich, ehe man zu dem unterhalb der Villa gelegenen  Regattahaus kommt. Hier ist die gesamte Infrastruktur des Marathons. Startnummer abholen, Start/Zielbereich anschauen, und bei einer mächtigen Portion Pasta lasse ich dann den Vorabend ausklingen.

Als ich mit Martin zum Start fahre, liegt Spider, unser Karlruher Croate, den hier niemand mit seinem akzentvollem Dialekt versteht,  noch im Auto und macht Heia, schließlich will er heute die 3 Stunden knacken. Dafür nimmt er auch mal 250 Kilometer Anreise in Kauf, um eine  der schnellsten Marathonstrecken Deutschlands zu laufen. Als Deutschlands ältester  Marathon 1963 zum ersten Mal ausgetragen wurde, gab es lediglich 50 Starter, heute muss die Teilnehmerzahl auf 3000 begrenzt werden, damit man sich auf dem Uferweg nicht auf die Füße tritt.

Die Laufrichtung ist entgegen dem Uhrzeigersinn, also laufen wir zunächst nach Westen. Am Wehr vorbei, welches die Ruhr staut, und den Baldeneysee macht, nach Werden. Werden ist der Ort, in dem die Franzosen, als sie 1923 das Ruhrgebiet besetzten, um aus der bankrotten Weimarer Republik noch das Letzte rauszupressen, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und die gesamten Direktoren der Krupp AG  inhaftierten. Zwei Millionen Arbeiter leisteten infolgedessen passiven Widerstand gegen die Besatzer. Die Weimarer Republik druckte Geldnoten um die Arbeiter zu bezahlen,  Hyperinflation und Steuerausfälle brachten den Zusammenbruch und 1924 den Abzug der Besatzer. Über Werden thront die Basilika St. Ludgerus des Benediktinerklosters aus dem 7.Jahrhundert.

In Werden geht es über die Brücke der Ruhr, dann am Südufer des bananenförmigen Baldeneysees Richtung  Kupferdreh. Wir passieren das mächtige Stauwerk und weiter geht  es zum Haus  Scheppen. Haus Scheppen war ein alter Lehnshof der Abtei Werden. Heute ist hier ein Restaurant und die Wassergräben werden als Bootshafen für die 5 Schiffe der Weiße Flotte genutzt.

Eine Stunde quatsche ich mit Thomas, der gestern noch in Witten gelaufen ist und heute keinerlei Bescherden hat, außer daß er pausenlos vom Nikotin quatscht. Ich lasse ihn dann ziehen, träume von einer Zielfluppe und unseren gemeinsamen Doppler nächste Woche .

In Kupferdreh gab es ein großes Hammerwerk, welches von dem Wasser der Ruhr angetrieben wurde. Hier startet die Hespertalbahn, 1867 zunächst noch von Pferden gezogen, um das Erz abzutransportieren, nun von einer Dampflock, um Touristen am See entlangzufahren.Wir überqueren erneut  die Ruhr über die Kampmannbrücke, dann geht es die Wuppertalerstrasse hoch, einmal Richtung Heisingen.

In Heisingen  steht die Bergbaukolonie Carl Funke Siedlung. Die Rheinische Anthrazit-Kohlewerke AG baute  im Jahre 1900 den polnischen Bergleuten eine heimatgemäße Wohnsiedlung mit Kleingärten und Stallungen in den Hinterhöfen. Das ist niedlich, das ist süß und steht deshalb unter Denkmalschutz.

Zurück bis zur Ruhr und wieder zur Kampmannbrücke. Gebaut hatte diese der Kupferdreher  Hermann Kampmann, der an dieser Stelle vorher eine Fähre betrieb. Diese erste Brücke ließ er als auf der Ruhr schwimmende Pontonbrücke bauen, damit diese bei Hochwasser per Seilwinde auf einer höher gelegenen Auffahrt festgemacht werden konnte. Für die Nutzung  verlangte er eine Gebühr von fünf Pfennig. Erst 1951 ersetzte man die alte Pontonbrücke durch den heute noch vorhandenen festen Neubau.

Ach, noch was: In Kupferdreh befindet sich auch das weltgrößte Trainingszentrum für Kernkraftwerkstörfälle. Ein Grund für mich, mal einen Zahn zuzulegen.

Jetzt geht es nämlich weiter am Nordufer der „Banane“ lang, zum Seaside Beach Club mit seinen Palmen, Volleyballfeldern und Cocktailbars. Das sagt mir ja schon eher zu. Ganz am Ufer scheint auch eine Party stattzufinden, aber dazwischen ist leider ein Zaun.  Von 1937 bis  1984 war hier ein Schwimmbad, von dem es Kurioses zu berichten gibt: Als die Engländer Essen besetzt hatten, teilten sie das Bad in eine deutsche und eine englische Seite. Da aber die englischen Soldaten gerne zum „Deutschen Fräuleinwunder“ wollten, wurde die Trennung Ende ´49 aufgehoben.

Drei Jahre später wurde das Bad „wegen allgemein starker Ausbreitung der Kinderlähmung“ geschlossen und erst dann eine Cloranlage  eingebaut. Das hatte jetzt weniger  mit dem Kontakt zum Fräuleinwunder zu tun, eher mit  Tröpfcheninfektion durch das Wasser. Mir kommt die Erinnerung an die  Zeiten der Schluckimpfung, als wir Kinder mit Zuckerstückchen geimpft wurden.

Über dem See triumphiert der Förderturm der Zeche Carl Funke. Von 1773 bis 1973 wurde hier Steinkohle abgebaut. Das Zechengelände wurde renaturiert und ist jetzt eine Kleingartenanlage, Geblieben ist nur der Förderturm, der aber zwischen den Bäumen nicht fotografierbar ist.

Als ich am Regattaclub vorbeilaufe, kommt der Sieger ins Ziel. Nein,  überholt hat er mich nicht, ab hier ist die Streckenführung parallel, doch wie  ich ihn so hinter den Bäumen langflitzen sehe, denke ich, daß er wohl eine andere Sportart ausübt.

In meiner zweiten Runde verfalle ich in Träumereien. Das Feld ist weit auseinandergezogen, nur die kurzen Regenschauer und die unermüdlichen Trommler, die überall auf der  Strecke sind, wecken mich zeitweise aus meinem Sonntagsschlaf. Trotz schlechtem Wetter sind relativ viel Zuschauer an der Strecke und am Ziel ist es immer noch brechend voll.

Dietrich kommt wie immer mit gequältem Gesicht ins Ziel, auch er ist gestern in Witten gelaufen. Erst als er ein vernünftiges Bier greifen kann, strahlt er wie ein Weltmeister. Ich wäre gerne noch länger bei der Zielverpflegung geblieben, aber der heftige Regen hat mich dann doch unter die warme Dusche getrieben.

Der Marathon Rund um den Baldeyesee besticht mit seiner guten Anbindung an die S-Bahn und seiner familiären Stimmung. Für die meisten Läufer liegt der Reiz in der schnellen Streckenführung, die persönliche Bestzeiten ermöglicht. Kaum erwähnenswerte Steigungen und eine nahtlose Asphaltdecke, günstige Stratzeit (10 Uhr), sowie das stressfreie Laufen ohne Unterdistanz-Störer runden das Bild eines gelungenen Sonntagsläufchens ab. Auch für Läufer geeignet, die nicht zur „Kruppkategorie“ gehören.

Siegerliste
Männer

1 Pyka, Dennis (GER)  LG TELIS FINANZ Regensburg 02:20:54 
2 Meyer, Manuel (GER)  TV Wattenscheid 02:22:27 
3 Lafrenz, Fabian (GER)  LG Neckar-Enz 02:29:33 

Frauen

1 Krull, Silvia (GER)  LG Lage-Detmold 02:40:42 
2 Optekamp, Silke (GER)  LG Mönchengladbach 02:48:30
3 Heckmann, Kirsten (GER)  SV Brackwede 02:50:45 

 

Informationen: Westenergie Marathon Rund um den Baldeneysee
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