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Laufberichte

Vollmond in der Nacht der Nächte

 
Autor: Joe Kelbel

Seit es den Bieler 100er gibt, müssen Schweizer Offiziersanwärter zum Abschluss ihres Lehrganges am legendären Marsch in Biel teilnehmen. Für die meisten deutschen Offiziere ist schon eine Marathondistanz nicht denkbar, wie 1986 der grandiose Sieg des Gefreiten Kelbel beweist, der gegen die erdrückende Übermacht von 500 deutschen Unteroffizieren und Offizieren gewann. Drei Tage Sonderurlaub gab es dafür.

Für die meisten Schweizer dagegen ist es nur undenkbar, dass ihr Land Nordkoreaner ausbildet. Tatsächlich aber wurden in den letzten 6 Jahren mindestens acht Offiziere des totalitärsten Regimes der Welt in Genf ausgebildet, trafen dort auf Offiziersschüler aus Südkorea, Russland und der Ukraine, die an Gebirgskursen teilnahmen, was wichtig ist, denn ein anderes Alpenland hat   Sessellifte nach Nordkorea geliefert. So trainiert dort nun Kim Jong-un Sesselliftfahren ohne Skier für die olympischen Winterspiele im Februar in Südkorea. Wer die sehen will, sollte mindestens in die Schweiz reisen, denn die beiden deutschen Staatssender übertragen aus Geldmangel keine olympischen Spiele mehr.

 

 

Der 100 km Lauf von Biel wird von Radioblitz übertragen. Der Sender wird von den Machern selbst finanziert,  liefert aktuelles Renngeschehen und Musikwünsche der Läufer über das Smartphone in die Kopfhörer der 100 km-Sportler, ohne mit Werbung die Lauffrequenz zu belasten.  

Interviewt wird gerade Helmut Urbach (75) der 1967 die 100 Kilometer in 8:11 Stunden gewann. 1969 Streckenrekord in 7:55. Fünf Jahre später lief er dann unter 7 Stunden. Niemand hat Biel öfters gewinnen können (siebenmal), als der Kölner mit den Barthaaren, die dem Dax-Index folgen.

Die örtliche Presse spekuliert mit drei Schweizer Namen, die dieses Jahr unter 7:30 laufen könnten, dann entdeckt das Bieler Tageblatt jemanden, der seit Tagen heimlich am Bieler See trainiert: Carsten Stegner, der vor zwei Jahren Deutscher Meister in 7:13 Std wurde. Er nimmt die Pressearbeit gelassen: „Ich wollte unerkannt bleiben, jetzt ist es für mich ein Ansporn, hier zu siegen.“

Canal3 interviewt  Willi Fürst (67), der morgen früh das 50te Mal über die Ziellinie des Bieler 100ers laufen wird. Beim 10ten Mal hat er die Geburt seiner Tochter verpasst. Offiziell soll es heute sein letzter 100er sein, ich setze dagegen.

Für mich ist meine fünfte Teilnahme auch nicht die letzte, denn das Zeitlimit von 21 Stunden orientiert sich an den unterernährten Nordkoreanern. Der in Kenia lebende Ralf Klug versucht zum zweiten Mal, die legendären 100 Kilometer  zu bewältigen- rückwärts. Er darf vor uns starten, nicht, weil er rückwärts läuft, sondern, weil er gemeinsam mit den Bieler Lauftagen die Stiftung Cerebral ins Leben gerufen hat, die Gelder für Schwerstbehinderte zur Verfügung stellt.

Karl-Heinz startet zum siebten Mal als Dialysepatient, auch er wartet auf Spender, für eine Niere. Kerstin hat ihrem Vater zum 71jährigen Geburtstag den Startplatz gespendet. Meine Eltern hätten sich nicht mal über einen Startplatz über 2 Kilometer gefreut.

„Für dich ist Biel doch ein Kinderspiel“, sagte letzte Woche eine junge Läuferin zu mir. Das ist insgeheim auch meine Einstellung, aber man sollte die Nacht der Nächte nicht vor dem Morgen loben.

In der Bahn erzählt mir eine Großmutter, dass ihr Enkel auch schon Marathon gelaufen sei. - „Und wie lange hat er gebraucht?“ – „Eine Stunde fünfzig!“ Als Läufer bekommt man einen Freifahrschein „vom Wohnort nach Biel und zurück“ Den Freifahrtcode gibt man auf der Website der Schweizer Bahn ein, klappt gut, man hat keine Zugbindung, jedoch haben die Schweizer vergessen, dass 99,9999 Prozent der Menschen außerhalb ihres Wunschlandes leben, und unter „vom Wohnort“ Anderes verstehen. Also muss ich zusätzlich die Zugfahrt bis Basel SBB (Schweizer Bahnhof Basel) buchen. 5 Minuten vor SBB ist Basel Badischer Bahnhof, da gibt’s die ersten zwei  Läufer, die aussteigen. Ich sage noch: „Nicht Aussteigen!“ Aber meine Fähigkeiten als Missionar sind rudimentär.

Kommt man nach Biel, sind es nur 5 Minuten vom Bahnhof zum Congress Center. Geradeaus, dann rechts. Vor dem Bahnhof sieht man Aldi, links Migros.  Man sollte Franken und Getränke kaufen, um die Zeit bis zum Start um 22 Uhr zu überbrücken. Die Preise hier sind gewaltig, eine Portion Nudeln auf der Pastaparty kosten 12, ein Bier 5,50 Franken. Da warte ich lieber bis zum ersten Verpflegungspunkt. 18 davon gibt es auf den 100 Kilometern.

Im Congress Center (palais des congres) läuft die Startnummernausgabe schnell und professionell. An den kleinen Messeständen werden für die Angebote sogar normale Preise aufgerufen. Die Firma Crespo stellt die Merchandise-Artikel mit dem Logo der Bieler Lauftage (BLT) her. Für die 60. Austragung der BLT in 2018 stellt die Firma Norkom 660 Schweizer Uhren her, die an die Gewinner der jeweiligen Klassen verteilt werden. Das ist Ansporn für mich, denn meine edle Uhr hat der Gerichtsvollzieher.

Umkleiden, Kleiderabgabe, Duschen, Massage und Wertsachenaufbewahrung sind in der Turnhalle „Esplanade“.  Bestens ausgeschildert. Als 100 km-Läufer kann man sich nach Kirchberg (Kilometer 56) einen Dropbag mit Wechselklamotten, Nahrung etc. transportieren lassen.  

 

 

Rund um den Startblock gibt es starkes Gedränge. Ich drücke mich außerhalb rum, versuche von dort die Spitzenläufer, vor allem Carsten Stegner zu fotografieren. Dann beginnt die Nacht der Nächte. An den Absperrungen entlang der folgenden 5 Kilometer stehen wahnsinnig viele Zuschauer. Die Plätze in den Straßenkneipen sind seit Tagen reserviert. 10 % mehr 100 Kilometer-Läufer als letztes Jahr. Neu ist der 56 km- Lauf, der anstatt des Marathons ausgetragen wird. Damit werden zukünftige 100 Kilometer-Läufer herangezogen.

Nach 8 Kilometern sind wir aus der Stadt raus, es geht „steil“ den einst von der Aare geschaffenen Abhang hinauf. Insgesamt werden wir auf den 100 Kilometern nur 490 Höhenmeter zurücklegen, in diesem Jahr kommen vor Bibern nochmals 120 dazu.  Ich werde es überleben!

Die Zuschauer sind klasse, zum Glück falle ich zwischen all den Bergwanderern nicht auf. Ich muss Kräfte sparen. An den Verpflegungsstationen habe ich Konzentrationsschwierigkeiten, liegt am Trubel, dem Licht, der großen Auswahl und meiner Appetitlosigkeit.

Gerade Streckenabschnitte durch die Felder, die Erinnerung an meinen Regenlauf 2011 wecken: Damals stand hier das Wasser knöcheltief und vermischte sich mit den Verdauungsprodukten hiesiger Milchproduzenten. Jetzt sind die Wege perfekt renoviert, meinem Sieg steht nichts mehr im Wege.

Vor der gedeckten Holzbrücke in Aarberg (km 16) sammeln sich die Fotografen. Die Brücke aus dem 16. Jahrhundert ist überdimensioniert, denn unten gibt es nur ein dürres Rinnsal. Es ist die alte Aare. Seit dem 19. Jahrhundert wird das System des Flusses mit vier Abkürzungskanälen direkt in den Bieler See geleitet. Auf dem Marktplatz von Aarberg, dem Ziel der HM-Läufer, tanzt der Bär. Wir Läufer werden mit grellen Lichtschüsseln ins rechte Licht gebracht.  Von der anderen Seite der  Absperrgitter wiegen lockende Zuschauerarme, wie Tentakeln einer giftigen Feuerqualle.  Die prachtvollen Häuser wurden nach dem Brand 1477 errichtet, davor stehen unpassende Reklameschilder für das Konzert von Justin Bieber am Donnerstag.

 

 

In Lyss verlief einst die Grenze zwischen dem Reich der Burgunder und dem Reich der Alemannen. Die Burgunder sind Ostgermanen und kamen im Zuge der Völkerwanderung hierher, siedelten damals westlich von hier und gingen in das Westfrankenreich über. Hier verläuft also jetzt die Sprachgrenze zwischen der Romandie und der Deutschschweiz, die nun vor uns liegt. Was man bei uns den Weißwurstäquator nennt, nennt man hier Röschtigraben. Interessant, dass sich die Sprachgrenze nicht auflöst. Grund ist: Arbeitsmigranten geben ihre Muttersprache im jeweiligen Wohnort an, also nicht an der Arbeitsstelle. Heiratsmigranten dagegen nehmen schnell die andere Sprache an, schließlich lernt man hier die jeweilige Fremdsprache im Alltag.

Km 27: Großaffoltern macht seinem Höllennamen alle Ehre. Dann aber wird es flach. Hier entspringt die Limpach, die weiter in die Emme fließt. Das Limpachtal ist ein bis zwei Kilometer breit, flach und schnurgerade, ideale Laufbedingungen für die nächsten 13 Kilometer. Das Tal ist mit gutem Torf bedeckt, weswegen das, was hier links und rechts der schönen Laufstrecke angepflanzt wird, sehr kräftig und gesund aussieht.  Genau wie ich.

Mein Ziel ist zunächst der „Ort“ Balm bei Messen, denn dort, vor dem riesigen Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, direkt an der Hauptstraße, feiern sämtliche 102 Einwohner. OK, um diese Uhrzeit  nur noch 10,2 Einwohner. Ein Bauer (0,2 %) pennt schon. „Balm“ bedeutet in der Keltischen Sprache „Höhle“. Dies ist nicht Tigerbalm, dies ist das Restaurant zum Löwen.

Die übliche Kontrolle kommt direkt danach, gleißende Scheinwerfer! Keine Atemkontrolle und auch keine Papiere werden verlangt, es ist die übliche Durchgangskontrolle, bevor sich die Laufrichtung weit nach Süden wendet.

Oberramsern, km 38, übersetzt: Oberhalb vom Rams= Bärlauch. Die meisten Ortsnamen sind keltischen Ursprungs. Im Ortskern sind einige charakteristische Bauernhäuser mit tief heruntergezogenen Walmdächern aus dem 18. und 19. Jahrhundert erhalten. Zu dunkel zum Fotografieren. Aber der Vollmond ist der Hit.  Romantisch, wie er mich durch die lockeren Wolken  anlacht, dazu die säuselnden Kornfelder mit den paarungssuchenden Grillen. Wirklich romantisch, die Nacht der Nächte!

Der Typ in Gelb, der schon bei Kilometer 10 gekotzt hat, nervt mich. Er schwirrt wie eine gelbe Schmeißfliege um mich rum, reihert jedes Mal, wenn er mich überholt hat. Der Läufer vor mir steckt sich die Finger in die Ohren, hätte ich auch machen sollen. Zu spät.

Nachts zu laufen ist, als würdest du auf dem Laufband laufen.  Man macht die Augen zu. Komisches Gefühl. Du kannst deine Geschwindigkeit nicht abschätzen, weil du nichts siehst. In dieser Nacht der Nächte ist es wunderbar hell, doch der Mond lenkt ab. Gut ist, dass die Organisation sogar an das Käutzchen gedacht hat: „Huhuhuhu!“

In den vielen Orten sind die Wirtshäuser die ganze Nacht geöffnet, doch keiner der Biertrinker, die auf den Bänken festkleben, rafft sich noch auf, um uns zu motivieren, nur Mütter mit ihren schlaflosen Kindern jubeln uns zu,  preisen ihr „kostenloses“ Wasser an. Dann ist man wieder raus aus dem Ort und hört nur noch das „Tap-Tap-Tap“ der Läufer-Füße.

Wie eine Reihe Friedhoflichter, so formieren sich die roten Rückleuchten der Fahrradbegleiter, die über die nächtlichen Hügel der ansonsten freundlichen Landschaft, sich bis zum Horizont reihen. In Jegenstorf, km 47, ist es dieses Jahr fast schon hell, was bestimmt an der Klimaerwärmung liegt. Für mich von Vorteil, ich sehe erstmals diese unglaublich imposanten Farmhäuser. Einen Landwirt, der gerade einen Haufen Mist direkt an die Laufstrecke befördert, frage ich, wie viele Leute denn in diesem Prachtbau wohnen würden: „Vier!“ – „Wie vier? Keine Großfamilie? Keine 12 Kinder? Keine Untermieter?“ – „Nö, Vier!“ Blöd, eigentlich ist die Rolle des wortkargen Morgenmuffels mir vorbehalten!  „Hüssligässli“ ist die Bezeichnung für den Weg zu seiner Großburg. Oh glückliches Alpenland!  Wir sind am südlichsten Punkt der Strecke, wechseln nun die Laufrichtung nach Nordost.

An der Kreuzung der Straße Grafenried/Lysach ist rechts diese Scheune mit dem Holzpodest davor, wo ich vor 5 Jahren getanzt habe, um ein Bier zu bekommen. Ich bekam drei, wegen meiner Windmühle (die mit den Armen), sie ist legendär!

Kirchberg. Hier endet für die 56 Kilometer-Läufer die Nacht der Nächte. Der Kaffee ist sein Geld wert. Ich muss zurück und über die Zeitmessmatte, um mein Dropbag im Sanibereich zu erhalten. Meine Startnummer wird notiert. Ich weiß nicht wieso, vielleicht damit die Versicherung ihr Geld bekommt. Mein Dropbag hatte ich akribisch sortiert, denn jede cerebrale Belastung wäre jetzt zu viel. Hier im Sanibereich kann man sich massieren lassen, doch Warnung: Nur, wer nicht mehr weiterlaufen will!

Den genutzten Dropbag gibt man wieder ab, erhält ihn garantiert wieder im Ziel. Großes Lob an die Helfer hier, denen man die dümmsten Fragen stellen kann. Ich habe nur gefragt, ob es auch kaltes Bier gibt! Nein, Scherz, ich habe sehr viel gefragt und immer freundliche Auskunft erhalten. Niemand kann von einem Läufer zu diesem Zeitpunkt Konzentration erwarten, das weiß man. Die wenigen Straßenüberquerungen sind absolut gut gesichert. Ich meine, hier auf dem Land trinkt doch kein Autofahrer Bionade!

Hinter dem VP hängt eine Reklametafel, da kommen selbst mir die Tränen: Ein struppiger 6 jähriger versucht seine Tränen zu unterdrücken: „Es gaht verbii“- Vita-Hexin hilft dabei. Ich habe eine Flasche Feldschlößchen in der Hand und überwinde damit den Anblick des kleinen, heulenden Jungen. Das Leben ist  grausam! Die Aufgabe eines Laufes ist in meinem Kopf nicht vorgesehen, eine Flasche Rotwein muss geleert sein. Gesund ist das nicht, aber geil.

Mit dem Hinweisschild, dass Radbegleitung von nun an verboten sei, beginnt der Ho-Chi-Minh-Pfad. Kein Problem, nach 59 Jahren sind hier 100.000 Läufer drüber gelaufen, also haben 199.985 Füße (es gibt auch einbeinige Läufer) die fiesen Kieselsteine in den Deichuntergrund gedrückt. Die Singvögel zwitschern morgens nicht etwa, um ihr Revier abzudingsen. Die plappern, weil sie nix zu tun haben: Früh wach geworden, obwohl das Futter sich noch nicht bewegt. Ihr hängt ja auch jeden Morgen vor der Kaffeemaschine, die sich nicht bewegt.  Und dann, urplötzlich, müsst ihr euer Revier markieren! Alles Spaßvögel hier!

Ok. Blöder Gedankengang, rechts ist ein spätmittelalterliches Schlachtfeld, das mit kleinen Täfelchen abgesteckt ist. Aber ich mag jetzt nicht drüber reden.

Hinter der Brücke von Utzenstorf (km 62), bei Bätterkinden, zwei Meter hinter der Verpflegungsstation, hat der Club Emmenlauf, der im August seine Läufe veranstaltet, seine Kühlschränke aufgebaut. Weil ich sonst immer viel früher hier war, stehen noch die vielen Absperrungen, weswegen ich der Dame über die Hindernisse zurufe, was mein Läuferherz begehrt. Ok, die Schlussfolgerungen bezüglich der Absperrungen kann ich jetzt auch nicht nachvollziehen. Sie stören halt. „Chaut?“ fragt sie mich? „Hä? Ohne Kraut bitte!“ „Ob dein Bier chaut sein soll?“ –„ Nein bitte ein Kaltes!“ Die spinnen, die Helvetier! Sollen mal Deutsch lernen!
Die Emme wird nicht nur von einer Straßenbrücke überquert; beim Ortsteil Kräiligen überspannt ein eindrücklicher, über 100 m langer Holzsteg den Fluss. Für den Neubau des Stegs wurden 43 Tonnen Holz verbaut.  Das Herzstück ist eine 47 m lange Bogenbrücke und ein Tisch, auf dem junge Läufer im Tiefschlaf liegen. Ich schmeiß mich weg, das ist doch das Bild des Jahres!

 

 

Geräuschvoll läuft das Walzwerk von Gerlafingen (km 67). 800.000 Tonnen Schrott wird hier jährlich zu neuem Stahl gewalzt. Die Kläranlage muss die metallischen Spuren aus dem Abwasser des Walzwerkes fischen. Man setzt dem Abwasser Kalkmilch zu, um die Metalle auszufällen, deshalb dampfen die Becken so auffällig und es stinkt gewaltig nach Schwefelverbindungen. Unangenehm, aber die Kinder vom Emmenlauf überleben das doch auch, oder muss ich jetzt spenden? Jedenfalls macht der Schwefel Durst.

In Biberist wird die Emme in einen schmalen Industriekanal geleitet. Im 19. Jahrhundert nutze man die Kraft des Wassers. Sie wurde über dicke Triebriemen auf die Walzanlagen der Papierfabrik übertragen.

Nach dem Bahnübergang von Lüterkofen (km 70), bei dem ich meine Mitstreiter wieder einhole, ist reger Betrieb in der Bäckerei. Ich glaube, die Bäckerei lebt nur von dieser Nacht der Nächte. Ich frage eine Einheimische, die um 8 Uhr eine einzelne Tafel Schokolade kauft und dementsprechend aussieht, ob ich mit meiner Cola vor darf, ich müsse schließlich schnell sein: „ Näi! Lütti Höri Fückdi!“ Ich verstehe, sie will ein Kind von mir, lege meine 2 Franken hin, ohne aufs Wechselgeld zu warten, und dampfe weiter.  

Der Weg hinauf nach Bibern bei km 76 ist von je her eine Tortur, aber diese Jahr gibt es drei Warnschilder: „Feldschießen!“ „Schnottwil“ „Vorsicht Zeltpfosten“. Man darf sich also entscheiden, wie man sterben will. Das „Feldschießen“ findet genau auf der Laufstrecke statt, die man sonst die Jahre läuft. Die Schweiz ist anders! Während man in Deutschland kontrollierte Einzelschüsse abgibt, wird hier von 20, 30 Schützen geballert, was die Rohre hergeben. Da ist zwar ein Offizier, der die Kommandos gibt, aber wer soll ihn im Dauerfeuer verstehen? Ich bin also froh über den  kleinen Umweg, der mein Überleben sichert und beobachte die Krähen, die sich in der Schusslinie paaren wollen. Die Dreckspatzen sehen wohl auch schon Videos.  

 

 

Der 71jährige Klaus ist im Begriff, seinen ersten 100er zu finishen. Er schickt seine Radbegleitung vor, damit uns in Arch ein kühles Bier erwartet. Zunächst geht es aber weiter aufwärts, bis man auf den Flughafen von Soloturn blicken kann. Hier mit der grandiosen Weitsicht hat der „General“ (einige Leser wissen, wer gemeint ist) mir vor 5 Jahren beibringen wollen, wie man im Laufen pinkelt. Ein Radfahrer hat sich brutal hingelegt. Unten in Arch steht das Bier aufgereiht, daneben ein Glas Milch. Das ist nicht für mich.

Mit dem Bier in Arch beginnt der schöne Abschnitt des 100ers: Konnte man noch bei km 56 in Kirchberg mit Wertung aussteigen, so hat man jetzt keine Chance mehr. Man würde sich hier in der Hitze und persönlicher Scham auflösen. Zwar ist dies kein lebensfeindlicher Alpengipfel, nur ein liebliches Tal mit Schwänen und blütenweißen Motorbooten, aber Biggi sagt, ein Halbmarathon geht immer. Und Biggi hat Recht, also weiter auf der grausamen Strecke!

 

 

Kurz vor Büren, direkt an der Aare, steht die Kornmühle von 1684.  Dann sieht man schon die wunderschöne gedeckte Holzbrücke (1821). Leider wurde die Brücke 1989 in Brand gesteckt. Das ist der Neubau von 1991. Büren hat eine intakte Altstadt (13. Jahrh.), deswegen oder wegen uns zieht es viele Spaziergänger hierher. Mich zieht es in den Zilli Pub.

 

 

Im Interview sagte Willi Fürst, der heute seinen 50ten Bieler läuft, ihm kämen immer noch die Freudentränen, wenn er ins Ziel einläuft. Jedoch, als ich ihn überhole, ist sein Gesicht sehr teilnahmslos, so wie das Bild, das ich von ihm mache, als er später im Festzelt sitzt. Auch ich glänze nicht mit Freudentränen, dafür war die Nacht der Nächte bei idealen Bedingungen und glänzendem Vollmond für mich nicht optimal gelaufen. Das macht mich rammelig, ich komme nächste Jahr wieder nach Biel! Versprochen! 15:58 Stunden lasse ich nicht auf mir sitzen. Ich muss wieder meine alte Performance zeigen. Da muss mehr gehen, in der Nacht der Nächte! Notfalls ohne Vollmond.

 

 

Informationen: Bieler Lauftage
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