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Laufberichte

Gutes tun

03.06.12

Was andere als schlechtes Wetter bezeichnen, hat auch seine Vorteile. Mir tut es offensichtlich gut und die Flucht nach vorne ist zwar keineswegs fulminant, doch den Zweck hat sie erfüllt. Weder im Knie noch sonst wo verspüre ich Schmerzen, also lass ich es laufen und bin neugierig, wie lange das so gut geht. Richtig die Flucht angetreten haben die Halbmarathonis, die als Spitze des Feldes beim neunten Kilometer entgegenstürmen. Überhaupt sind Wendepunktstrecken unter diesem Aspekt gesehen viel interessanter als vermeintlich abwechslungsreichere Streckenführungen. Ich finde es immer spannend, das Feld auf der anderen Seite zu beobachten.

Kurz vor dem Wendepunkt wird der Gegenwind ganz schön heftig und spart auch nicht mit Regen, den er ins Gesicht peitscht. Da habe ich Glück, dass ich ein Streckenviertel schon erreicht habe. Ich nehme den Kontrollbändel entgegen, hänge ihn um, genehmige mir an der mittlerweile dritten Verpflegungsstation wiederum Iso und Wasser und lasse mich vom Wind zum Ausgangspunkt zurückschieben. Ans Fotografieren kann ich bei diesen Sturzbächen nicht denken – wenn ich mitfühlend an meine Kamera denke. Also konzentriere ich mich darauf, mein diskussionslos zu hohes Tempo zu halten. Bis ins Stadion zurück sollte das gehen, nachher wird es spannend. Wie lange kann ich es mit meinem Trainingsrückstand durchziehen? Spüre ich Auswirkungen meiner Ernährungsumstellung? Ich finde es spannend, dass ich meinen Körper auch beim x-ten Marathon neu entdecken kann.

Über Trieblings geht es wieder aus dem Konstanzer Tal nach Immenstadt. Bis zum Stadtrand verläuft die Strecke identisch mit dem Hinweg. Es gibt diesbezüglich nichts Neues zu berichten. Deshalb füge ich ein paar Informationen über den Großen Alpsee ein, die mir vor meinem ersten Besuch in Immenstadt auch nicht bekannt waren. Zum Beispiel, dass er mit seinen 247 ha Wasserfläche der größte Natursee des Allgäus und der einzige See im grenzübergreifenden Natrupark Nagelfluhkette ist. Entstanden ist er, weil nach dem Rückzug des eiszeitlichen Rhein-Illergletschers, der das Konstanzer Tal geschaffen hatte, eine riesige Menge Eis, so genanntes Toteis, dort liegenblieb. Diese Eismasse verhinderte, dass das Becken des Alpsees mit Geröll zugeschüttet wurde.

Das Gebiet ist nicht nur bei Touristen beliebt, auch Zugvögel machen hier gerne Rast. Besonders Schwalben sammeln da vor ihrer Alpenüberquerung neue Kräfte.

So, wenn damit unsere Leserschaft eine Kleinigkeit an Weltwissen dazulernt, tun wir etwas für die Bildung, sprich Gutes.

Gutes tut uns der Himmel in der Form, dass er sich nicht mehr über uns ausleert. Wenn es so bleibt, dann sind die Bedingungen für den zweiten Streckenteil perfekt.

Der Weg zurück zum Stadion führt nicht mehr durch die Innenstadt. Auf verschlungenen Wegen – so kommt es mir vor – weisen uns Schilder und Ordner die Richtung. Ohne diese guten Taten wäre ich verloren und würde stranden oder kilometerweite Umwege in Angriff nehmen.

Schon vor dem Einbiegen auf die Tartanbahn macht eine Hinweistafel im Stil eines Spurassistenten aus dem Navi deutlich, wo es für wen lang geht. Marathonis steuern nach Links, wer jetzt schon fertig hat, hält sich rechts und kommt auf den Außenbahnen zum Zielzelt. Auf der Innenseite gibt es Bananen und flüssige Wegzehrung, jetzt auch Cola. Dazu knabbere ich einen meiner selbst gebackenen Energiekekse. Deren Wirkung war schon in Bad Waldsee überzeugend, einzig in Bezug auf den Feuchtigkeitsgehalt muss ich noch weiter tüfteln. Wenn ich zufrieden bin, werde ich das Rezept mit euch teilen. Ich habe nämlich die Ahnung, dass ich nicht der Einzige bin, dessen Geschmacksknospen und Nackenhaare sich beim Biss in die klebrigen, chemisch anmutenden Riegel kringeln.

Zum zweiten Mal verlasse ich das Stadion durch die Hintertüre und begebe mich auf den Illerdamm. Im Unterschied zum ersten Mal weisen mich die freundlichen Helfer nach rechts. Was da ist, wird mit kleinen Variationen für die zweite Hälfte der Charakter der Strecke sein. Nun ist der Untergrund naturbelassen, genauer gesagt mit eingebrachtem Kies, Splitt und feinem Schotter. Links und rechts sind Bäume, Sträucher, Gebüsch, Kraut und Gras, die immer wieder den Blick auf die Iller freigeben, dann rechts der Inselsee, sommerliches Wasserskilift- und Wakeboard-Paradies, und dann beidseits wieder die grüne Wand. Ich laufe mit Tunnelblick in diesem grünen Kanal. Weit vorne ist eine lockere Fünfergruppe auszumachen, zu welchen ich aufzuschließen versuche.

Unter der Brücke über die Iller bei Blaichach ist der nächste Versorgungsposten wettertechnisch geschickt eingerichtet. Meine Kekse müssen nächstes Mal feuchter bleiben, sonst verliere ich mit Nachspülen zu viel Zeit. Ich arbeite mich wieder an die Davongeeilten heran, muss die Idylle am Sonthofener See aber mit weiterem Abstandsverlust fotografisch festhalten.

Kurz danach kommt mir die Spitze entgegen. Die Abstände sind schon beträchtlich und werden ohne unerwarteten Einbruch vermutlich bis ins Ziel so bleiben. Der Viertplatzierte denkt wohl ebenso, denn er verpflegt sich ohne Eile beim letzten Posten, welcher gleich nach der Fußgängerbrücke am rechten Ufer der Iller eingerichtet ist. Da werde ich auch gleich gefragt, ob m4y beim Allgäu Panorama Marathon auch wieder vertreten sein wird. Klar, doch – und ich bin mir sicher, dass es ein Gerangel darum geben wird, wer den Job von Klaus zugeteilt bekommt…

Vor dem Campingplatz an der Iller geht es zweimal unter Brücken durch. Diese beiden Gefälle und Anstiege sind, wenn auch nicht gerade Knochen-, so doch deftige Rhythmusbrecher. Nach der Leichtathletik- und Fußballanlage kommt schon ein Schild, das uns aus Sonthofen verabschiedet. Nun ist es nicht mehr weit bis zum zweiten Wendepunkt. Diesen Abschnitt kenne ich, es sind in umgekehrter Richtung die letzten Kilometer des Panorama-Marathons. So schnell werde ich nicht vergessen, wie ich auf diesen Metern in brütender Sonne gelitten habe wie ein Hund. Bei halber Distanz hatte ich mich von Anton verleiten lassen, in seinem Tempo mitzuziehen. Der Bußgang dauerte dann noch zwölf Kilometer. Und just an dieser Stelle halluzinierte ich schon von Meuten fressgieriger Katzen, die auf der Suche nach frischen Innereien schon gerochen hatten, dass sich da einer demnächst die Lunge aus dem Körper würgt.

Abgesehen von müden Waden geht es mir heute verhältnismäßig blendend. Immerhin habe ich fast 30 Kilometer lang den Fünferschnitt halten können, das ist weit mehr als ich erwarten konnte. Mit dem stärker werdenden Gegenverkehr gönne ich mir kurze Verschnauf- und Fotopausen, was der müden Beinmuskulatur nicht förderlich ist. Es dauert jeweils ziemlich genau so lange bis ich in Schwung komme, bis sich auf der Gegenseite die nächste Laufgestalt vor die Linse schiebt.

Am Wendepunkt gibt es Wasser und einen weiteren Kontrollbändel. „Hallo, hat da jemand von einem profanen Bändel gesprochen?“ Liebe Marathonläufer, tut euch Gutes und seid stolz darauf, dass ihr es bis hierher geschafft hat. Das ist nicht einfach ein schwarzer Bändel, das ist der Schwarze Gürtel in Ausdauer!

Auf dem letzten Viertel werde ich ein paar Mal überholt. Mich erstaunt, beunruhigt und frustriert das nicht. Dass ich bis hierher so gut vorwärtsgekommen bin, freut mich. Wenn ich es sogar schaffe ins Ziel zu kommen, bevor die Weißwürste den Zenit überschritten haben, ist es unglaublich toll. Während ich kämpfe, drückt die Sonne immer mehr durch. Noch mehr und noch weiter, dann würde es für mich in dieser feuchten Luft zur Qual. Wer jetzt mein Gesicht sieht, könnte meinen, dass ich mich bereits quälen muss. Für mich ist das aber nur ein Kampf. Einer der mir gut tut – vor allem im Nachhinein.

Das Ziel im Stadion  kommt in Sichtweite, und beim Überschreiten jenes werde ich auch das zeitliche erreichen. Mit diesem verflixt guten Gefühl laufe ich ein und werde gleich mit Tranksame versorgt und mit Medaille geehrt. Auch da ist die Atmosphäre ruhig, entspannt, freundlich und familiär.  Fathia nach ihrem ersten und Charlotte nach ihrem zweiten Marathon in diesem Jahr und insgesamt müssen unbedingt noch vor die Kamera. So viel Ehre muss sein. Da macht es auch nichts aus, dass ich zu frösteln beginne, denn die Dusche nachher ist richtig heiß.

Ein einziger Marathon – und so viel Gutes ist getan. Möglich ist dies nur dadurch, dass so viele Freiwillige für uns Läufer Gutes tun und auch bei misslichem Wetter auf ihren Posten stehen. Vielen Dank!

Marathonsieger

Männer

1 Briechle, Meinrad  SV Maierhöfen-Grünenbach 02:54:27
2 Bläsen, Sascha  LG Geroldseck Lahr 03:02:14
3 Schmitt, Matthias  LG Würzburg 03:03:34

Frauen

16 Gallasch, Katja  Sieben Zwerge 03:28:04
23 Decker, Sonja  TG Viktoria Augsburg 03:34:54
36 Heyer, Birgit  TV 1848 Coburg 03:48:33

81 Finisher

12
 
 

Informationen: Iller Marathon
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