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Laufberichte

Durch sieben Städte entlang der Ruhr

04.05.19 WHEW 100
 

Jetzt gilts. Seit drei Jahren steht dieser Lauf auf meiner to-do-Liste. 100 Kilometer von Wuppertal über die Berge ins Ruhrtal und retour. Immer kam was dazwischen. Mit dem Fahrrad habe ich mir längst Ortskenntnis verschafft.  Ich weiß, was mir so blüht. Aber das zu laufen, ist doch was ganz anderes. Und dauert wesentlich länger, was natürlich den Genuss enorm steigert…

Nordbahntrasse, Wuppertal. Die Gleise fehlen,  perfekter Asphalt liegt auf dem Schotter. Der Bahnhof  Mirke bildet den Startpunkt. Das Gelände der Utopiastadt dient als großer Stützpunkt: leckeres Frühstück im (offenen) Zelt bis zum Abwinken. Lausig kalt ist es. Die Grade sind einstellig. Aber es gibt keinen Regen mehr, der fiel in der Nacht. Mit dem Plastikmesser steinharte Nutella aus dem Glas kratzen, das ist die erste Herausforderung. Wurst und Käse sind da schon einfachere Alternativen. Aber Hauptsache Kaffee. Es gibt auch noch ein geschlossenes Zelt mit Heizpilzen drin. Da kann man den Kaffee trinken, ohne ihn durch Schüttelfrost zu verschütten.

 

 

Wildes Gewusel am Start. Viele Teams mit Rädern sind dabei, manche eskortieren, manche wechseln unterwegs. Die Radler haben‘s echt schwer,  sie werden kaum warm heute. Langsames Fahren macht eben nicht richtig warm. Noch sind alle außer Rand und Band. Fröhliches Schnattern ringsumher, viele der üblichen Verdächtigen sowieso, die Ultrafamilie ist wieder versammelt. Plötzlich streben alle zum Startbogen, ein Bürgermeister spricht zu uns, angezählt wird – und ab in die verkehrte Richtung. Eine kurze Schleife zum Anwärmen, anschließend kann man schon mal den Zieleinlauf proben…

Auf der alten Bahntrasse traben wir ab. Durch Tunnel, an alten Bahnanlagen und Bahnhöfen vorbei. Kleine Fotoschilder an der Strecke erinnern an das, was hier mal war. Und da gibt es so einiges. Nur: stehenbleiben und ausführlich lesen - heute grad mal nicht. Denn da haben wir die cutoff-Zeiten im Genick. Und es läuft sich doch so schön, in der Kälte. In Vohwinkel ist aber Schluss. Die Trasse führt auf das Bahngelände, da wollen sie keine Zivilisten haben. Wir biegen ab, durch die Wohnbebauung bergan. So früh ist noch nicht viel los, die paar Autos bremsen für uns und die Fahrer winken.

Hochinteressante Gespräche lenken von der doch deutlichen Steigung ab. Und plötzlich sind wir in Düssel. Im Dorf,  nicht die Landeshauptstadt. Am  VP gibt es warmen Tee, köstlich. Und weiter geht‘s nach Aprath, vorbei am Weiher. Nur noch ein wenig an der Straße lang, dann erreichen wir nach einem Zacken wieder die Natur und die Niederbergbahntrasse. Früher eine wichtige Verbindung vom Bergischen Land in die Essener Hüttenwerke. Auf dieser Trasse bleiben wir nun bis ins Ruhrtal.

 

 

Solche Trassen haben ja was Besonderes an sich, Gefälle und Steigung sind minimal. Die armen Dampfloks konnten einfach nicht steil. Dem Adhäsionsbetrieb sind da Grenzen gesetzt, physikalische. Für den modernen Radler ist das sehr angenehm, für den Läufer schier endlos. Zu flach zum Gehen, aber für den Dauerlauf brauchts viele, viele Körnchen…

Um auf Höhe und wieder runter zu kommen, macht die Strecke riesige Bögen, meist durch wunderbare Natur. Am Zeittunnel Wülfrath steht ein VP, wir kürzen einen Riesenbogen ab und steigen die 6 HM kurzerhand hoch und auf der Trasse dann weiter. Wahnsinnsaussichten belohnen uns oben. Wären da nicht die trüben Wolken.

Velbert und Heiligenhaus bieten weder Aussicht noch Natur. Nur den ersten cut-off. Es gibt frische, süße Erdbeeren! Manche bleiben länger. Großer Fehler: Die Zeitmessung kommt hinter dem VP! Aber noch sind wir alle ungefährdet. Zwischen Häusern und Industriebauten, mal über die Hauptstraße rüber, mal in Hörweite der A535 ist es hier nicht wirklich attraktiv, dafür eher flach.  Also Tempo und durch. So manch eine riesige Brücke erlaubt den Blick in ein tiefes, sehr tiefes Tal. Im Bahnhof Heiligenhaus erwischt uns ein Graupelschauer, dafür gibt’s Erdbeerquark. Ich will nicht mehr weg. Besonderheit: Deutschlands erste Waggonbrücke ersetzt hier eine normale. Sie haben einfach einen Bahnwaggon anstelle der alten Brücke eingebaut. Kurios.

 

 

Wer jetzt weiterläuft, erlebt ein Bergabstück mitten durch Wald, über Einschnitte und Hügel.  Und mit Fernsicht, denn ein riesiger Viadukt kurz vor Kettwig wird überquert.  Dann haben wir die Ruhr erreicht. Peter aus Rostock begleitet mich ein Stück, dann der VP. Der Himmel wird blau, der Wind bläst von hinten, satt und zufrieden läuft‘s/geht’s weiter. Das war also die Marathon-Distanz. Michael aus Werl entschließt sich, mich bis zum Schluss zu ertragen, gemeinsam bewegen wir uns an der Ruhr entlang auf  Werden zu, wo der Baldeneysee beginnt.

Der kundigeLäufer weiß,  hier wird viel gelaufen. Nur 2 Beispiele:  Der traditionelle RWE- Marathon (der 57.!!! steht an) und der Baldeneysteig-Ultratrail.  Beides sind hervorragende Events.

 

 

Am Hardenbergufer, kurz hinter Haus Scheppen ist Halbzeit. Cutoff,  Dropbags, Shuttle nach Hause. Oder munter weiter, jeder Schritt zählt und macht den Rest kürzer. Es wird für mich zunehmend schwieriger, den Laufschritt wieder aufzunehmen. Für ein paar Minuten geht’s, aber dann werde ich wieder langsam. Es sind noch über 3,5 Stunden bis zum Cutoff bei 73 km. Das wird klappen.

Es geht immer auf dem Ruhrtalradweg lang. Demnächst kommen hier die Tortour-Läufer aus der Gegenrichtung her, mit dann fast 200 km in den Beinen. Wir folgen der großen Schleife der Ruhr und haben bald den nördlichsten Punkt erreicht. Auch hier wieder auf einer Trasse, diesmal die der Grugabahn. Große, alte Stahlbrücken sind zu sehen.  In den herrlichen Ruhrauen hat es einen prächtigen Blick auf das Steilufer  mit Villen und Fabriken und Felsen zwischen E-Steele und Bochum -Dahlhausen. Dort ist das Eisenbahnmuseum, unbedingt einen Besuch wert.  Die historischen Stahlrösser sind im Bestzustand! Neben der alten Pontonbrücke liegt unser VP. Eine Stärkung ist inzwischen immer willkommen. Km 68, noch 5 bis Hattingen zum Cutoff.

Es ist ein wirklich schönes Stück Flusstal hier, viele Kanuten und Flößer sind unterwegs. Es ist ein Leinpfad, also ein alter Treidelweg und steht sogar unter Denkmalschutz! In Hattingen müssen wir eine stark befahrene Straße queren.  Die Ampel zeigt gefühlt 15 Min. rot, dann dürfen wir rüber. Auf einem Sportplatz ist der VP mit Zeitnahme. Alles passt, nettes Team und Sonnenschein.  Aber genau hier beginnt der Anstieg. 15 km sanft, aber entschlossen berghoch. Und noch 4,5 Stunden bis Zielschluss.

Großhirn an Beine: Lasst knacken, ausruhen ist nachher in der Badewanne. Beine an Großhirn: Red du nur, du wirst ja die ganze Zeit getragen! Sowas muss ich mir anhören und ab und zu mal in diesen Zank reingrätschen. Chef an alle: Halte jetzt die Goschen, es fängt an zu regnen, also macht hinne!

Mit einem leichten Niesel fängt es an, wirdstärker und als es so richtig prasselt, sitzen wir am besten VP von allen im Trockenen! Richtig heiße Brühe, nette Leute und Musik nach Wunsch! Bei Across the mountains von Vangelis kommen mir die Tränen…

Und immer noch wunderbare 6-7 km aufwärts. Landschaftlich ist es ja toll hier, vor allem nach Abzug des Regens. Klare Luft und Sonne satt, dazu prächtige Ausblicke in die Täler rund um Sprockhövel. Wird eine Straße gequert, sichern uns sehr nette Streckenposten ab.

Am Bahnhof Schee ist der vorletzte VP, auch hier was Einzigartiges: Hefeweizen, aber echtes! Warum soll ich eigentlich weiter? Na ja, es hat mächtig abgekühlt. Nur Bewegung rettet den Rest meines Lebens.

Im Tunnel Schee ist der Brechpunkt, von da an geht’s abwärts. So jedenfalls der Plan. Die Radler merken, sie müssen nicht mehr treten. Ich merke nichts von dem 60HM-Abstieg, mir kommt das völlig flach vor. Und laufen- das geht auch nicht wirklich. Da ist so eine vage Übelkeit. Kommt aber nicht vom Bier, die war vorher schon. Die Erschütterungen beim Laufen tun da nicht gut, also stramm marschiert. Bei km 93 noch der allerletzte VP, diesmal mit tanzendem Hund. Das ist keine Halluzination.

 

 

Noch 7 km durch Wuppertal, besser gesagt über die Dächer. Denn diese Trasse (seit Schee die Kohlenbahn, ab Wichlinghausen die Nordbahn) läuft flach oben am Hang, mit noch drei Tunneln und vielen Viadukten. Es dämmert inzwischen, die Streckenbeleuchtung zündet. Nur sehr wenige Spaziergänger begegnen mir noch. Michael habe ich vorausgeschickt, wenigstens er soll vor Zielschluss finishen. Für mich habe ich leise Zweifel.

An einem alten Bahnsteig gibt es eine noch funktionierende Uhr. Was die anzeigt, beruhigt mich wieder. Außerdem sind die letzten km einzeln beflaggt. Nur, dunkelgraue Wimpel im Halbdunkel muss man erstmal erkennen. Egal, plötzlich- oder endlich- kommt der Wendepunkt vom Start, dann das blaugelbe Zirkuszelt und der langersehnte Zielbogen. 14:46. Just in time. Chef an alle: Ihr könnt aufhören, nur noch bis zum Auto.

 

Fazit

 

100 Kilometer auf perfektem Untergrund und etwa 470 Höhenmeter in zwei Portionen, das alles in einer sehr abwechslungsreichen Umgebung mit fantastischer Versorgung durch total nette Teams.

Herausfordernd sind die ewig langen Anstiege, auch das Wetter kann für Spannung sorgen. Regensachen im Sack/Dropbag können nicht schaden. Eine schöne Medaille mit allen durchlaufenen Orten drauf gibt’s auch noch.

 

 

Informationen: WHEW 100
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