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Laufberichte

Zurück in die Wüste

 
Autor: Joe Kelbel

Vom Kamm der Düne rufen die Posten meinen Namen. Man kennt mich, doch ich muss noch den riesigen Kiefer des toten Tieres fotografieren. Dann setze ich mich zu dem Tuareq ins Zelt bei Qued el Farr, trinken zusammen den stark gesüßten Minztee. Sein weitgehend zahnloser Mund erzählt in seinem Dialekt bestimmt von der Schönheit der Wüste. Ich verstehe kein Wort, wir kennen uns aber vom letzten Jahr. Wir erzählen uns Geschichten, als würden wir uns aus dem Sandkasten kennen, als ich ihm mit der Plastikschippe auf dem Turban kloppte.

Irgendwann kommt jemand von der Organisation ins dunkle Zelt. Da haben mich schon etliche Läufer überholt. Ernsthaft fordert er mich auf,  weiterzulaufen. Km 30  -  was ich nicht weiß: Robert liegt nicht weit von hier in den Dünen und pennt.

 

Überfall

 

Bei km 32 wird es anders, wir sind in Nkhilla, glaube ich. Andere Menschen wohnen hier als letztes Jahr. Aggressive Kinder, die mir die Wasserflasche aus der Hand reißen. Ich fühle mich so unwohl in der dunklen Masse, dass ich ernsthaft überlege, dem etwa Zehnjährigen einen schmerzhaften Tritt zu versetzen. Auf seine Nachkommen könnte man verzichten.

Da mache ich einen kleinen Ausfallschritt und der Anführer liegt im Dreck, wird von seinen Mitläufern schallend ausgelacht. Ha! Ich bin wieder der Boss. So läuft das also hier.

Auch in Tamazirt ist es nicht besser. Meine Mütze wird geklaut (ich bin schneller), ein Stein trifft mich am Kopf, die Mandarinen werden mir aus den Händen gerissen, meinen Fotoapparat muss ich im Müll der jahrtausendealten Siedlung krampfhaft festhalten, ein Hüftschwung links, einer rechts, und zwei Jungs beißen unter dem Gegröhle der anderen in den Sand. Jetzt macht es mir höllisch Spaß, ich weiß jetzt, wie die Wüste funktioniert.

Mit der Organisation habe ich besprochen, hier im nächsten Jahr Polizisten zu postieren und die Helfer vom Kontrollpunkt zur Unterstützung hinzuzuziehen.

Dieser Marathon ist extrem, wie sein Name. Die trockene Luft auf diesem Hochplateau vertrocknet dir die Bronchien. Keine Cola, kein Bier, der Sand reibt und setzt sich überall fest. Hahaha, alles so, wie wir es wollen! Sonja läuft trotz Asthmaanfall zusammen mit Andreas einen furiosen Halbmarathon. Auch der Sohn von Monika brilliert mit einer super Zeit beim HM. Fritz, Norbert, Annmarie, Cristoph, Robert, Raimund, Oliver, Gabi, Sonja, Monika, Denise, Andreas, wir sind alle total bekloppt und liegen uns im Ziel in den Armen, lachend und mit den tollsten Erlebnissen, die so ein kleiner Marathon bieten kann.

Siegerehrung. Wir sind stolz auf Gabi, die auf ihrem 2.Platz-Podest alle überragt.
Vom Stadtrand kommt eine Gruppe Trommler, der kräftige Klang übertönt den Gesang der Berber. Wir sind Teil einer großartigen Läufernation, VIP´s inmitten der Wüste, gern gesehene Gäste und die Party geht los….

Alsbald überragt eine Kasbah leerer Bierdosen unsere Startnummern.

 

Jebal Zagora

 

Eine Karavane riesiger 4x4 Lastwagen fährt durch die Stadt, es ist ein Teil der 150 Fahrzeuge der Rallye Afrique, führt auch von Paris nach Dakar.

Vom Zagoraberg hat man einen Komplettblick über die Laufstrecke. Da erst kann  man begreifen, wie weit dieser 42 km Kurs führt, nämlich in einem gewaltigen Kreis am Rande des Horizontes entlang. Der Aufstieg ist schwierig, der Blick der Lohn aller Mühe. Grandioses, schönes Land. Grandioser Marathonkurs. Lange stehen wir hier und analysieren die Laufstrecke. Lhoucine zeigt uns von hier oben die 65 km Strecke, die er, Lahcen, Rachid und Mohamad jeden Tag trainieren. Unterhalb, direkt am Fluss, sind Reste der mittelalterlichen Burg, die die Karavanenstraße überwachte.


31.12.: Allah schläft heute Nacht

 

Die Fahrt zur Silvesterfeier in der Sandwüste macht uns partykribbelig. Jeder der etwa 80 Gäste bekommt ein Zelt zugewiesen. Saubere weiße Laken auf Luxusbetten, elektrisches Licht, Sanitäranlagen mit fließendem Wasser (aus Hochbehältern), dicke Teppiche innerhalb der Zeltburg erleichtern das Gehen. Theoretisch sind je 4 Leute in einem Zelt untergebracht, doch die Nacht in der Wüste kennt eigene Zahlen, wenn die Orientierung nachlässt. Auch Robert findet sich wieder, als wir nach den Getränken aus seinem Rucksack suchen.

Die Sonne geht unter und strahlend hell zieht die Mir-Station über unsere Köpfe hinweg nach Süd-Ost.

Die Tänzer stehen sich gegenüber und singen Lieder in einem fremden Berberdialekt. Die Männer eröffnen das Lied, die Frauen antworten. Wie alle Volkslieder handeln die Lieder von Mann und Frau. Mohamad übersetzt: “ Ich sah einen Vogel durch die Oase huschen…”, was mich stark an unser Lied “Kam ein Vöglein geflogen..” erinnert.

Es sind edle Gesänge, die uns in einen stimmungsvollen, nicht in Worte fassbaren Zustand versetzen. Urplötzlich wird gelacht, dass die Tränen fließen. Gut gegessen haben wir auch irgendwann. Sonja kommt auf die Idee, Limbo zu tanzen. Die Einheimischen sind gut, unter 50 cm klinke ich mich aus gehe wenige Meter hinaus in das große Zelt, das ganz große Zelt, das Sternenzelt, wo es über mir  unfassbare schön glitzert und blinkt.

 

Rock the Casbah

 

Als ich zurück in die Zeltburg komme, macht der DJ Musik: “Rock the Casbah”. Auf dem Teppich liegen sämtlich Chaoten übereinander, Durcheinander von Armen, Beinen und Sonstigem, wie damals, 1982. Mannmannmann, dann lege ich mich drüber, ich glaube Raimund liegt ganz unten, ein paar Franzosen und Italiener, dazwischen eine Irin, irgendwo muss Cristoph sein, dazwischen vielleicht noch Oliver? Wo ist Robert? Rooobert! Mir doch egal! Frohes Neues!

Irgendwo erwische ich einen Strauß Kunsttulpen. Irgendwie gibt es auch Verbrüderungen und Hochzeiten, auch Turbanträger nehmen gerne isotonische Getränke. Da niemand eine Startnummer trägt, lassen wir alles mal im Dunkeln.
Wir sind uns einig: Eine einmalige, absolut geile Silvesterparty.

Irgendwann werde ich durch die Kälte geweckt, liege auf der großen Düne mit Blick auf die Unendlichkeit.

 

2013

 

Nach der Rückfahrt nach Zagora erschallt unser fröhliches Lachen auf der Hotelterrasse vor der untergehenden Sonne. Es geht weiter, schließlich müssen wir die riesige Dattelbox, die Gabi gewonnen hat, vertilgen.

Nächster Morgen, Rückfahrt über den Hohen Atlas. Ich bitte Lhoucine in Ouarzazate zu halten. Dort ist der Palast des Berberfürsten Glawoui. Die Kasbah ist der Hit  (bitte meinen Bericht vom März nachlesen). Die Berber haben einen eigenen Kalender, feiern eine Woche später Neujahr. Der Kalender beginnt 950 Jahre vor unserer Zeitrechnung mit der Thronbesteigung des Königs Sheshonq (lybisch “libu”, =  Lybien) in Ägypten. Abends Nachtmarsch durch Marrakesch. Abflug, ohne Robert, ich hoffe es geht ihm gut. Denise wird für ihn schon ein Kinderbuch finden.

Am 21.02 folgt der nächste Bericht aus der Wüste: Trail de Tafraout, 65 km. Lahcen Ahansal, startet seine Serie 4 Saisons. Man erzählt von einem traumhaften Lauf durch blendenden Rosenquarz, blühenden Frühlingsteppichen unter kräftigen, rosa blühenden Mandelbäumen. Transfer von Flughafen Agadir, Hotelübernachtung 65 Euro.  Es folgen zwei weitere Läufe im Laufe des Jahres über 100 km, alle in völlig gegensätzlichen Gegenden von Marokko. Es sind noch Plätze frei, Inshallah.

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Informationen: Zagora Sahara Trail
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