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Laufberichte

Abgefahren

 

Kaum hatte ich die Kanalbrücke hinter mich gelassen, zielte ich auf die Zuschauermenge und drückte entschlossen ab…mehrmals, denn ich wollte auf Nummer sicher gehen, sie auch allesamt erwischt zu haben. Der nachfolgende Aufschrei von Groß und Klein entlockte mir ein grimmiges Lächeln, als ich vorbei lief.

Ein Teenie schrie mir noch etwas hinterher: "Heeey, seht mal! Der hat beim Laufen sogar noch Zeit, Fotos zu machen…wie urgeil ist das denn?". Die begeisterten Wolfsburger jubelten und klatschten. Mit einem breiten Grinsen und einer fixen Daumen-Hoch-Geste rannte ich entlang des Mittellandkanals gerade einen leichten Abhang hinunter.  Vor mir unterhielten sich zwei Marathonis über einen Erlebnispark, den wir bald durchqueren würden. Meine Vorfreude wurde abgelenkt von der Stimme eines weiteren Zuschauers, der mit einem "Echt Abgefahren, weiter so!" applaudierte. Dieser Ruf wäre wohl ein treffendes Motto für den mittlerweile 8. Marathon der Autostadt Wolfsburg. Doch, liebe Leser, es galt, an dieser Stelle erst einmal ein paar Stunden zurück zu spulen…

"Was soll ich bei meinem 10 KM-Lauf bloß anziehen? Etwas kurzes oder eher langes?". Meine Frau Nicole guckte mich ratlos an, doch bevor ich etwas entgegnen konnte, entschied sie sich bereits für die Dreiviertel-Tight. Eigentlich wollte ich den Marathon heut langsam angehen, aber anscheinend hatte sich meine behäbige Einstellung auch auf alles andere übertragen: denkfaul bei wichtigen Entscheidungsfragen, träge beim Einpacken, lahm beim Zähneputzen. Und was machte derweil meine kleine Tochter Angelina? Ah, sie lag noch immer schnarchend im Bett, obwohl das Radio in ihrem Zimmer gerade lautstark eine unschöne Wetterprognose plärrte. Demnach sollte wohl heute nicht die Frage sein, ob es regnete, sondern wann das Schauerwetter einsetzen würde. Ich schlürfte gemütlich meine dampfende Tasse mit dem schwarzen Muntermacher, mit der freien Hand dirigierte ich behäbig den Familienclan. Am Ende wunderte es keinen, das ich selber nicht fertig wurde. "Okay, ich bringe Angie zu Opa, hole danach Debbie ab und warte dann mit dem Auto unten auf Dich", entschied meine Frau kurzerhand. Kuss, winke-winke, bis später.

"Guten Morgen Hannover, es ist 8 Uhr...", erinnerte mich der regionale Sender, bevor ich das Radio abschaltete. Ich packte meine sieben Sachen zusammen, es konnte eigentlich losgehen. In zwei Stunden  würde laut Ausschreibung der Startschuss für Rund 189 gemeldete Marathonläufer fallen. Ich bekam plötzlich Lust auf eine heiße Tasse Espresso. Wenn du es eilig hast, gehe langsam, so ein chinesisches Sprichwort.

Während der Autofahrt verhielt sich die sechszehn Jahre junge Deborah, Tochter einer lieben Freundin meiner Frau, ungewöhnlich ruhig. "Na, Debbie, Dein erster offizieller 10 km Lauf heute", meinte meine Frau. "Und? Ein bisschen aufgeregt?" - "Nö nö…muss bloß erst mal wach werden." Die knapp vierzigminütige Autofahrt endete auf einem Parkplatz in der Nähe des Porschestadions, wo sowohl das VfL Wolfsburg-Nachwuchsleistungszentrum als auch das dazugehörige Internat angesiedelt ist. Von dort aus ging es wenige Minuten zu Fuß Richtung Hollerplatz, dem Zentrum der Wolfsburger Innenstadt, wo sich auch der Start - und Zielbereich befand. Das Streckenangebot der Organisatoren Jan Poguntke, Leiter Events und Sportbetrieb des VfL Wolfsburg, sowie Petra Fischer, Geschäftsbereich Sport der Stadt, konnte sich sehen lassen: fünf verschiedene Läufe mit Streckenlängen zwischen einem Kilometer und der vollen Marathondistanz standen den diesjährig über 3000 Sportlern aller Alters – und Leistungsklassen zur Auswahl. Zusätzlich gab es für die Kinder den Bambini-Lauf. Knapp eine Stunde vor Marathonstart steuerten wir zu Dritt das Startnummernausgabe-Zelt an und  besorgten uns die Startnummern.

„Guck mal, Schatz, wir haben Eintrittskarten für die Autostadt! Da sollten wir mal hinfahren!“. Volkswagen war schon seit der ersten Auflage des Marathons im Jahr 2006 als Partner dabei. Meine Frau konnte sich für die tollen Goodies in den Starterbags jedenfalls begeistern. Kaum hatten sich beide Frauen für den 10-km-Lauf nachgemeldet, verschwanden diese in die benachbarten Umkleide-Zelte. Ich unterhielt mich mit einer Helferin. „Insgesamt 850 fleißige Hände werden für die Bereiche Läuferversorgung, Ordner, Springer und Streckenposten benötigt, damit die Veranstaltung reibungslos ablaufen kann“, erfuhr ich von ihr. Dafür gab es ein Helferpaket, darin enthalten so nette Sachen wie ein T-Shirt, Einladung zur Helferparty, eine Eintrittskarte für jeweils ein Heimspiel des Vfl sowie EHC Wolfsburg.

Es dauerte nicht lange, bis sich der Hollerplatz zunehmend mit Sportlern und Zuschauern füllte, unterstützt und animiert von den Moderatoren Roman Knoblauch und Thorsten Nieß. Ich hörte eine Weile zu, als plötzlich jemand meinen Namen rief. "Hey Mario, wie geht‘s?“, wurde ich von Björn Richter begrüßt. Den gebürtigen Wolfsburger hatte ich vor zwei Jahren im Zuge meines ersten Ultras kennen gelernt. Heute hatte er sich den Halbmarathon vorgenommen, während die Marathonis die Strecke quer durch Autostadt, Allerpark und Volkswagen Arena zweimal absolvieren würden. Kurze Zeit später traf ich noch Frank Reintjes – trotz fieser Knieverletzung während der zweiten Etappe seines Transalpine Laufes vor gut einer Woche war sein breites Grinsen ungebrochen ansteckend.

In wenigen Minuten würden die Herren Dr. Eckhard Scholz, neuer Schirmherr und Sprecher des Markenvorstands von Volkswagen Nutzfahrzeuge, sowie Thorsten Werner, der Sportausschuss Vorsitzende der Stadt Wolfsburg, uns Läufer auf die Strecke loslassen.  Mit einem Kuss verabschiedete ich mich noch fix von meiner Frau, winkte Debbi aufmunternd zu und mischte mich dann, einzig mit Kamera bewaffnet, unter die Sportler. Dann knallte der Startschuss, es klatschte Beifall,  endlich der befreiende Drang nach vorn.

Entlang des Startbereiches wurden wir zunächst von der Cheerleader-Gruppe „Queens Deluxe“ angefeuert. Der Strom aus Läufern zog mich anfänglich mit, jedoch wurde ich wenig später von einer gut vier Meter hohen, weißen Giraffe wieder ausgebremst, die mit ihrem langen Hals vor dem Planetarium graste und mich gekonnt ignorierte. Danach ging es eine Weile durch die noch ruhige Innenstadt. In regelmäßigen Abständen immer wieder applaudierende Streckenposten und Ordner. Den Kontrast zu den jubelnden Helfern bildeten die etwas teilnahmslos blickenden Gesichter von Rentnern, die uns an offenen Fenstern stehend stumm hinterher blickten. Beim vorbeilaufen assoziierte ich darin ein riesiges Fassadengemälde im Stile eines Hundertwasser und Van Gogh – an Kopfkino mangelte es mir bei meinen Läufen wahrlich nicht. Die Szenerie wurde verstärkt von aus der Ferne schallenden und immer lauter werdenden Rythmen. Hm, irgendwie beschlich mich hierbei das Gefühl, im Kreis gelaufen zu sein. Die Gruppe „Ookami Daiko“ heizte auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit japanischen Taiko-Trommeln ein, bevor die Strecke durch die Fußgängerzone führte. Dort warteten zwei weitere Perkussiongruppen - „Sambatz“ und „Trommelparadies e.V.“ - auf die Läufer.

„Na, das ja mal was neues, rasender Reporter vorauusus!“, tönte plötzlich ein Mann mit Megafon und pustete meine Gehörgänge frei. Weiter ging es durch die Stadtmitte in nördliche Richtung, in regelmäßigen Abständen vorbei an Service-Stationen.  Alle zweieinhalb gefühlte Kilometer gab es zu trinken, alle fünf Kilometer Verpflegung…bisher war ich wirklich positiv überrascht von der organisatorisch vorn bis hinten bestens durchdachten Marathon-Planung.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Mittellandkanals konnte ich bereits die Volkswagen Arena erkennen, doch zunächst ging es an Bahngleisen und diversen Trend-Shops vorbei durch die Industriegebiete der Stadtteile  Rothenfelde und Hesslingen. Wenig später folgte ich einem leicht geschwungenen Anstieg, es konnte sich jetzt nur um die Kanalbrücke handeln. Dieses enge Begegnungsstück der Strecke hatte man klugerweise mit Pylonen getrennt.

Dann erblickte ich auf der anderen Seite die erste größere Menschenmenge…nun galt es, beim Laufen einen Treffer zu landen. Ich schoss besagtes Foto wie zu Beginn dieses Berichts, erntete beinahe epischen Applaus, aber auch ungläubige Blicke und Sprüche. “Na besser, ich gewöhne mich daran“, dachte ich mir bloß lachend und folgte zwei älteren Läufern vor mir. „Gleich geht’s quer durch die Markenlandschaft…“, meinte einer der Beiden.

Wir überquerten zu dritt Parkplatz und Promenade der Volkswagen Arena, dann überholte ich flott, es folgte ein kurzes Stück Schotterweg am Kanal. Nun befand ich mich auch schon auf dem Gelände des vermutlich größten Brandscape Deutschlands und durchquerte die riesige, gläserne Eingangshalle mit ihren fast 18 Meter hohen Schwenktüren. An der Decke ein Erdball aus gebogenem Aluminiumgestänge mit zwölf Metern Durchmesser über einem gläsernen Feld. Unter dem 50 Zentimeter dicken Glasboden der Halle hatte der Künstler Ingo Günther über 70 Globen installiert, auf denen Probleme, naja, problematisiert werden: ein Globus zeigt das Ozonloch, ein anderer Armut und Reichtum, einer die Verbreitung von Aids – hier werden Botschaften vermittelt und begehbare Kunst verschmilzt mit der übrigen Architektur.

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Informationen: Wolfsburg Marathon
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