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Laufberichte

Sightseeing im Venedig des Nordens

 

Kilometer 25 wird nahe dem Marinsky-Theater erreicht, in dem viele russische Opern uraufgeführt wurden. Allerdings wirkt dieser Stadtteil auf mich wie der nördliche Teil zwischen Kilometer 10 und 13, auch hier wäre vieles noch zu renovieren. Nett finde ich, dass offenbar ab diesem Kilometer zu den Tafeln auch Ordner eine sichtbare Weste tragen, auf der die Kilometeranzeige weithin lesbar ist.

Ich gönne mir ein Gelpäckchen, nur sollte man, wenn man die Instruktionen einhalten will, alle 30 bis 45 Minuten eines schlucken. So viele trage ich nie bei mir, aber es wäre einmal einen Selbstversuch wert. Ich laufe eigentlich seit Kilometer15 direkt hinter Wladimir, manchmal schere ich aus, um zu knipsen. Als er gerade den Inhalt eines Gelpäckchen mit einem Schluck Cola, das ihm ein Radfahrer gereicht hat, hinunterspült, frage ich auf Russisch, warum nicht Wodka? Er antwortet: „Kommt danach!“ Meine Kenntnisse sind erschöpft, ich probiere es auf Englisch. Er erzählt, dass er meine Geburtsstadt Lienz in Osttirol kennt und dort bei einem Marathon auf Langlauf-Schiern teilgenommen hat. Wie klein die Welt doch ist!

Wir laufen schon die längste Zeit auf einer Art Nebenfahrbahn entlang eines Kanals, der zum Fluss Fontanka führt, der seinerseits beim ältesten Park St. Petersburg, dem Letnij sad, in die Newa mündet. Ich rede auch mit einem jungen Russen mit der Nummer 565, der mich fotografiert. So entgeht mir die schöne Nikolaus-Marine-Kathedrale.

Während Wladimir ordentlich kämpft, läuft seine weibliche Begleiterin mit der Startnummer 210 leichtfüßig dahin. Kein Tropfen Schweiß ist auf ihrem Gesicht oder im Nacken erkennbar. In dem Moment denke ich, dass sie vielleicht einmal eine Spitzenläuferin war und dieses Tempo ohne jegliche Anstrengung halten kann.
Am Fontanka-Fluss entlang erreichen wir die 30km-Distanz. Der Kurs führt weiter über die Lomonossow-Brücke direkt auf einen Abschnitt der Newsky-Prospekt-Prachtstraße. Zur Rechten befindet sich bei Kilometer 31 der Moskovsky-Bahnhof, einer von mehreren in St. Petersburg, deren Züge jeweils in eine bestimmte Himmelsrichtung fahren. Wir sind auf der Promenade, die für eine kurze Zeit für den Verkehr gesperrt ist. Für mich ist sehr überraschend, dass der Marathon erst nach 6 Stunden schließt. Das ist für Veranstaltungen im Osten ungewöhnlich, aber lange Öffnungszeiten bringen mit sich, dass sich immer mehr Marathontouristen registrieren. Das wirtschaftliche Kalkül kann so aufgehen.

Ich fühle mich nach 32 km richtig wohl, eigentlich ungewöhnlich. Ist es das reduzierte Tempo, der Windschatteneffekt, obwohl es windstill ist und die Verhältnisse sehr gut sind? Es ist leicht bewölkt, bei 20 Grad C. Mein Däne, den ich als Anker auserwählt habe, ist bei Kilometer 30 nur mehr gegangen, dafür überholt uns eine Kleingruppe mit vier oder fünf Dänen, die flott unterwegs sind. Die vielen Menschen am Gehsteig nehmen allerdings kaum Notiz von uns Läufern. Einige Angehörige schauen zu und rufen mitunter laut „dawei, dawei", doch die meisten Menschen der Stadt sind am Geschehen nicht interessiert. Mir macht das nichts aus.

Beim Aleksandra Nevskogo Platz führt der Kurs ab Kilometer 33 entlang der Uferstraße nach Norden. Jetzt spüre ich einen Kräfteeinbruch, ich verweile zu lange an der Labestation bei Kilometer 35 und komme an die inzwischen auf 4 oder 5 Personen geschmolzene 4:30er- Gruppe nicht mehr heran. Ich hätte mich wohl anstrengen müssen, doch das habe ich bei Marathons inzwischen verlernt. Wie üblich, schleppen sich viele langsam auf dem letzten Teilstück dahin. Es handelt sich um eine Art Rundkurs, der uns beim Smolnyj-Komplex mit der Auferstehungskathedrale vorbeiführt.

Die 40 km-Marke wird bei der Liteyny-Brücke erreicht, hier befindet sich die letzte Labestelle. Ich muss mich damit abfinden, dass ich eine sub 4:30er-Zeit wieder einmal verfehlen werde, daher verweile ich kurz und trinke aus der Flasche. Wasser wird ausschließlich in Form von verschlossenen Trinkflaschen angeboten, das ist woanders eher selten der Fall.

Die 180 Grad-Schleife auf die Zielgerade bei der Eremitage und Alexandersäule ist ca. 500 m lang. Hier kann man sein Tempo gut einteilen. Einige Läufer versuchen mich zu überholen, ich nehme die Herausforderung an. 30 m vor dem Ziel überhole ich den jungen Russen wieder, der nachher herkommt und gratuliert. Von den 4:38:50 brutto müsste man ein oder zwei Minuten abziehen, mit der Finisherzeit bin ich zufrieden.
Ich habe schon befürchtet, dass wir dieselbe einfache Plastikmedaille bekommen werden, wie die 10 km-Finisher. Unsere Jubiläumsplakette ist aber aus Metall und herzeigbar.

Im Ziel plaudere ich mit einem Italiener der Altersgruppe M-35. Es ist heute seinen ersten Marathon gelaufen und wollte mehrmals aufgeben. Er verkündet, es bei diesem zu belassen, die Anstrengung sei ihm zu groß. Ich werde hingegen weiter sammeln, Ziel sind in diesem Jahr die 200 Marathons.

Mein Fazit zu St. Petersburg: Kaum ein anderer Marathon bietet so viele Sehenswürdigkeiten wie dieser Lauf. Allerdings muss man sich wohl vor oder nach dem Marathon mit den historischen und kulturellen Fakten vertraut machen, sonst sind es Momente, die nur einen Augenblick andauern. Trotz einiger Brücken ist der Kurs flach und für schnelle Zeiten geeignet. Die Versorgung an den alle 5 km eingerichteten Labestellen ist gut, Cola und Gels werden hier aber nicht angeboten. Der Engpass an in die Gebühr inkludierten Funktionsshirts könnte mit den vielen Nachmeldungen zu  tun haben.

Aktuelle Informationen auf der Veranstalterhomepage sind nur in Russisch abrufbar, die Übersetzung auf Deutsch, Englisch ist rudimentär. Auf diese Weise kann die Teilnahme beim St. Petersburg Marathon zu einem kleinen Abenteuer mit Überraschungen werden.

 

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Informationen: White Night Marathon
Veranstalter-WebsiteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
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