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Laufberichte

Faszination Südsteiermark

 

Der Abschnitt am Beginn der Ortschaft Sulztal an der Weinstraße ist wieder ziemlich steil. Der Mann in grün liegt 200 m vor mir. Die Gruppe um Conny möchte zu mir aufschließen. Die Marktgemeinde Gamlitz begrüßt die Läufer mit einem Transparent – man feiert das 60-Jahr-Jubiläum der Südsteirischen Weinstraße, die 1955 errichtet wurde. Man kann sein Auto getrost irgendwo abstellen und sich mit dem WEINmobil zu den schönsten Orten entlang der Weinstraße bringen lassen. Zum Jubiläum wurden extra 60 Picknickplätze eingerichtet, an denen man einen mit steirischen Spezialitäten prall gefüllten Korb verköstigen kann – natürlich nicht umsonst, aber die Preise hier sind durchaus moderat.

Ich blicke nach vorne, 10 km sind endlich geschafft. Die Anzeige auf einer schräg gestellten Holztafel wurde auch im letzten Jahr praktiziert. In der Ferne ist der Kollege in grün nur als Männchen auszumachen, die Gruppe dahinter fast schon lebensgroß, doch ich habe nicht vor, auf jemanden zu warten, um einen Smalltalk zu führen. Doch einer aus der Gruppe holt mich ein. Er erzählt mir, dass er schon 134 Marathons absolviert und auch alle bisherigen 20 WelschLäufe mitgemacht habe. Bald darauf bleibt er wieder stehen, um auf die anderen zu warten. Will er mir damit zeigen, dass er alleine schon längst weiter vorne wäre oder ist ihm einfach die Luft ausgegangen und er tut so, als ob ihm die Gruppe am Herzen liege? Wie dem auch sei, bei der ersten Abwärtspassage mache ich wieder Tempo und entfliehe der Gruppe. 

Der Wegweiser mit einem Dutzend Hinweisschildern, welche  Weingute und Buschenschenken in der Nähe von Gamlitz und Langegg liegen, macht deutlich, dass die gesamte Region touristische bestens erschlossen ist und auch vom Tourismus lebt. Zu den beliebtesten Weinsorten zählen Welschriesling,  Schilcher, Morillot, Weißburgunder, Sauvignan blanc und gelber Muskatteller. Ich persönlich mag Chardonnay sehr gerne, die Rebsorte Morillon ist eine genetische Variation davon.  Die Gegend ist sehr fruchtbar, sie liegt in der illyrischen Klimazone, einem Übergangsgebiet zwischen mediteranem, pannonischen (wie im Wiener Becken und Burgenland) und alpinem Klima. Im Windschatten der Alpen werden Störungen aus dem Norden und Westen abgeschwächt.

Ich denke an die Aussage des Kollegen im letzten Jahr: Auch mir kommt die Laufstrecke in die Gegenrichtung heuer schwieriger vor. Der Mann im grünen Shirt kann sich nicht absetzen, ich möchte ihn als Ankerpunkt am nahen und fernen Horizont behalten, bleibe aber an ihm dran. Knapp vor der Halbmarathondistanz  strampeln  einige Radfahrer auf Mountainbikes die Steigung rauf. Sie keuchen hörbar und ich drücke meine Anerkennung mit den Worten aus, dass  Radfahren auf eine Anhöhe hinauf anstrengender sein kann als Gehen. Die Uhr zeigt 2:32 Stunden, die angepeilten 5:30 werden sich ausgehen.

Nur die ganz Schnellen aus der Marathongruppe könnten den Start der Halbmarathonläufer Punkt 12 Uhr beim Hofstätter Kreuz am Eichberg mitbekommen haben. Ich rechne auch nicht damit, dass ich mit 32 Minuten Rückstand auf der zweiten Hälfte vielleicht einen extrem langsamen Halbmarathonläufer einholen werde. Während ich endlich auf den Mann im grünen Shirt nach einer Abwärtspassage auflaufe und wir dann ins Gespräch kommen, nähert sich uns von hinten ein beharrlich in einer 7er-Zeit laufender Kollege Mitte 60, der ungeachtet des Gefälles sein Tempo beibehält. Die Gruppe um Conny habe ich aus den Augen verloren.

Das Gefälle ab Km 25 geht nun mit einigen kleinen Gegenanstiegen gut 100 m hinunter. In der Gemeinde Saggau nahe der 30 km-Marke sind um 13 Uhr die Nordic Walker gestartet. Jetzt warten hier die Viertelmarathonläufer auf ihren Start um 14 Uhr.  Der Mann im grünen Shirt mobilisiert in der Ebene neue Kräfte, ich lasse ihn ziehen. Für 12 km bleiben mir 1 h 40, um 5:30 Stunden als Finisherzeit zu erreichen. Beim Durchlauf durch die Ortschaft sparen die Kurzdistanzläufer nicht mit Applaus. Auch andere mobilisieren neue Kräfte: die Läuferin von 12stunden.at zieht langsam aber stetig an mir vorbei, knapp vor Km 31 auch zwei weitere Läufer, die ich dann bei der Labestelle in Wuggau wieder einhole. 

Die Passage bis Km 32 geht steil bergauf, bald aber kommen Hunderte Viertelmarathonläufer nach, die die Atmosphäre beleben. Da denkt man sich, wie es wohl wäre, mit frischen Kräften und der Energie von Jugendlichen das letzte Viertel des Marathons in Angriff zu nehmen.  Doch mit Fortdauer des verbleibenden Rennens auf den letzten Kilometern nach St. Ulrich, wo auch wieder eine Labestelle ist, ist bei etlichen Viertelmarathonstartern die Puste weg, sie traben statt zu laufen. Ebenso komme ich an vielen Nordic Walkern vorbei, die rund 3 Stunden Zeit für 10 km haben.

Der WelschLauf bedeutet auch geselliges Beisammensein, an den offiziellen und vielen privaten Zusatzlabestellen, wo Läufer einfach stehenbleiben und mit den Leuten über Gott und die Welt reden - bei einem Gläschen Wein versteht sich. Dort spielt auch so mancher steirische Volksmusikant auf, das tut der Seele gut.

Auf einem der letzten Anstiege bei Km 39 schleppt sich eine junge Frau in weißem Shirt hoch – sie hat sich am Rücken ihres Laufleibchens den in den USA oft gebräuchlichen Spruch  „Pain is temporary, pride forever“ draufdrucken lassen. Sie läuft 10,5 km, ich 42,195, vielleicht sollte man sich manchmal vor den Spiegel stellen und sich sagen: „YOU did a good job“

Man sieht von weitem schon den Kirchturm im Zielort Wies, Km 41 ist erreicht, die Uhr zeigt auf 5:22 netto. Auf der Wiese sitzt Ernst und wartet auf seine Conny, die heute mit ihren Begleitern etwas hinten liegen dürfte. Kommentar von Ernst zu mir: „ Jetzt kannst du wieder einen abhaken“ – genauer müsste es heißen „addieren“, denn den WelschLauf  habe ich ja schon 2014 erstmals bestritten. Nach der Marathonaustria-Statistik ist es mein 209. Marathon, morgen in Salzburg wird Nr. 210 folgen. Ich führe auch eine eigene Zählliste, die auch die Ultras enthält und 220 Läufe ausweist.

Worauf aber kommt es wirklich an?  Ich denke auf die vielen unvergleichlich schönen Momente, die man als Hobbyläufer erlebt: Naturerlebnisse wie Trailpassagen im Wald, am Berg, auf Wiesen; das Hochgefühl, unter einem Dreitausender auf einem Schneefeld zu stehen; bei den großen Citymarathons an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten einer Großstadt mit historischem Zentrum vorbeizukommen, sowie zeitgenössische Architektur der Moderne aus Glas und Beton bei Marathons zu sichten, auf den 42,195 km einen Eindruck von der Lebensweise und Kultur einer Region, Stadt, ja eines Landes zu bekommen. Nicht zuletzt die Tatsache, dass in der weltweiten millionenfachen Läufercommunity auch Begegnungen zu neuen Freundschaften führen. Es sind nicht die Laufzeiten, sondern das Glücksgefühl, viele solche schönen Momente erlebt zu haben, die ein Leben lang in der Erinnerung bleiben.

Ich finishe mit 5:30 Stunden, wären es 5:22 wie 2014 geworden, hätte ich sagen können, dass ein regulär vermessener Marathon von der Distanz her immer 42,195 km hat und die Strecke auch 2015 nicht schwieriger war. So aber gebe ich dem Kollegen Recht, der behauptet hat, der Kurs von Ehrenhausen nach Weis sei anspruchsvoller.


Mein Fazit:

 

Herrlicher Panoramalauf in einer der schönsten Regionen Österreichs, der Südsteirischen Weinstraße, die man vor und nach dem Marathon bei den zahlreichen (Zelt-)Festen am Beginn des Monats Mai in den unzähligen Weingütern und Buschenschenken mit den vielen kulinarischen Spezialitäten genießen kann.
Der Marathon eignet sich wegen der 1443 ausgewiesenen Höhenmeter kaum für eine persönliche Bestzeit, für Bergspezialisten sind auf der durchgehend asphaltierten Strecke aber auch gute Finisherzeiten möglich.

Die heurige Teilnahmegebühr in der Höhe von 38 Euro mit inkludierten Finishershirt, Essens- und Getränkebon, Shuttletransfer, Massagediensten ist als günstig zu bezeichnen. Dass die Medaille dann als einfache Holzplakette nicht das Prädikat gediegen verdient, ist zu verschmerzen. Die Organisation, die vielen Helfer und die Gastfreundschaft bei den Treffs auf der Strecke sind positiv hervorzuheben. Wer Landschaft und Tradition liebt, der sollte einmal beim WelschLauf starten. 

Siegerliste bei den Herren:
1. Vinzenz Kumpusch (AUT): 2:58:25
2. Franz Krump (AUT): 3:02:58
3. Klaus Peindl (AUT): 3:03:49

Einlaufliste bei den Damen:
1. Reka Kovacs (AUT): 3:18:25 
2. Irmgard Reisinger (AUT): 3:37:28
3. Claudia Heiml  (AUT): 3:48:21

210 Finisher

 

12
 
 

Informationen: Welschlauf Südsteiermark
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