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Laufberichte

Windige Angelegenheit

27.11.05
Autor: Klaus Duwe

Ausgerechnet dieses Wochenende muss es den ersten Schnee  geben

 

Wo doch bekannt ist, dass der immer ein Chaos auf den Straßen verursacht. Stichwort: Sommerreifen. Ich habe letzte Woche umgerüstet, aber das nützt auch nichts, wenn der Vordermann mit Rennreifen unterwegs ist.

 

Als ich am Freitag Nachmittag starte, bringt SWR 3 auch schon 40 km Stau auf der Autobahn Frankfurt – Kassel (das ist meine Strecke) und nicht viel weniger auf der Strecke Würzburg – Kassel, das ist die Strecke von Eberhard, den ich in Bad Arolsen treffen will. Ich entscheide mich für den kürzesten Weg (mit viel Bundesstraße) über Giessen und Marburg und liege damit goldrichtig. Kein Stau, kaum Schnee und in 4 Stunden bin ich in Arolsen.

 

In der Twisteseehalle im Ortsteil Wetterburg hole ich unsere Startunterlagen. Im großen Saal ist schon alles für den Ansturm morgen gerichtet. Heute geht es ruhig zu. Keine „Messe“, keine Pastaparty. Das hat Tradition in Bad Arolsen. Man konzentriert sich auf’s Laufen und auf gesellige Stunden danach. Die Läufer wissen und schätzen das. Fast 800 haben sich in die Anmeldeliste eingetragen. Allerdings bleiben diesmal wegen des Wetters einige zuhause. Tatsächlich werden aus dem Sauerland nebenan auch erhebliche Schneefälle gemeldet. Aber hier ist davon nicht viel zu sehen.

 

Fast drei Stunden nach mir trudeln die gestressten Eheleute Ostertag ein. Eberhard lässt sich seinen Ehrentag (er hat Geburtstag) aber nicht vermießen. Zuerst hat er eine wahrlich fürstliche Unterkunft gewählt, und dann lädt er auch noch zum köstlichen Essen ein. Wir wohnen im Welcome Hotel Residenzschloss, das wie jedes Jahr zum Marathon-Termin ein Wellness-Wochenende zu Sonderpreisen anbietet. Das Hotel ist denn auch restlos ausgebucht. Und weil fast jeder Gast Läuferin oder Läufer ist, herrscht  Marathon-Atmosphäre von Beginn an.

 

Der Start ist am Sonntag um 11:00 Uhr. Spät genug, um beim Frühstück etwas zu sündigen. Die Büffets, die in zwei separaten, großen Räumen aufgebaut sind, sind zu verlockend, um es bei Marmelade- oder Honig-Brötchen bewenden zu lassen. Viele tragen das Finisher-Shirt ihres letzten oder liebsten Laufes oder das ihres Vereins. „Zivilisten“ sehe ich um 8:00 Uhr in der Früh keine.

 

Zur Twisteseehalle nach Wetterburg sind es ein paar Kilometer zu fahren. Parkmöglichkeiten gibt es ausreichend. Jetzt ist in der Halle schon mehr Betrieb. Viele der eben erst Angereisten bedienen sich aus dem reichhaltigen Frühstückangebot. Die Stimmung ist super. Der Höhepunkt wird erreicht, als Heinrich Kuhaupt zum Mikrofon greift. Darauf haben viele schon gewartet. Ich entnehme das etlichen Bemerkungen und den gespannten Gesichtern. Es ist still, als der Orga-Chef, der selbst eine Marathonbestzeit von 2:30 aufzuweisen hat, die Läuferinnen und Läufer begrüßt.

 

Gestenreich, engagiert und ehrlich trägt er sein Anliegen und die Philosophie des Advent-Wald-Marathons vor, der in diesem Jahr zum 25. Mal ausgetragen wird und deutlich seine Handschrift trägt. Man spürt, wie er mit den Aktiven fühlt, als er eine von Behördenseite aufgezwungene Streckenänderung verkünden muss, von der er weiss, dass sie eine Erschwernis bedeutet und nicht sonderlich attraktiv ist. Sofort gibt er das Versprechen ab, dass im nächsten Jahr wieder alles beim Alten und zum Besten ist.

 

Dann geht es fast geschlossen zum Startgelände auf der Staumauer des Twistesees. Heute ist das kein Vergnügen. Über die Temperaturen, es hat um die Null Grad, kann man sich angesichts der Jahreszeit nicht beschweren. Auch der Schnee, der Wiesen, Wege und Bäume leicht bedeckt, stört niemanden wirklich. Es ist der Wind, der eiskalt und sehr heftig über die freie Fläche weht. Wieder greift Heinrich zum Mikrofon und entschuldigt sich jetzt auch noch dafür. Er bietet an, die Jacken der Läufer an der ersten Verpflegungsstelle nach 7 Kilometer in Empfang zu nehmen und zur Halle zurück zu bringen. So ist er halt.

 

Es ist 11:00 Uhr und los geht’s. Ich meine, noch schneller als sonst nehmen die Marathonis das Rennen auf. Nur weg hier vom See, raus aus dem Wind. 3 Kilometer sind zu laufen, dann geht es in den Wald und gleich kommt auch die erste Steigung. Jetzt ist die Betriebstemperatur erreicht und meine Handschuhe (für’s erste) überflüssig.

 

Ich habe nicht vor, mich hier zu überanstrengen und hoffe, dass Eberhard ebenfalls keinen Rekord laufen will. Als wir Elisabeth treffen, machen wir für einen Schwatz noch etwas langsamer und die erste Gehpause ist auch fällig. Wir sind jetzt auf der anderen Seeseite, sehen auf den See herab und dahinter Wetterburg. Gleich kommt die erste Verpflegungsstelle und Heinrich Kuhaupt ist wie versprochen vor Ort.

 

Das Laufen ist jetzt überhaupt kein Problem. Im Wald stört der Wind kaum und der Schnee gibt der Landschaft jenen Zauber, den die Menschen an der Advents- und Weihnachtszeit so lieben. Und weil es der erste Lauf in diesem Winter ist, hat der Reiz des Neuen sogar etwas Euphorisierendes.

 

Wir traben weiter im Trainingstempo, überqueren die B 450 (km 10) und haben bei Km 14 die zweite Verpflegungsstelle mit warmem Wasser und Isogetränken. Bis hier hin sind zwar einige Steigungen zu bewältigen, aber alle kurz und nie erwähnenswert steil.

 

Das ändert sich jetzt auf dem zweiten Drittel, wo uns die Strecke immer wieder raus aus dem Wald auf freies Gelände führt, wo wir dem Wind ungeschützt ausgesetzt sind. Erst laufen wir auf einer Verkehrsstraße, dann geht es rechts ab auf einen Wirtschaftsweg, vorbei an Felder und Wiesen und einem einsamen Bauernhof. Immer leicht bergauf, immer den eiskalten Wind von vorne. Längst habe ich meine Mütze über die Ohren gezogen und meine Handschuhe heraus gekramt. 

 

Dann sind wir wieder im Wald. Der Weg steigt immer noch leicht an und wird erst eben, als wir bei Kilometer 21 die nächste Verpflegungsstelle erreichen.

 

Nach einem kurzen Stück laufen wir links auf einen breiten Waldweg und dort kommen uns jetzt die schnelleren Marathonis entgegen. Kilometer 30 ist das ungefähr für sie. Mir kommt es so vor, als würden sie uns etwas mitleidig anschauen und bald weiss ich auch warum. Wir kommen wieder aus dem Wald und sind wieder voll im Wind. Es geht abwärts und die anderen kommen uns kurzatmig entgegen. Ich bleibe kurz stehen, weil man von der Hochfläche die Strecke gut überblicken kann. Unten geht es in einer Schleife rechts ab nach Freienhagen, am Ortsrand vorbei nach Mühlen, dort bei Kilometer 26 zur nächsten Verpflegungsstelle und dann wieder den Berg hier hoch. Und alles über freies Feld.

 

Was ich hier mit dünnen Worte beschreibe, ist der schlimmste Streckenabschnitt, den ich dieses Jahr gelaufen bin, nur vergleichbar mit dem Sturmlauf zu Beginn des Jahres in Bad Füssing.  Zum Glück ist das genau der Streckenabschnitt, den es einmal und nie wieder geben soll. Versöhnlich  ist der köstliche Apfelkuchen und die Nussecken an der Verpflegungsstelle bei Kilometer 26. Tatsächlich kommt uns auf der anschließenden Steigung  noch eine Läuferin entgegen. Diesmal schauen wir etwas mitleidig.

 

Kurz nach Kilometer 30 kommen sehen wir rechts in den Weg, wo vorhin noch die Verpflegungsstelle war. Niemand ist mehr zu sehen. Feierabend. Auch für uns ist das Schlimmste überstanden. Der Weg fällt jetzt leicht und wir können es gemütlich rollen lassen. Kein Wind stört mehr. Bei Kilometer 34 kommen wir zur Waldschmiede bei Volkhardinghausen und werden dort über Lautsprecher freundlich begrüßt. Noch einmal machen wir ausgiebig Pause, denn es gibt wieder herrlichen, selbst gebackenen Kuchen und Nussecken.

 

Nach einem kurzen flachen Stück geht es wieder abwärts ins Twistetal nach Braunsen (km 37). Die letzten fünf Kilometer laufen wir fast eben dem Flüsschen und dann dem See entlang bis ins Ziel. Dort stehen ein paar unermüdliche Helfer, nehmen die Zeit und überreichen die Medaille. Und der Heinrich Kuhaupt ist auch noch da. Immer wieder beteuert er, dass diese Strecke eine einmalige Ausnahme sein wird. „Alles halb so schlimm“, sage ich in der Gewissheit, gleich in der warmen Halle zu sitzen. Schlimm ist ja wirklich nur der Wind, und dafür kann ja keiner. 

 

Meine Klagen vergesse ich vollends, als ich Uwe treffe, der aus Bad Arolsen kommt. Er hat heute unter diesen Bedingungen seinen ersten Marathon geschafft. An der Waldschmiede wollte er aussteigen, hat sich dann aber noch durchgekämpft. Respekt und herzlichen Glückwunsch.

 

Kaum ein Mensch hat mich je nach meiner Zeit gefragt. Aber jetzt kommt Renate, das 159 cm Energiebündel. Sie hat ihre Altersklasse mit 4:19 Stunden gewonnen. Ich will nicht so recht rausrücken. Dann sage ich doch ganz leise: „5:11.“  Sie tröstet mich: „Bist ja auch schon so viel gelaufen.“

 

Streckenbeschreibung

Rundkurs, recht anspruchsvoll. Trotz des Schnees und glatter Passagen gut zu laufen.

 

Auszeichnung

 Medaille, Urkunde

 

Verpflegung

6 Verpfleungsstellen mit Wasser und Iso und Tee, teilweise Bananen und Kuchen

 

Logistik

Twisteseehalle in Wetterburg ist das Veranstaltungszentrum. Dort gibt es die Startunterlagen. Zum Start auf der Staumauer sind es 3 - 400 Meter, vom Ziel zur Halle 200 Meter. Parkplätze sind in der Nähe. Duschen  in der Halle oder beim nahe gelegenen Sportplatz.

 

 

Informationen: Waldmarathon
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