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Laufberichte

Alle Jahre wieder: Hardcore-Running am Twistesee

29.11.08
Autor: Klaus Duwe

November – Nebel, Regen, Wind, Schneeriesel, Kälte, alles Mögliche fällt mir dazu ein. November - mein Geburtsmonat. Jahrelang das einzig Erfreuliche für mich am Schmuddelmonat. Aber das ist auch schon lange vorbei.

Nein, Laufen kommt dem Normalläufer und Marathoni der Event- und Fun-Generation da nicht in den Sinn. Schon gar nicht auf matschigen  Waldwegen, die in steter Regelmäßigkeit auf- und abwärts führen, bis 550 Anstiegsmeter erreicht sind. Daher sind es auch fast immer die gleichen gut fünfhundert Läuferinnen und Läufer, die sich am Samstag vor dem Ersten Advent in Bad Arolsen, genau gesagt in Wetterburg in der Twisteseehalle, zum Marathonlaufen treffen. Nur vereinzelt trifft man einen Neuling aus der Region, sonst sind alles alt gediente Marathonhasen. Horst Preisler, Sigrid Eichner und HaJo Mayer sind ihre prominentesten Vertreter. Aber auch Heiner aus dem Hannoverschen ist hier, um Brigitte auf ihrem 100. Marathon zu begleiten. Udo Möller ist zum 10. Mal in Arolsen und ohne Van-Man Jochen Heringhaus am Mikrofon geht’s auch schon lange nicht mehr. 

500 Kilometer gar sind Bernie (kommt aus der Nähe von Augsburg) und Mario aus München angereist, um ihren Marathon-Jahresabschluss zu feiern und für marathon4you zu berichten. Was mich nach Arolsen zieht, wo ich doch zurzeit überhaupt nicht laufen kann?

Seit Jahren ist der Advent-Waldmarathon für mich ein Wochenende mit allem drum und dran, viel mehr als „nur“ ein Marathon. Unter 30.000 Teilnehmern in Berlin treffe ich nicht mehr Bekannte als hier in Arolsen. Und dann ist da das Welcome Hotel, wo man das ganze Wochenende vier-sterne-mäßig mit Frühstücks- und Abendbuffet und großem Wellnessbereich verwöhnt wird. Das Hotel befindet sich übrigens in den restaurierten Nebengebäuden des 1713 – 1728 erbauten Barockschlosses der Fürsten von Waldeck-Pyrmont. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich das Quartier fürstlich entlohnen lässt. Jedes Jahr gibt es ein Marathon-Arrangement zu einem Preis, für den man bei manchem Citymarathon noch nicht einmal ein Bett zum Schlafen kriegt.

Informationen: Waldmarathon
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Der Start ist um 11.00 Uhr auf dem Twistesee-Damm. Man reist aber nicht auf den letzten Drücker an, weil man dann das Beste verpasst. Das sagen viele und meinen damit Heinrich Kuhaupt’s Worte zum Advent. Seit 28 Jahren organisieren er (mit vielen Helferinnen und Helfern natürlich) und seine Frau Ingrid den Marathon. Anfangs war auch sein Bruder Karl, der heute 84jährig einen Ehrenplatz in der Halle einnimmt, mit eingebunden.

Kaum einer, der Heinrich nicht kennt. Aus New York ist folgende Geschichte überliefert: Treffen sich zwei Deutsche im Ziel und schwärmen sich von ihren Erlebnissen beim größten Marathon der Welt vor. Sagt der Eine: „Ein tolles Erlebnis und ein würdiger Saisonabschluss.“ Darauf der Andere: „Tolles Erlebnis ja, Saisonabschluss nein. Den mach ich bei Heinrich in Arolsen.“

Heinrichs Rede ist wie „Diner for one“: Nichts Neues (außer dem Wetterbericht), aber gut. Er wettert gegen die Großveranstaltungen, kann etwas Schadenfreude nicht verbergen, als er auf die Sponsorenflucht zu sprechen kommt und lobt seinen Advent Waldmarathon, ohne zu vergessen, gleichzeitig vor ihm zu warnen („keine flache Betonpiste“, „Matsch genug“, „freut euch auf die kalte Duschen danach“). Sein gestenreicher Vortrag kommt wie immer sehr gut an, seine Übertreibungen werden beklatscht und belacht und seine Tipps gerne angenommen. Schließlich weiß der Mann, wovon er redet. Zu seinem 50. lief er den Marathon noch unter 2:30! Das war vor über 20 Jahren.

Obwohl er damit eindeutig der Kategorie „Leistungssportler“ zuzuordnen ist, hat Heinrich ein Herz für Hobbyläufer. Die ganz Langsamen dieser Spezies lässt er sogar eine Stunde vor dem eigentlichen Start auf die Strecke, um ihnen so eine Teilnahme und eine Zielankunft bei einigermaßen Tageslicht zu ermöglichen.

Gemeinsam geht’s zum Startplatz am Twistsee, wo Jochen Heringhaus die Orts- und Laufprominenz am Mikrofon hat. Klar, ab und zu gibt Heinrich seinen Senf dazu. Bis es dann los geht und die lang gezogene Läuferkarawane drei Kilometer dem See entlang rennt. Genau bei km 3 steht Horst Risse und das schon seit 15 oder 20 Jahren („Genau weiß ich das nicht, muss mal den Heinrich fragen“). Von seiner digitalen Armbanduhr, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu den ersten Modellen dieser neumodischen Zeitmesser gehört, liest er den vorbeihastenden Läuferinnen und Läufern laut Minuten und Sekunden vor: „Fünfzehn-Vierundzwanzig“, „Fünfzehn-Fünfundzwanzig“, usw. Ist der Letzte durch und quält sich den Anstieg hoch zur ersten Verpflegungsstelle ( km 7,5), rennt Horst zu seinem roten Flitzer und rast zu Kilometer 10: „Zweiundfünfzig-Zehn“,  „Zweiundfünfzig-Elf“...

Danach ist keineswegs Feierabend für den rüstigen Rentner. Bei Kilometer 24, am äußersten Ende einer 5 Kilometer langen Schleife, sitzt er mit Notizblock und gespitzem Bleistift, um sich jede Nummer zu notieren. Wen der unbestechliche Horst nicht erfasst, wird disqualifiziert. Pech, wenn sich einer die Schleife sparen will.

Kilometer 7

Kilometer 10

Kilometer 21/26

In Volkardinghausen bei der Waldschmiede (km 34)ist die zweitletzte Verpflegungsstelle. Nichts Spektakuläres, aber dennoch erwähnenswert wegen des besonders leckeren aber kalorienreichen Weihnachtsgebäcks. Hier habe ich mich mal unbeliebt gemacht weil ich mir die Frage erlaubte: „Der Rest vom letzten, oder die ersten von diesem Jahr?“

Michael Winkler wird sich dafür nicht interessiert haben. Der promovierte Mathematiker und Physiker ist auch so ein Arolsener Phänomen. Laufen ist sein Hobby, aber Marathon macht er immer nur einen – richtig, den Advent Waldmarathon. 2001 hat er sogar schon mal gewonnen. Jetzt könnte es wieder soweit sein. Als der Vorjahressieger Dirk Strothmann zwischen km 27 und 30 beim Anstieg auf den höchsten Punkt schwächelt, zieht der Jung-Professor vorbei. Der Duisburger Magnus Kreth kann noch folgen. Aber Winkler erkennt seine Chance und verschärft das Tempo, Kreth (Bestzeit 2:26) muss ihn ziehen lassen. Winkler freut sich diebisch, als er am Twistesee von Heinrich Kuhaupt als Sieger empfangen wird. Und der macht auch nichts lieber, als einem Einheimischen zu gratulieren.

Bei den Frauen ist das Rennen eindeutig. Vom Start weg übernimmt  Astrid Staubach die Führung und gibt sie bis ins Ziel nicht ab - der erste Sieg für die zweimalige Zweite. Auf den zweiten Platz kommt  Carmen Hildebrand, die zum Jahresabschluss und nach 5 Marathons innerhalb der letzten 6 Wochen an einem ernsthaften Wettkampf kein Interesse zeigt und just for fun die schwere Strecke absolviert.

Den Zieleinlauf muss ich auch noch schildern. Wenn die Läufer den Mini-Ort Braunsen (km 37) erreichen, geht es auf fast flacher Strecke zuerst dem Twistebach, dann dem See entlang. Die letzten zwei Kilometer kennt man schon, man ist in umgekehrter Richtung heute ganz zu Beginn schon einmal gelaufen.

Immer mehr Leute stehen am Seeufer – Angehörige der Aktiven. Der Marathoni erkennt daran die Zielnähe. Blitze zucken, das Zielfoto wird gemacht. Jochen Heringhaus posaunt den Ankömmling mit Zielzeit in die Welt hinaus, eine junge Dame macht das Protokoll, Heinrich Kuhaupt übergibt den Becher mit dem stärkenden, gefärbten Wasser. Zur Halle muss man einen schmalen, steilen Pfad erklimmen. Zum Glück ist die Uhr schon angehalten. Hier würden viele noch einmal etliche Minuten verlieren.

In der Halle gibt es dann die angedrohte kalte Dusche. Warmes Wasser bekommen nur die ganz Schnellen, als Belohnung sozusagen. Was andernorts für einen Aufstand sorgen würde, wird hier klaglos hingenommen. Wem’s nicht gefällt, steigt naturbelassen in die frischen Klamotten und lässt sich in der festlich geschmückten Halle nieder. Kartoffelsuppe, Kaffee und Kuchen schmecken auch so. Hardcore-Running eben, bis zum Schluss.

Sieger

Männer

1 Winkler Dr. Michael Lauf-Treff Bad Arolsen 02:44:22
2 Kreth Magnus ASV Duisburg 02:46:22
3 Strothmann Dirk LG Solbad Ravensburg 02:50:55

Frauen

1 Staubach Astrid LG Vogelsberg 03:19:16
2 Hildebrand Carmen SSC Hanau Rodenbach 03:27:11
3 Lappe Mechthild VfB Salzkotten 03:38:26

 

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