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Laufberichte

Unter Meistern

28.02.15 Lahntallauf
 
Autor: Joe Kelbel

Einen gab es, der war schon vor 50 Jahren ganz schnell in den Lahnwiesen unterwegs: Georg Gassmann, nachdem das Stadion benannt ist, in dem es die Startunterlagen gibt. Einst Oberbürgermeister von Marburg, baute die schreckliche Stadtautobahn durch die Lahnwiesen ohne Genehmigung, in der Hoffnung, damit Marburg mit dem Rest Deutschlands verbinden zu können. Was nicht so recht glückte.  

Was der Oberbürgermeister nicht schaffte, schafft jetzt die DUV, die Deutsche Ultramarathonvereinigung. Sie ruft zur 50 km Deutschen Meisterschaft und bringt damit Top-Ultraläufer aus ganz Deutschland nach Marburg.

Für diese Meisterschaft braucht man nicht DUV Mitglied oder Startpassbesitzer zu sein. Anders bei einer Meisterschaft des DLV.  Aber der DLV trägt ja nur ein Meisterschaft auf 100 km aus.

Also habe ich heute durchaus die Chance, Deutscher Meister zu werden.  Um allerdings den Deutschen Rekord zu knacken, muss ich die 50 km-Zeit von Peter Seifert von 2:52:26 aus dem Jahre 2011 unterbieten. Das war damals hier in den Lahnwiesen, ich hatte berichtet. Wenige Tage nach seinem Rekord wurde er von einem Auto angefahren und lernt jetzt das Laufen wieder.

„Corruptor“, wie sich Peter nannte, bestellt schöne Grüße an alle Ultraläufer. Als ich ihn frage, ob er denn meint, mal wieder 50 km laufen zu können, da schreibt er:

„Ich WEISS, dass ich wieder 50km oder länger laufen kann. Ich bin Psychologe und um einer eigenen PTBS (postraumatischen Belastungssörung) entgegegen zu steuern, werde ich auf jeden Fall zum Lahntallauf zurückkehren.“

Fast hätte ich diesen Satz irgendwo an der Startnummernausgabe hingehängt, um auch anderen Motivation zu geben, aber ich bin heute egoistisch.

Motivation hat Florian Neuschwander eh nicht nötig. Wenn ich ihn montags beim Lauftreff des Laufshops treffe, dann ahnt man nicht, dass er amtierender Vizeweltmeister im Ultratrail ist (77 km Gwydyr Forrest, Wales). Ich denke, er zieht sich zusätzlichen Sauerstoff durch seine gepiercte Unterlippe. Am Donnerstag ist er einen 3:28 Schnitt gelaufen, das ergäbe heute 2:53:20 und wäre nur knapp über der Zeit von Peter Seifert.

Die Spitzenläufer machen sich rar im Bereich der Startnummernausgabe, ich entdecke aber einen großen, blauen Van aus Berlin. Dort macht sich Niels Bubel fertig. Erst 2007 hat er mit dem Laufen begonnen, ist letztes Jahr Deutscher Meister über 50 km in Kienbaum geworden, dort wo auch das Bundesleistungszentrum ist. Eigentlich ganz unspektakulär, wie er sich dort zwischen den anderen Blauhemden seines Vereins vor der offenen Heckklappe umzieht.

Um weitere Spitzenläufer zu finden, begebe ich hinunter zu den Lahnwiesen, dort müssten die sich doch warmlaufen. Tatsächlich, dort ist Nele, die deutsche Meisterin auf 50 km, sie läuft für den Ultra Sport Club Marburg, sowie Antje, die sonst die Moderation beim Start/Zielberich machte und Vereinskollegin Ulrike.

Pamela zählt auch zu den Favoritinnen, sie ist 3fache Deutsche Meisterin über 100 km. Ihr Vater ist im brasilianischen Urwald groß geworden, sein Buch  „Kinder des Urwaldes“ ist sicherlich nicht nur mir bekannt. Absolut lesenswert!

Tobias ist krank, tritt heute nicht an. Moritz  ist auf Platz drei der Weltrangliste der 100 km Läufer, auf Platz zwei der Weltrangliste ist der andere Florian, er will heute aber „nur dabei sein“. Auch Carsten, der Sieger des Ultracups 2013 will nur dabeisein, er findet seine 200 Monatskilometer nach seinem Infekt nicht ausreichend, um vorne mitmischen zu können.

Kerstin Felser möchte ich heiraten, sie ist die einzige Frau, die eine Pilotenlizent für den A 380 hat, und Montag fliege ich…nein heute fliege ich!

Wer in den Deutsche Kader der 100 km Läufer  (unter 6:50 Std, bzw 7:50 bei den Frauen) aufgenommen wird, entscheidet sich bei der Deutsche Meisterschaft (DLV) über 100 km am 11. April in St Leon-Rot (bei Heidelberg).

Für den 24 Std Lauf in Turin, der auch am 11. April stattfindenden Weltmeisterschaften im 24 Std Lauf  sind Heike Bergmann, Antje Krause und Florian Reus, die heute hier antreten, schon nominiert. Sie werden 24 Stunden lang ununterbrochen die 2000 Meter Strecke laufen. Zum Deutschen Kader zählt hier, wer mehr als 250 km, bzw 220 km in 24 Stunden schafft.

Ich bin hochmotiviert. Bei meinen letzten beiden 50ern stand fast schon eine 7 vor der Zielzeit, das darf mir heute nicht passieren. 6 Stunden ist das Zeitlimit (wird aber flexibel gehandhabt). Ich habe genug getrödelt.

Hier im Lahntal hält sich der frostige Nebel und bedeckt die trockenen Pflanzen mit Raureif. Ein Feuer qualmt und wärmt die Helfer, bringt irgendwie eine surrealistische, neblige Kampfstimmung in das Start/Ziel Gelände.

Ein Zelt zum Umkleiden, dort kann man seine Kleidung deponieren. 80 Meter hinter dem Start/Ziel Bogen ist die erste von drei Verpflegungsstellen auf diesem 10 km Rundkurs. Die Spitzenläufer haben wohlsortierte Eigenverpflegung auf stabilen Tischen.

Viele, viele Lauffreunde sind hier und  jeder will ein Schwätzchen halten: „Wie geht es deiner Achillessehne?“ Ich habe keine Zeit, blöde, nett gemeinte Fragen zu beantworten,  also auf diesem Wege: Es wird besser, in etwa 6 Monaten werden sich die inneren Nähte aufgelöst haben. Und nein, ich habe keine Schmerzen, die Sehne hat keine Nerven. Darf ich jetzt laufen?

Hier im Lahntal ist das Who-is-Who der Ultraszene versammelt, jedoch auch sehr viele Studenten, die den 10er angehen wollen. Der Radweg ist einfach zu schmal, daneben Schlamm und Hundeklo. Wir sind dieses Jahr über 800 Läufer, vielleicht sollte man die 10er früher starten lassen. Je größer das Gewusel um mich rum, desto mehr ziehe ich mich zurück, blocke jedes Gespräch in den verbleibenen Minuten ab.  Fotografen fragen: „Wo sind sie?“ Ja, wo sind sie denn, die Favoriten?

Dann geht alles ganz schnell, sehr schnell, die Favoriten flitzen erst beim Countdown von vorne in den Starterblock, schnell noch ein Foto mit Florian Neuschwander und schon werde ich vertrieben, muss seitlich durchs Hundeklo und ganz nach hinten in den Startblock.

Verdammt eng hier, plötzlich auch niemand, den ich  kenne, alle vorne, auch Edda, meine Lauffreundin, mit der ich am Donnerstag auf den heiligen Berg in Sri Lanca hinauflaufe.

Eng ist es zwischen den Studenten im hinteren Startblock. Nach 1:33 Minuten komme ich über die Startlinie, bei den meisten meiner 271 Marathons/Ultras war mir das egal. Aber heute…. Da erst registriere ich, dass ich die Startnummer 271 trage. Das ist mein Tag! Ich werde heute schnell sein!

Auf dem Fahradweg steht groß in blau:  Lauf Partner! Lauf! Es gilt Niels Bubel und seinen Team von „Die Laufpartner“ aus Berlin.

10 Km-Studenten blockieren in einheitlicher Kleidung mein Fortkommen. Links in der Wiese sind Tretminen. Egal, ist für einen guten Zweck, auch wenn das müffelnde Zusatzgewicht meinen Lauf erschwert.

Nach einem Kilometer sind meine Sohlen und ich warm. Habe ein schnelles Läuferfeld gefunden. Einige Schwätzchen und ich habe die erste 10 km Runde geschafft. 59 Minuten brutto. Ich muss mich jetzt entscheiden, was ich heute machen will. Ich entscheide auf „mal sehen“, aber ich sehe was!

 

Zweite Runde

 

Bei km 14 : „Rechts! Rechts!“ Es ist unglaublich, meine Mitläufer kapieren es nicht, denken es gibt jetzt Gegenverkehr. Sind die blöd!  Ich brülle mehrfach „Rechts Laufen! Rechts Laufen!“ 

Blitzschnell drehe ich mich um. Volker Goineau macht den Hasen für Niels Bubel (Startnummer 35). Silvia, mein Jahrgang, springt entsetzt zur Seite, zieht instinktiv den Hosenbund hoch. Schreibkollege Günter bleibt cool, Volker flucht noch meterweit, wie ein Rohrspatz, verflucht alles, was langsamer läuft, während Niels sich konzentriert. In diesem Moment habe ich nur einen Wunsch: Ich muss den Günter loswerden!

Nach etwa 500 Metern überholt mich Florian Neuschwander, ich habe ihn nicht kommen hören, er ist zu leicht, kann kein warnendes „Tapp Tapp“ nach vorne senden. Also nur ein Foto von hinten, wie er in seinem gelben Trokot lautlos vorbeischwebt, die Unterschenkel im rechten Winkel zur Strasse.

Das kann ich auch, nicht wirklich, aber ich versuche es, und es fühlt sich gut an. Günter ist weit hinter mir.

Hinter der Unterführung kommt mir Rainer Koch entgegen.  Er ist der Gewinner des Trans Amerika Laufes 2011 von Los Angeles nach New York und immer noch ein Meister seines Faches. 5140 Kilometer über die Route 66. 14 Läufer starteten, 8 kamen an. Das motiviert mich, bei der kleinen Steigung über die Lahnbrücke hänge ich den Rest ab, der  an mir hing.

Heute Morgen gab es viele Fragen: „ Joe, du hier, nicht in der Wüste, nicht im Wald?“
Noch einmal: Ich laufe Asphalt, da kann man sich nicht verstecken, nicht in der Natur rumträumen und Fotos von Pilzen und Blümchen machen. So ein Lauf weckt auf, puscht zu neuen Zielen! Verstanden?

Tipp, tipp. Umdrehen,  zack, Foto. Klasse! Carsten Stegner (207) ist im vollen Lauf erwischt. Nicht einen Fuss hat er in diesem Augenblick auf dem Boden.  Das ist unglaublich, jetzt hält mich nichts mehr, ich hänge mich dran.

Ich fetze los, Richtung Marburg, rechts die Lahn, links die Schnellstrasse. Tippel-Trappel: Umdrehen Zack. Foto: Volker Greis zieht Florian Böhme, den zweiten der Weltrangliste der 100 km- Läufer. Florian grinst wie ein Honigkuchenpferd, na warte! Dich kriege ich noch!

Ich lege einen Zahn zu. Ja.

Als Michel, der frische Franzose dort steht, schmeiss ich mich vor Lachen weg. Fotopause muss sein, es ist die einzige heute. Er hat ein komplett neues Outfit, in seiner Königskette prangen prächtige Rauchquarze, Amethyste und grüngrelle Opale. Er wird Euch nächste Woche beim Trans Gran Canaria auf die Sprünge helfen! Er war und ist einer der besten Läufer 

Mit 2:01 brutto gehe ich über die 20 Kilometer-Marke. Jetzt reicht es. Fotoapparat einpacken und Zielzeit ausrechnen. Das Ding bringe ich heute nachhause! Heut ist mein Tag!

 

Dritte Runde

 

Tapp-Tapp, Frank Wiegang ist heute der letzte, der mich überholt! Na gut, die kleine Nele mit der Startnummer 5 überholt mich noch an der Unterführung, da hinten Richtung Steinmühle, und damit habe ich jetzt aber auch genug. Hatte ich geschwächelt? Ich bin wieder wach, nehme die Beine unter die Arme.

Laura zieht mich jetzt. Niels Bubel überholt mich, ein zweitees Mal, der darf das. Klasse Laufstil, aber jetzt reicht es wirklich, ich lasse mich nicht mehr überholen! Von niemanden!

Gut, Wolfgang Kölsch noch. Aber jetzt fliegen meine Beine! Vinodkumar Shrinivas, der drittplazierte von Kienbaum 2014, lass ich auch noch ziehen, aber jetzt ist schluß.  Ich hab sie alle gezählt, alle, die mich überholt haben, ich müsste auf Platz 5 der Weltrangliste sein!

3:03, bin langsamer geworden, so geht das nicht! Aber wie geil ist das denn! Florian Neuschwander kommt nicht mehr an mich ran, kommt nach mir über die Ziellinie, überholt mich nicht mehr! Jaaaaaa!  Und das ist das jetzt mein Chance: Ab jetzt bin ich König der Laufstrecke, niemand überholt mich mehr ab jetzt, niemand!

 

Vierte Runde

 

Ich stehe gut im Futter, weil ich nächste Woche 210 km in Sri Lanca laufe. Vor zwei Wochen mit Kniebeugen angefangen, zum ersten Mal seit meiner Achilles-Op. Gut, die 250 kg von 1983 bekomme ich nicht mehr gebacken, aber die Richtung stimmt! Ich werde wieder 130 kg schaffen.

Die Sonne hat es  auch geschafft. Ich schaffe es auch, aber schneller! Überhole Anke Meinberg (Nr 137), die 100 km-Weltmeisterin 2011, sie sieht mit ihren 61 Jahren verdammt gut aus. Willi, ihr Partner und mein lieber Freund hat den Krebs überwunden und wird bald wieder laufen. Ich kenne nur Kämpfer, und das ist so geil!

Anke musste Medikamente nehmen, schwächelt, was mir jetzt sowas von scheissegal ist, da hat sie Pech gehabt, ich zieh vorbei!

Harald Heyde, der alte Ultraläufer, versucht mich zu versägen, da hat er sich aber den falschen ausgesucht. Ich bleibe dran. 4:07  nach 40 Kilometern ist für mich ne gute Zeit. Ich bin fit, glücklich und habe Lust! Letzte Runde! So! Jetzt gilt es! Schnallt Euch an!

 

Fünfte Runde

 

Weg mit dem Fotoaparat. Harald ist jetzt mein finaler Laufgegner, alle anderen sind ausgeschaltet. Ganz große Klasse, wir duellieren uns, ziehen und kämpfen! Atemlos! Das ist ein Lauf vom Feinsten! 10 Kilometer purer Kampf! Ich spüre jeden Atemzug, spüre sein Keuchen in meinem Nacken, höre sein drohndes Trippeln, aber er kriegt mich nicht mehr! Ich bin wieder da!

Nach 5:06 Std im Ziel. Liege Harald in den Armen. Es bricht eine neue Zeit an! Ich bin wieder da, ich bin wieder schnell.

Ein dicker Gruß gilt meinen Laufkumpel Peter Seifert: Dein Deutschen Rekord bleibt! 
Niels Bubel, Florian Neuschwander, Thomas Klingenberger, erholt Euch schnell! Ihr müsst ab sofort mit mir rechnen!

Es leben die Meister!

 

Informationen: Lahntallauf
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