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Laufberichte

“Land unter” zwischen den Ozeanen

08.04.12


Quer durch die Kap-Halbinsel

 

Eigentlich der erste echte Abzweig entlang der Strecke bringt uns auf die Kommenjie Road, die sich anschickt, die Kaphabinsel von Ost nach West zu durchqueren. Nach dem bisherigen Eindruck der Kaplandschaft hätte man erwarten müssen, nun sogleich den Berggang einlegen zu müssen. Aber weit gefehlt: Es geht, sieht man von der Steigung gleich nach dem Abzweig ab, noch immer flach dahin, durch ein langes breites Tal, das sich bei Fish Hoek tief in den über die Kaphalbinsel ziehenden Gebirgsrücken einschneidet.

Noch weit, wenn auch immer dünner werdend, ziehen sich die Wohngebiete Fish Hoeks entlang der Straße in das Tal hinein. Bei km 25 erreichen wir in Sun Valley den ersten Kontrollpunkt der Strecke. Bis exakt 9:35 Uhr muss man diesen passiert haben, sonst wird man aus dem  Rennen genommen, und da kennen die Veranstalter kein Pardon. Andererseits: Wer diese Zeit nicht schafft, hat angesichts der noch bevorstehenden streckentechnischen Herausforderungen ohnehin wenig Chancen, das 7 Stunden-Limit einzuhalten. Der nächste “Cut off”-Punkt folgt bei km 38 und die 42,2 km muss man nach spätestens 5:20 Std. bewältigt haben.

In Sun Valley gabelt sich die Straße. Wir folgen ab hier der Noordhoek.Road. Saftig grüne Wiesen und Baumgruppen säumen die Straße, dahinter steigen am Horizont die Berge empor. Und endlich legt auch der Regen eine Pause ein, wenngleich die Wolken weiterhin dick und undurchdringlich den Himmel füllen.

Ruhig ist es entlang der Strecke. Einsam fühlt man sich jedoch keineswegs, dafür sorgt schon die gegenüber “normalen” Marathons deutlich höhere Kommunikativität der Läufer untereinander. Das mag an der Mentalität der Südafrikaner liegen, wird aber insbesondere auch erleichtert durch die aufwändige Gestaltung der Startnummern, die interessante Einblicke in die Vita desjenigen eröffnen, der vor oder hinter einem läuft. Die Startnummern, die wir sowohl auf der Brust, als auch auf dem Rücken tragen, sind eben nicht nur profane Nummern, sondern verraten Vornamen, Altersgruppe, Startblock, Zahl der Two-Oceans-Teilnahmen. Ausländer stechen schon von Weitem durch rosa-orange Färbung der Nummer aus dem üblichen Lindgrün der heimischen Läufer heraus. Doch gibt es noch diverse andere Einfärbungen. Besonders ehrenvoll sind die blauen Nummern, kennzeichnen sie doch denjenigen, der schon mindesten zehn Mal dabei war und damit neben der Mitgliedschaft im “Blue Numbers Club” ein Anrecht auf eine lebenslange “permanent number” erworben hat. An die 4000 sollen es schon sein.

Auch wenn Regen und Kühle weniger als sonst eine Flüssigkeitsaufnahme erforderlich machen: Wie alle Jahre sind sensationelle 35 Verpflegungsposten auf den 56 km zwischen Start und Ziel eingerichtet, umso dichter, je näher das Ziel rückt, zuletzt alle tausend Meter. Wer sein Scheitern mit Deydrierung erklären will, hat sich hier definitiv die falsche Ausrede ausgesucht.  Wasser, Cola und Powerade sind der Standard fast jeder Station, gereicht von einem Heer  meist jugendlicher Helfer. Das Wasser und das Isogetränk gibt es, wie ich es schon vom Comrades kenne, in kleinen Plastiksäckchen, sogenannten “sachets”, deren Öffnen mit den Zähnen man durchaus einmal üben sollte, um keine feuchte Bescherung zu erleben. Andererseits: Heute ist das völlig egal. 

Bei der Verpflegungsstation in Noordhoek gibt es erstmals auch etwas zu beißen: kleine Kartoffeln mit Schale. Keine schlechte Idee, vor allem, weil wir ab jetzt verstärkt Energie benötigen. Denn ab hier, bei km 28, also genau zur Streckenhälfte endet der profilmäßig gemütliche Teil der Strecke, beginnt die eigentliche Herausforderung und kündet sich der Streckenteil an, der vor allem auf die ausländischen Marathon-Touristen eine magische Anziehungskraft ausübt.

 

Runners Paradise auf dem Chapman’s Peak Drive

 

Chapman’s Peak Drive nennt sich dieser magische Ort, der vor uns liegt. Die in die Felsen hoch über dem Atlantik geschlagene Straße gilt als eine der schönsten und spektakulärsten Küstenstraßen der Welt. Die Bilder der vor dieser Kulisse entlang laufenden Marathonis sind es, die den Kultstatus dieser Laufveranstaltung in den Köpfen der Betrachter begründen. Für Fußgänger ist die von 1915 bis 1922 angelegte Mautstraße normalerweise gesperrt, doch heute gehört sie ganz allein uns.

Zunächst noch ein ganzes Stück vom Meer entfernt windet sich die Straße in zahllosen Kurven in die Höhe. 114 sollen es insgesamt sein, die sich auf die etwa 9 km des “Chappie” verteilen. Zu unseren Linken öffnet sich schon bald ein fantastischer weiter Blick nach unten auf den Long Beach, den über 5 km langen, mehrere Hundert Meter breiten Strand von Noordhoeek, aufgrund seiner Brandung vor allem beliebt bei Surfern, und die sich dahinter erstreckenden unermesslichen Weiten des Atlantik. Immer weiter geht es bergan, nicht sonderlich steil, aber beständig.

Bei km 31 erreichen wir die Küstenlinie der Kap-Westseite, der wir nun in luftiger Höhe über dem Atlantik  nordwärts folgen. Tief unter uns hören wir die Wellen gegen den Fels branden, fast meint man, das Donnern lässt auch die Luft erschüttern, aber es ist nur der Wind, der vom Meer bläst . Für uns geht es Kurve um Kurve weiter bergan. Immer neue spektakuläre Ausblicke öffnen sich vor meinen Augen, schwindelerregende Abgründe tun sich auf, nach unten wie nach oben. Es ist oft kaum fassbar, wie man es geschafft hat, diesem Felsenhang einen Straßendurchgang wie diesen abzutrotzen. Ich merke, wie mich die Magie dieses Ortes gefangen nimmt. Wie weggebalsen ist die Müdigkeit in den Beinen, meine Kamera klickt im Sekundentakt, im Bemühen, diese flüchtigen Momente irgendwie festzuhalten.  

Dass die Extremlage der Straße durchaus Gefährdungspotenzial für Leib und Leben besitzt, belegen zahlreiche Sicherungsmaßnahmen, etwa den Fels überspannende Stahlnetze sowie großflächig mit Beton überspritzte Felswände. An einer Stelle ist die Straße so tief in den Fels hinein getrieben, dass er sie zur Hälfte überdeckt, in der Folge wird sie zudem durch eine Galerie geschützt. Diese Eingriffe mögen zwar ein wenig die Ästhetik der dramatischen Felsenwelt stören, aber aufgrund des latenten Steinschlagrisikos sind sie sicher das kleinere Übel. Geschaffen wurden die Sicherungen vor allem, nachdem im Jahre 2000 eine Gerölllawine fast ein Drittel Straße verschüttet hatte und damit die Strecke für vier Jahre auch für die Two Oceans Läufer unpassierbar machte. Der Lauf fand dennoch statt, doch nahmen die Läufer in dieser Zeit ab Sun Valley den Ou Kaapse Weg, den Alten Kapweg durch das Innere der Kap Halbinsel, eine gleichfalls schöne Strecke, die allerdings den Two Oceans wörtlich genommen zum One Ocean Marathon degradierte. Welchen Nimbus die “historische” Streckenführung über den Chapman’s Peak Drive bei den Läufern hat, zeigt, dass im Jahr der Wiederöffnung, 2004, der bis heute geltende Rekord von 8.692 Finishern erzielt wurde.

Bei km 33,7 erreichen wir 180 m üNN an einem Felsdurchbruch den höchsten Punkt des “Chappy”. Auch wenn heute die Sonne nicht scheint: Die Aussicht von der Passhöhe, nach hinten wie nach vorne gerichtet, ist einfach grandios. Und so ganz nebenbei: Hier einen Sonnenuntergang zu erleben, ist unvergesslich. Erleichtert wird das durch den Umstand, dass auf der Passhöhe eine der wenigen Parkmöglichkeiten entlang der Straße eingerichtet ist.

Über mehrere Kilometer geht es nun bergab in Richtung Hout Bay. Ganz anders als bisher präsentiert sich dieser Streckenteil des Chapman’s Peak Drive: Viel runder, viel sanfter und viel grüner, über und über bedeckt von dem für die Kap-Region so typischen “fynbosch”-Gesträuch, sind die Berghänge, am fernen Horizont erblicken wir schon den weiten Sandstrand der Bay. Das Laufen fällt angesichts des sanften Gefälles leicht. Nur eine Kleinigkeit stört: Der Regen setzt wieder ein.

Das offizielle Ende des Chapman’s Peak Drive markiert schließlich die Mautstation bei km 37. Umgerechnet etwa 3  muss man für die Durchfahrt mit dem Auto berappen. Aber diese Investition sollte sich niemand entgehen lassen.      

 
 

 
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