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Laufberichte

Gran Premio la Stampa

 

Die Strecke geht leicht gewellt dahin. Im Nebel vor uns tauchen die Umrisse einer Festung auf. Das Castello Reale von Moncalieri war die Lieblingsresidenz von Vittorio Emanuele II. Bevor ich eine schöne Fotoposition finde, ist es schon wieder vom Nebel verschluckt. Die Zuschauermenge in der Stadt Moncalieri übertrifft jetzt schon die auf den ersten Turineser Kilometern. Den Übergang zur Gemeinde Nichelino weist nur das Ortsschild aus. Und was hier los ist, kann man als für italienische Verhältnisse überwältigend bezeichnen: Viele Zuschauer und sage und schreibe vier Musikgruppen auf 500 Metern. Dazwischen bieten die Bersaglieri (Schützen), geschmückt mit ihrem weit ausladenden Kopfputz aus schwarzen Hahnenfedern, Schwämme an. Berühmt sind die Bersaglieri für ihren schnellen Laufschritt. Die Nebenstraßen werden hingegen von den Alpini „bewacht“. Diese tragen Filzmützen mit einer Feder. Zur Vervollständigung seien noch die ehrenamtlichen Helfer in ihren blauen Turin-Marathon-Jacken erwähnt.

Wegen der Stimmung ernenne ich hiermit den Turin-Marathon ehrenhalber zum Nichelino-Marathon. Wenn ich mich an unsere erste Teilnahme 2010 richtig erinnere, waren die Gemeinden außerhalb schon damals wahre Stimmungsnester. Zur Beruhigung geht es jetzt erst einmal in eine Hochhaussiedlung. Jedoch befinden sich auch dort viele Zuschauer am Straßenrand. Das kommt dem Bedürfnis, das mich seit einiger Zeit quält, nicht entgegen. Erst bei Kilometer 15 verlassen wir die Bebauung und laufen in die Felder. Die Verpflegungsstellen sind übriges exakt alle 5 Kilometer aufgebaut. Es gibt Wasser sowie ein Getränk, das zwar als „Sali“ - also auf deutsch Iso - bezeichnet wird, aber eigentlich nur Sprudel mit Magnesium ist. Jeweils in Halbliterflasche oder im Becher, dazu Bananenstücke (in Schale), Orangenstücke, Zwieback und Kekse.

Über die Tangenziale Sud geht es Richtung Südwesten. Die Sonne bricht durch den Hochnebel und taucht die Felder in ein wunderbares Licht. Vor dem Waldrand kann man farbige Punkte sehen, dort müssen wir also hin. Am nächsten Verkehrskreisel im Nichts wieder Zuschauer. Wo kommen die denn her? Immerhin soll laut Straßenschild hier ein Trainingsplatz des Fußballclubs Juventus sein.

Beleuchtet von der tiefstehenden Herbstsonne geht es auf das nächste Highlight zu: Das Königliche Schloss von Stupinigi, 1730 als Jagdschloss für Vittorio Amedeo II erbaut. Auf dem Dach des Mitteltrakts ein großer Rehbock. Wir umrunden das Schloss. Wirklich beeindruckend. Für Freunde von Rokoko-Möbeln gäbe es hier auch das passende Museo dell' Ammobiliamento.

Ich habe mir in den Kopf gesetzt, die Halbdistanz unter 2 Stunden zu absolvieren und muss jetzt richtig Gas geben. Es reicht nicht: 18 Sekunden zu langsam und außer Atem. Solche Dummheiten machen ja sonst nur Marathon-Anfänger. Aber es ist mir einen Versuch wert, ich bin ja zum Spaß hier. Wir kommen wieder nach Turin und laufen auf dem Corso Unione Sovietica. Links die riesigen Fabrikanlagen von Fiat Chrysler. Ich hätte gerne die ehemaligen Fiat-Werke in Lingotto besichtigt, ein Fabrikgebäude aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, auf dessen Dach sich eine Teststrecke von einem Kilometer Länge befindet. Aber die Zeit war wieder zu knapp. Inzwischen wurden dort unter anderem ein Kunstmuseum, ein Multiplexkino und ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnet, das unser Budget dann doch gesprengt hätte. Wieder ein Programmpunkt für den nächsten Besuch. Natürlich gibt es in Turin auch ein Automobilmuseum.

Vor uns liegt jetzt das Stadio Comunale, wie es in meinem geschätzten Reiseführer des Touring Club Italiano aus dem Jahre 1989 noch bezeichnet wird. Inzwischen heißt es Stadio Olimpico di Torino. Turin war 2006 Austragungsort der Winterspiele. So etwas hätte es ja in München auch geben sollen, aber wir mussten uns erst den Koreanern geschlagen geben und dann dem Bürgerentscheid. Hier in Turin sollen die Alpen noch näher an der Stadt sein, leider sieht man davon nichts. Der Hochnebel ist dagegen.

Als alter Straßenbahnfreund hatte ich mich schon auf die Trambahnen der Linie 4 gefreut, muss jetzt leider feststellen, dass heute hier nichts fährt. Zu oft quert der Tross der Läufer die Gleise. Ansonsten bleibt jetzt Zeit, sich die Stadtviertel Turins mal in Ruhe anzusehen. Riesige Wohnsilos auf beiden Seiten der Straße. Im Viertel Santa Rita ein kleiner Straßenmarkt.

Ich laufe jetzt schon geraume Zeit mit einer jungen Italienerin, die von drei radelnden Herren begleitet wird. Mein Kommentar, dass die Männer sich für ihre Bequemlichkeit schämen sollten, wird anscheinend verstanden, einer lächelt. Als mich aber der schwungvollste von den Dreien mal so richtig schneidet, kann man mich ganz schön fluchen hören. Ansonsten stören die Radler auf den breiten Straßen vergleichsweise wenig.

Auf einmal sehe ich vor mir ein Marathon4You-Hemd. Ich habe Judith eingeholt. Sachen gibt’s... Bei Kilometer 31 haben wir den höchsten Punkt der Strecke erreicht. Über den Corso Francia und den Corso Vittorio Emanuele II geht es schnurgerade Richtung Zentrum ganz leicht bergab. Unter uns fährt die U-Bahn. Links habe ich in einem Park mal wieder ein Schlösschen gesehen. Mario überholt mich. Italienische Läufer haben oft ihren Namen auf dem Trikot stehen. Die Straße ist zwar sehr breit, aber Mario klebt an mir wie eine Klette. Ein Phänomen, das man in der Endphase eines Marathons öfter erlebt: Irgendwie ziehen sich die Wettkämpfer an. Laufe ich nach links, läuft auch er links. Rechts dasselbe. Ich falle zurück, schieße ein paar Fotos und kann ihn dann mit einem kurzen Sprint überholen. Mario schlägt zurück. So geht das ein Weilchen. Wir überqueren noch den neuen Bahnhof Porta Susa, an dem die Hochgeschwindigkeitszüge nach Mailand und Frankreich halten. Irgendwann gibt Mario auf. Hier ist auch der fast fertige Grattacielo (Wolkenkratzer) Intesa Sanpaolo von Renzo Piano zu sehen. Der sollte 200 Meter hoch werden, musste aber nach Bürgerprotesten 25 Zentimeter kleiner bleiben als die Molo Antonelliana.

Vor uns die riesige Statue Vittorio Emanueles II. Bevor wir dort hinkommen, steht uns noch ein kleines Schleifchen bevor. Vorbei am Piazzale Duca d Aosta und dem Politecnico geht es direkt auf die nun schon ziemlich warme Sonne zu. Viele müssen hier gehen, da der Weg ganz leicht bergauf führt. Ein Radler feuert seine Läufer an: „Ihr seid die Helden Turins. Ihr seid fantastisch. Keiner kann es euch nehmen...“ Hört sich auf  italienisch natürlich viel besser an.

Linkskurve und in der nächsten Straße wieder zurück. Diesmal leicht bergab. Ich hatte mir von diesem Viertel mehr versprochen. Die Corsi sind wirklich beeindruckend breit, wie es sich für eine Hauptstadt gehört, die Gebäude imposant. Dann endlich am Vittorio-Emanuele II-Denkmal vorbei. Schön ruhig heute. Freitagabend hätte uns ein Autofahrer hier fast gerammt.  Bei km 40 noch mal kurz sogenanntes Sali getrunken und dann vorbei am großen Kopfbahnhof Porta Nuova Richtung Ziel.

Die Via Roma hat hier ihren Namen verdient: Teure Geschäfte laden zu einem Bummel ein. Dann die Piazza San Carlo, wo wir gestartet sind. Viele Zuschauer feuern uns an. Noch zweihundert Meter. Die Piazza Castello ist erreicht. Vor uns der Palazzo Reale. Ich kämpfe um Sekunden. In 4:04:48 bin ich im Ziel. Judith ist mir dicht auf den Fersen. So schön kann nur Marathon sein. Eine Woche nach Ravenna noch mal verbessert und das Ganze auch noch mit viel Spaß. Judith verpasst knapp den dritten Platz in ihrer Altersklasse. Die Medaille entpuppt sich als Gürtelschnalle, daher mit Band oder Gürtel für Frauen und Männer in unterschiedlichen Längen. Die wird gleich morgen ins Büro angezogen.

Turin macht seinem Ruf als schneller Marathon auch für Läufer des letzten Drittels alle Ehre. Der zeitliche Median liegt diesmal bei 3:44 Stunden. Die Verpflegung im Ziel entspricht der auf der Strecke, zusätzlich wird Tee angeboten. Da wir keine Duschmöglichkeit vorfinden, wissen wir den Late Checkout im Hotel zu schätzen. Anderthalb Stunden nach dem Zieleinlauf sind wir schon auf der Autobahn und acht Stunden später zu Hause. Manchmal bleibt leider keine Zeit, den Moment zu genießen.


Fazit:

Schöner Stadtmarathon mit vielen Einblicken in eine italienische Großstadt – 3.500 Finisher, darunter auch einige Deutsche, Österreicher und Schweizer - Schnelle Strecke, ausreichend Stimmung (besonders in Nichelino und Moncalieri) - Gute Alternative als Spätherbstmarathon

Wenn man die FIDAL-Tagesmitgliedschaft für sieben Euro nicht erwerben will, kann man sich trotzdem anmelden, wird aber dann als „non competitivo“ gewertet. Medaille und Urkunde gibt es trotzdem, aber eine eigene Ergebnisliste und keine Gewinne

Rechtzeitig Hotel und Marathon buchen. Die Preise sind vier Wochen vor dem Lauf sehr hoch.

 

Ergebnisse:

1 RUTTO SAMUEL KENYA 2:10:00 
2 NGENO ERNEST KENYA 2:10:01 
3 MASAI TITUS KENYA 2:11:16

1 NDIEMA ESTHER KENYA 2:28:41 
2 INCERTI ANNA ITALIA 2:28:58 
3 TONIOLO DEBORAH ITALIA 2:31:35

 

 

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Informationen: Turin Marathon
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