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Laufberichte

Ardennen: Terra Incognita

15.11.09
Autor: Joe Kelbel

Im Startzelt ist kein Platz, aber man hat Zeit. Viele stehen noch in der Halle oder im Verpflegungszelt, als wir loslaufen. Hinter dem Ort geht die Matschpartie los: Steil abwärts, ich lasse mich mitreissen, Äste peitschen mit entgegen, mein Knie blutet. Nach zwei Kilometern sind die Füße nass. Steil geht es wieder bergauf . Vor der ersten Verpflegungsstation  ein ebener Weg, es wird der letzte sein für heute.

Kleiner Eichenniederwald bedeckt das Gelände. Es sind Lohhecken, „Louhecke“ auf Letzeburgisch. Sie wurden im 18.Jahrhundert anstelle der abgeholzten Buchenwälder gepflanzt. Die Rinde wird  für das Gerben von Leder gebraucht. Allein hier werden  noch jährlich 100 Tonnen Lohe geerntet.

Die Böden auf dem Schiefergestein erlauben nur karge Landwirtschaft. Zwischen den Lohhecken wurde Winterroggen und Buchweizen gesät, der Ginster wurde als Stallstreu genutzt. Im 19 Jahrhundert suchten viele Bauern der Ösling ( „Islek“  Letzeburgisch), wie die südlichen Ardennen genannt werden, ihr Glück in Amerika. Dort wurden sie „Kartoffelfresser“genannt.

Unheimlich steil geht es jetzt einen kleinen Pfad abwärts nach Toddlermillen. Hier treffen wir auf die Sauer. Die Mühle ist schon lange nicht mehr vorhanden, nur der kleine kräftige Toddlerbach  und ein Campingplatz. Wenige Meter auf der Strasse, dann dürfen wir uns hochkämpfen. Der Pfad wird immer schmaler, die Aussicht immer besser. Kilometerlang zieht sich der Trail am Steilufer entlang, hier ist volle Konzentration gefordert.

Durch die mickrigen Bäume hat man einen Blick weit über die Grenzen des Großherzogtums bis in die belgischen Ardennen und hinüber zur Eifel. Schroffe Ginster und Farnlandschaft, dazwischen glänzende Schieferplatten. Unter uns liegt Heischtergronn (Heiderscheidgrund), das im 18. Jahrhundert wegen seiner hungernden Bevölkerung „Ort der Bettler“ genannt wurde. Hier ist unser dringend benötigter zweiter VP , betteln nicht nötig, es gibt genug.

Ich werde langsamer, bin müde. Als mich Angela überholt, frage ich, wo  René ist. Sie sagt „etwa ne halbe Stunden hinter uns!“ In meinem Dämmerzustand glaube ich das, schaue mich die folgenden Stunden immer wieder um, aber er kommt nicht. Klar, denn er ist schon im Ziel, dritter Platz.

Highligt des Tals ist „ im Loch“, so heißt Esch-sur-Sure im Volksmund und damit ist seine Lage klar beschrieben: Die älteste Festung des Landes steht hoch oben in einer hufeisenförmigen Schleife der Sauer, darunter schmiegen sich Häuser in engen Gassen. Die Burg wurde 927 gegen die Einfälle der Ungarn gebaut, heutzutage fallen hier nur ein paar Touristen ein, um durch die schneckenförmig um den Burgfried gelegenen mittelalterlichen Gassen zu flanieren.

Steil geht es aufwärts nach Kaundorf, einem 176- Seelen-Dorf mit Kinderspielplatz, vorbei am VP Nummer 3. Bei mir ist die Luft raus, ich bin fertig, die Achillessehnen brennen wie Feuer. Durch den Acker führt der Trail wieder talwärts. Wunderschön der Blick über den Stausee. Ich erkenne die Pontonbrücke, die hinüber nach Lultzhausen, zur Jugendherberge führt. Der Herbergsvater empfängt uns traditionell im Fuchskostüm, an der Treppe hängt unsere Eigenverpflegung.

Wir kämpfen uns wieder aufwärts, und wieder runter. Ein Schild mahnt zur Vorsicht, da brettere ich auch schon hin. Mit wackligen Knien, auf allen Vieren taste ich mich schmerzverzerrt abwärts, die Hand blutet.

Nach dem vierten VP  folgt ein acht Kilometer langer Kampf nach oben. Ewig laufen wir das wunderschöne Bachtal aufwärts. Wie schön muss es hier unter anderen Umständen sein! Doch 600 Füße haben den Trail in eine glänzende Masse verwandelt. Bei jedem Schritt gluckst dieser Weg und verschlingt meine Schuhe, verschlingt auch meine Erinnerung. Für Fotos habe ich keine Kraft mehr, bis ich beim VP bei km 40 wieder aufwache, weil Robert dort steht. Demnach habe nicht nur ich heute schwer zu kämpfen.

Was folgt ist unbeschreiblich. Die blütenweißen, weil wasserfesten Startnummern leuchten, doch darin hängen halbtote, verdreckte, müffelnde Zombies, die ihre zerfressene Beine durch den Dreck ziehen. An km 47 erinnere ich mich wieder: nochmal 150 Höhenmeter nach oben. Würdelose Art von Fortbewegung.

In Heiderscheid sehe ich mein halbes Auto. Auch das ist Matsch. Zum Glück hängt ein Zettel an der Windschutzscheibe: Ein Militärfahrzeug hatte es geknutscht. Kurz vor dem offiziellen Zielschluß erreiche ich mit Hängen und Würgen den Zielbogen.

Fazit: Wo bei  unseren westlichen Nachbarn „Trail“ draufsteht, da ist auch „Trail“ drin!  Inbegriffen im Startgeld ist ein Funktions-Finishershirt, Zielmahlzeit und für diejenigen, die meinen, sie hätten schon so einige  harte Läufe gelaufen, gibt es die Erfahrung der eigenen Grenzen. Die Natur ist der Hammer. Dieser Trail ist das absolutes Highlight im Laufkalender!

Sieger Ultratrail

Männer

1. AZEVEDO José 3:43:26
2.  KRIER Georges 3:57:41
3.  STROSNY Rene 4:10:22

Frauen

1. F RAACH Danièle 4:35:58 
2. FLAMMANG Daniele4:58:16
3. KAYSER Lis 5:09:25

12
 
 

Informationen: Trail Uewersauer
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