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Laufberichte

Trail du Pays Welche: Il o fô, il o fô

12.07.09
Autor: Joe Kelbel

Welche, zu deutsch Welsch, ist ein galloromanischer Dialekt, der in fünf Orten in den Vogesen gesprochen wird. der eine Sprachinsel im alemannischsprachigen Elsaß bildet. Der Welche-trail hat  nichts mit dem Welschlauf in der Steiermark zu tun, hat auch sehr viel mehr Höhenmeter (2200 HM) und mehr Kilometer (50 km) zu bieten.

Das Welche fungierte immer als Geheimsprache, und gerade die deutsch-französischen Auseinandersetzungen gaben diesem Dialekt immer wieder Auftrieb. Für die Elsässer sind die Welches Protestler, die als Opposition zum alemannischen Dialekt eine romanische Sprache sprechen.

Bis auf die Anhöhen, wo der Trail langführt, spricht man Welche, dies ist jedoch nicht mehr der Fall, wenn man nach Kaysersberg oder Munster absteigt, dort herrscht der germanische Dialekt. Er wurde  von den durchreisenden Legionären und Händlern mitgebracht, die über die Römerstraße zogen, die hier durch die Hochvogesen führte.

Einige Dutzend Männer aus dem Canton Welche wurden im Zweiten Weltkrieg  zwangsrekrutiert, waren aber den ganzen Krieg lang mit Deutschkursen beschäftigt und kamen nie an die Front. Eine Anekdote aus dieser Zeit berichtet von der Verwendung des Welche als Geheimsprache: ein Lehrer, der von der anderen Rheinseite kam, wurde, weil er ein Fußballspiel als Schiedsrichter schlecht geleitet hatte, von Kindern umringt : Il o fô, il o fô, le mat' d'école. („Er ist verrückt, er ist verrückt, der Schulmeister".)

Etwa um 1950 hörten die Leute auf, mit ihren Kindern Welche zu sprechen. In Orbey, wo der Trail gestartet wird, wird Welche neuerdings wieder im Collège unterrichtet und die Messe wird auf Welche gehalten. Man sieht Autoaufkleber: No n'vlo mi peud le patwé. (Standardfranzösisch: Nous ne voulons pas perdre le patois. - „Wir wollen den Dialekt nicht aufgeben“.)

Orbey (deutsch Urbeis) liegt 20 km westlich von Colmar, im  Kaysersberger Tal, und hat etwa 3600 Einwohner. Kommt man von Deutschland, fährt man durch Kaysersberg durch.  Kaiser Friedrich II  (ja, der mit den 100 Kindern, siehe Bericht vom Nachtmarathon in Marburg) kaufte diesen günstigen Platz, um die alte Handelsstraße zu sichern, und gab der Stadt den Namen.

Das Gemeindegebiet gehört zum Naturpark Ballons des Vosges. Über dem südlichen Rheintal zählt man fünf Berge, die offiziell Ballons, zu deutsch Wasen oder auch Belchen heißen: Grand Ballon, Petit Ballon, Ballon d’Alsace im Elsass, Belchen im Schwarzwald und Jurabelchen in der Schweiz. Sie bezeichnen Berge, die durch starke Gletscherbewegungen der Eiszeit rundgeschliffen wurden. Die Vogesen sind ein starkes Hindernis für die feuchten Luftmassen vom Atlantik, deshalb gab es hier im Gegensatz zum Schwarzwald in der Eiszeit riesige Gletscher.

Zum zweiten Mal nun organisiert der  Orbey Running Club diesen Traillauf. Seine Mitglieder sind absolute Spezialisten im Trailrunning. Im Startgeld von 20 € + 5 € Nachmeldegebühr ist (für nicht ortsansäßige Läufer und Begleitung )  die  Pastaparty enthalten und eine  Spende über  5 €, die an die Hilfseinrichtung für Hämophiliekranke geht. Dies ist kein Ausdruck für eine sexuelle Neigung, sondern eine erbliche Blutgerinnungsstörung.

Die Website des Laufes ist nur in französisch geschrieben, sie ist innerhalb der Website des Tourismusbüros untergebracht, die wiederum vollgepackt ist mit guten Infos, auch in perfektem Deutsch.  Das Anmeldeformular wird per Brief, incl. Scheck nach Orbey geschickt.

Die Startnummernausgabe ist im Gemeindesaal in Orbey. Am Nachmittag ist dort nicht viel los, so nutze ich die Zeit bis zur Pastaparty und erkunde die Gegend.

Im ersten Weltkrieg waren  die Hochvogesen Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen Franzosen und Deutschen. Wenn wir morgen auf die Gipfel der Hochvogesen steigen, werden wir auch durch die schlimmsten Schlachtfelder laufen. Die Deutschen hatten damals die Vorstellung, daß ein Gefecht von den Gipfeln aus Vorteile bringen würde. Ehe sie aber sämtliches Material auf den Höhen hatten, hatten die Franzosen die deutschen Pläne längst spitzbekommen und bezogen auch Position auf den Bergen. Beide Seiten bauten ihre Stellungen aus und die Folge war ein sinnloser Stellungskrieg,  in  Schützengräben, nur wenige Meter vom Feind entfernt.

Noch vor Verdun starben hier 17.000 Soldaten beider Seiten am  Collet du Ligne (Lingekopf), in dieser Gegend sind riesige Soldatenfriedhöfe. Das Schlachtfeld, über den  unserem Trail führt,  ist mit einzelnen Bäumen bewachsen und von in den Sandstein gehauenen Gräben durchzogen. Die Bunker und die Stacheldrähte, die den Bereich absperrten, sind bis heute erhalten. Das Schlachtfeld  steht unter Denkmalschutz . Ein kleines Museum zeigt makabre Fundstücke.

Als ich von diesem schrecklichen Ort zurück nach Orbey fahre, gerate ich in eine Kuhherde, die anscheinend noch nie ein deutsches Auto gesehen hat. Als die Viecher die Kühlerhaube inspizieren und ihre verdauten Gräser mir ins Seitenfenster feuern, da kann ich wieder lachen.

Zur „Pastaparty“ erscheinen etwa 40 Leute. Ich als einziger Deutscher gelte als Exot, bin aber schon bekannt durch meine Reportage über den Marathon du Vignoble d `Alsace.

Der Campingplatz ist genau oberhalb des Startplatzes. Vor meinem Zelt glüht ein einsames Glühwürmchenweibchen, doch es ist zu kalt in dieser Nacht, so wird es allein bleiben. Da wird im Radio gesagt, man solle hinaufschauen. Und tatsächlich, am glasklaren Himmel huscht ein Riesenglühwürmchen vorbei. Es ist die ISS, mit 6 Besatzungsmitgliedern, die in wenigen Minuten ein Andockmanöver starten werden. Die Andockstation ist auch als kleines Glühwürmchen unmittelbar hinter der ISS erkennbar.

Der Lauf

Start Sonntag 8 Uhr. Ich kann nicht sagen, daß mich der Regen geweckt hat, denn die Kirchturmuhr hatte mich eh alle 15 Minuten während der Nacht geweckt. So mache ich mich im Regen auf zum Gemeindezentrum. Dort treffe ich Christian, ihm habe ich es zu verdanken, daß ich diesen Lauf gefunden habe: Beim Marathon du Vignoble d`Alsace ist er mit Accordeon gelaufen. Seine Laufkumpels waren bestens verkleidet (schaut Euch nochmal den Bericht an) und zogen mit einem 5er Schnitt, unter Absingen des gesamten französichen Liedergutes an mir vorbei.  Ich hätte meine Großmutter verwetten können, daß diese Jungs niemals ankommen würden. Ich hätte die Wette aber verloren. Es gibt also da drüben auch verrücktes Leben „Il o fô, il o fô“.

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Informationen: Trail du Pays Welche
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