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Laufberichte

Dornröschen und die Grüne Fee

20.06.09

Die auffallendste Eigentümlichkeit des Längsthales ist das geringe Gefälle seines fast ebenen Bodens: von Noiraigue (730m) bis Fleurier (744m) beträgt der Höhenunterschied auf eine Entfernung von 12km bloss 14m oder etwas mehr als 1‰.

Der Weg führt uns an der Asphaltmine „La Presta“ vorbei, wo die Bergleute bis 1986 im Einsatz waren und heute ein Museum die Geschichte lebendig erhält.

Das Val de Travers enthält das einzige im Abbau stehende Asphaltlager auf Schweizer Boden, das zugleich eines der reichsten Vorkommnisse von ganz Europa darstellt. Der Asphalt durchtränkt hier einen der Urgonstufe angehörenden porösen weissen Kalkstein, welcher bis zu 15% Asphalt enthalten kann, aber bis zu einem Gehalt von 7% hinunter als abbauwürdig gilt.

Die kulinarische Spezialität aus jener Zeit, in Asphalt gekochter Schinken, steht heute nicht auf dem Speiseplan, dafür schon nach drei Kilometern der erste Verpflegungsposten, dessen Anblick verrät, was uns verpflegungstechnisch erwarten wird. Bereits hier gibt es ein reichhaltiges Angebot, und später ist das jeweils optisch ansprechend Buffet noch reichhaltiger. Wasser, Iso, Eistee, Cola, Bouillon, Bananen, Orangen, Schokolade, Riegel, Traubenzucker, Kekse, Crackers, getrocknete Aprikosen, Pflaumen und Apfelscheiben… Hat jemand sonst noch einen Wunsch?

Die Morgenstimmung  ist herrlich. Die Feuchtigkeit des gestrigen Regentages schwebt als Nebelschwaden über dem Tal und der Läufer vor mir deutet in die Richtung, wo ein Reh sich über das Feld vor dem Rudel Zweibeiner davonmacht.

Die Kilometerzahl auf der Tafel ist zweistellig  und nicht viel anders sieht es vermutlich mit der Prozentzahl der Steigung aus, die nach erneuter Verpflegung beginnt. Bis Les Oeillons sind es fast dreihundert Höhemeter, die wir so überwinden, bevor es zur Krete des Creux du Van und dort entlang zum Soliat geht.

Ein anderer Weg führt von der Ferme des Oeillons aus im Zickzack („sentier des quatorze contours“) durch den Wald des Dos d’Ane bis zum Soliat hinauf (Noiraigue – Le Soliat 2 Stunden).

Der Durchschnittsmensch muss 1910 besser trainiert gewesen sein, dann der Wanderwegweiser zeigt allein für die Strecke Les Oeillons  – Le Soliat 1:25 an. 
Nach einiger Zeit lichtet sich der Wald und gibt den Blick frei hinunter ins Tal. Ich kann es kaum glauben, wie weit unten Noiraigue schon liegt, bin dann aber auch nicht überrascht, als ich links vorne den Creux du Van sehe.

Typischer und grossartiger halbkreisförmiger Felsenzirkus, einer der schönsten des Juragebirges. (…) Aus der hier 166m hohen und den Grund des Zirkus um 280m überragenden senkrechten Felswand tritt als eine Art mächtiger Bastion der sog Falconnaire vor…

Mit meiner Schätzung, die für Wanderer angegebene Zeit halbieren zu können, liege ich richtig. Ein alter Grenzstein zeigt an, dass wir unsere Füße auf Waadtländer Boden gesetzt haben.

Der obere Rand des Felsen des Creux du Van, an den sich die Bergweiden des Soliat (…) anschliessen, bildet auf eine Länge von 600m die Grenze zwischen Waadt und Neuenburg. Nach Prof. Ayer ist der Ausdruck „Van“ eine keltische Wurzel, die „Fels“ bedeutet (…). Die Schreibweise Creux du Vent ist demnach eine unbegründete, trotz des an schönen Tagen oder bei schwacher Bise (O.-Wind) oft durch diese Hohlform aufwärts steigenden starken Luftzuges, der leichte Gegenstände (wie Hüte, Zeitungen etc. bis zum Rand der Felswand mit sich heraufnimmt.

Den zweithöchsten Punkt der Strecke hinter uns lassend, geht es auf dem Wanderweg weiter über die Bergweiden. Das dritte Mal überqueren wir die Kantonsgrenze bereits wieder auf einer Fahrstraße, die uns zwischen Wiesen, Weiden und  lockeren Baumbeständen langsam Höhe verlieren lässt. Ich komme ins Gespräch mit zwei Einheimischen, die sich heute erstmals auf der Marathondistanz bewegen. Ganz schön mutig, beim ersten Mal gleich noch über 1300 Höhenmeter einzupacken. Aber schließlich haben sie ein läuferisches Vorbild in der Region, Christian Fatton. Im Moment ist er aber nicht in der Gegend, sondern kurz vor dem Nordkap, auf der zweitletzten Etappe des Trans Europe Footrace.

Ein Läufer überholt uns mit dem charakteristischen Laufstil eines Ultraläufers und verschwindet hinter der nächsten Biegung. Wir werden uns heute noch mehrmals sehen.

Plötzlich ist vorbei mit der Herrlichkeit des Rollens. Eine Abzweigung leitet auf einen Trampelpfad, der vom Regen noch mehr als gesättigt ist. Unterbrochen von einem Flachstück müssen auf den folgenden zweieinhalb Kilometern dreihundert Höhenmeter vernichtet werden. Gute Dosierung ist gefragt, um effizient, ohne Sturz und ohne die Muskulatur zu fest zu fordern wieder auf den Talgrund zu gelangen.

Dort angekommen, bietet ein weiter Verpflegungsposten die Gelegenheit, für den nächsten Aufstieg zu tanken.  Auch hier gibt es nichts zu maulen – außer man habe erwartet, dass vor den Toren Môtiers das Maison Mauler einen ihrer Schaumweine kredenzt, den sie in den Kellergewölben des alten Benediktinerklosters nach der „Méthode traditionelle“ herstellt.

Kurz danach trennen sich die Strecken. Die Ultras gehen links und folgen dem Wasser, hinein in die  idyllische Schlucht von Poëtta Raisse. Ich folge der Streckenmarkierung über einen kleinen Holzsteg; vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte zehn Meter vorher die Furt gewählt. Ich glaube, Juristen nennen dies Güterabwägung. Was ist besser, nasse Füße oder eine verschlammte Seite und Schürfungen am rechten oberen Ausleger?

Der letzte Tritt auf dem Holzsteg ist umwerfend. Genau so wenig elegant wie lautlos haut es mich aus der Kurve, jedenfalls wird ein Läufer weiter vorne auf mich aufmerksam, bleibt stehen und erkundigt sich, ob ich Hilfe brauche. Bei einer Kurzstrecken-Bolzerei wäre ich vermutlich nur ein unliebsames Hindernis, über welches man springen muss, an diesem Ultra hilft man sich gegenseitig.

 
 

Informationen: Swiss Canyon Trail
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