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Laufberichte

Jasmin Nunige und wieder dieser Schwede

26.07.08
Autor: Klaus Duwe

Der Swiss Alpine-Marathon ist das, was viele Läufe von sich behaupten aber nur ganz wenige sind: ein Klassiker

Wer einmal einen Berglauf erfolgreich bestritten und Gefallen an der Schinderei gefunden hat, träumt von Davos - nicht vom Weltwirtschaftsgipfel, sondern vom K 78, von 78,5 Kilometern durch Schluchten und Täler, über Brücken und Berge, von der Keschhütte und vom Panoramatrail und vom Finish im Sportzentrum von Davos, vom Empfang der Medaille und des auffallenden Finisher-Shirts, um das man ihn künftig überall beneiden wird.

Eine Laufstrecke, die schöner und abwechslungsreicher nicht sein kann, eine perfekte Organisation und Infrastruktur, freundliche Menschen und die unbeschreibliche Alpine-Atmosphäre machen den Mythos Swiss Alpine aus. Das Flair von Davos als Ferien- und Kongressort  von Weltrang macht die Reise nicht nur für die Laufverrückten, sondern auch für deren Begleiter/innen und Familien interessant, wenn diese ohne Laufschuhe durchs Leben gehen.  

Schon beim ersten Stadtbummel fühlt man sich unweigerlich in die Zeit versetzt, als Davos noch hauptsächlich Kurort war. Der deutsche Arzt Alexander Spengler entdeckte als erster die heilsame Wirkung des Höhenklimas (Davos liegt auf 1560 Metern Höhe) bei Tuberkulosekranken und gründete mit dem Holländer Holsboer 1868 die Kuranstalt Spengler-Holsboer. Später ging aufgrund neuer medizinischer Behandlungsmethoden die Anzahl der Dauergäste zurück und die Sanatorien wurden immer häufiger in Hotelbetriebe umgewandelt. Als dann 1969 das Kongresszentrums eröffnet wurde, war Davos endgültig der Durchbruch zur internationalen Ferien- und Kongressstadt geglückt.

Als die Kurgäste noch in Scharen nach Davos  kamen, wurde auch auf der 300 Meter höher gelegenen Schatzalp 1900 ein Sanatorium eröffnet. Das ganz im Jugendstil errichtete Gebäude und die einmalige Lage machten es schnell berühmt und Thomas Mann erzählt davon in „Der Zauberberg“. Auch die Schatzalp wurde im Zuge des Strukturwandels 1954 zum Hotel umgebaut. Pius App ist nicht nur einer der zwei Schatzalp-Eigner, sondern auch ein Alpine der ersten Stunde. Er hat an jedem Lauf bisher teilgenommen. „Aber noch nie gewonnen“, fügt er augenzwinkernd an. Auch den K 78 hat er schon mehrfach geschafft, jetzt hat er sich aber auf den K 42 spezialisiert. Nach Möglichkeit läuft er als Letzter ins Ziel, obwohl er so langsam gar nicht ist. Aber in Dürrboden hat er Bekannte, die warten mit einem Fondue auf ihn. Wenn er sich nach dem Essen in die Sonne legt, muss er aufpassen, dass er nicht hinter dem Besenläufer das Rennen wieder aufnimmt.


Klar, dass sich bei soviel Enthusiasmus die Schatzalp ganz auf die Alpines eingestellt hat. Es gibt für Läufer spezielle Arrangements, zu denen die ausgezeichnete Küche am Vorabend des Laufes die leckerste Pasta  beisteuert, die ich jemals außerhalb Italiens gegessen habe. Das Frühstück gibt es am Lauftag extra früh und mit der hoteleigenen Bahn ist man in 4 Minuten in Davos und in weiteren 5 Minuten am Start. Nach dem Lauf werden die Aktiven mit einem Glas Sekt empfangen und zum Frühstück verteilt Pius App eigenhändig die Alpine-Urkunden an die Finisher unter den Hotelgästen. In diesem Jahr sind es über 100 - die Schatzalp ist so etwas wie das Marathonhotel.

Starkes Läuferfeld

Nicht nur auf Breitensportler und Hobbyläufer hat der Swiss Alpine eine magische Wirkung. Wie jedes Jahr sind auch diesmal viele bekannte Läuferinnen und Läufer am Start. Eine gute Platzierung oder gar ein Sieg beim Swiss Alpine bringt Ruhm und Ehre und vielleicht bei dem einen oder anderen Lauf auch ein Startgeld ein. Jonas Buud zum Beispiel kannte vor seinem Sieg im letzten Jahr kaum ein Mensch. Jetzt ist nicht nur er, sondern auch der Swiss Alpine in seiner Heimat Schweden schon wesentlich bekannter. Den Veranstalter freut’s, die Teilnehmer aus Skandinavien nehmen deutlich zu.

Informationen: Davos X-Trails
Veranstalter-WebsiteE-MailFotodienst AlphafotoHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

Moritz Boschung ist ein echter Naturbursche und ein Phänomen.  Seine Arbeit als Senn auf der Stoss Alp ist sein Training, an Wettkämpfen nimmt er aus Zeitgründen ganz selten teil. Trotzdem war er  schon zweimal Zweiter beim K 78, ein Sieg ist sein Traum. Wenn alles klappt, will er dieses Jahr beim legendären Ultratrail du Mont Blanc starten.

Letztes Jahr sorgte der Triathlet Olivier Bernhard für Furore, als er sich für die Teilnahme am K 78 reaktivieren ließ und den vierten Platz belegte. Seine Rolle übernimmt jetzt Konrad von Allmen, Amateur-Weltmeister im Langdistanz-Triathlon und 6-facher Hawaii-Teilnehmer. Noch nie ist er eine Distanz über 42 Kilometer hinaus gelaufen und noch am Freitag war er sich nicht sicher, ob seine Anmeldung zum K 78 nicht ein Riesenfehler sei.

Auch Pius Hunold ist am Start. Unvergessen ist sein Sieg beim Bieler 100er im letzten Jahr, den er sich nur Sekunden vor dem Deutschen Dehaut sicherte.

Kein Star und trotzdem kein Unbekannter ist Felix Benz. In Davos macht er seinen 100. Marathon. In Deutschland, dem Land der Sammler und Jäger, ist das vielleicht nicht ganz so ungewöhnlich. In der kleineren Schweiz ist das schon anders. Ein weiterer Unterschied ist, dass man Felix weniger bei den Genuss- sondern eher bei den ambitionierten Läufern einordnen muss. Obwohl man ihn meist lächelnd sieht,  geht er ganz schön zur Sache. Seine Marathonbestzeit liegt bei 2:49 und den K 78 hat er schon in 7:21 absolviert. Nach seinem 100. will er mit seinen mitgereisten Vereinskameradinnen und –kameraden kräftig feiern.

Über Lizzy Hawker braucht man nicht viel zu erzählen, sie ist die erfolgreichste Bergläuferin der letzten Jahre wenn es um die langen Distanzen geht. Wo sie startet, will sie gewinnen - meistens gelingt es ihr auch und zwar in Rekordzeit.  Den K 78 gewann sie 2006 und 2007, dieses Jahr wird es allerdings keine leichte Sache für sie werden. Sie war verletzt und ist noch nicht in Bestform.

Die Davoserin Jasmin Nunige ist „gelernte“ Skilangläuferin, ihre großen Erfolge hat sie aber als Läuferin bei Bergmarathons errungen. Wenn sie von ihrem Sieg 2005 beim K 78 spricht, gerät sie noch heute ins Schwärmen. Ein Kindheitstraum ging damit in Erfüllung. Diesen Triumph zu wiederholen, ist ihr großes Ziel. Man spürt es, der Sieg beim diesjährigen Graubünden-Marathon gibt ihr Selbstvertrauen.

Am Start sind auch Monika Casiraghi aus Italien und die Hersbruckerin Maria Bak, die sich  2004 ein heißes Duell lieferten. Casiraghi führte bis vor Bergün, kam dann von der Strecke ab und Bak gewann. Es gab Proteste und Casiraghi wurde zur Siegerin erklärt. Nach erneuten Protesten, diesmal von der anderen Seite, erklärte man beide zeitgleich zu Siegerinnen.  Heute, ich nehme es vorweg, spielen sie im Rennverlauf keine Rolle.

Deborah Balz will ich nicht unerwähnt lassen. Erstens ist sie eine Vereinskameradin des Jubilars Felix Benz und zweitens mit ihrer wehenden Löwenmähne eine auffallende Erscheinung. Dieses Jahr hat sich bereits den Winterthur- und den  Montafon-Arlberg-Marathon gewonnen.

„Conquest of paradise“

Jetzt aber an die Startlinie. Im hinteren Feld sind auch kurz vor dem Start die Diskussionen wegen der um 10 Minuten verkürzten Durchgangszeiten in Filisur, Bergün und Keschhütte noch voll im Gange. Der Veranstalter hat dies zwar in der Ausschreibung vermerkt, aber ansonsten nicht ausdrücklich darauf hingewiesen. Was interessiert einen Stammläufer das Kleingedruckte? Mancher erfährt so erst jetzt davon und kommt ins Schwitzen noch vor dem ersten Schritt. Man versteht die Maßnahme nicht, weil das Zeitlimit das gleiche ist. „Schikane“ und das böse Wort „Selektion“ machen die Runde.


Dann ist es still. „Conquest of paradise“, Gänsehaut, Blicke in den Himmel, auf den Boden und zur Seite, die Hände zu Fäusten geballt, die Augen geschlossen. Der Startschuss, „Kommt gesund wieder“ als Abschiedsgruß und Applaus der vielen Zuschauer. Ich leide wie ein Hund und drücke unaufhörlich auf den Auslöser meiner Kamera. Wieder nur Zuschauer - und das bei einem meiner absoluten Lieblingsläufe. Wird mein Knochen niemals heil?

Auf dem Weg zum Pressebus erwische ich die Spitzengruppe auf ihrer Schleife durch Davos. Trotz des frühen Starts um 8.00 Uhr sind sehr viele Zuschauer an der Straße. Die Stimmung ist toll, die Bedingungen sind es auch: Es ist etwas bewölkt, aber nicht zu warm. Für den Nachmittag sind örtliche Gewitter vorhergesagt.

Als Außenstehender hat man den Blick für manche Dinge frei, die einem sonst so nicht auffallen. Da ist zum Beispiel die Bekleidung und die Ausrüstung der Teilnehmer. Es ist klar zu erkennen, hier sind „Profis“ am Start. Trotz der sommerlichen Temperaturen tragen viele ¾-Hosen und Langarm-Shirt, haben einen Rucksack dabei oder eine Jacke umgebunden. Fast alle lassen sich nach Bergün einen Kleiderbeutel bringen, um sich dort eventuell geänderten Bedingungen anzupassen. Von anderswo reklamiertem Leichtsinn keine Spur.

Wenn wir schon beim Thema sind: Natürlich beschäftigen die Ereignisse an der Zugspitze auch die Verantwortlichen in Davos. OK-Chef Andrea Tuffli bedauerte die Todesfälle und wies auf die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen hin, die es beim Swiss Alpine seit jeher  gibt und auf die Möglichkeiten, beim Swiss Alpine die Laufstrecken den Witterungsverhältnissen relativ kurzfristig anzupassen. Wenig Verständnis hatte Tuffli für die Kommentare branchenfremder Experten.

Von  Monstein nach Wiesen

Die abwechslungsreiche Strecke des Swiss Alpine habe ich eingangs schon gelobt. Erreicht man Monstein, wird spätestens klar, was damit gemeint ist. Wälder und Wiesen, rauf und runter wechseln sich ab. Plötzlich taucht hinter einem Wiesenhang noch weit entfernt ein Kirchlein auf, wie man es noch nie gesehen hat. Fast zeitgleich mit der Schatzalp wurde es 1897 im Jugendstil errichtet und St. Peter geweiht.


Erstaunlich, wie viele Menschen aus den paar Häusern kommen, um die Alpines zu begrüßen. 17 Kilometer sind sie bis Monstein gelaufen, vorne liegt nicht der Schwede, sondern ein Finne, Anssi Raittila. Moritz Boschung ist im Spitzenfeld und sogar der Triathlet Konrad von Allmen liegt vor Jonas Buud. Lizzy Hawker liegt eine Minute vor Jasmin Nunige. Aber das will noch lange nichts heißen.

Nur acht Kilometer weiter wartet ein neuer Höhepunkt auf die Läuferinnen und Läufer. Nachdem sie sich beim Bahnhof in Wiesen erfrischt haben, geht es den Bahngleisen entlang zum Wiesner Viadukt, einer kühnen, 88 Meter hohen und 210 Meter langen Eisenbrücke. Parallel zu den Gleisen ist mit Gitterrosten ein Steg errichtet. Jeder Schritt erzeugt Schwingungen. Mancher vermeidet krampfhaft einen Blick nach unten. Trotzdem wünscht sich jeder, dass er bei der Passage von einem Zug der Räthischen Bahn begleitet wird. Als Fotograf hat man es einfach, man wartet eben. Immer mehr Läufer kommen, aber kein Zug. Dann kommt er endlich, aber wo sind die Läufer? Keiner da. Erst als der Zug weg ist, kommt einer nach dem anderen. Pech gehabt.

Informationen: Davos X-Trails
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Filisur wird nach weiteren sechs Kilometern erreicht. Hier ist das Ziel für den K 31 und der Abzweig für den C 42 nach Mistall. Gleichzeit ist in Filisur die erste (verschärfte) Zeitkontrolle. Und da gibt es Ärger. In Davos sind mit den Läufern des K 78 auch die des K 31 und C 42 gestartet. Bis 2004 war das immer so, dann hat man sich als gemeinsames Ziel für alle Läufe  Davos ausgedacht und gleichzeitig die Strecke geändert. Jetzt hat man das wieder umgekehrt, die Streckenänderung aber beibehalten. Weil jetzt aber fast doppelt so viele Läufer auf der Strecke sind wie bisher, geht bei km 10 nichts mehr, außer Geschiebe, Gedränge und Geschimpfe. Den Läufern gehen wertvolle Minuten verloren. Das Dumme ist, die Kontrolleure in Filisur haben kein Verständnis für die Situation und nehmen jeden Läufer und Läuferin mit Zeitüberschreitung aus dem Rennen. Oder besser gesagt, sie wollen es tun. Manche erzwingen sich regelrecht die weitere Teilnahme. Im weiteren Verlauf in Bergün, Chants und auf der Keschhütte spielen sich ähnliche Szenen ab. Später erscheinen in einer eigens eingerichteten Ergebnisliste 175 Läuferinnen und Läufer als K 31 Finisher/K78 Teilnehmer. Und die sind allesamt stinksauer.

Aber, das will ich an dieser Stelle einfügen und vorweg nehmen, der Veranstalter reagiert schnell. Schon am Montag ist an die Betroffenen eine Email unterwegs mit der Entschuldigung und einem Freistart-Angebot für nächstes Jahr. T-Shirt und Medaille gibt es obendrein. Die Änderung der Durchgangszeiten wird rückgängig gemacht und an einem Plan zur Verhinderung des Staus wird gearbeitet. Damit kann man leben, die Verärgerung über den verkorksten Lauf wird irgendwann verrauchen…

Von Bergrün zur Keschhütte

Auf der Fahrt nach Bergün und sehen wir unten im Tal die Läufer. Ich kann mich an den Weg genau erinnern. Er führt meist entlang dem Flüsschen Albula, bis Bellaluna gibt es kaum Steigungen. Dann geht steil hoch zur Fahrstraße. Hier warten wir auf die Läufer. Die ersten Männer sind schon durch, es hat sich nichts Wesentliches geändert. Nur Lizzy Hawker macht einen ungewohnt angestrengten Eindruck, leichtfüßig dagegen Jasmin Nunige, die den Abstand verkürzen kann. Auf dem Weg zur Keschhütte wird wohl eine Entscheidung fallen.


Für mich heißt es anschnallen, denn ich nehme ab hier den Heli. Mein erster Hubschrauberflug. Mulmig ist mir nicht, Pilot, Helfer und Fluggerät sind absolut vertrauenswürdig. Für seinen Flug weicht der Pilot möglichst von der Laufstrecke ab, um die Läufer nicht zu stören. Der Blick auf die Berge ist aus dieser Perspektive noch imposanter. Leider gelingt mir vom engen Rücksitz kein vorzeigbares Foto. Dazu müsste man vorne sitzen. Den Platz hat aber Kollegin Andrea bekommen. Ihr Dekollete, wenn ihr wisst, was ich meine …

Ein paar Minuten dauert der Flug nur, dann landen wir hinter der Keschhütte. Obwohl noch kein Läufer weit und breit sichtbar ist, herrscht emsiges Treiben. Die Verpflegungsstelle wird komplettiert, die Zeitmatten getestet, die Jazzband stimmt die Instrumente und permanent treffen Wanderer aus dem Tal ein, die das Spektakel Swiss Alpine hier oben miterleben wollen. Die Fotografen und die Kameramänner des SF, alle nicht das erste Mal dabei, verteilen sich. Ich habe den Eindruck, jeder hat so sein bevorzugtes Plätzchen. Motive gibt es genug: die Hütte inmitten der imposanten Berg- und Gletscherwelt, Pflanzen, Bäche, Tümpel – jetzt müssen noch die Läufer kommen. Jeder Wanderer, der sich schnell vorwärts bewegt, wird gemeldet: „Er kommt!“ „Wer?“ „Der erste Läufer!“ Bis man dann wenig später den Rucksack erkennt.

Dann aber, blaues Shirt, weiße Mütze, das muss er sein. Wer? „Der Schwede!“ Es stimmt, es ist Jonas Buud. Er hat wieder alle hinter sich gelassen. Relativ locker kommt er angetrabt. Das letzte Stück zur Hütte nimmt er in langen Schritten, lächelt nach links und rechts, erfrischt sich kurz und stürzt sich hinunter in Richtung Panoramatrail. Dann die Sensation, nur zwei Minuten später kommt schon Konrad von Allmen, der Triathlet. Er ist schon jetzt so weit gelaufen, wie niemals zuvor in seinem Leben – 53 km. Aber man sieht es ihm an, er muss kämpfen. René Fuchser kommt als Dritter, Moritz Boschung als Vierter an die Hütte. Wenig später verletzt sich Boschung und muss raus. Bis zum Ziel ändert sich dann nichts mehr, Buud gewinnt vor von Allmen und Fuchser.

Die Spannung steigt, wer ist die erste Frau, die nach oben kommt: Lizzy oder Jasmin? Ganz vorne auf einem Felsblock sitzt ein Kollege mit einem Fernglas. „Da, ich sehe sie, Jasmin, es ist Jasmin!“ Wie ein Lauffeuer spricht es sich rum. Die Davoserin hat die Bergkönigin Lizzy Hawker am Berg geschlagen, sie kommt als Erste zur Keschhütte. Im Nu wird der Steilhang zur Tribüne. „Jasmin, Jasmin!“ brüllen die Menschen ihr entgegen. Und: „Bravo, du schaffst es.“ Jasmin Nunige sieht man die Anstrengung kaum an, aber sie ist sich ihres Sieges nicht sicher. Konzentriert ist sie bei der Sache. Sie weiß nicht, dass ihr Vorsprung gut 10 Minuten beträgt, sie weiß nur, Lizzy Hawker ist hinter ihr her. Aber der sieht man es an, es geht ihr nicht gut. Unterwegs hat sie sich übergeben, ein Betreuer ist bei ihr, redet auf sie ein. Ich würde hier Schluss machen, denke ich. Aber nicht Lizzy Hawker. Sie hält durch, kann aber Jasmin Nunige’s zweiten Triumph auf dem K 78 nicht mehr gefährden. Sie wird Zweite. Den dritten Platz belegt Deborah Balz, die Frau mit der Löwenmähne und den iPod-Stöpseln.

Sicherheit wird groß geschrieben

Die Läufer kommen jetzt in immer größeren Scharen. Bevor es über die Zeitmessmatte geht, werden sie vom Bergdoktor im Empfang genommen. Jedem Alpine schaut er in die Augen und spricht ihn an. Manchmal empfiehlt er eine kleine Pause, aus dem Rennen nimmt er keinen, soweit ich das mitbekomme. Aber einen guten Dienst tut der Mann da schon. Ich stelle mir vor, beim Zugspitzlauf hätte am SonnAlpin so ein verantwortungsbewusster Arzt gestanden – zwei Menschen würden noch leben. 

In der Hütte hat man sogar für  eine ärztliche Notversorgung einen Behandlungsraum eingerichtet. Drei Helis sind im Einsatz und können in Minutenschnelle bei der Keschhütte sein. Bei einem Gewitter oder anderen ungünstigen Witterungseinflüssen würde man den Panoramatrail sperren und die Läufer auf den tiefer liegenden Weg über die Alp Funtauna umleiten. Heute hat man dieses Problem nicht. Die Wolkenbildung sieht manchmal zwar recht dramatisch aus, die Einheimischen winken aber ab. „Es bleibt trocken,“ lautet ihre Prognose.

Die Alpines genießen die Erfrischungen an der Verpflegungsstelle und die Jazzmusik. Mancher wagt gar ein Tänzchen. Entspannt geht es in diesem Bereich des Feldes zu. Mit dem Sieg hat man nichts zu tun und mit dem Zeitlimit auch nichts. Also lasst uns den Tag genießen.

Einen Moment überlege ich, ob ich zu Fuß die rund 7 Kilometer über den Panoramatrail zum Scalettapass gehen soll. Dann verwerfe ich den Gedanken. Ich will niemanden behindern. Ein paar Minuten später setzt mich der Heli dort ab.


Auch hier ist ein Arzt im Einsatz und checkt die Alpines im Schnelldurchgang. Außer einem Fall von Unterkühlung sehe ich keine Probleme. Die muss es allerdings geben, denn die Helis fliegen etliche Einsätze und mein Aufenthalt auf dem Pass dauert länger als geplant. Auch hier denke ich einen Moment an einen Fußmarsch hinunter nach Dürrboden. Aber so etwas will ich dann meinem geschundenen Schienbein doch noch nicht zumuten.

Zum Teil geht es sehr steil abwärts. Die Alpines sind müde, die Konzentration lässt nach, die Sturzgefahr nimmt zu. Ich bekomme manches aufgeschlagene Knie und manche blutende Hand zu sehen. Die Berge sind geschafft, aber die 13 Kilometer durch’s Dischmatal nach Davos wollen auch erst gelaufen sein. Kein Ende nimmt das Tal für den, der zuviel Kraft gelassen hat. Wer sie gut eingeteilt hat, kann hier viele Minuten und Plätze gutmachen.


Endlich Davos, endlich das Ziel. Den letzten Kilometer versüßen viele Zuschauer mit respektvollem Applaus,  Im Sportzentrum wird jeder Läufer und jede Läuferin angekündigt und beglückwünscht. Auch der Letzte wird gebührend gefeiert. Es ist wieder der schon erwähnte Pius App. Er hat sich für seinen Zieleinlauf sogar ein Lied wünschen dürfen: „Satisfaction“, die Rolling Stones. Der Mann ist mir sympathisch. 

Siegerlisten

K 78 Männer

1. Buud Jonas SWE Schweden  6:00:26
2. Von Allmen Konrad Olten  6:16:43
3. Fuchser René Dübendorf  6:19:11


K 78 Frauen

1. Nunige Jasmin Davos Platz 77:00:36
2. Hawker Elizabeth GBR 7:11:05
3. Balz Deborah Grub SG 7:31:25

K 42 Männer

1. Frei Max GER Freiburg 3:22:10
2. Van Rie Koen BEL Belgien 3:30:30
3. Strothmann Dirk GER Borgholzhausen  3:30:32


K 42 Frauen

1. Lehmann Diana GER Potsdam 4:04:34
2. Reiber Carolina Zürich  4:07:52
3. Meier Regula Chur  4:14:25

C 42 Männer

1. Ricklin Peter St. Gallen 2:57:57
2. Gschwend Peter Kloten 3:06:18
3. Jobin Michel Birmenstorf 3:07:02 


C 42 Frauen

1. Hebding Marion GER Mannheim  3:24:33
2. Zwahlen Edith Hünenberg  3:36:56
3. Küng Helena Glarus 3:39:31

Insgesamt gingen beim 23. Swiss Alpine Marathon 4.591 Teilnehmer aus 49 Nationen an den Start .

 

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