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Laufberichte

Dornröschen und die Grüne Fee

20.06.09

Le Défi ist das französische Pendant zum neudeutschen Wort Challenge. Welche Art der Herausforderung der Défi  International Val-de-Travers ist, kann der erfahrene Läufer mit angemessen viel Kilometern auf seinem Zähler daran  erkennen, dass für das erfolgreiche Beendigen zwei Qualifikationspunkte für den UTMB gutgeschrieben werden. 

Und wo liegt das Val-de-Travers und was gibt es dazu zu wissen? Da mein letzter Besuch in jener Gegend Jahre und der Erdkundeunterricht noch länger zurückliegt, versuche ich mich im Vorfeld darüber zu informieren. Den Blick von oben gibt es online, akribisch gesammelte und kompakt zusammengefasste Informationen hole ich mir im Geographischen Lexikon der Schweiz. Zugegeben, die demografischen Angaben in diesem hundertjährigen Werk sind ziemlich überholt. Geologisch gesehen sind hundert Jahre jedoch ein Wimpernschlag, weshalb ich die wichtigsten Angaben aus diesem sechsbändigen antiquarischen Fundstück zitiere.

Das Val de Travers (1049 vallis transversa) umfasst den ganzen SW.-Abschnitt des Kantons Neuenburg und erstreckt sich vom industriellen Dorf Noiraigue bis nach La Côte aux Fées und nach Les Verrières mit einer Breite von 3-4 km und auf eine Länge von 22km. Vom Neuenburger Weinland aus ist das Thal zugänglich auf der grossen Strasse von Neuenburg über Rochefort, die einst den starken Verkehr von und nach Frankreich vermittelte, und sodann auf dem malerischen Fussweg durch die Gorge de l’Areuese (…).

Ich fahre auf einer mittlerweile gut ausgebauten Straße zum Dreh- und Angelpunkt des Défi, dem modernen Sportzentrum von Couvet.

Couvet (…), im Zentrum des Val de Travers und an beiden Ufern der Areuse. Station der Linie Neuenburg-Pontarlier und der Regionalbahn Travers-Saint Sulpice. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen nach La Brévine. Die Bewohner treiben Landwirtschaft und Industrie; das soziale und geistige Leben des Ortes ist zu jeder Zeit ein sehr reges gewesen. (…) 1765 wohnte hier J.J. Rousseau, dem die Gemeinde das Ehrenbürgerrecht verlieh. Couvet ist die Heimat einer ganzen Reihe von um Kunst um Wissenschaft, Handel und Industrie verdienten Männern, von denen wir nur Emer de Vattel (1714-1767), den Verfasser des „Droit des gens“ (…)nennen. Urkundlich zum erstenmal 1291 als Covet erwähnt…

718 Jahre nach der erstmaligen Beurkundung (und damit gleich alt wie die Eidgenossenschaft) hole ich mir erst die Startunterlagen und damit die Berechtigung zur Teilnahme am Défi, dessen erfolgreichen Abschluss dann auch in einer Urkunde festgehalten werden soll.

Da der Start am Samstagmorgen schon um 07.15 Uhr erfolgt, ist es angenehm, dass die Startnummern am Vorabend bis 22.00Uhr ausgegeben werden.  Da mir nach einem Lauf der Sinn jeweils nach salzigem Junkfood steht, löse ich den Gutschein für die Pastaparty jetzt schon ein und habe damit nicht nur meinen Kohlehydratspeicher gefüllt, sondern auch lecker gegessen.

Das als Übernachtungsort vorgesehene Hotel will nichts von einer Zimmerreservation auf meinen Namen wissen (kein Wunder, wenn alle vom Veranstalter gebuchten Zimmer am falschen Tag eingetragen werden…) und verweist mich an die einzige Alternative vor Ort. Die Zeit scheint hier still gestanden zu haben, was das Haus und die Ausstattung betrifft; aber als „Backpacker Hotel“ vermarktet, würde niemand etwas anderes erwarten. Auf jeden Fall schlafe ich gut, abgesehen von Wadenkrämpfen, welche mich wecken und die ich nun wirklich nicht brauchen kann.

Völlig auf der Höhe der Zeit ist der Service, der den läuferischen Gästen in der Früh geboten wird. Bereits um 5.00 Uhr wird das Frühstück serviert!

Eine Stunde vor dem Start bin ich im Sportzentrum, wo sich noch einige Nachmelder einfinden. Es herrscht eine ruhige Stimmung, keine Spur von Rambazamba. Hier geht es um die Sache, nicht um die Show.

In der Garderobe werde ich angesprochen: „ Du bist auch überall dabei!“. „Schön wärs“, denke ich und grüße Adrian Schlatter, den OK-Präsident des nächstjährigen Marathons in Basel, der hier wieder Marathon-Selbsterfahrungen sammelt, in diesem Jahr auf der Ultra-Distanz.

Zwanzig Minuten vor dem Start ist die Leichtathletikanlage noch fast verwaist. Wären da nicht der Startbogen und ein paar Werbebanner, käme man nicht auf die Idee, dass hier schon bald der Startschuss zu einer Perle der Langdistanz-Landschaftsläufe fallen wird. Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich Läufer und Offizielle auf. Jerôme Challier und Petru Muntenasu, welche im vergangenen Jahr in dieser Reihenfolgeim ins Ziel kamen, sind da und viele andere, denen oder deren Ausrüstung man den Ultraläufer ansieht.

Kurz vor dem Start erscheint auch die Grüne Fee. Im Val de Travers liegt ihre Wiege, denn hier wurde schon im 18. Jahrhundert Absinth als Heilelixier hergestellt.  Aus den Apotheken heraus fand diese grüne Spirituose den Weg in die Wirtshäuser. Es kam, wie es kommen musste. Verschiedene Vorkommnisse machten aus der Fee eine Hexe und die Lobbyisten des Weinbaus und Gutmenschen leisteten ganze Arbeit. Nach einer Volksabstimmung wurde 1910 das Absinthverbot in der Schweizer Verfassung  verankert, wo es fast hundert Jahre verharrte, bis genügend wissenschaftliche Beweise vorlagen, dass die angebliche Gefährlichkeit nicht vom Thujon, einem Bestandteil des ätherischen Öls des Wermuts, sondern vom verwendeten minderwertigen Alkohol  herrührte.

Zusammen mit dem OK-Präsident schickt die solchermaßen rehabilitierte Dame die Ultras und die Marathonisti  auf die Strecke. Beide Felder sind gleich groß und anhand der Startnummer ist nicht ersichtlich, wer welche Strecke laufen will. Vielleicht ist es vorne im Feld anders, aber da wo ich mich eingereiht habe, sind alle mit einem ähnlich verhaltenen Tempo unterwegs. Die ersten zehn Kilometer sind – so habe ich es erwartet – flach.

 
 

Informationen: Swiss Canyon Trail
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