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Laufberichte

Vitaparcours 2.0

09.03.14

Die ersten Pfützen auf der folgenden Schotterpiste werden links und rechts umgegangen – die meisten darauf bedacht, sich nicht schmutzig zu machen, und dies im vollen Wissen, dass der Moment der nassen Wahrheit naht. Der kommt unmittelbar danach in Form eines langen Schlammgrabens. Von der grauen Brühe geht nicht unbedingt ein Wohlgeruch aus und der Matsch am Boden zieht mir beinah die Schuhe aus. Was denken die Leute auf der Tribüne am Rand dieses Tümpels? Was überwiegt? Die Schadenfreude über die Armen, welche mit einem Fuß stecken bleiben und das Gleichgewicht verlieren oder die Bewunderung für den Mut, sich auf sowas einzulassen?

Über die unzähligen nachfolgenden Baumstämme kann ich gerade so knapp auf dem Po drüberrutschen. Das Risiko, dass spätestens in der zweiten Runde der Hosenboden durch ist, nehme ich in Kauf. Hauptsache, mein Rücken wird geschont.

Eine Kerbe in einem hohen Hügel ist das mit ein paar Baumstammstufen gespickte Heartattack Valley. Ohne zu bestreiten, dass es da steil hoch geht, lasse ich diesen Namen als spielerische Übertreibung durchgehen. Auf der Kuppe oben drehe ich mich um und schaue dorthin, wo wir Bergziegen solche Steigungen mit rasselnden Herzklappen im Akkord bewältigen. Ein wunderschöner Ausblick und ein Hauch von Neid auf die, welche im Juli am Eiger Ultra Trail starten dürfen…

Nach dieser kleinen Strapaze und den mittlerweile fünf zurückgelegten Kilometern ist schon bald wieder eine Abkühlung fällig. Sie kommt beim Taucher-Hindernis in Form eines über einen Hohlweg gespannten Tarnnetzes, unter welchem es in geduckter Haltung durchs Wasser zu waten gilt. Dies ist nur der Auftakt zu den weiteren im Alltag als Widerwärtigkeiten erlebten Dingen. Hier und heute ist es einfach nur Fun. Da kann man die Schweizer Geschichte schon so umbiegen, dass aus der Schlacht bei Morgarten die Schlacht im Moorgarten wird. Feuchtgebiete könnte man es auch nennen. Die auch hier zahlreichen Zuschauer amüsieren sich köstlich, noch mehr Spaß haben aber eindeutig wir, die wir mittendrin dabei sind. Für ein paar Jungs gehört dazu auch eine Prise Schnupftabak, mit welcher das gefeiert wird.

Geröll und tiefe Senken erinnern an Berglauf-Abenteuer und lassen mich nach sieben Kilometern weiterhin wohlfühlen. Im Labyrinth gibt es keinerlei Klaustrophobie und Angst, sich zu verlaufen. Aber einfach geradeaus wäre zu einfach.

Eine weitere Barriere besteht wieder aus Schiffscontainern, welche mit Hilfe von Strohballen erklettert und wieder verlassen werden. Dann gibt es schon wieder Verpflegung, wie wir das von langen Läufen kennen.

Auch bei den schwarzen Löchern muss sich niemand davor fürchten, dass er für immer darin verschwindet. Schlimmstenfalls bleibt man darin stecken, denn sie bestehen aus Betonröhren, welche zu durchkriechen sind. Immer auf dem Bauch zu robben wäre zu einfach, deswegen sind dazwischen Strohballen aufgeschichtet. Noch lacht das Häschen, obwohl es sein Stummelschwänzchen irgendwo auf der Strecke verloren hat.

Wie ich den Namen des nächsten Hindernisses lese, beginnt es mich auf dem Kopf zu jucken: Das große Krabbeln. Hier geht es aber glücklicherweise nicht um die erste Schulwoche nach den großen Ferien mit Besuch der Laustante. Auf allen Vieren dürfen wir uns über die Bodenbeschaffenheit der Thuner Allmend informieren. Über uns ein Tarnnetz, in welchem sich des Häschens Stummelschwänzchen festhaken könnte – wenn es noch da wäre. Es ist sozusagen die Vorübung für das, was als nächstes kommt: Touch the ground. Zwischen Berühren und Küssen sind die Grenzen manchmal bekanntlich fließend. Immerhin muss man den Schweizern zugutehalten, dass sie keinen Viehhüter an das Gitter angeschlossen haben, unter welchem wir nun durchkriechen. (Da sind die Engländer beim Original gnadenlos und verteilen Elektroschocks, wenn der Hintern zu hoch gehalten wird.)

Hop on, hop off hat nichts mit Häschen zu tun. Es sind wieder Strohballenmauern, die den Rhythmus brechen, bevor wir in die Nähe des Start- und Zielbereichs kommen. Thun Underground wartet weder mit Abwasserkanälen noch Katzengräsern Ratten auf, doch es empfiehlt sich, den Kopf rechtzeitig einzuziehen und nicht zu frühzeitig wieder auszufahren. Kaum läuft man wieder hoch erhobenen Hauptes in Richtung Ziel, bremsen einen die „Wheels on fire“ ein. Zwischen Absperrgittern liegen Berge von Altreifen. Ich gestehe, dass ich mich stark an die Randzone halte, wo das Risiko, hängenzubleiben und damit heftige Bewegungen und Richtungsänderungen der Knochen, Knorpel, Bänder, Sehnen und Muskeln zu provozieren, gering ist.

In Anbetracht meiner Krankenakte schäme ich mich nicht, auf die Pussy Lane auszuweichen. Häschen würde das besser auch tun, denn in den Reifenbergen verliert der Hoppler nun auch seine Löffel und bemerkt es erst anfangs zweite Runde. Auf dem Weg zu der steht auf einer Anhöhe noch die „Glitschi“, zwei nebeneinander aufgestellte Containerwannen. Großgewachsene haben einen eklatanten Vorteil beim Erklimmen der Wannenwand. Das Wasser in der Wanne ist mittlerweile so gefärbt, dass nicht sicher ist, ob man vor dem Betreten nicht gar sauberer war. Wer mit zu viel Schwung über den hinteren Rand hechtet, legt auf der schmierigen Plastikplane eine unsanfte Landung hin und rutscht und flutscht im Eiltempo den Hang hinunter und kommt erst in der aufgeweichten Wiese zum Stillstand.

Ich nehme die zweite Runde in Angriff und höre, dass der Führende 100 Meter vor dem Ziel ist. Immerhin wurde ich nicht überrundet. Die sauberen Gestalten, die sich nun unter die Verschlammten gesellen, sind die Ablösung der Zweierteams. Können sie erahnen, was ihnen blüht?

Auf den zweiten neun Kilometer werden einige vollends vom Übermut ergriffen. Weil sie wissen, was sie nachher noch alles erwartet, leisten sie es sich, nicht nur durchs Schlammbad zu gehen, sondern nehmen dieses Hindernis mit einem Hechtsprung in Angriff. Mit der Folge für mich, dass ich eine Zuschauerin bitten muss, das Kameraobjektiv mit dem Pulloverärmel zu säubern.

Ich genieße die verbleibenden Kilometer inmitten dieser Spaßtruppe, bei schönstem Frühlingswetter, vor dem Heimat- und Heimwehgefühle hervorrufenden Panorama und bin froh, dass ich den Chefredakteur falsch verstanden habe. Der Survival Run hat Abwechslung in mein Programm als Laufreporter gebracht. Strecken unter der Marathondistanz sind mir sonst zu hektisch, hier trifft das nicht zu. Entspannt und im Wohlfühltempo komme ich nach dem Kletter-, Kriech-, Krabbel- und Plansch-Programm ins Ziel, wo mir der Wildschwein-Orden überreicht wird und ich meinen Durst mit dem Schweizer Sport-Softdrink (wer hat’s erfunden?) löschen kann.

Ich finde das Häschen wieder, das in der Zwischenzeit seine Ohren auch wieder gefunden hat – auf dem Kopf eines anderen Viechs…

Fürs Vorwaschprogramm gibt es hilfsbereite Freiwillige, denen es sichtlich Spaß macht, den Dreckspatzen mit dem Gartenschlauch wieder ein Antlitz zu verleihen. Da ich mich zur Schonung der Kamera so wenig wie möglich eingesaut habe, kann ich mir das ersparen und direkt zur Umkleide und dem Duschzelt mit den sehr heißen Duschen marschieren.

Heute Abend wird Frau Miele viel Arbeit haben. Einweichen, Vorwaschen, Intensivwaschen mit extra Wasser ist angesagt, damit man bei meinem nächsten Einsatz dem TRAILRUNNING.DE-Shirt nicht ansieht, dass ich mich mit der Jugend herumgesuhlt habe. Ich glaube aber nicht, dass es das erste und einzige Mal war. Unsere Jüngste – Ballerina mit Stil und Affinität zu individueller und exklusiver Bekleidung – hat bereits angekündigt, dass sie mich begleiten und mit mir im Moorgarten versumpfen will. Da staune ich nur – und freue mich.

 

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Hier gibt es Bericht und Bilder vom BraveheartBattle

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