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Laufberichte

Keine zweite Nacht

04.07.14

Ich tastete mich wackelig weiter durch die Nacht, steil hinunter zum Abzweig für die kurze Distanz am Totenkirchl bei km 29. Jetzt auf diese Strecke wechseln kam mir jedoch nicht in den Sinn. Ein bisschen Tee, etwas Schokolade und ein paar Erdnüsse aus meinem eigenen Vorrat. Der Magen gab nach und nach seinen Protest auf und langsam wurde mir wohler. Über der hügeligen Almenlandschaft war es stockdunkel. Dicke Wolken hingen tief, leichter Sprühregen sorgte für nasse Kleider. Stumpf trottete ich dahin. Meinem Hirn hatte ich verboten, über Zielzeiten nachzudenken. Es war eher wahrscheinlich, dass ich das Ziel diesmal nicht erreichen würde. Dann, ohne Vorwarnung, zwitscherte irgendwo ein Vogel und riss mich aus meiner Starre. Kurz darauf nahm ich das erste Tageslicht war. Ich bin keine begeisterte Nachtläuferin. Ich möchte sehen, wo ich herumlaufe. Und nun tat es mir sehr gut, diese schöne Berglandschaft erwachen zu sehen. Mit dem neuen Tag kam wieder Leben in meine Glieder.

Zum Teufel mit dem Ziel, dachte ich, genieße doch einfach, was du tust. Wie weit du damit kommst, wist du schon sehen. Diese befreienden Gedanken verleiten mir Flügel. Ich konnte wieder laufen, so wie ich das von mir gewohnt war. Nicht schnell, aber glücklich und frei auf steinigen Pfaden, steil hinauf und steil hinunter. Gegen 6:30 erreichte ich das Lazfonser Kreuz. Die Kirche neben dem Schutzhaus ist die höchste Wallfahrtskirche Europas. Ich war hungrig. Die Übelkeit war gänzlich verflogen. Es gab Rigatoni mit Bolognese. Das schmeckte so gut wie noch nie. Ich bekam einen heißen Kaffee mit viel Zucker.  Die Welt war wieder in Ordnung.

Das nächste Etappenziel war die Flaggerschartenhütte. Über saftige Weiden ging es in stetigem Auf und Ab dahin. Die Bergazaleen blühten und verströmten einen angenehmen Duft. Die Sonne über den grauen Wolken zog den Nebel aus den Tälern. Beim Tellerjoch querten wir die ersten, beim Briefing angekündigten Schneefelder. Die Landschaft wurde alpiner. Blockfelder mussten gequert werden. Die Steine waren nass und rutschig. Manche kippten weg, wenn man darauf stehen wollte. Nur mit höchster Konzentration blieb so etwas unfallfrei.

Ultratonis sind gesellige und gesprächige Menschen. Ab der Flaggerschartenhütte hatte ich Begleitung von Herrmann aus Bozen. Sollte das Tempo passen, beschlossen wir gemeinsam weiter zu laufen. War das Tempo unterschiedlich, wollten wir uns wieder trennen. Wir hielten es beide nicht für ratsam, bei einem solchen Lauf ein anderes Tempo zu laufen als das eigene. Bald nach der Hütte kam ein steiler Abstieg. Mit einer Drahtseilsicherung bei einer Kletterstelle und einem Fixseil über ein großes Schneefeld hinweg. Dann ging es erneut über hügelige Weiden zum Penser Joch.

Gegen 12:30 erreichten wir endlich das ersehnte Penser Joch. Ca 59 km, fast die Hälfte der Strecke. 14 Stunden 30 Minuten hatten wir bis hier her gebraucht. Das war ernüchternd. Ich erlaubte meinem Hirn, wieder über Zielzeiten nachzudenken. Hier wollte ich mich entscheiden: Laufe ich weiter, oder steige ich aus. Körperlich fühlte ich mich gut. Aber es war klar, das Ziel am Samstag vor 24 Uhr erreichen, war für mich unmöglich. Herrmann, Karl und Harald halfen mir beim Nachdenken. Jeder steuerte hilfreiche Modelle bei, wie und was ich nun tun könnte. Man glaubt gar nicht, wie viele Möglichkeiten wir zu jeder Zeit haben. Ein Mensch alleine ist viel zu starr in seinen Überlegungen. Er übersieht eventuell das Naheliegende.

 
 

Informationen: Südtirol Ultrarace
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