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Laufberichte

Wings for Life Worldrun

08.05.16 Special Event
 

Wer hat Angst vor'm Catcher Car?

 

Wings for Life Worldrun. Das klingt nach etwas Großem. Ist es auch. An 34 Orten in 33 Ländern auf allen Kontinenten startet 2016 zum dritten Mal zeitgleich ein Lauf der Superlative, einmalig in seinen Dimensionen wie auch in seinem Charakter. Mit dabei sind Städte wie etwa Guadalajara (Mexiko) und Takashima (Japan), Stavanger (Norwegen) und Pretoria (Südafrika). Die Parallelität führt dazu, dass der Startschuss in Santa Clarita (USA) um 4:00 Uhr morgens, in Melbourne (Australien) um 21:00 Uhr abends fällt, in Mailand (Italien) um 13:00 Uhr. Wohl dem, der Europäer ist. Und von diesem Kontinent stammt auch das Gros der Startorte wie der Teilnehmer.

Über 130.000 aus 179 Ländern sind es, die sich 2016 weltweit angemeldet haben, und ein weltumspannendes Lauf-Happening feiern. Allein das ist schon schwer fassbar. Eine enorme Logistik, personell und materiell, ist da nötig. Und jemand, der auch finanziell das Potenzial hat, dies zu stemmen. So wundert es eigentlich nicht, dass die Veranstaltung von einem der großen Namen in der Eventsportszene „beflügelt“ wird: Red Bull. Dem sonst nicht unbedingt für Zurückhaltung in der Eigenwerbung bekannten „Brausemischer“ ist allerdings zugute zu halten, dass er sich hier nicht in den Vordergrund drängt, sondern dem eigentlichen Anliegen den Vortritt lässt.

Womit ich schon wieder beim Namen des Laufs bin, der symbolhaft die Motivation der Veranstaltung widerspiegelt: 100 % der Gelder fließen an die gemeinnützige Stiftung Wings for Life, die wiederum Forschungsprojekte zur Heilung von Rückenmarksverletzungen unterstützt. Credo: Diejenigen, die laufen können, laufen für diejenigen, die es nicht können und aufgrund einer Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzen.

 

 

Einmalig ist auch das Konzept des Laufs im Übrigen: Es gibt einen gemeinsamen Start, aber keine gemeinsame Ziellinie. Das Ziel ist für jeden Einzelnen dann erreicht, wenn ihn das sogenannte "Catcher Car" überholt, ein Fahrzeug, das elektronisch die Zeit des jeweils Überholten erfasst. Sieger ist derjenige, der weltweit als letzter übrig bleibt. Konkret läuft das überall in gleicher Weise wie folgt ab. Exakt eine halbe Stunde nach dem Start fährt von dort das Catcher Car mit einem konstanten Tempo von 15 km/h los. Nach sekundengenau einer Stunde erhöht er das Tempo auf 16 km/h, eine weitere Stunde später auf 17 km/h und danach in vorgegebenen Zeitabständen zunehmend weiter. Im Internet gibt es einen eigenen Rechner, mit dem man sich ausrechnen kann, bei welchem Tempo man wann eingeholt wird. Wer etwa einen 5er-Schnitt (12 km/h) läuft, wird nach 27 km überholt. Um die volle Marathondistanz zurückzulegen, muss man in der Lage sein, diesen in 3:08 Stunden zu bewältigen. In der Praxis schaut das dann so aus, dass die Ersten bereits nach 3,5 km eingefangen werden, der Sieger erst nach über 80 km.

 

Startort München

 

München hat die Ehre, den deutschen Startort in diesem globalen Rennen zu repräsentieren. Im letzten Jahr war Deutschland gar doppelt vertreten. Darmstadt ist 2016 aber nicht mehr dabei. Dafür sind es nun die USA, wo an Ost- und Westküste, konkret im floridianischen Sunrise und im kalifornischen Santa Clarita, ein Rennen ausgetragen wird. 

 

 

Das Münchner Herz schlägt, wie so oft bei sportlichen Großveranstaltungen, im Olympiagelände. Wer den Münchener Marathon kennt, wird so manches Deja vu erleben. Mehr noch als beim Marathon ist allerdings das Olympiastadion Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Im Umlauf oberhalb der Tribünen finde ich alles, was vor dem Start wichtig ist: Startnummernausgabe, Gepäckdepot - und Erdingers immer willkommene Weißbierquelle, im Moment allerdings noch im „Stand-By-Modus“. Die neongelben Teilnehmershirts sorgen für fröhlich-frische Frühlingsoptik. Die längste Warteschlange finde ich ausnahmsweise einmal nicht vor den Toiletten, sondern am Promotion-Stand von Gerolsteiner. Kein Wunder, hat man doch die einmalige Gelegenheit, sich mit den putzigen „Hahner-Twins“, Deutschlands schnellsten Marathon-Mädels, ablichten zu lassen.

Gestartet wird auf dem Coubertinplatz, der zentralen Freifläche des Olympiaparks, inmitten jener einmaligen Kulisse, die uns die Olympischen Spiele von 1972 beschert haben. Um uns herum schwingen sich die transparenten Dächer der zentralen olympischen Stätten -  des Stadions, der großen Halle und des Schwimmbades - durch die Lüfte. Gen Süden überragt üppig grün der Olympiaberg die Szenerie. Dessen sanft geschwungene Form setzt sich in dem zu seinen Füßen dümpelnden Olympiasee fort. Auch heute noch ist der Olympiapark für mich ein Beispiel perfekter Harmonie von Natur und Architektur.

 

 

8.000 Starter sind es in München, die sich vom Catcher Car jagen lassen wollen, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Schon Wochen vor dem Start heißt es im Internet „sorry - sold out“, da das Starterlimit erreicht ist. Damit gehört München zu den Großen unter den Startorten, wobei selbst an so exotisch klingenden Orten wie dem taiwanesischen Yilan oder dem georgischen Kakheti jeweils 6.000 für den Start gemeldet sind. Der Teilnehmerprimus Wien spielt mit fast 14.000 gemeldeten Teilnehmern allerdings noch einmal in einer anderen Liga.

Schon eine Dreiviertelstunde vor dem Start sammeln sich die Läufer im Startkanal. Kein Wunder: Die konzeptbedingte Bruttozeitnahme, also die Zeitmessung direkt ab Startschuss, bedingt, dass die vorderen Plätze besonders gegehrt sind, wenngleich aufgrund der bei der Anmeldung angegebenen Bestzeit eine Vorsortierung in Startblöcken stattfindet. Im zweiten Block „orange“ (Zielzeit Marathon 3:00 bis 4:00) stehe ich dabei noch relativ weit vorne. Die Sonne brennt vom Himmel, kein Lüftlein weht – das wird heute eine heiße Sache.

 

Quer durch den Olympiapark

 

Vom Startschuss höre ich nicht viel. Doch sekundengenau um 13 Uhr heißt es „Leinen los“ und die Meute erobert im kollektiven Galopp die Piste. Jeder versucht so schnell wie möglich über die Startlinie zu kommen. So ungefähr stelle ich es mir vor, wenn Primark in München einen Shop eröffnen und am Eröffnungstag mit Sonderangeboten werben würde …. Hier zeigt sich eben auch das Dilemma des Zeitmessmodus: Wer weiter hinten steht, kann schon jetzt ein paar Minuten für das Warten abschreiben. Und das Catcher Car kennt kein Erbarmen.

Gen Süden verlassen wir den Coubertinplatz und umkurven oberhalb des Olympiasees das Olympiastadion. Mit Speed hastet der Läuferlindwurm an dieser schönen Kulisse vorbei.

 

 

Keine dreihundert Meter weiter verengt sich der zunächst recht breite Parcours in einer Kurve unvermittelt wie in einem Flaschenhals. Der von mir befürchtete Läuferstau bleibt jedoch aus. Was tut ein Läufer, wenn er nicht durch den Streckenhals passt? Richtig: Er sucht sich einen anderen Weg. Und so ist die Wiese neben dem Weg auf einmal ein begehrtes Ausweichterrain. Unterhalb des Stadions führt der Weg vorbei an der Parkharfe zum einstigen Olympische Radstadion bzw. „in memoriam“ der Stelle, wo es einst stand. Da, wo nur ein riesiges Loch im Boden klafft, soll bis 2018 eine neue Basketball- und Eishockeyarena entstehen. 

Es folgt eine Schleife durch das benachbarte ehemalige Gelände der Luitpold-Kaserne, das heute teils als Bundeswehr-Dienstleistungszentrum genutzt, teils mit Wohnsiedlungen überbaut ist. Nicht wirklich spannend ist das, aber zumindest entspannend und den Läuferschwarm auflockernd. Im Schatten hoher Bäume nähern wir uns via Willi-Gebhardt-Ufer dem Olympiagelände wieder an. Weiter dem sich durch die hügeligen Grünanlagen des Olympiaparks windenden Spirdon-Louis-Ring und sodann der Ackermannstraße folgend bewegen uns auf dem Start- und Schlusskilometer des München Marathon.

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