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Laufberichte

Vasaloppet 90

18.08.17 Special Event
 

Visa Nummernlappen!

 

Man lernt ja nie aus. Nummernlappen - so heißen hier die Startnummern. Hört sich ja ganz knuffig an. „Hier“ bedeutet Schweden. Man läuft nicht nur hochbegeistert, sondern auch schnell, richtig schnell. Und das auf einer historischen- quasi heiligen - Strecke! Und auch noch im Sommer. Noch mehr allerdings im Winter. Hier findet  das größte Outdoor-Sportevent Skandinaviens statt, wer hier gewinnt, wird Nationalheld! Und das bereits seit 1922.

Man stelle sich einmal vor: im März (a...kalt!) flitzen 16-18.000 Skilangläufer 90 km übers Fjäll. Unglaublich, aber wahr. Und seit 2014 machen die Läufer im August das auch. Vor zwei Jahren traf ich beim UTMB auf einen Werbestand der Schweden, damit war die Sehnsucht geweckt. 90 km übers Fjäll. Die Fotos - ein Traum. Sonne, blauer Himmel, weiße Wolken, bunte Ultras. Und dann die Weite...

Der Entdecker der Strecke, Gustav Eriksson, wurde gleich zum König der Schweden ernannt.  Gustav Wasa war Gründer einer Dynastie, die von 1521 bis 1654 Bestand hatte. Tragisch aber seine Beweggründe: Gustav floh nach dem Stockholmer Blutbad als einer der wenigen überlebenden schwedischen Adligen vor den dänischen Verfolgern nach Nordwesten. Im Ort Mora suchte er Hilfe, die Einwohner aber wollten erst mehr Fakten sehen. Da sich die Verfolger aber schon näherten, flüchtete er weiter. Mit den Verfolgern kamen aber auch die Fakten nach Mora. Und ein Umdenken bei den Einwohnern setzte ein: zwei schnelle Skiläufer holten Gustav bei Sälen ein, versicherten ihm die Unterstützung des  hiesigen Volkes bei der Vertreibung der Dänen und brachten ihn die 90 km zurück. Der Vasaloppet war geboren.

Es dauerte aber 400 Jahre, bis die ersten hundert Schweden mit Skiern im März 1922 den Lauf wiederholten, seither mit wachsender Begeisterung. Der wohl berühmteste Sieger war Mora-Nisse Karlsson, der gleich 9mal, davon 7mal hintereinander, den Sieg davontrug. Eine echte Legende.

 

 

Für 2017 ist alles ausgebucht, seit Monaten schon. Wie beim UTMB in Frankreich, ist hier eine richtige Großorga entstanden, mit Rückhalt im Ort, im Land, in der Nation. Fest installierte Bauwerke, das Museum (Eintritt frei) inklusive, zeigen das deutlich. Letzte Woche flitzten hier etwa 13000 Mountainbiker über die Strecke, die Siegerlisten (2h40min) hängen noch...

Lässig und unaufgeregt schließen sie hier die letzten Vorbereitungen ab. Alles ist beschildert. Zäune stehen, km-Tafeln sind gesetzt. Laufschuhe überall. Mit prima Trailprofil übrigens. An der Farbe des dropbags erkennt man die Strecke: orange für 90, blau für 45 km. Aufkleber wie beim Einchecken am Flugplatz. Hier sind Profis am Werk.

Mora selbst ist nicht so groß, hat aber alles zu bieten, auch viele schöne Ecken. Lecker essen kann man auch und ist nicht wesentlich teurer als bei uns. Also kein Stress für die Staatskasse. Große Areale stehen für die WoMos bereit, freies Parken, hat man doch gerne!

 

 

19.8., 02:00.

 

Aufstehen. Alles klarmachen. Nix vergessen? Busticket dabei ? Dropbag gepackt? Wie wird das Wetter? Es hat ja gestern bis Mittag geschüttet wie aus Kübeln - nun sind keine Wolken zu sehen. Abmarsch zum Bus. Die Fahrzeit zum Startplatz beträgt über eine Stunde. Zeit genug für ein Powernap, ein Frühstück. Zu sehen gibt es nichts. Alles ist schwarz. Es kommt, was kommen muss: Regen. Am Ziel schaffen wir es so gerade ins Riesenzelt, dann schüttet es. Egal, wir schaffen das - oder etwa nicht? Mit ein, zwei Tassen Kaffee (jawohl) breitet sich wohlige Wärme in mir aus, alles andere ist nur noch halb so wild...

Die Gedanken drehen sich im Kreis. Langarm, Kurzarm, Regenjacke, gar nix? Bei den Schweden gar kein Problem: bei 11° sei der Regen eigentlich ja ganz warm,  nass schwitzen tun wir uns sowieso, also kurz-kurz und ab. Wird schon. Man kann ja auch mal schneller laufen, dann dauerts eben nicht so lange. Klar, dass ich alles anders mache. Kurzarm, drüber Langarm, drüber Regenjacke. Dann hört der Regen auf. Also wieder umkramen. Pünktlich der Start. Die schwarze Finsternis ist vorbei, es wird schlagartig hell. Auf 3 von gesamt 6 Asphalt-km traben wir bergan. 150 hm auf 4 km verteilt, dann wird‘s flacher. Viele gehen schon, die Elite ist schon weit, weit weg.

 

 

Oben Wechsel auf Schotter. Alles easy. So allmählich treten auch die Konturen der Gegend hervor, die Nadelbäume, das Moos, ab und zu ein See. Und nach etwa 5 km ist alles vollkommen still. Leises Knirschen der Laufschuhe ist alles, was man noch hört. Der Tag fängt gut an.

Wasser und Iso gibt es alle 3-5 km, die größeren VP bieten dann volles Programm, Kaltes und Warmes je nach Gusto. Blaubeersuppe, Bouillon, Pfannkuchen, Brote, Kaffee (jawohl, ihr deutschen Orgas, nehmt euch mal ein Beispiel), Kekse, Obst... alles vorher im Folder genau beschrieben. Cola gibt‘s nur zweimal. Ist eben so und geht auch so. Hier mein Tip: jedesmal ausgiebig stärken!

Ach ja- cutoff-Zeiten gibts auch. Auf der Startnummer, unten, auf dem Kopf stehend, so kann man das umklappen und lesen, stehts: Entfernung, Höhenprofil, VP und Wasserstation und eben die cutoff-Zeit. Kann mal knapp werden. Also nicht trödeln, los.

Ab hier beginnt das Schönste: ein Trail übers Fjäll. Mindestens 18, gefühlt mehr als 36 km. Technisch einfach, wäre da nicht der Regen. Erst zögerlich, dann aber richtig gehts zur Sache. Ich habe immer gedacht, der Sommermonsun sei was Tropisches. Haben die hier aber auch und zwar so reichlich, dass das Wasser gar nicht abfließt. Aus Walderde wird Schlamm,  soschön breiig, igitt. Pfützen breit wie die Wege und Pfade und von unergründlicher Tiefe. Die Fußabdrücke werden immer tiefer, da, wo jemand ausgerutscht ist, sieht man schön die Sauerei. Aber der Regen spült alles ab, bis zum Ziel sind alle wieder sauber. Problem nur: ab hier gibts keine Fotos mehr. Mütze tief in die Stirn gedrückt, Kapuze fest zu. Auf die Zähne beißen und durch.

Die Wasserstände machen kaum Umsatz, Durst kriegt man so nicht. Aber an den VP gehts dann rund. So etwa 500 m vorher ein Schild: Visa Nummernlappen. Gilt für die Staffeln und Quartettläufer, damit der Nächste sich schon mal aufstellt und den Staffelstab übernimmt. Die Ultras werden beiseite geführt, sonst verwirren die bloß alles. Auch die Ansager konzentrieren sich voll auf die Wechsel.

Evertsberg, die Hälfte ist geschafft. Assoziationen zur Ebertswiese: halbe Strecke, großer Bahnhof, volles Programm. Wie beim Rennsteig. Bis hier war alles fast nur Trail, ewig berghoch und -runter, im Matsch und auf glitschigen Bohlenwegen. Jeder Schritt abenteuerlich: brezel ich nun hin oder kann ich mich halten? Ganz klar, dass der VP am höchsten Punkt des Ortes steht. Trotzdem versinkt alles im Wasser: vor dem Kaffeebottich ist es 5 cm tief, bei der Suppe 3, überall sonst 2 cm, auch an den Sitzbänken, wo man sich aus den dropbags was Trockenes anziehen möchte. Meine dicke Hokasohle ist nicht dick genug: wo ich hintrete, läuft das Wasser von oben rein. So kommt man schnell wieder ans Laufen...

Hier startet auch die 45 km -Strecke. Ab jetzt laufen wir auf Waldwegen/Schotter, die restlichen 3 km auf Asphalt. Kein Trail mehr. Ab hier drehen die cracks dann auf, aber richtig. Während ich mich noch zur Strecke fertigmache, steht der Sieger schon unter der Dusche. Widerlicher Gedanke: der futtert zu Mittag, schläft 2-3 Stündchen und lässt sich dann ab 20:00 bei der Siegerehrung feiern während ich...naja. Es sei ihm ( und den anderen ) ja gegönnt. In 6 Stunden 90 km, bei dem Untergrund, dem Regen, alle Achtung! Die können was!

Trotz Pause bin ich jetzt platt. Aber erstmal bergab, nur bergab. Ein ganz eigener Rhythmus entsteht dabei. Langsam zwar, aber dann konstant drehe ich auf. Jaja, nur ein bisschen, aber ich kriege das jetzt hin. Kräftemäßig ist das klar. Finishen- das steht fest. Und hat der Kopf es erstmal begriffen, zieht der Rest nach. Umgeben bin ich nun von den Gleichstarken/schnellen. Gespräche auf Englisch, denn die Geheimnisse der schwedischen Sprache hebe ich mir für später auf. So manch ein guter Wunsch, manch ein Heiterkeitsausbruch entsteht so. Sehr angenehm: der Regen lässt nach,  hört ab und zu ganz auf. Aber immer wieder ein Schauer.

Wald, Wald und Wald. Moos am Boden, das hellgrüne Islandmoos. Riesige Pilze dazwischen. Aussichten weit über die Täler hinaus. Vor allem auf die finsteren Wolken über uns. Schnelle Winde treiben sie weiter. Je zivilisierter die Gegend, umso lauter wird es. Entlang einer Straße dann Krach und Feinstaub, schnell in den Wald zurück. Es gibt Bäche, zum Teil reguliert mit Holzwehren, unten stehen dann die Sommerhäuser. Immer mehr Leute erscheinen, wenn es trocken ist. Ein Pärchen erkenne ich wieder, schon zum 3. Mal sehen wir uns, und sie sind immer noch hochbegeistert.

Von hinten laufen sehr schnelle Stafettenläufer auf.10 teilen sich die Gesamtstrecke.  Total sauber und trocken. Der Unterschied könnte nicht größer sein. Sie murmeln gutes Gelingen oder sowas und sind verschwunden. Auch Teenies sind dabei. Immerhin: das läuft noch, also kann ich gar nicht soo lahm sein...kleiner Trost, auch wenn ich 4 Stunden Vorsprung hatte.

Kurz vor Eldris, dem letzten VP, gibt es sandige Hügel. Kräftig aufwärts in trockenem, warmem Wald. Sehr angenehm - wäre da nicht dieser Schmerz im Fuß. Anhalten, Kontrolle. Tja, eine Blase. Bei nassen Füßen und Socken eigentlich nicht verwunderlich. Versorgen und weiter. Geht ja. Aber ohne das Erste Hilfe-Pack hätte es blöd ausgesehen...also merket auf wenn ihr Rucksackträger seht und lacht nicht, da ist nur Nützliches drin...

Auf den km-Tafeln werden die Zahlen immer kleiner. Noch 9, 8,7... fast alle gehen, nur die Stafetten flitzen noch. Körnchen sparen fürs Ziel heißt das. Noch 2km,  der Campingplatz fängt an. An der Sporthalle mit den Duschen vorbei. Noch 1 km. Die Brücke über die Straße, 4 m hoch. Dann der Bach, das steile Ufer, nochmal 4 m. Und 700 m Straße. Am Kreisverkehr drehe ich zum Schlussspurt auf. Noch 250 m richtig flitzen. Rasender Beifall empfängt mich, genau so wollte ich‘s haben...

Sie hängen mir eine Medaille um, es gibt ein Finishershirt und geradeaus im Zelt gut zu essen.

Ein Duschbus bringt uns zum Waschen. Endlich wieder sauber und trocken. A day out worth talking about.

 

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Fazit

Ein Großereignis, alles ist XXL. Präzise und perfekt organisiert von erfahrenen und eingespielten Teams. Radio und Fernsehen sind bei diesem nationalen Ereignis dabei, auch jetzt im Sommer. Ganz Schweden schaut hierher. Eine Landschaft, die einen umhaut und einem alles abverlangt, wirklich alles. Aber auch ein einmalig schönes Lauferlebnis zurückgibt.

Sollte also mal ein  Läufer im August in der Gegend sein, wäre es kein Fehler, den Urlaub mal kurz zu unterbrechen...

 

 

 

 


 
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