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Laufberichte

Tallinn Marathon: Liina, Leila und Lila sorgen für Stimmung

11.09.16 Special Event
 

Die Teilnahme am Marathon in der estnischen Hauptstadt Tallinn habe ich mir für heuer vorgenommen. Für Vilnius, wo auch am zweiten Sonntag im September  gelaufen wird, entschied ich mich letztes Jahr. Am 14. Mai 2017 plane ich in Riga anzutreten, um meine Baltikum-Sammlung  zu vervollständigen.

 

Anreise

 

Auf unseren Kreuzfahrten in die Ostsee um die Jahrtausendwende legten die Schiffe stets in Tallinn einen Tagesstopp ein. Daher kenne ich die aufwendig renovierte Altstadt mit ihren mittelalterlichen Gebäuden und den zahlreichen Sehenswürdigkeiten bereits. Doch seit dem EU-Beitritt Estlands im Jahre 2004 und der Übernahme des Euro als Zahlungsmittel  ab 2011 wurde in die Infrastruktur und den Tourismus viel Geld investiert – diesen Eindruck gewinnt der Neuankömmling wie ich mit der Tallink Silja-Line aus Helsinki.

In den internationalen Zeitungen liest man, dass besonders die Esten sehr besorgt um ihre Unabhängigkeit sind, seit  der Ausrufung der Republik im März 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. 1940 waren die drei baltischen Staaten ja kurzerhand von den Sowjets annektiert worden. Die  territoriale Besetzung der Krim durch die nun wieder imperialen Russen wird im Baltikum mit großer Sorge gesehen, Bürgerwehren sind entstanden.

Aber als Tourist merkt man die latente Angst vor allem bei der älteren Bevölkerung, die jahrzehntelang  in Unfreiheit lebte, nicht auf Anhieb. Es herrscht eher Aufbruchsstimmung, der Lebensstandard ist dank des Euro gestiegen, natürlich auch die Preise. Das Schiffsterminal wurde ausgebaut, mehrmals täglich verkehren Fährschiffe nach Helsinki. Die Überfahrt dauert ca. 2 Stunden. Ebenso laufen Kreuzfahrtschiffe vor allem in den Sommermonaten Tallinn an. Von allen größeren europäischen Städten kann man die ca. 420.000 Einwohner zählende Stadt  an der Ostsee, deren einstiger deutscher Name Reval war, direkt anfliegen.

Ich leiste mir ein Taxi für die drei Kilometer vom Hafen bis zum Park Inn by Radisson Central Tallinn – 105 Euro für die Nächtigung mit Frühstück ist wohl wegen des Marathons, der am 11.Sept. zum 7. Male stattfindet und heuer auch die estnischen Meisterschaften integriert, fast schon als günstig zu bezeichnen – so wie die 5 Euro exakt nach Taxameter für die kurze Fahrt.

 

 

 

Bei der Expo

 

Im Nu erhalte ich mein Startpaket: In einem Kuvert befindet sich die Startnummer mit befestigtem Chip auf der Rückseite, des Weiteren entnehme ich zwei Informationsbroschüren, eine kurgefasste auf Englisch sowie eine umfassende in Estnisch mit den Olympiamarathon-Drillingen von Rio, Liina, Leila und Lili, auf der Titelseite; ferner eine bereits beschriftete Klebeetikette für den ebenfalls beigelegten Kleidersack, falls man in beanspruchen will. Man empfiehlt mir, den Chip beim Computer auf seine Funktionalität zu testen. Ein Funktionsshirt in schwarz ist ebenfalls in der Startgebühr enthalten. Die mir zugeteilte Startnummer 1534 könnte ein Indiz für das morgige Ranking sein – ca. 2200 Läuferinnen und Läufer sind für den Marathon gemeldet. In einem Verkaufszelt bietet Nike die neuste Laufkollektion an, auch ein lokales Sporthaus zieht viele potente Käufer an, darunter zahlreiche Deutsche, wie man halt so heraushört.

Man kann getrost von einem Laufspektakel an diesem Wochenende sprechen, denn im Zeitraum von 9. bis 11. September werden zu bestimmten Zeiten Genuss- und Vorbereitungsläufe angeboten. Um 19 Uhr am Freitag ein 5 km-Bewerb, am Tag darauf ab 10 Uhr ein Lauf über 10 km, den auch Walker und Nordic Walker mit Stöcken bestreiten können. Die Hauptläufe sind dann für den Sonntag angesetzt: um 9 Uhr der Marathon, um 12 Uhr starten die Halbmarathonis auf der gleichen Strecke. Nur wer um die 3-Stunden den Marathon finisht, kann vielleicht den schnellsten Läufern über die 21,1 km noch entwischen.

Nachdem ich keine Country-Leute auch in der nahen Umgebung des Freiheitsplatzes erblicke, mache ich mich auf den Weg, die Altstadt von Tallinn zu erkunden. Das gesamteuropäische spätsommerliche Wetter bestimmt auch den Vorabend hier an der Ostsee – es hat angenehme 25 Grad gegen 18 Uhr. Morgen soll es zu Mittag noch wärmer werden. Gut, dass der Marathon schon um 9 Uhr beginnt und man bis zum höchsten Sonnenstand doch 25 bis 30 km bewältigen kann.

 

Stadtbummel

 

Mein Stadtbummel führt mich hinauf auf den Domberg (Toompea), vorbei am 38 m hohen Kanonenturm Kiek in de Kök aus dem späten 15. Jahrhundert – der Name bedeutet im Niederländischen so viel wie „ Schau in die Küche“ vom Turm aus,  vorbei am estnischen Parlament, dessen Fassade einen zartrosa Anstrich hat, direkt in die imposante, um 1900 errichtete Alexander Nevsky-Kathedrale mit ihren markanten Zwiebeltürmen, wo gerade eine russisch-orthodoxe Messe gelesen wird. Fotografieren ist hier im Innern ausdrücklich verboten.

Draußen wimmelt es von Touristen, alle drängen zur den beliebten Aussichtsplattformen Kohtu und Patkuli an der Nordseite des Dombergs. Von oben sieht man die Stadtmauer mit ihren Verteidigungstürmen und die Stadtteile Kalamaja und Pelgulinn. Über Stufen geht es hinunter in den unteren Stadtteil von Tallinn. Touristenzentren sind vor allem der Rathausplatz (Raekola plats) mit dem einzig in Nordeuropa erhaltenen, gotischen Rathaus. Auf der mittelalterlichen Befestigungsanlage mit 1,9 Kilometern Länge, die von der ursprünglichen Stadtmauer noch übrig sind und mehr als 20 Verteidigungstürme hat, war ich vor Jahren schon. Bei 3 Euro Eintritt kann man jeden Touristen einen Besuch nahelegen.

Ich setze mich am Rathausplatz ins Olde Estonia und bestelle mir ein Bier. Ein Elchbraten ohne Beilage ist mit fast 16 Euro nicht günstig, aber ab und zu sollte man sich eine Magenfreude gönnen.

 

Der Rennverlauf


Als ich das Hotel verlasse, weht ein leichtes Lüftchen. Wie bei jedem Marathon herrscht Minuten vor dem Start viel Gedränge – vor allem bei den Dixi-Klos stehen Schlangen. Plötzlich spüre ich, dass mir jemand eher sanft in den Hintern tritt – „den Spitz hast du dir verdient, wenn‘st bei uns einfach so vormarschierst!“ sagt lachend der Ernst Fink, der mit seiner Conny die österreichischen Farben hier wie ich vertritt – mehr als ein halbes Dutzend Landsleute sind nicht registriert. Wir plauschen ein wenig – Ernst hat für den Spätherbst, genau im November/Dezember, wieder eine attraktive Marathontour vor sich, die ihn in die Karibik und vielleicht auch nach Hawaii führen wird. Zur Vorbereitung könnte er meinen Bericht auf M4Y lesen, um sich auf Waikiki einzustimmen.

 

 

Ich nutze die verbleibenden knapp 10 Minuten für einige Schnappschüsse. Logistisch gesehen gehört es zum Job des M4Y-Reporters, sich auch mal nach vorne zu drängen und einem Profikollegen mit Teleobjektiv die Sicht zu verstellen. Doch bis auf einen Fotografen sehe ich vor der Absperrung hin zu den Spitzenläufern niemanden mit gezückter Kamera. Daher kann ich mir die Position aussuchen. Einer der Keniaten mit der Startnummer 2 blickt skeptisch nach rechts auf einen möglichen Gegner mit der Nummer 5, der mit seinen blonden Haaren und um zwei Köpfe größer vielleicht ein ernst zu nehmender Konkurrent ist. Aber ich kann mich ad hoc an keinen großen Marathon erinnern, wo ich dabei war, den nicht ein Farbiger gewonnen hätte. Auch die Helden vergangener Tage wie Zatopek oder Viren würden heutzutage schlecht aussehen.

Mehr Aufmerksamkeit als die Elite bekommen die drei estnischen Olympiastarterinnen beim Marathon in Rio – die 1985 geborenen Drillinge Liina, Leila und Lily Luik aus der Universitätsstadt Tartu. Sie tanzen zu flotter Musik auf einer 4 Meter hohen Tribüne für die Zuschauer. Die Qualifikationszeit für Rio hatten Liina und Lily Luik bereits 2015 erfüllt. Liina hatte bei den Weltmeisterschaften in Peking mit 2:39:42 Stunden einen persönlichen Rekord aufgestellt, Lily finishte in Valencia in 2:40:30 Stunden. Leila schaffte die estnische Olympianorm von 2:45 Stunden im April in Hamburg, wo sie mit Rang 16 nach 2:42:11 Stunden finishte. In Rio lief es dann nicht so gut: Lily gewann die familieninternen Luik-Meisterschaften als 97. vor Leila (114.), Liina gab vorzeitig auf. Ich halte den Auslöser gedrückt, nicht alle Tage bekommt man so attraktive Berühmtheiten vor die Linse.

Einige wundern sich, warum einer mit Startnummer ganz vorne, ein paar Meter von der Spitze außerhalb der Absperrung steht und knipst, wenn der Marathon schon begonnen hat. Das gehört einfach zur Logistik, nur so bekommt man die besten Bilder. Es sind an die 2000 Läuferinnen und Läufer am Start, genug Zeit für mich, über die Absperrung zu steigen und mich hinter der 4:15er- Gruppe einzuordnen.

 

 

Mein Ziel für heute ist klar definiert, nämlich nach dem strapaziösem Hitzemarathon am Balaton letzten Samstag hier auf Meeresniveau und einem flachen Kurs wieder unter 5 Stunden zu finishen. Die Strecke weist auf ca. 300 Metern gleich nach dem Start eine Steigung auf, die aber rasch endet – auf der Toompuiestee, die an der Altstadt vorbeiführt, kann man wieder Tempo machen. Der neue Kurs vermeidet das Kopfsteinpflaster und die ansteigenden engen Gassen der Altstadt, die Organisation hat den Marathon so schneller gemacht, Sightseeing kann man davor und danach betreiben.

Nach 2,5 km wartet schon die erste Versorgungsstelle von insgesamt 15 auf die Läufer. Mit Hans aus Finnland, auffallend wegen seiner roten kurzen Strandhose, dem orange-gelben Leibchen und dem grünen Bufftuch über den Kopf gestülpt, komme ich ins Gespräch. Ich frage ihn, ob sein 5:50 min/km-Tempo nicht zu schnell sein wird. Er meint, dass dies gut möglich sei, beim Stockholm-Marathon sei er so ausgeschieden, aber heute will er es durchziehen. Den smarten Typ muss ich ziehen lassen, mir sind nämlich 6 Minuten/km schon jetzt zu hoch. Doch vorerst bleibe ich dicht hinter der 4:15er-Gruppe.  

Dann schließt Ernst zu mir auf, wir plaudern ein wenig. Er sei seit 3 Monaten keinen Marathon gelaufen, dies primär aus zeitlichen Gründen, weil er beruflich viel zu tun habe. Er habe sich inzwischen mehr auf das Ländersammeln verlagert, doch im Herbst sind auch wieder einige Marathons in geografischer Nähe angedacht, wo er bisher noch nicht teilgenommen hat. Ernst gehört mit Hartmann Stampfer zu jenen Läufern, die nach Möglichkeit einen Marathon an einem bestimmten Ort nur einmal bestreiten. Ernst ist mein Tempo viel zu langsam, er überläuft auch die 4:15er-Gruppe.

Angenehm empfinde ich, dass endlich wieder einmal bei einem Marathon alle Straßen gesperrt sind, man braucht sich nicht zu sorgen, dass einem von hinten ein Auto zu nahe kommt. Der Marathonkurs verläuft nun weiter in Richtung Osten, vorbei an der Universität von Tallinn. Noch ist das Feld sehr dicht, als wir bei Kilometer 5 zur nächsten Labe kommen. Unter den Helfern sind zahlreiche Schüler, die laut „vesi, vesi“ schreien. Neben Wasser gibt es auch Iso, Salz, (geschwefelte) Rosinen, Zucker, Bananenstücke und Schwarzbrot. Ich bleibe vorerst nur beim vesi, das noch nicht zu warm ist.

Inzwischen hat sich der Kurs geteilt, ab Kilometer 5 geht auf einem Rad- und Spazierweg unweit des Meeres entlang mit Blick auf die Bucht weiter. Nun rückt Conny auf, offenbar lief sie schon die längste Zeit dicht hinter mir. Auch wir plaudern ein wenig. Zu unserer Rechten befindet sich die monumentale sowjetische Gedenkstätte Tallinn-Maarjamäe,  das größte Ehrenmal für die Rote Armee in Estland. Es wurde von den Sowjets in den 1950er Jahren errichtet und soll an die gefallenen Sowjetsoldaten des Zweiten Weltkriegs erinnern.

 

 

Ich schere nach 7 Kilometern kurz aus, als ich auf der gegenüberliegenden Straße das keniatische Spitzentrio erblicke. In den 30 Sekunden eilt Conny davon, der Abstand vergrößert sich, als ich auch noch einen kurzen Stopp einlege, um zu meiner Linken die Bucht mit einem einlaufenden Fährschiff zu knipsen. Als ich dann zur Labe komme, ist die Conny schon weg. Hier wird Icepower versprüht – und zwar auf die Beine. Es riecht nach Menthol, meine Augen brennen leicht.

Auf dem Streckenabschnitt zum Piritafluss, der beim Moor Pususoo entspringt, eine  Länge von 105 km hat und dabei ein Gefälle von 75 m zurücklegt, ein Einzugsgebiet von 799 km² aufweist und in die Tallinner Bucht und damit in den Finnischen Meerbusen mündet, kommt es zu intensiven Begegnungen der entgegenkommenden schnelleren Läufer mit der Nachhut. Wenn ich an die protzigen Jachten letzten Samstag in Balotonfüred denke, dann erscheinen mir die in der Piritabucht am Anker hängenden Miniboote wie Schinakl (in da östareichischn Umgaungsschbroch de Bezaichnung fia a wogligs Boot).

Knapp vor Kilometerpunkt 10 werden Gels ausgegeben, solange der Vorrat reicht. Doch der scheint riesig, denn man sieht Dutzende Kartons. Mit 64 Minuten für die 10 km liege ich bisher passabel in der Zeit, wenngleich die 4:15er-Pacemaker schon entschwunden sind und  die 4:30-Truppe schon dicht hinter mir ist. Vor der Wende bei Km 11 steigt der Kurs geringfügig an – es stört einem richtig, wenn ein bisher  – abgesehen vom Start – völlig flacher Streckenabschnitt plötzlich auf 200 bis 300 Metern nur um 10 Höhenmeter ansteigt. Das bremst richtig. Die Anfeuerung einiger Helferinnen bei den Laben, die „läheb-läheb“ rufen, übersetzt  „Auf geht’s“, beflügelt vielleicht den einen oder anderen.

Es geht nun in die Altstadt zurück, zu meiner Rechten kommen aber noch viele nach. Den 4:30ern werde ich auf den kommenden 10 Kilometern kaum entwischen können. Eigentlich ist es mir egal, ich fühle mich nicht schlecht, wenngleich ich die ganze Nacht wegen Lärms, verursacht von grölenden Trunkenbolden im Innenhof des Hotelkomplexes, nicht schlafen konnte.

Das Wetter ist von der Temperatur her gesehen um 10 Uhr 30 noch ideal, eigentlich herrschen beste Bedingungen. Wenn jemand auf diesen Marathon hin trainiert hat, dann sollte eine Bestzeit möglich sein. In meinem Umfeld erblicke ich niemand, der dazu die Power hätte. Der Kollege mit dem Trikot von Bayern München trabt ebenso wie jener im grün-gelben Shirt mit der viel versprechenden Rückenaufschrift „The legend is back“. Wir alle bewegen uns statt im Renntempo eher gemächlich zurück zum Freiheitsplatz.  

Bei Kilometer 15 weiche ich den Mentholspritzern wieder aus, andere wiederum lassen sich ihre Kompressionsstrümpfe mit Icepower durchnässen. Einige Läufer klatschen mit den von der Ergo- Mädchen in roter Hose mit gestreiftem lila Sweater mit Kapuze ab. Die fünf jungen Damen stehen auf einem 50 cm hohen und ebenso breitem Würfelpodium, ein kurzer Schritt nach hinten und sie fallen runter.

Bei Kilometer 19 befindet sich mein Hotel, einige Zuschauer haben sich hier versammelt. Bisher war allerdings das Interesse an diesem Marathon sehr gering. Nun geht es leicht ansteigend zurück zum Ausgangspunkt. Meine Garmin zeigt eine Halbzeit von 2:16 an.

Ich frage mich, wohin plötzlich de viele Läuferinnen und Läufer, die mit mir auf der 1. Runde unterwegs waren, gekommen sind. Vermutlich haben welche aufgegeben – möglichweise wird dies dann als Halbmarathon gewertet. Dafür kommt der Bayern München-Fan wieder nach, bei der 25 km-Anzeige liegen wir gleichauf. Das Feld ist nun wirklich überschaubar geworden, im letzten Drittel tut sich wenig. Bei der nächsten Labe (Teeninduspunkt auf Estnisch) gönne ich mir ein Powergel.

Es geht zum zweiten Male am Meer entlang, eine ideale Strecke für Jogger, die auch dafür genutzt wird, denn einige Freizeitläufer trainieren am parallel angelegten schmalen Radweg. Eigentlich wider Erwarten bin ich zeitlich etwas zurückgefallen, denn knapp vor 30 km kommen die superschnellen Halbmarathonläufer von hinten nach. Um 12 Uhr sind ein paar Tausend gestartet, von denen die Schnellsten unter 1:10 laufen und die breite Mehrheit unter 2 Stunden finishen wird. Bei Kilometer 32 kurz vor  der Wende erblicke ich nun zum zweiten Male Conny, die auf mich nun einen Kilometer Vorsprung hat. Der Versuch sie einholen zu wollen, wäre zu diesem Zeitpunkt vergeblich.

 

 

Stattdessen kämpfe ich nach der Wende zwischen Kilometer 32 und 33 mit den nachstürmenden Halbmarathonläufern, die man gut am grünen Querstreifen auf der Startnummer erkennen kann. Doch je mehr nachkommen, desto unklarer wird, wer überhaupt noch den Marathon läuft und wer die Halbdistanz vor Augen hat. Einige sogenannte Gegner rücken auf, andere bereits vor mir liegende hole ich wieder ein. Jetzt um 12 Uhr 45 ist es auch schon warm geworden, eine Kopfbedeckung wäre nützlich. Als der 5-Stunden-Pacer bei Kilometer 35 ganz alleine nachkommt, beginne ich zu rechnen. Für die verbleibenden 7 km sollten sich 57 Minuten gut ausgehen, um sub 5 Stunden zu finishen. Ich bleibe einige Zeitlang an ihm dran, aber der bullige Mann schüttelt auch mich ab.

Mehrmals fährt die Rettung vorbei, zweimal sehe ich Läufer auf einer Bahre. Die ungewohnt hohe Temperatur im September ist für so manchen Hobbyläufer vielleicht zu anstrengend. Mit der Go&Run-Methode von Galloway habe ich schon öfters auf den letzten Kilometern eines Marathons Boden gut gemacht und auch noch knapp sub 5 gefinisht. Heute gelingt das ganz knapp nicht, weil der letzte Kilometer ansteigt. Mit 5:00:51 bleibe ich dann eine knappe Minute über der angepeilten Nettozeit. Schade drum, denn auf diesen schnellen Kurs muss mehr drinnen sein.

 

 

Die prunkvolle Medaille mit einem Bronzeanteil ist ein wahres Prachtstück – ich kenne Marathonsammler, die vor Freude weinen würden, aber auch jammern, wenn sie einmal keine Erinnerungsplakette erhalten.

Ich beeile mich zum Hotel zurückzukommen. Hunderte Läuferinnen und Läufer trotten Richtung Ziel. Darunter ist auch der polnische Musiker der Mailänder Scala, Stanislaw Stasinski, der 10 Jahre älter als ich ist und kaum abfällt. Wir grüßen einander. Als ich gegen 15 Uhr geduscht das Hotel verlasse, kommen mir immer noch einzelne Läuferinnen und Läufer entgegen. Der Marathon ist 7 Stunden offen und somit für jeden zu schaffen.

 

Mein Fazit nach dem Lauf

 

Beim Marathon waren 15 Versorgungsstationen eingerichtet, das ist weit mehr als sonst üblich.  Wasser, Iso, Brot, Zucker, Salz, Rosinen, Bananenstücke und Schwarzbrot, aber kein Cola, standen bereit. Bei Kilometer 10 und 21 wurden zudem Energiegel ausgegeben. Pacemaker wurden für angepeilte Finisherzeiten von 3.00 bis 5.00 im 15-Minuten-Intervall aufgeboten.

Das gestaffelte Startgelt erstreckte sich von 35 bis 65 Euro bei der Expo. Der neue Kurs, der nach der Umrundung der Altstadt die meiste Zeit auf Rad- und Nebenwegen entlang der Küste hinaus zum Pirita-Fluss nach Nordosten führte und auf einer breiten asphaltierten und für den Verkehr gesperrten Straße an die Peripherie der Altstadt zurückging, ist bis auf die leichten Anstiege beim Wendepunkt nach Kilometer 10 sowie beim Durchlauf nahe dem Ziel und auf der zweiten Runde mit maximal 20 Höhenmetern hinauf zum Freiheitsplatz flach und lässt schnelle Zeiten zu, vorausgesetzt, man hat sich vorbereitet.

Die Finishermedaille ist richtig unique, wie man im Fremdsprech so sagt. Das mit dem Startpaket ausgegebene Nike-Funktionsshirt passt hervorragend. Man kann daher von einem Super Preis-/Leistungsverhältnis sprechen. Auch wenn man kein Ländersammler ist wie ich (wenn auch nur hie und da), so sollte man gerade den Marathon in Tallinn unbedingt einmal gelaufen sein. So gesehen ist es vielleicht nicht ganz zufällig mein 42. Land geworden.


Sieger bei den Herren:
1. Bernard Kipsang Chumba (KEN) – 02:20:52  
2. Robert Kimaru Magut (KEN) – 02:21:42  
3. Davide Kipkorir Rutoh (KEN) – 02:22:08

Damen-Ranking:
1. Esther Wambui Karimi (KEN) – 02:49:19
2. Moonika Pilli (EST) – 02:52:17  
3. Kaisa Kukk (EST) – 02:54:58

1783 Finisher (1376 Männer, 407 Frauen) beim Marathon.

 

 

 

 

 

 



 

 

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