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Laufberichte

Szölöskör Marathon – Panoramalauf am Balaton

03.09.16 Special Event
 

Die Damengruppe ist gar nicht stehen geblieben. Donald, der mir seinen überlangen schwarzen Haaren aussieht wie eine stämmige Läuferin, kommt heran, als ich nach einer Minute Stopp wieder Tempo aufnehme. Bald folgt ein steiler Anstieg von geschätzten 80 bis 100 Höhenmetern, zwei langsame Geherinnen schnappe ich mir, während zwei andere laut keuchend zu mir aufschließen. Sobald es oben wieder flacher wird, ziehe ich an ihnen vorbei. Nun kommen uns die schnellsten des Halbmarathons mit den meisten Teilnehmern nach dem Ultrabewerb entgegen. Die Wende ist kurz nach am Kilometerpunkt 8,9 im nächsten Ort, der Vasholy heißt. Die Strecke hier ist für den Verkehr zwar nicht gesperrt, doch im Vergleich zum Verkehrsaufkommen auf einer sehr stark befahrenen Durchzugsstraße bei meinem letzten Marathon in Rajec in der Slowakei im August kann man heute die Autos resp. landwirtschaftlichen Transportfahrzeuge bisher an einer Hand abzählen.  Weder kann von einer Behinderung noch Gefährdung gesprochen werden.

 

 

Ich bleibe bei der zweiten Labe, bei der viel Gedränge auch wegen des Wechsels herrscht, länger stehen, um ausgiebig zu trinken. Die nun gegen 11 Uhr schon spürbaren Sonnenstrahlen haben mich veranlasst, beim Laufen die Kappe auf dem Kopf zu belassen, obwohl sich gerade dadurch ein Wärmestau bilden kann, der mit einem luftigen Stirnband erst gar nicht eintritt. Sag mit einer, was besser ist! Als ich das Rennen wieder aufnehme, ist Donald nicht nach vorne gekommen, wohl aber ein schmächtig wirkender Kollege aus der Marathonnachhut. Selbiger zeigt aufwärts sein Potenzial, doch beim ersten Abwärtsstück hat er das Nachsehen.

Die Ungarn bleiben beim Sport höflich, das kann ich nach etlichen Marathons nun bezeugen. Zuschauer an der Strecke, auch Läufer, die einem überholen, feuern einem mit dem Wort „Hajra!“, übersetzt nach Auskunft von Zoltan am besten mit „Auf geht‘s!“ an. Ungarisch ist eine schwere Sprache, ich kann mir bestenfalls einige Wörter merken.

 

 

Am Beginn des Ortsgebietes von Dörgicse bei Kilometer 12,7 steht zur Begrüßung eine Tafel in Ungarisch, Deutsch und Englisch. „Grüß Gott“ wird mit „Istan hozta“ übersetzt, wer sich am Ende des Ortes verabschieden will, kann „Isten aldja“ sagen. Ich blicke mich um, der überholte Kollege liegt gut 500 m zurück, vor mir sind zwei Staffelläuferinnen zu sehen. Im Fünferteam würde ich mir auch mehr zutrauen, aber heute ist Schongang angesagt. Endlich kommt die angesagt Labe in Sicht, sie befindet sich mitten im Ortsgebiet von Dörgicse etwas im Schatten. Ich gönne mir ein Gelpäckchen aus der Bauchtasche, vielleicht spendet es neue Energie. Dann geht es weiter. Obwohl es inmitten eines hügeligen Geländes leicht abwärts geht, komme ich nicht so richtig voran.

Jetzt kurz vor der 15 km-Marke nahe Balatonakali holen die Verfolger auf: Erstaunlich, woher der bisher sich zurückhaltende Donald mit seinem auffallend blauen Shirt die Reserven hernimmt, er zieht locker an mir vorbei. Bei der nächsten Labe bei Kilometer 18 hole ich ihn zwar wieder ein, aber anschließend ist er einfach zu stark. So ergibt es sich, dass ich bald alleine unterwegs bin, jedenfalls sind die vor und hinter mir befindlichen nur auf langen und geraden Abschnitten des Kurses noch zu sichten.

Als ich bei einem Radverleih vorbei komme, denke ich mir kurz, wie angenehm es jetzt wäre, ein paar Kilometer am nun beginnenden Radweg dahin zu strampeln, auch wenn das Gelände wellig ist. 2:21 Stunden zeigt meine Uhr bei Kilometer 20 um die Mittagszeit an, die große Hitze kommt aber erst. Der Marathonkurs auf den kommenden gut 10 Kilometern befindet sich zwar nicht direkt am Plattensee, doch dieser ist oft nur einen Kilometer entfernt. Grünzonen direkt am See weicht der Radweg oft großzügig aus. Die ungarischen Samstagsradfahrer schieben ihre treuen Drahtesel, die häufig aus Altwarensammlungen in der nahen Steiermark stammen, sobald das Gelände auch nur geringfügig ansteigt. Da fällt es nicht auf, wenn auch ich marschiere, schon ein wenig genervt, dass mich am ersten Flachstück nach dem Anstieg ein weiterer Kollege einholt und fragt, ob ich beim Ultra mitmache. Würde ich das, gingen sich die eingeräumten 7 Stunden (auch für den Marathon) nicht aus.

Nun geht es einen Kilometer wieder hinunter zum See, zumindest in dessen Nähe. Ich versuche wieder in den Laufschritt zu kommen. Die nächste Versorgungsstelle befindet sich in der Ortschaft Fövenyes. 22,9 Kilometer sind laut Anzeige geschafft, erst die halbe Strecke. Außer Wasser und Iso gibt es hier nichts mehr. Drei Kinder sitzen auf Stühlen, sie halten die Stellung. Viele werden heute hinter mir wohl nicht mehr nachkommen.  

Ich grüble und frage mich, wo der Sinn liegt, an einem traumhaften Badetag mit 30 Grad Lufttemperatur wie heute am 3. September 2016 sich völlig unvorbereitet nach dem Urlaub bei einem Marathon im hügeligen am Plattensee so abzumühen. Bisher habe ich noch bei keinem meiner bald 280 Marathons  und Ultras aufgegeben, wurde aber wegen Zeitüberschreitung schon zwei Mal aus dem Rennen genommen oder trotz Erreichen des Ziels wie z.B. beim Silvretta Run 3000 nach 8 Stunden disqualifiziert. Daher geht es heute rein ums Durchkommen, Zeit dafür ist genug. Schon kommenden Sonntag kann es in Tallinn bei weitaus niedrigeren Temperaturen und auf Meeresniveau weitaus besser für mich laufen.

 

 

Die Marathonstrecke verläuft nahe am See auf dem Radweg weiter. Heute sind viele Radler unterwegs, die mich von vorne und hinten mit Klingelsignalen nerven. Ausweichen kann man auf dem schmalen Radweg kaum, außer man verlässt den Asphalt. Ich lasse mir nun Zeit zum Knipsen, weil meine zeitlichen Vorgaben heute unerreichbar scheinen. Die Weingärten auf der nördlichen Seite des Radweges bieten ein schönes Panorama. Die nächste Labe befindet sich bei einem verlassenen Friedhof aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts  – nomen est omen, sagt der Lateiner, aber so weit wird es nicht kommen: Das Rettung ist mit Blaulicht heute zwar schon einmal gefahren, auf der E52 parallel zum Radweg, aber der Einsatz hat ja nicht mir gegolten. Die Gegend hier trägt den Namen Balatonudvari und gilt als Fremdenverkehrsregion. Wäre es bloß nicht so heiß, dann wäre alles einfacher und schöner. Ich habe die beiden Labe-Betreuer auf Englisch gefragt, ob nach den nun erreichten 25 Kilometern Marathon und Ultra weiter auf derselben Strecke führen. Das wurde bestätigt, erst nach Aszöfo ca. bei Kilometer 29 würde sich etwas ändern.

Ein abgestellter Panzer mit einer Betrete-Verbotstafel auf einer Böschung direkt bei der Straße gegenüber dem Radweg mag historische Bedeutung haben oder aber die Entschlossenheit der Ungarn zeigen, die Heimat am Balaton gegen ungebetene Gästen, zu denen auch Zugvögel aus dem hohen Norden gehören, militärisch zu verteidigen.

Wann kommt endlich Aszöfo? Es dauert und ich bin nach bald 30 Kilometern echt geschafft. Die Garmin zeigt hier bei der Versorgungs- und Wechselstelle für die Staffelläufer schon 4 Stunden und 8 Minuten an. Ich versuche herauszufinden, wie es nun für die Marathonläufer weitergeht. Doch auch die Kolleginnen und Kollegen, die Englisch verstehen und dann die Labebetreuerin fragen, können mir keine Auskunft geben. Eine hübsche Läuferin entgegnet sarkastisch: „Why in the world did you come here to run this marathon?“ Diese Kritik ist nicht angebracht, denn wäre ich besser in Form, hätte ich an einem ortskundigen Marathonkollegen dran bleiben können. Aber die hier bei der Labe befindlichen sind alles Staffelläufer und haben ihren Part nun beendet. So verliere ich Minuten und weiß nicht so recht, was ich nun tun soll.  Da ruft jemand „Look“ und ich erkenne einen, der mit niedriger Nummer nun von der Halbinsel Tihany zurückkommt. Ihn stoppe ich und erfahre, dass die Marathonläufer gut 2 km den Kurs der Ultraläufer über 50m beanspruchen und dann wenden.

Tihany selbst ist vulkanischen Ursprungs und Naturschutzgebiet. Die Halbinsel erstreckt sich weit in den Balaton hinein und teilt ihn in einen kleinen Nord- und einen großen Südteil. Funde belegen, dass schon Völker aus der Bronze- und Eisenzeit und auch die Römer hier lebten. Zwei Kraterseen liegen geografisch höher der Plattensee. Die bekannteste Sehenswürdigkeit auf der Halbinsel ist die 1055 gegründete barocke Abtei Tihany mit ihren zwei Türmen.  

Nach und nach kommen mir nun auf dem Radweg Starter beim 50 km-Ultralauf entgegen und ein halbes Dutzend Kollegen, die wie ich 8 km weniger laufen müssen. Auch Donald ist darunter, vier Kilometer Vorsprung bedeuten inzwischen ein Guthaben von gut einer halben Stunde, das sich wegen des Anstiegs auf dem Rückweg hinauf nach Pecsely und ins Ziel im Ort Balatonszölös vergrößern wird.

Ein Wegweiser zeigt an, dass man in östlicher Richtung in das nur 6 km entfernte Tourismuszentrum Balatonfüred gelangen würde, der Marathonkurs führt aber nach Norden. Bis Balatonszölös sind es noch an die 10 km. Eine Staffelläuferin – es ist jene Kollegin, die bei der Labe den Lauf und die Organisation kritisiert hat, zieht an mir vorbei. Ich nähere mich einem dahin trabenden Mann Mitte 40, der dem Aufdruck auf der Rückseite seines Shirts nach zu schließen an einem von Audi gesponserten 24h-Lauf teilnahm. Ich bewege mich an ihm vorbei. Am Horizont am Ende der langgezogenen ansteigenden Straße mit gut 1 km Fernsicht erblicke ich zwei weitere Läufer, die viel zu weit weg sind, um sie noch einzuholen. Es wird ein einsames Rennen, das Läuferfeld am hintersten Ende ist weit auseinander gezogen, es sind nur mehr wenige auf der Strecke.

Endlich erreiche ich Pecsely, wo sich bei 37 km die letzte Labe vor dem Ziel befindet. Man will mir mit einem Gartenschlauch kaltes Wasser über den Kopf spritzen, darauf verzichte ich gerne. Zwei Staffelläuferinnen, die vorher an mir vorbeigezogen sind, bleiben länger bei der Versorgung als ich. Die 5 km von Aszöfö auf einer stetig ansteigenden Strecke herauf nach Pecsely haben gewiss Energie gekostet. Ich komme mit einem Läufer ins Gespräch, er teilt sich die 50 km mit einem Kollegen. Er sei noch nie weiter als die heute angepeilten 25 km gelaufen, möchte aber als inzwischen Sechzigjähriger einmal im Leben einen ganzen Marathon bewältigen. Darauf würde er hinarbeiten.

 

 

Jetzt kommen wir zur Weggabelung, wo wir heute gegen 10 Uhr 45 von Balatonszölös kommend nach Südwesten abgebogen sind. Der Marathon ist ja als Rundkurs angelegt, der am Ende wieder zum Start zurückführt. Ich habe es schon erwähnt – obwohl die Straßen nicht gesperrt sind, fahren an diesem Samstag kaum Autos. Ein weiterer Staffelläufer überholt mich von hinten kommend, auch die beiden jungen Kolleginnen schließen auf. So schön die an die Toskana erinnernde hügelige Landschaft mit schnellwachsenden Säulenzypressen auch ist, so unvorteilhaft sind die Anstiege bei einem Marathon auf den letzten Kilometern ins Ziel.

Ich erblicke die Ortstafel von Balatonszölös, gleich um die Ecke taucht das Amtsgebäude auf, wo ich gestern am frühen Abend die Startnummer ausfasste. Der ausgeschilderte Kurs weist auf den nahen Sportplatz, der Zieleinlauf ist mit Strohballen umsäumt. Der Platzsprecher erwähnt meinen Namen, was er noch alles sagt, verstehe ich nicht. Zoltan ist da, er gratuliert. Ein Mädchen hängt mir eine Medaille um. Duschen kann man sich im nahen Umkleideraum des hiesigen Fußballvereins. Zuerst bediene ich mich an der Labe – köstlich schmecken die gereiften Weintrauben. Eine 0,5 l-Dose Bier mit Alkohol kaufe ich mir um 400 Ft. Den Bon für das Gulasch schenke ich her, denn hungrig bin ich nach dem Marathon nicht.

Zoltan fragt bei der Zeitnahme nach: In meiner Altersgruppe 50 plus war ich der einzige Starter. So belege ich den ersten und einzigen Platz in dieser Kategorie und erhalte eine zweite Medaille, die das schön gestaltete Logo des Marathons abbildet. Gegen 17 Uhr fahre ich nach Wien zurück.

 

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Welchen persönlichen Eindruck habe ich gewonnen:

 

Der Szölöskör-Marathon ist wegen der vielen Anstiege in einer hügeligen Landschaft auf den ersten 15 km recht anspruchsvoll, auch auf den letzten 10 km vom Balaton hinauf ins Ziel sind die Steigungen ein Kriterium. Erschwerend dazu kommt die Hitze, die in dieser Gegend von Mai bis September die Regel ist. Statt um 10 Uhr sollte man zwei Stunden früher mit dem Lauf beginnen.

Die zeitlich gestaffelten Startgebühren (von 9.000 bis 13.500 Ft.) beinhalten ein von Decathlon gesponsertes Funktionsshirt sowie als besonderes Zuckerl hochwertige Kompressionsstrümpfe, wofür man seine genaue Maße bei der Anmeldung über eine auch in Englisch gestaltete Webseite angeben muss. An den Versorgungsstationen herrschte nie Mangel, ein Grund dafür ist wohl auch, dass die Anzahl der Gesamtstarter in allen Disziplinen grob geschätzt 250 Läuferinnen und Läufer nicht überschritt.

Lob ist an das Organisationsteam um Zoltan Kynsburg auszusprechen, das viel Engagement zeigte und dessen Mitglieder zum Teil selbst sportlich an den verschiedenen Läufen teilnahmen. Den Szölöskör-Marathon sollte man besser erst nach einer guten Vorbereitung auf welligem Terrain in Angriff nehmen, wenn man sich nicht blamieren will.

 

Sieger bei den Herren:

1.Peter Bursey (HUN) – 3:57:22
2.József Domnánits (HUN) – 4:00:55
3.Gábor Imre (HUN) – 4:31:58

Reihenfolge bei den Damen

1.Szilvia Sáringer-Kovács (HUN) – 4:10:39
2.Zsuzsanna Nagy (HUN) – 4:31:25
3.Kata Kertész (HUN) – 4:35:28

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