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Laufberichte

Singapur - Marathon in den Tropen

04.12.11

Kurz vor fünf Uhr kommt dann noch eine asiatische Trommelshow und dann geht’s los. Unser Block hat natürlich viel Platz zum Starten. Schon nach einem Kilometer geht es in einen stickigen heißen Straßentunnel und dann weiter Richtung Chinatown. Singapur besitzt nämlich auch einige so genannte ethnische Viertel, in denen es dann sehr chinesisch, indisch oder malayisch zugeht. Trotzdem wird auch dort auf das Zusammenleben der Gruppen geachtet. Es gibt also im muslimischen Viertel auch Hindutempel und Kirchen, oft unmittelbar beieinander. Gefeiert werden die Feste von allen, zurzeit also steht Weihnachten vor der Tür. Schön ist auch das hinduistische Lichterfest Deepavali. Da blinkt dann alles noch viel farbiger. 

Bei den ersten dunklen Büschen nach dem Tunnel sieht man viele Läufer seitwärts verschwinden, wie man das ja von Marathons so kennt. Anscheinend schaut die Polizei nicht hin. Judith wartet bis Kilometer drei und stellt sich in die Warteschlange vor den ersten Toilettenhäuschen. Ich warte hinter der Verpflegungsstelle auf sie und lasse mich mit halb leeren Wasserbechern bewerfen. So fühlt man sich also als Helfer an der Wasserstelle. Und ich warte. Geschlagene sechs Minuten. Kann ja sein, dass es länger dauert. Inzwischen sind die 7-Stunden Pacemaker an mir vorbei gezogen und ich entschließe mich endlich weiterzulaufen. Vielleicht habe ich Judith übersehen? Jetzt fühlt sich die Läufermenge schon kompakter an. Am alten Feuerwehrhaus laufen wir über den Singapur River. Hier gibt es noch einige historische Häuschen. Eine Zeit lang wurden die einfach abgerissen und durch Wohnhochhäuser ersetzt, so ähnlich war das wohl auch bei uns in einigen Städten.

Der Laufweg wird immer enger. Das gibt es doch nicht: Eine breite Straße, bei der links und rechts Spuren für Autos freigehalten werden und den Läufern an einigen Stellen nur eine Spur übrig bleibt! Und das um 5 Uhr früh. Da muss man jetzt ab und zu gehen. Ruhe bewahren und sich wundern. Im Business-Distrikt zwischen den Hochhäusern der Banken ist dann wieder die ganze Straße für die Läuferinnen und Läufer  frei, und ich gebe verhalten Gas, um die Pacemaker-Gruppen aufzurollen. Meine Strategie ist, bis auf die 4:15 Läufer aufzulaufen und zu hoffen, dass ich Judith in ihrem  rosefarbenen Tegernsee-Laufhemd sehe oder dass sie mich sieht. Apropos: Am Freitagmorgen kam uns ein Läufer mit einem ebensolchen T-Shirt entgegen. Wie klein die Welt ist. Bin mal gespannt, wie oft ich am Tegernsee jetzt Läufer mit Singapur-Laufhemd sehen werde. Unsere Strategie sieht vor, in der „kühlen“ Nacht recht zügig anzugehen und zur Not den Rest innerhalb der 8-Stunden-Zielzeit zu absolvieren. Finishen möchte ich auf jeden Fall.

Im Business-Distrikt gibt es auch schon Zuschauer (5:30 Uhr – vielleicht Investmentbanker, die gerade wieder eine Bank auf der anderen Seite der Welt in Schwierigkeiten gebracht haben) und Trommelgruppen. Es geht am altehrwürdigen Fullerton  Hotel vorbei. Hier steht auch das Wahrzeichen Singapurs: der Merlion, ein Löwe mit Fischkörper, den man leider in der Dunkelheit nicht sieht, dafür aber die neue Konzerthalle, die aussieht wie die in Asien so beliebte Durian-Frucht (deutsch: Stinkfrucht).

Wir kommen nun an der Marina-Bay zu einer Tribüne, die wohl für die Formel-1- Veranstaltung gebaut wurde. Es ist jetzt stockdunkel. Ich sehe noch eine Box mit der Überschrift „Jenson Button“. Während der nächtlichen Formel-1-Rennen soll es hier wesentlich heller sein. Weiter geht es über breite, beleuchtete Straßen vorbei an Plattenbauten bis km 13. Alle drei Kilometer gibt es Wasser und meist auch ein isotonisches Getränk. Dazu viele Streckenposten, die allesamt viel Stimmung machen. Und auch Zuschauer., teilweise übernächtigte Jugendliche.

Nun sind wir im East Coast Park. Hier geht es auf einem beleuchteten Radweg am Meer Richtung Osten. Hinter der Schnellstraße stehen Hochhäuser, die scheinen aber von wohlhabenderen Menschen bewohnt zu werden. Beeindruckend sind die Lichter der unzähligen Schiffe, die hier auf der Reede liegen. Der Hafen und die großen Industriegebiete liegen westlich der Innenstadt. Nach Tonnage soll es der größte Hafen der Welt sein, was ich sofort glaube, da ich erst vor zwei Wochen eine Hafenrundfahrt in Hamburg mitgemacht habe, und das soll ja auch schon ein großer Hafen sein. Ich bin guter Dinge und überhole kontinuierlich Läufer. Mein T-Shirt ist inzwischen so nass geschwitzt, wie ich es sonst nur von Läufen im Regen kenne. Irgendwann kommt die BMW-Cooling Zone. Das ist ein Zelt mit Klimageräten, in dem es etwas kühler sein soll. Auf dem Fußweg nebenan kommen uns Fahrzeuge mit Blaulicht entgegen. Aufgepasst: Jetzt kommt die Spitzengruppe. Schon mal probiert, in der Dunkelheit im Laufen andere Läufer zu fotografieren? Na ja, vielleicht  erkennt man auf dem Bild ja was.

Mal abwarten, ob ich auch die erste Frau ausmachen kann. Der Laufweg trennt sich aber gelegentlich von der Gegenrichtung. An einer Stelle gibt es einen kleinen See mit einer Wasserskianlage. - Wo mag Judith nur stecken? - Ein Läufer spricht mich auf Deutsch an und wünscht mir noch viel Spaß, während er mich zügig überholt. Ich habe mir auf den Rücken ein Schild genäht: „Hello Singapore, Andreas from Munich, Germany“. 

Der Sonnenaufgang ist kurz vor einer Staffelwechselstelle zu sehen, dann bewölkt es sich wieder. Der Weg von der Wechselstelle zurück zum Laufweg ist komplett von einer Pfütze bedeckt. Nett zu sehen, wie die Staffelläufer versuchen, sie zu umgehen. Nach 15 Minuten ist es schon sehr hell – So schnell geht das nur am Äquator, an dem Singapur fast genau liegt.

Auf einmal höre ich Judith von der Gegenrichtung meinen Namen rufen. Und ich hatte mir schon vorgenommen, mich ab der Halbmarathonmarke wieder zurückfallen zu lassen, bis sie mich einholt. Wahnsinn, ¬ ist die weit vor mir. Wann gibt es eigentlich Laufuhren, die die Position von Mitläufern und Zuschauern anzeigen? Das müsste doch im Zeitalter der sozialen Netzwerke kein Problem mehr sein? Bei Kilometer 21 sind wir dann schon ganz nah am Flughafen. Kurz danach die Wendestelle: Die Nummern werden handschriftlich erfasst. Die Stellen für die Zeitnahme scheinen eher zufällig gewählt. Auch fehlen recht häufig die Kilometerangaben, anscheinend gibt es auch vereinzelt Meilenmarkierungen. Ich kämpfe mich langsam an Judith heran.

Jetzt kann ich so richtig den Blick auf die weißen Strände und Palmen genießen. Am Montag wollen wir hier einen Strandtag einlegen. Hier gibt es auch viele WC- und Duschanlagen, die von den Marathonis gerne genutzt werden. Nur bei den Verpflegungsstellen traut sich auch der Singapurer, seinen Becher auch in die Wiese zu werfen.  Wir werden von einer asiatischen Läuferin angesprochen, die am Berlin-Marathon teilgenommen hat und danach beim Oktoberfest in München war. Es scheint ihr viel Spaß gemacht zu haben. Ich fotografiere sie, erwische aber leider die Nummer nicht. Schade, mich hätte ihre Zielzeit interessiert. Auf jeden Fall zieht sie schnell davon. Irgendwann kommt uns dann auch noch eine Gruppe verkleideter Läufer entgegen. So eine Art Superman-Kostüm in verschiedenen Farben. Ein weiterer deutscher Läufer spricht mich an. Er ist ausgewandert und lebt im benachbarten Malaysia.

Bei Kilometer 29 endet die Parallellaufstrecke, und es kommen immer noch viele Läuferinnen und Läufer entgegen. Hier hätte man auch schön abkürzen können, was anscheinend auch gemacht wurde. Man sieht später in der Ergebnisliste einige disqualifizierte Läufer mit an sich sehr respektablen Zeiten.

Jetzt geht es erst mal auf  ein Baustellengelände (Keep out). Singapur ist flächenmäßig so groß wie Hamburg und vergrößert die bebaubare Fläche unaufhörlich durch Landaufschüttungen. Wobei man darauf hinweisen muss, dass Singapur auch sehr stolz auf seine unbebauten Grünanlagen ist. Im Inselinneren gibt es auch noch einen Urwald mit allerlei wilden Tieren, d.h. frei laufenden Affen, die Touristen gerne bestehlen oder beißen. Die einzige weitere Großstadt, die noch einen Urwald besitzt, ist Rio de Janeiro. Also schüttet man Land auf, um noch mehr Häuser unterzubringen. Hier hat man sich aber erst mal für einen Golfplatz entschieden. Es läuft ja nicht jeder.

Wir überqueren eine Staumauer, welche den Singapore River vom Meer trennt und damit ein Süßwasserreservoir schafft. Man kann das Leitungswasser in Singapur übrigens gefahrlos trinken. Trotz der täglichen Regenfälle hat die Stadt aber ein Süßwasserproblem und muss den wertvollen Rohstoff sammeln, wo es nur geht.

Hier erwischt mich der Hammermann, dem ich bei den letzten drei Marathons noch entkomme konnte. Die Luft ist raus und ich muss Judith ziehen lassen. Auf einmal kommt auch noch die Sonne heraus und die Luft wird noch stickiger. Schade. Der kleine Mann in meinem Ohr macht mir die Vorzüge von Gehpausen schmackhaft. Wenigstens an den Getränkestellen kann man doch mal gehen und ein Toilettenbesuch (ohne Anstehen) ist auch noch drin. Ich weiß, wie viel Zeit das kostet, und kämpfe mich weiter vor.

Auf einmal kommen von links viele Spaziergänger in Laufkleidung auf unsere Strecke. Das sind die 21- und 10-km-Läuferinnen und Läufer, die auf der Freizeitparkinsel Sentosa  im Westen gestartet sind. Hier bei km 38 (laut meiner GPS-Uhr – es gibt mal wieder keine km-Tafel) sind sie schon weit über zwei Stunden unterwegs und es sind sehr viele. Der Veranstalter hatte doch gebeten, dass die Langsamen sich links halten sollen. Bitte, wo ist denn links? Gut, dass es jetzt auch noch auf eine hohe Brücke geht. Da sind wir heute schon mal drüber gelaufen und inzwischen ist sie gefühlt wesentlich höher geworden.

Ich komme Haken schlagend, angeberisch tänzelnd laufend, fast bis oben, bevor ich doch noch ein kleines Gehpäuschen einlege. Die Brücke ist wirklich hoch, der Blick aufs Zentrum sehr schön. Rechts steht das höchste Riesenrad der Welt. Bergab hole ich wieder Zeit auf. Gut, dass noch die  Verpflegungsstelle bei km 40 kommt. Hier ist natürlich die Hölle los. Jeder möchte etwas trinken. - Hey, nur noch 1,7 km. In München steht da immer der freundliche Motivator mit seinem lustigen Sprüchen. Hier gibt es jetzt viele Zuschauer! Es geht noch mal über den Fluss. Parallel startet ein Kids-Dash über 750 m. Hört sich gut an. Ich habe nicht mehr die Kraft zu fotografieren. Eine kurze Kurve und über eine alte Stahlbogenbrücke wieder zurück über den River.

Wie stand es in den Lauftipps: Am Ende nicht versuchen einen Spurt einzulegen, sondern lächeln und genießen. Das Parlamentsgebäude kommt in  Sicht. Ins Ziel führen fünf Spuren. Immerhin bin ich noch geistesgegenwärtig genug, die Full-Marathon-Spur zu erwischen.  Die Bruttozeit liegt noch unter 4:30 h. Und immer lächeln! Endlich geschafft und wirklich fertig. Mein 25. Marathon ist zu Ende. Da steht auch schon Judith. Die hat sich die Gehpausen gespart und ist 4 Minuten schneller gewesen. Ihre schlechteste Zeit bei 31 Marathons. Aber was soll's, wir wussten ja absolut nicht, wie es ausgehen wird, sind eher von einer noch schlechteren Zeit ausgegangen.

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Zur Belohnung gibt es eine schwere Medaille und noch ein zweites Funktions-Finisher-T-Shirt auf dem altehrwürdigen Sportfeld des Singapur-Cricket-Clubs vor der City Hall.  Der Rasen ist regendurchweicht, an ein Hinlegen ist nicht zu denken. Für die Full-Marathonläufer gibt es noch eine kostenlose Massage und hier erkenne ich endlich, was das Chinesen-Prinzip bedeutet: (das soll nicht abwertend sein, sondern nur bedeuten, dass man auch außerhalb der Softwareentwicklung durchaus nach dem Motto „Viele Hände - Schnelles Ende“ arbeiten kann).  Es gibt so viele Massagestände mit jeweils zwei Masseuren, dass man nicht warten muss.

Und jetzt kommt der krönende Abschluss: Während ich in Europa mit meinen 3:5X h immer hoffen muss, in der ersten Hälfte der Wertung zu bleiben, bin ich in Singapur unter den ersten 7% der Finisher. Judith ist noch besser und die 107. Frau bzw. 4. ihrer Altersklasse (10 Jahreseinteilung). Es hat sich also wahrlich gelohnt.

Um 10:30 Uhr sind wir schon wieder im Hotel. Frühstück gab es leider nur bis 10:00 Uhr.  Nach dem Duschen geht es an den Pool und das Marathon-Ziel ist noch bis 13:00 Uhr geöffnet – Wahnsinn. 14.000 kommen nach uns ins Ziel.

Gründe, den Marathon in Singapur mitzulaufen:

– gut organisiert
– viel Leistung fürs Geld
– mal eine ganz andere Erfahrung, wenn auch absolut ungeeignet für persönliche Bestzeiten (bei der Planung am besten 1 Minute pro km draufschlagen)
– eine Stadt, die für Asien-Einsteiger bestens geeignet ist;  der Kulturschock hält sich in Grenzen
– Vielleicht klappt`s künftig auch noch mit den km-Markierungen und Komplettsperrungen um 5 Uhr früh (Alternativ: Bei der Formel 1 auch zwei Spuren für den Allgemeinverkehr freihalten)

Marathonsieger

Männer

1 Charles Mwai Kanyao 02:14:33.75
2 Luka Kipkemoi Chelimo  02:14:38.75
3 John Kelai 02:15:45.65

Frauen

1 Irene Jerotich Kosgei 02:36:42.39
2 Roman Gebregessesse 02:37:30.74
3 Magadelene Mukunzi 02:38:06.50
 

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