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Laufberichte

Run in Marseille: Je suis finisher, je crains dégun

15.03.15 Special Event
 

Gewunden geht es weiter über die Corniche Président Kennedy. Angelegt wurde sie im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in den Jahren 1848 bis 1861. Dann siedelten sich die Vermögenden am Hang an, in den kleinen Buchten entstanden pittoreske Fischerdörfchen. Auch eine Trambahn fuhr hier entlang. In fast jedem Wartehäuschen der Busline 83 sorgen nun Trommelgruppen für Stimmung.

Links schweift der Blick auf die Iles de Frioul. Auf der kleinsten der drei Inseln, der Ile d´ If, befindet sich eine Festung, die einst zu den finstersten Gefängnissen Frankreichs zählte. Alexandre Dumas wählte diesen Ort als Schauplatz seines Romans „Der Graf von Monte Christo“, ein Umstand, der noch heute zahlreiche Besucher anlockt.

Es folgt ein schöner Blick auf den Pont de la Fausse Monnaie (Brücke des Falschgeldes). So benannt, weil bei der Errichtung das Equipment zur Falschgeld-Produktion gefunden wurde. Der monumentale Torbogen Porte de l'Orient, der zu Ehren der im Orient gefallenen französischen Soldaten errichtet wurde, thront über dem Meer. Super Stimmung verbreitet die Sängerin mit ihrer Band im nächsten Wartehäuschen.

Wir verlassen das Meer und müssen noch ein paar Meter nach oben. Links der Eingang zum Palais du Pharo, erbaut auf Wunsch von Napoleon III und 1870 fertiggestellt - da war es dann aber schon vorbei mit dem Kaiserreich. Hinter der Kuppe öffnet sich der Blick auf den Vieux Port mit seinen Unmengen an Segelbooten. Nach kurzer Zeit ist das Ende des Hafenbeckens erreicht. Ein spiegelndes Dach überspannt den Metro-Eingang und bietet die Möglichkeit, sich mal von oben zu fotografieren. Nett. Die Halbmarathonis haben am Hafen ihr Ziel erreicht, während wir rechts in den Boulevard La Canebière einbiegen. Eine große Trommelgruppe steht vor der Börse und zieht auch sonntägliche Flaneure an.

Wieder nach rechts geht es auf die Rue de Rome, die ewig lange Ost-/West-Achse. Hier wird gerade eine neue Straßenbahnlinie angelegt, die der etwas tristen Einkaufsstraße neues Leben einhauchen wird. Die Trambahn in Marseille ist eine Erfolgsgeschichte: Die letzte Linie konnte in den 1960er Jahren nicht eingestellt werden, da ein längerer Tunnel unter der Stadt nicht omnibustauglich war. Diese Linie wurde ab dem Jahr 2007 verlängert. Nun befahren schicke Trambahnen, die innen wie außen Luxuslinern nachempfunden sind, die neuen Strecken.

Vor uns jetzt ein monumentaler Springbrunnen, benannt nach dem Stifter Jules Cantini. Die Skulpturengruppen des Bildhauers André-Joseph Allar symbolisieren Kraft und Bewegung und die Bedeutung des Wassers für Marseille. Noch mehr Bewegung machen die Blechbläser. Ihre Musikrichtung ist eine Art Ska und sie sind so zahlreich, dass sie sich auf mehrere Wartehäuschen verteilt haben. Fetzig ohne Ende. Die Einsätze kommen mal von der einen, mal von der anderen Straßenseite.

Ich habe Judith inzwischen eingeholt und zusammen geht es noch ein Stück geradeaus. Bei km 27 treffen wir auf das bekannte Velodrom und die Startblöcke der 10-km-Läufer, die drei Stunden nach dem Marathonbeginn hier aufbrechen werden. Eine frenetische Anfeuerung ist uns gewiss. Wäre ich einer von ihnen, würde ich den Langstrecklern jetzt zurufen: „Gebt euch keine Mühe, ich hole euch ein“. Für uns beginnt jetzt die Schloss/Hippodrom-Strecke ein zweites Mal. Interessant, weil jetzt die Marathonis vorübergehend unter sich sind und weil der Regen etwas nachgelassen hat. Es gibt auch ein bejubeltes Wiedersehen mit einer Zuschauergruppe, die schon im ersten Durchgang mit ihren Kuhglocken für Stimmung gesorgt hatte.

Aus gegebenem Anlass erwähne ich noch die ausreichend vielen Toilettenhäuschen an der Strecke. Die drei Standorte laut Infoheft waren massiv untertrieben.

An der Plage Borély ist es dann so weit: Die führenden 10-km-Läufer überholen uns. Bevor das Feld uns aufrollt, dürfen wir noch mal ein Stück alleine laufen und treffen dann später auf die langsameren 10er. Das passt also tempomäßig. Leider haben uns die schnellen Kurzstreckler aber die Gel-Tuben weggefuttert. Da hilft nur der Griff zur Banane.

Meine Stimmung ist unglaublich gut. Sämtliche Bands und Trommler sind noch voll bei der Sache. Auf einmal bemerke ich, dass ich haufenweise junge Französinnen überhole. Gut, dass auf meinem Hemd „Marathon4you“ steht, dann sehen die gleich, was für ein toller Hecht ich bin. Bei der Porte de l'Orient mit der schwarzhaarigen Band-Leaderin stehen vier professionelle Fotografen, die uns versprengte Marathonis speziell anfeuern und nebenbei auch noch schöne Bilder machen, da auf die Hauswand hinter uns ein riesiger Schiffsbug gepinselt ist.

Beim alten Hafen kann man das Ziel auf der anderen Seite schon sehen. Die 10er machen Dampf und ziehen Judith und mich mit. Das wird ein schneller Kilometer und doch bin ich froh, als das Ziel vor dem Rathaus erreicht ist. Wir erhalten eine schöne Medaille, und Zielverpflegung ist noch komplett vorhanden. Sogar Flaschen mit einem Iso-Getränk von sehr eigenwilligem Geschmack gibt es, außerdem Haribo-Fruchtgummi, dem Sponsor sei Dank. Und ein Finisher T-Shirt mit dem  Aufdruck „Je suis finisher, je crains dégun“ („Ich bin Finisher, ich fürchte niemanden“). Stolz recke ich dem Helfer meinen Ärmel mit der Aufschrift „Ich bin Marathon“ entgegen. Leider versteht er kein Deutsch.

Bei der Taschenaufbewahrung steht schon ein Monsieur mit unseren Tüten. Schnell was Trockenes anziehen (Wärmefolien, Umkleideräume und Duschen gibt es nicht) und dann glücklich ohne Ende ins Hotel.

 

Zwei Tage Sightseeing

 

Wir bleiben noch zwei Tage: Auf jeden Fall sollte man sich die Altstadt und das Fort Saint-Jean ansehen. Von dort führt eine schicke Fußgängerbrücke auf die Dachterrasse des MuCEM (Musée des Civilisations de l'Europe et de la Méditerranée). Weiter geht es zur riesigen Cathédrale de la Major und dann nach Joliette mit den neugestalteten Hafenanlagen und einem noblen Einkaufszentrum. Früher ging hier auch der Marathon vorbei – hätte mir auch gefallen.

Wir haben uns auch noch eine Bootsfahrt auf die beiden großen Frioul-Inseln gegönnt. Dort kann man eine schöne Wanderung unternehmen und viele Möwen beobachten.

Unser Ausflug ins Künstlerdörfchen L`Estaque ist leider völlig verregnet. Immerhin kenne ich jetzt den Bahnviadukt, den Braque und seine Kollegen gerne malten.

Viele Kneipen und Lokale gibt es rund um den Cours Julien. Wir sind dort in einen Karnevalsumzug geraten – die Marseiller sind da wohl später dran als wir, außerdem wirft man hier Mehl statt Konfetti.

Ganz am Ende dieser wunderschönen Tage sehe ich dann noch zwei ältere Herren, die mit ihren jungen Begleitern Plakate für den Austritt Frankreichs aus der EU aufhängen. Ich könnte jetzt noch viel erzählen. Z. B. über meinen Opa, der als Lokomotivheizer wegen seiner Weigerung, in die NSDAP einzutreten, nach Marseille abkommandiert wurde und hier zu Tode kam, über die Nazis, die auf Befehl Himmlers die ganze Altstadt gesprengt haben. Aber ich möchte mir die schönen Eindrücke nicht verderben. Ich bleibe überzeugter Europäer – Vive la France!

Fazit:

Run in Marseille ist ein 1a-Stadtmarathon in einer interessanten Umgebung, der mehr internationale Teilnehmer verdient hat. Wir kommen sicher wieder. Bei 300 Sonnentagen im Jahr könnte es das nächste Mal ja trocken bleiben.

Hommes
1. Stanley Bett (KEN) 2h16’14”
2. Charles Cheruiyot (KEN) 2h21’48”
3. Dickson Kimeli (KEN) 2h22’09”
 
Femmes
1. Pauline Purro (SUI) 3h18’55”
2. Sabine Brunias (FRA) 3h26’37”
3. Corinne Gretten (FRA) 3h27’57

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