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Laufberichte

Podgorica-Marathon

25.10.15 Special Event
 

Endlich kommt eine der geplanten Zwischenlaben – nach der 5 km-Anzeige sind alle weiteren 2 ½ km  Versorgungsstellen eingerichtet. Doris zeigt sich erleichtert, als nun wieder Wasserflaschen verteilt werden. Würde man Becher verwenden, wäre der Wasserverbrauch geringer, denn man sieht, dass in den weggeworfenen Flaschen reichlich Reste verbleiben.

Wir überholen einen älteren Marathonläufer mit der Nummer 27 – er hat zwar ein langsameres Tempo, wirkt aber erfahren. Hingegen scheint die hübsche und sehr sportlich ausschauende Kollegin mit der Nummer 171 nach 8 km schon gezeichnet. Auf sie würde ich nicht wetten, aber man kann sich täuschen.

Bei der 10 km-Anzeige holt uns ein weiterer Läufer mit einem ziemlich konstanten Sechserschnitt ein, der bis zur 20 km-Marke einmal vor und dann wieder knapp hinter uns laufen sollte. Zunächst reden wir nicht miteinander, jeder hat sein Tempo gefunden.

Der Marathonkurs führt in Richtung des Flughafens Mitrovici (genau genommen liegt dieser bei Mojanovici), der von den Austrian Airlines von Wien aus direkt bedient wird. Der Flug dauert 1½ Stunden, das Ticket hin und zurück eine Woche vor dem Marathon kostete ca. 480 Euro. Marathontouristen sollte also früher buchen und nicht wie ich zu lange zuwarten – abgesehen von Istanbul habe mich für die kommenden Wochen bis Jahresende noch nirgendwo für ein Laufevent registriert. Es würde mich in meinem Handlungsspielraum einschränken, denke ich. Ich entscheide  knapp davor, wohin die Reise geht.

Das Zuschauerinteresse ist sehr gering, ab und zu stehen oder sitzen einige Kinder am Fahrbahnrand der E80 und wollen abklatschen, was jeder Läufer gerne macht. Wir laufen an der Ortschaft Srpska vorbei, Doris macht mich auf die Blumenkisten auf den Gräbern und Steinen des örtlichen Friedhofs aufmerksam, der sich einen Steinwurf neben der Durchzugsstraße befindet. Über eine Brücke überqueren wir den Fluss Cijeva. Unweit daneben befindet sich die Trasse der staatlichen Eisenbahn, in deren Waggons es auf den WCs kein Papier gibt.

Bei Mahala befindet sich die 12 ½ km Labestelle, die ich aber nicht frequentiere. Doris, der Kollege mit der Nummer 34 und ich laufen auf einer Höhe. Noch ist es kein Dreikampf, denn wir alle haben noch Reserven. Mal sehen, wie es nach der Halbdistanz aussieht.

Bald sind auch 15 km geschafft, bei Golubovci verlassen wir die E80 und bewegen uns nun in östliche Richtung auf Zubringerstraßen in ländlicher Umgebung. Endlich kommen wir mit der Nummer 34 ins Gespräch. Er stellt sich als Belgier aus dem flämischen Teil vor, ist sonst aber wortkarg. Ich schaue auf meine Uhr, die Ankündigung Doris gegenüber, zwischen 2:06 und 2:08 die 21,1 km zu erreichen, wird sich leider nicht ausgehen, aber 2:10 sind drinnen. Wozu wir einen Chip bekommen haben, wissen nur die Veranstalter. Statt elektronischer Zeitnehmungsmatten notieren sich Helferinnen und Helfer bei den Labestellen auf einer Liste die Startnummern der eintreffenden Läufer. So erklärt sich auch, warum man eine zusätzliche Nummer am Rücken tragen soll – bei dichtem Läuferaufkommen können sich die Helfer die Nummern kaum merken und schauen den Davoneilenden im wahrsten Sinn des Wortes nach.

Bei der 20 km-Anzeige nahe Milatovica bleiben Doris und der Belgier stehen, während ich mein Tempo beibehalte. Außer Trinkwasser zumeist in 0,3 l Flaschen werden an den Versorgungsstellen Zucker und Zitronenscheiben ausgegeben – mitunter sind auch Becher mit einem Isogetränk dabei. Vor mir stehen zwei Altersgruppenläufer mit den Startnummern 105 und 151. Ich laufe an ihnen vorbei, merke aber, dass meine Frische mit dem optimistischen Touch im Gemüt etwas verflogen ist. Die Luft ist draußen, ich muss ab dem Halben einen Gang zurückschalten.

Ich blicke mich um, Doris ist zurückgefallen, doch der Belgier mobilisiert nun seine Reserven und geht bei Kilometer 22 an mir vorbei, kommentarlos. Mir gefällt die ländliche Gegend hier um Mataguzi, die primär auf die Landwirtschaft ausgerichtet ist. Man sieht im Vorbeilaufen alte und neue Bauernhäuser, die zum Verkauf stehen („prodaje se kuca“) Weingärten, Zypressen wie in Apulien, frisch gepflügtes Ackerland. Und die eine oder andere Kuh auf der schon karg gewordenen Weide. Bei strahlend blauen Himmel und schon spürbaren 20 Grad könnte es schöner nicht sein.


Mich hat der Belgier überholt, doch ich schließe zur Kollegin mit der schönen Nummer 100 auf und lasse sie bald hinter mir. Der vom Österreicher Rainer Sos ausgemessene und so AIMS-zertifizierte Marathonrundkurs führt ab Vladni bei der 25 km-Tafel wieder nach Norden. Ich rechne schon längst im Kopf, wieviel Zeit ich noch verlieren darf, um die angestrebten 4:45 zu schaffen. Die Uhr zeigt 2:38 an, damit wäre ich noch im Plansoll. Ich drehe mich um, in gut 500 Metern Entfernung erblicke ich Doris mit ihrem gelben 100MC-Shirt. Vielleicht kann sie wieder aufschließen, die Kraftreserven dazu hat sie allemal. Obwohl die Strecke flach ist und sogar PBs zuließe, stört mich heute die nicht erwartete „Hitze“. Ich bin auf Temperaturen um 10 Grad eingestellt und hoffe im Herbst wieder einige passable Laufzeiten in der Nähe von 4:30 zu schaffen. Heute ist es mir nach 25 Kilometern zu warm. Was noch dazu kommt, ist das Manko, dass nun erneut keine Wasservorräte mehr an der Labestelle zur Verfügung stehen. Ich bücke mich und hebe zwei noch nicht ganz leere Flaschen vom Boden auf, aus denen ich nachtrinke – es wird schon keiner der Kollegen die Maul- und Klauenseuche vom Rindvieh in der Region bekommen haben. Ausreden hat man immer, aber ich behaupte, dass mein Bedarf nach Wasser leistungsvermindernd wirkt. Den hinter mir nachkommenden geht es nicht besser.

Bei Kilometer 27 ½ haben die Helfer ein Leitungsrohr an der Straße geöffnet, dort sprudelt Wasser heraus, welches sie in schon benutzte Flaschen abfüllen. Die Erleichterung ist spürbar, doch die Kräfte, die man für einen Marathon benötigt, kommen nicht zurück. Etwas zerknirscht nehme ich zur Kenntnis, dass mich nun ein weiterer Kollege knapp vor der Kleinstadt Tuzi einholt. Es ist zum Weinen, der Mann mit der Nummer 135 ist ein Oldie, mindestens 65 und hat einen Laufschritt wie ein Gehbehinderter. Da sind jene Momente, die einem die Freude nehmen, wenn ein „Hatscherter“ davongaloppiert.

Ich blicke mich wieder um, kommt die Doris vielleicht auch schon näher – es sieht fast so aus. In Tuzi sind endlich wieder einmal einige Leute zu sehen, doch die kümmern sich um Geschäftliches. An den Marktständen wird allerlei feilgeboten, fast wie im Orient sieht es hier aus. Ich versuche mir keine Blöße vor den Leuten zu geben und verhalte mich so, als sei mein langsames Lauftempo sportliches Kalkül. Es sollen alle glauben, dass ich keine sonstigen Nöte habe. Doch kaum einer blickt auf mich, ist eh besser so.

Mir ist nun schon richtig heiß, bei der 30 Km-Anzeige mit angeschlossener Labestelle würde ich mir gerne Wasser über den Kopf leeren, doch der Vorrat ist aufgebraucht. Ich überhole eine Läuferin in blauen Leggings, ihr Gehtempo ist relativ hoch. Ich bewege mich derzeit zwischen 7 und 8 km/h voran, sie braucht ca. 9 Minuten für einen Kilometer. So kann man im Kopf mathematisch ungefähr errechnen, wie lange sie noch für die ausstehenden 12 km benötigen wird. Sie sollte in knapp über 5 Stunden finishen, für mich werden sich die 4:45 schwer ausgehen.

Bei Kilometer 32 gibt es dann wieder Wasser in Bechern und ich habe Gelegenheit, den Kopf zu kühlen. Nach der Brücke über die Cijevna, die im Laufe ihrer geologischen Geschichte tiefe  Einschnitte in die Felsen gegraben hat, bekommt die Marathonstrecke mehr Gefälle. Ich blicke mich um, doch die Fernsicht ist wegen des Kurvenradius geringer geworden. Doris ist einstweilen nicht mehr zu sehen. Sobald aber der Anstieg geschafft ist, sehe ich mehrere Läufer als Silhouetten näherkommen.

Ich habe wieder den Rechenschieber vor Augen, bei 35 km zeigt die Uhr 3:53 h an. Die 36 km müssen Männer in 4:36 Stunden erreicht haben, Frauen nach 5 Stunden. Der Marathon ist 5 ½ Stunden offen. Diesbezüglich brauche ich mir keine Sorgen zu machen, eher stört mich, dass der Veranstalter nicht daran gedacht hat, dass auch die Nachzügler unter den Marathonläufern einen Wasserbedarf haben. Bei 37 ½ treffe ich auf zwei nette junge Leute, die eifrig meine Nummer notieren, aber Wasser haben auch sie keines mehr. Knapp vor Kilometer 40 steht Mario Sagasser, der auf seine Doris wartet, um sie wohl als Pacemaker auf den letzten beiden Kilometern zu begleiten. Er knipst mich, ich lasse die Kamera in der Bauchtasche, weil ich keine Zeit mehr verlieren will.

Ich komme dem Zentrum von Podgorica näher, der Kurs führt über die Union Bridge erneut über die Morača, auf der auch Kanuten trainieren. Inzwischen hat mich ein Läufer in gelbem Shirt von einem Fahrradfahrer begleitet, überholt – Doris liegt noch zurück.  Der Marathonkurs führt  wieder zur Milleniumsbrücke. Die nun folgende Schleife zurück zum Platz der Republik gleicht einem jeweils auf einer Seite offenen Achter – der Kurs führt auf dem letzten Kilometer auf den gleichen Straßen wie am Beginn des Marathons ins Ziel. Ich blicke mich um, ein weiterer Oldie, angefeuert von seiner Frau, die ihm auf Finnisch etwas zuruft, überholt mich 500 Meter vor dem Ziel. Und auch Doris hat ihre Kräfte mobilisiert und liegt nur mehr 200 oder 300 Meter hinter mir. Dem Finnen rufe ich auf der kurzen Begegnungsstrecke einen „hyvää iltapäivää“ zu, was er mit einem Grinsen quittiert, einholen kann ich ihn auf den 300 Metern bis ins Ziel nicht mehr. Vielleicht wollte Doris mich vor dem Finish noch erwischen, es gelingt ihr leider nicht.

Mit 4:48 beende ich den 22. Podgorica-Marathon, netto wäre es eine Zeit knapp über 4:47 oder noch 4:46 geworden, doch es wird nur die Bruttozeit ausgewiesen. Marathon Nr. 31 in diesem Kalenderjahr ist geschafft, in der Tabelle beim Country Marathon Club verlasse ich mit 37 Ländern schon langsam das untere Ende.

 

Wie sieht meine Bewertung der Veranstaltung aus?

 

Alle haben sich große Mühe gegeben, den Laufevent zu einem Großereignis für Podgorica und Montenegro zu machen. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist super: Für 10 Euro Startgeld gibt es ein Baumwoll-T-Shirt und eine schöne Medaille. Läufer aus Serbien wird eine Gratisfahrt im Autobus von Novi Sad und Belgrad angeboten. Kleiderdepots befinden sich in Zelten beim Start und Zielbereich, Duschen kann man sich in einer Schule.

Negativ ist die Versorgung einzustufen, bei 200 Startern sollten die Wasservorräte besser kalkuliert werden. Für mich ist das nun ein Anlass, vielleicht zukünftig wieder öfters eine eigene Trinkflasche oder einen Trail-Rucksack mit Trinkblase mitzunehmen. Die Strecke selbst bietet viele landschaftliche Reize, man sieht Gegenden, wo man nie mehr im Leben hinkommen wird, außer man möchte es eben aus diesem Grund.  Das Interesse der Menschen am Marathongeschehen zeigt sich in der Stadt, am Land draußen nimmt niemand Notiz. Die Polizei verdient ein Extralob für die perfekte Absperrung der Strecke für den Autoverkehr. Der flache Marathonkurs zwischen 30 und 40 Metern über dem Meeresspiegel mit fast keinen Steigungen ist für Bestzeiten geeignet, wenn man vorher darauf trainiert hat.

 

Sieger bei den Männern:


1.    Justus Kiprono (KEN): 2:19:20
2.    Paul Koech (KEN): 2:19:28
3.    Lahcen Mokrai (MAR): 2:21:52


Frauenwertung:


1.    Olivera Jeftic (SRB): 2:39:32
2.    Gladys Tepkurui Biowatt (KEN): 2:43:35
3.    Militsa Mircheva (BUL): 2:44:23

146 Finisher beim Marathon (122 Männer (52 DNF) und 24 (8 DNF) Frauen)
 

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