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Laufberichte

Podgorica-Marathon

25.10.15 Special Event
 

Ich stelle weder meine GPS-Uhr noch das Ersatzhandy für den Weckruf um 7 Uhr um, somit stehe ich absichtlich eine Stunde zu früh auf. Zweimal frage ich an der Rezeption nach, ob das Frühstück um 6 Uhr 30 Ortszeit serviert wird und blicke auf die Hoteluhr, ob sie im Vergleich zu meiner eine Stunde „hinten“ ist. Voriges Jahr in Casablanca ging es mir ähnlich – ich war um eine Stunde zu früh am Start, doch wegen verkehrstechnischer Verspätungen einer französischen Läufergruppe hat man den Marathonstart dann auch verschoben. Ich hätte mir den Fahrpreis (den ich alleine zahlte) für das Gemeinschaftstaxi sparen und die 4 km vom Hotel bequem spazieren können.

Endlich sehe ich ihn, meinen arabischen Zimmernachbarn, der die ganze Nacht wie ein Verrückter laut in sein Telefon schrie und wem auch immer seinen Gemütszustand schilderte. Die Wände des Hotel Terminus sind nicht isoliert, daher habe ich in der Nacht den Fernseher aufgedreht und die Klospülung öfters betätigt, damit  er merkt, dass im Nebenzimmer jemand einquartiert ist. Jetzt, wo ich beim Frühstück sehe, wie er gierig nach jedem Bissen schnappt, als würde ihm jemand das Brot wegziehen, dabei mit dem Kopf nickt, wenn der Schluckreflex einsetzt, überkommt mich eine sanfte Milde und ich könnte mir vorstellen, ihm das Weißbrot auf meinem Teller abzutreten, damit sein extraviertes Pseudomanagergehabe durch das Völlegefühl vermindert wird und er den Tag mit weniger Hektik beginnen kann. Ich höre dann im Frühstücksraum, wie er an der Rezeption schreit, sofort nach Sarajewo weiterreisen zu müssen. Gut weg, möchte ich ergänzen.

Es wird heute warm, um nicht zu sagen, heiß. Beim LCC-Marathon am 18.Oktober hatte es im Prater zwischen 8 und 10 Grad und leichten Nieselregen, ideales Wetter auf einer flachen Strecke für gute Finisherzeiten. Mit 4:34 ohne Kamera in Händen war ich diesmal zufrieden. Der Rundkurs mit einigen kurzen Schleifen in Podgorica hat auch kaum ein Gefälle, doch 24 angesagte Grad zu Mittag können im Herbst zu einer Herausforderung werden. Man hat sich ja schon auf deutlich tiefere Temperaturen eingestellt.

Mit vier weiteren Kollegen vom Country Marathon Club, Mario und Doris Sagasser (er hat 46, sie 45 Länderpunkte) und den beiden US-Amerikanern Peter Bennet und Yen Nguyen (beide haben bisher in 92 (!) Ländern einen Marathon erfolgreich absolviert und sind dem mit 125 Ländern weltweit führenden John Wallace, der vor einigen Monaten mit „Global Runner“ ein lesenswertes Buch herausgebracht hat, auf den Fersen) ist wie in Kiew ein Gemeinschaftsfoto kurz vor dem Start um 9 Uhr eingeplant. Meinem Zeitgefühl nach wird es dann schon 10 Uhr vormittags sein.

Es sind zahlreiche ausländische Läufer angemeldet und auch erschienen. Eine Gruppe aus Schweden postiert für ein Erinnerungsfoto, wie auch wir vom Country Club. Den Fahnen nach zu schließen  werden wohl zwei Dutzend Läufer aus dem westlichen Ausland teilnehmen. Die österreichische Fahne vermisse ich – hat es vielleicht damit zu tun, dass unsere Fußballnationalmannschaft mit dem Schweizer Spitzentrainer Marcel Koller zu ungeahnten Höhen emporstieß und auch Montenegro zu Hause mit 3:2 besiegte? Oder dem Umstand, dass man mich in der Starterliste als Mazedonier geführt hat, bis ich dagegen reklamierte? Ich knipse dafür die deutsche Fahne, schließlich haben unsere Kicker erst in der deutschen Bundesliga das nötige Know-how bekommen, das muss man erwähnen.

Und alle Kumpels sind wieder da. Selbst wenn man kaum über ihr Leben Bescheid weiß, man kennt sich vom Sehen und Smalltalk. Der serbische 4:30-Pacemaker von Katowice, Drago Boroja mit der Startnummer 154, der jetzt in Polen lebt und Ansprechperson für den Gratis-Bustransfer von Belgrad und Novi Sad nach Podgorica war, ist ebenso anwesend wie der unverwüstliche Vojislav Curulic (Nummer 202) aus Belgrad , dessen steifer Arm ihn bei den Marathons nicht behindert – beide sind Jahrgang 1953 und imstande, locker unter 4 Stunden zu finishen. Wie oft habe ich schon betont, dass mir diese Läufertypen gefallen, die den Sportgeist über alles stellen.

Die Marathonläufer sind an der weißen Startnummer auf rotem Hintergrund erkennbar, die Teilnehmernummern der Marathonhalbdistanzläufer haben einen blauen Hintergrund. Es sind zudem Bewerbe über 5 und 10 km auf dem Programm. Der Kurs der Halbmarathonläufer endet in Danilovgrad, die Route nimmt einen anderen Verlauf, der Start ist um 10 Uhr 30.

Es herrscht Hektik kurz vor dem Start, weil die Läuferinnen und Läufer nicht so richtig mitbekommen haben, wo man sich anstellen soll: vor oder hinter dem Transparent mit der Aufschrift „Start“, lautet die Frage einer Schwedin an ihren Begleiter – meine Kenntnisse in Schwedisch sind nach wie vor so gut, dass ich Unterhaltungen gut folgen kann (und die Betroffenen ahnen nicht, was sie so alles von sich geben). Lokalpolitiker halten eine Ansprache, die Musikkappelle spielt. Einige Minuten nach 9 Uhr ertönt ein Pistolenschuss. Unter die Läufer haben sich Kinder und Jugendliche gestellt, die jetzt losstürmen und so die Läufer blockieren. Ich wäre beinahe einem Kind von hinten auf die Ferse gestiegen, bei meinen 92 kg hätte ihm das wehgetan.

Der Kurs beginnt auf der ul. Slobode direkt beim Platz der Republik.  Ich schließe zu Doris Sagasser auf und laufe nun Seite an Seite mit ihr über die Millenniumsbrücke. Die den Ablauf störenden Kinder sind nach nur einem Kilometer schon müde und traben des Weges. Offenbar galt der Start knapp nach 9 Uhr auch den 5 und 10 km-Läufern, denn unter uns sind welche mit gelb und grün unterlegten Nummern.

Es geht in westliche Richtung weiter, wir haben das Zentrum von Podgorica nach 2 Kilometern schon hinter uns gelassen. Die Straßen sind für den Verkehr gesperrt, die Autofahrer halten sich daran. Doris und ich laufen etwas über einen 6er-Schnitt, also mit ca. 10 km/h oder 6 Minuten für einen Kilometer. Mein Ziel ist eine Halbmarathonzeit unter 2:10, 4:45 peile ich insgesamt an.

Der Marathonkurs führt nun kontinuierlich südlich in Richtung des Flughafens Mitrovici, der ca. 15 km von Podgorica entfernt ist. Im Stadtteil Krusevac beim Capital Plaza Hotel macht mich Doris auf das zu unseren Rechten befindliche Hard Rock Cafe aufmerksam. Obwohl ich eine Zeitlang bei unseren vielen Reisen in meiner Vormarathon-Ära bis zum Jahre 2001 Hunderte Souvenir T-Shirts aus vielen Ländern gesammelt hatte (die heute in seit Jahren nicht mehr gesichteten Schachteln in mehreren Kellern abgelegt sind), konnte ich mich nie für ein Leiberl aus einem Hardrock Cafe in einer der vielen Metropolen begeistern. Vielleicht ist mir da was entgangen, wer weiß?

Eine weitere Brücke, die Krivi most, führt über die Morača, bald haben wir 5 km geschafft. Nun biegen auch die 10 km-Läufer nach links ab, wie ca. zwei Kilometer davor die zumeist jugendlichen Teilnehmer am 5 km-Run. Zum Spaß bewege ich mich in die falsche Richtung, worauf der Streckenposten, ein sympathischer junger Helfer, gestikulierend mit beiden Händen in die andere Richtung deutet. Als er den Spaß erkennt, lacht er wie ich laut auf.

Ich blicke mich um, es kommen nur wenige Läufer nach. Da sagt Doris, dass wohl noch etliche hinter uns sind, so auch Peter und Yen vom Country Club. Ein Läufer mit der Nummer 84 schließt zu uns auf. Seine ganze Hochachtung gilt Doris vom 100 MC DEU, die inzwischen 303 Marathons gefinisht hat. Der Kollege aus Serbien erwähnt, dass er zwar schon 20 Halbe habe, aber er heute seinen ersten ganzen laufen will. Ich bezweifle, dass er das erhöhte Tempo ganz durchalten und bald zurückfallen wird – aber auch wir müssen erst einmal finishen.

Als wir zu ersten Wasserstelle bei Kilometer 5 kommen, sind alle verfügbaren Trinkflaschen weg. Das fängt ja gut an, aber da es um ½ 10 Uhr nur 15 Grad hat, ist mein Trinkbedürfnis gering. Unsere Laufzeit passt, 30 Minuten bisher zeigt meine GPS-Uhr an. Das Tempo passt, um ohne zu keuchen miteinander reden zu können. Große Geschichten sind es nicht, die man sich erzählt. Interessant finde ich, dass man in der Gegend von Hamburg regelmäßig auch private Marathons bei Geburtstagen oder bestimmten Anlässen zum Anschreiben im Freundeskreis veranstaltet. Dabei gelten die Regeln des 100 MC DEU, mindestens drei Läufer sollten am Start sein. Unsere Marathonaustria-Statistik würde diese Läufe (eher) nicht werten, doch wenn eine Laufgemeinschaft ein Regelwerk erstellt, sind diese auch für die Gruppe verbindlich. Jedenfalls ist Sammeln so einfacher als wenn man jedes Wochenende (wie ich) verreisen muss, um einen Marathon mehr auf sein Zählkonto zu bekommen.

Es geht auf die gesperrte zweispurige E80, die rechte Spur ist nach links abschüssig. Da habe ich meine Probleme, denn seit einem Abriss einer Sehne in der linken Innenknöchelregion ist der Fuß nicht stabil und andere Bänder werden strapaziert. Daher versuche ich auf solchen Streckenabschnitten auf ebene Fahrbahnbereiche auszuweichen, mitunter die Straßenseite zu wechseln oder auf dem Gehsteig zu laufen. Mache ich das nicht, schwillt der Knöchel an und die Schmerzen dauern Tage.

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