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Laufberichte

Ostravsky-Marathon (Ostrau, Tschechien)

06.09.15 Special Event
 

Der Marathonkurs führt nun nach Westen, zur Linken befindet sich das Forum Nova Karolina, vor uns ein Brückenanstieg, über den Autos und Straßenbahn fahren. Ein Streifen ist für die Laufstrecke gesperrt. Nach dem Anstieg geht es hinunter auf die gesperrte städtische Schnellstraße, wo wir erneut auf die voranliegenden Läufer aus der Gegenrichtung treffen. Diese habe nun gut drei Kilometer Vorsprung, sind also 20 Minuten vor uns. Der Camelpack-Mann hat zu mir fast aufgeschlossen. Denkt er im Ernst daran, dass ich ihn so ziehen lasse?

Nach einem Kilometer erreichen wir die musealen, teils verfallenen, teils für Führungen baulich gesicherten Fabrikschlote einer längst beendeten Epoche der schlesisch-mährischen Bergbauindustrie mit Eisenwerken und Steinkohleabbau. Die verrosteten Monsterhallen, Hochöfen, Schornsteine und Lagerhallen geben Zeugnis einer vergangenen Zeit, die nur mehr für die Geschichtsbücher relevant ist.

Bis zur 15 km-Anzeige ist es nicht mehr weit. Ich wundere mich nur, wie die Veranstalter von der schnellsten Strecke in Zentraleuropa schreiben können, wenn es immer wieder Anstiege auf Brücken, Autobahnauffahrten und dgl. gibt, wie auch soeben knapp vor der dritten Labe. Mein Verfolger hat einen Companion bekommen, ein Mann in kaum auffallend grauem Shirt mit Kappe und Kopfhörer. Beide eilen dicht hinter mir her. Leider kam es noch zu keinem Gespräch mit dem sympathisch wirkenden 399er mit Camelpack, wir haben uns nur zugenickt. Der lange Typ in grauer Aufmachung, der sich dazugesellt hat, wirkt aber ziemlich trainiert, er scheint seine Kräfte gut einteilen zu können.  Ich lasse beide nicht vor, ziehe an, wenn sie an mir vorbeikommen wollen. Das dürfte sie nerven, denn bis ins Ziel sind es noch 5 km oder gut 30 Minuten.

Wir überholen den Läufer mit der Nummer 635, er geht. Fraglich, ob er sich eine zweite Runde antun wird. Erneut kommt es zu einem Anstieg auf eine Brückenüberquerung. Die 180 Grad Kurs biegt dann wieder nach Osten ab, in einer Schleife geht es neben der Eisenbahntrasse zurück in Richtung Nova Karolina und weiter ins Ziel bei der Dreihalle. Meine beiden Gegner kann ich bis zum Halbmarathon fürs erste einmal abschütteln, sie liegen allerdings nur einige Hundert Meter zurück. Die angepeilten 2:10 für 21,1 km verfehle ich um 3 Minuten, doch bei den vielen Anstiegen geht das in Ordnung.

Die Halbmarathonläufer biegen knapp vor dem Ziel links ab, die Marathonis laufen gerade weiter. Im Ziel sind Hunderte Läufer versammelt, man bekommt im hinteren Feld liegend den Eindruck, als sei das Rennen schon vorbei.

Den Kurs hier in Ostrava kenne ich nun schon, es ist Mittagszeit, vereinzelt schließt ein Läufer zu mir auf. Die vorderen Läufer bleiben in Sichtweite. Einzelne Staffelläufer kommen mit Verspätung dank langsamer Vorläufer nun nach. Vor der 5km-Labe stehen noch immer die Kinder und klatschen ab. Ein junger Läufer mit der Startnummer 988 spaziert, er sagt mir auf Englisch, dass er den Marathon so in 5:30 schaffen will. Davon werde ich mich nachher überzeugen, denn es sind noch 17 km zu absolvieren, ich habe für 25 km 2:38 Stunden benötigt.

Ich kann es kaum glauben, der Mann in grau mit der Nummer 1173, der mit dem Camelpackträger versucht hat, mich einzuholen, kommt von hinten mit neuem Elan angestürmt und zieht an mir vorbei. Ich lasse ihn vorerst vorauseilen, bleibe aber dicht hinter ihm dran. Der Kollege mit Startnummer 399 und dem neonfarbenen Camelpack am Rücken ist ca. 300 m hinter mir. Der Kurs führt nun zum zweiten Mal am Panzermonument und dem alten Rathaus vorbei, entlang des Flusses nach Süden.

Die 30 km-Marke erreiche ich nach 3:17 Stunden, das passt soweit. Jetzt will ich mich wieder dem Grauwolf annähern, mit den Kopfhörern im Ohr würde mich der Mann nicht einmal verstehen, wenn ich ihm etwas Unschönes zuriefe wie z.B. „Herst Oida, schleich di von da Piste“

Bei der Begegnungszone sind nun klarerweise nur mehr wenige Marathonläufer anzutreffen, die Nummer 1173 liegt schon gut 100 m vor mir. Ich nicke ihm zu, als er mir entgegenkommt, doch er reagiert nicht. „Sei dir nicht so sicher, lieber Kollege“, denke ich mir, „12 Km liegen noch vor uns, ich schnappe dich schon noch“. Aber das denke ich mir nur, er hätte es weder gehört noch auf Deutsch verstanden.

Bis zum Anstieg über die října in den Stadtteil Vitkovice rüber tut sich wenig, Startnummer 1173 liegt knapp vor mir, 399 ca. 200 m dahinter. Beim Anstieg aber wird 1173 langsamer und 399 schneller. Plötzlich liegen wir drei auf gleicher Höhe. Eine lustige Situation, doch keiner spricht ein Wort. Ich grinse 1173 an, doch der bleibt ernst. Der Camelpackman dürfte sich vorstellen, im nahen Riesengebirge zu trailen und schöpft Kraft aus der Phantasie, 1173 lauscht vielleicht den Klängen von Smetanas Moldau und ist verzückt entrückt. Wir würden in Wien sagen „Schmäh homs kan, die badn“

Es geht wieder zu den verfallenen Hochöfen von Vitkovice , Zeit für mich zu zeigen, dass ich auch noch da bin. Ich ziehe an und überlaufe nun beide, bis wieder ein Abstand von ca. 100 m hergestellt ist. Es kommt nochmals ein Anstieg, dann geht es von der Brücke hinunter auf die gesperrte Schnellstraße. Die letzte Labe ist nur mehr 500 m entfernt, 1173 kommt erneut näher. Ich bleibe stehen und mische einen Becher Wasser mit Iso. Diesen kurzen Zeitraum nutzt der Kopfhörerman aus und zieht davon.
Keine Panik, weit wird er nicht kommen, weil ich noch Reserven habe.

Zunächst bleibe ich stehen und knipse einen jungen Kollegen mit 463, er hat sich die Laufschuhe ausgezogen und geht in Socken des Weges. Das schaut lustig aus. Als 1173 glaubt, er liege weit genug vorne, fängt er an zu gehen.  Zeit für mich das Lauftempo, das bei Kilometer 40 ja schon langsam ist, etwas zu erhöhen. So schließe ich zu ihm auf und überhole ihn. Während der schon „lauftot“ geglaubte Mann mit dem Kinnbart eines Mudschaheddin plötzlich wieder in Fahrt kommt und an mir vorbeizieht, kontrolliere ich bis knapp vor dem Ziel die beiden Kontrahenten, den Ohrenstöpsel-Freak und Mr. Camelpack.

Meine GPS zeigt 4:40 Stunden und 40,52 km an, als ich zur offiziellen 40 km-Anzeige komme. Wie viele Kilometer mag ich bei über 230 Marathons bisher schon zu viel gelaufen sein? Die Ideallinie ist zumeist nur eine theoretische, denn die Kurvenradien läuft man nie exakt durch. Ich finishe in 4:56:10 Stunden, dicht hinter mir die beiden Gegner, die dann rasch aus dem Zielbereich verschwinden.

Medaillen gibt es im Zielbereich allerdings nicht, man muss sie im Registrierungsfoyer abholen. Meine Strategie ist einfach: Ich gehe rein und borge mir eine aus, für Fotozwecke. Da zahlreiche Läufer nicht erschienen sind und einige das Rennen abgebrochen haben, schenkt man mir die Medaille nachher. Ende gut, alles gut.

Mein Fazit:

Der Ostravsky-Marathon ist gut organisiert, die Laufstrecke bestens abgesichert, doch wegen der vielen Anstiege sind m.E. die schnellen Laufzeiten wohl auch nur für Spitzenläufer möglich.

Wer sich rechtzeitig registriert, der bekommt für 600 CZK (ca. 24 Euro) ein Funktionsshirt, eine gediegene Medaille und seinen Vornamen auf die Startnummer gedruckt. Eine Kleiderabgabe befindet sich in der Dreihalle, wo man sich auch umkleiden und duschen kann. Pastaparty gibt es keine. Nächstes Jahr begeht man das 55. Jubiläum, es sollte eine attraktive Veranstaltung für die Läufer werden. Leider fehlen beim Marathon die Zuschauer, was eigentlich dem Gehabe der sportbegeisterten Tschechen widerspricht. Kein einziges Mal ertönte irgendwo das vom Icehockey bekannte „do toho!“

Sieger bei den Herren:

1. Martin Kučera (CZE): 2:30:02 .
2. Petr Pinďák (CZE): 2:41:53
3. Petr Kučera (CZE): 02:46:11

Reihung bei den Damen:

1. Eva Filipiová (CZE): 03:12:29
2. Blanka Masničáková (CZE): 03:30:31
3. Andrea Krstevová (CZE): 03:30:49

217 Finisher beim Marathon, 517 beim Halbmarathon.

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