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Laufberichte

Oslo-Marathon – meine dritte skandinavische Destination

20.09.14 Special Event
 

An diesem am Morgen (noch) ungewohnt kühlen Tag sind mehrere Bewerbe vorgesehen: um 9.20 Uhr die Rollstuhlfahrer, um 9.30 Uhr dann die erste Gruppe der Marathonläufer, 5 Minuten später die zweite Gruppe, der ich zugeteilt bin. Erst um 13.30 Uhr kommen die Rollstuhlfahrer für den Halbmarathon dran, der reguläre Bewerb in 7 Gruppen über die Halbdistanz dann um 10 Minuten später. Der Kurs für den Marathon ist 6 Stunden offen, den halben muss man unter 3h erreichen, um nicht disqualifiziert zu werden, so steht es in der Ausschreibung.

3000 Marathonläufer haben sich registriert, doch einige Hundert fehlen ganz bestimmt. Alle Anwesenden sind für den Start bereit, ca. 2 Dutzend Rollstuhlfahrer ebenso. Der Himmel ist bewölkt, doch laut Wetterbericht soll es gegen Mittag sonnige Abschnitte in Oslo geben, Regen ist nicht angesagt. Die Veranstalter geben eine Verzögerung um 20 Minuten bekannt, der Marathon wird erst um 9.50 gestartet, ich komme um 9.55 Uhr an die Reihe. Mein nicht unwesentliches Problem ist die mit ca. 4:45 Stunden kalkulierte Finisherzeit. Wenn das Rennen später beginnt, komme ich später ins Ziel und könnte so meinen Anschluss nach Göteborg Punkt 16 Uhr verpassen.

Endlich ist es soweit, der Marathon beginnt auch für mich. Einige Hundert Zuschauer sind im Start- und Zielbereich versammelt und feuern an. Es soll eine Volksfest werden, verheißen die Veranstalter. Schon nach 200 m stelle ich mich neben eine Gitterabsperrung und drücke mehrmals auf den Auslöser, um die hinter mir kommenden Läufer von vorne gut ins Bild zu bekommen. Fast jedes Mal knapp nach einem Marathonstart habe ich den Eindruck, dass sich nur topfitte Läufer auf die Strecke begeben, der Gesichtsausdruck und das Anfangstempo lassen solche Schlüsse zu. Wie wild und aufgezogen zappeln sie an mir vorbei.

Als ich vor einem Jahrzehnt einige Male nach einer gewissen Vorbereitung mit etwas Tempotraining die erste Hälfte eines Marathons in 1:50 lief – das war ab 2002 ein Jahr nach meinem Debut der Fall –  war ich genauso mutig unterwegs. Zumeist fehlten dann aber 3,5 oder 10 Minuten auf die sub 4h-Finisherzeit, die mir dann in Linz im April 2002 gelang. Das eigene Versprechen, nach dem Hunderter seit März 2012 wieder auf eine passable Zeit zu trainieren, habe ich nach der Sammleraktion 2013 mit 54 Marathons und einen Ultra auf 2014/15 verschoben. Der 200. Einzelmarathon nach der (inoffiziellen, aber von viele Läufern aufgesuchten) Österreich-Statistik ist zunächst das erklärte Ziel für heuer, 6 fehlen mir noch. Nach den mäßigen Laufleistungen bei den Marathons in den vergangenen Wochen werde ich mich 2015 selbst beim Wort nehmen und endlich wieder einmal Lauftraining betreiben.

Aber konzentrieren wir uns jetzt auf die erste von zwei Runden beim Oslo-Marathon. Vorbei am Friedensnobelpreis-Museum zur Linken führt der Kurs zunächst leicht ansteigend stadtauswärts nach Nordwesten. Beeindruckt bin ich von einem jungen Soldaten in voller Adjustierung, der sozusagen im Tarnanzug mit schweren Schuhen mitläuft und an mir vorbeizieht. Ich schließe auf die 4:30er-Pacemaker auf und bleibe in der Gruppe. Am Anfang eines Marathons sind 6:10 min/km natürlich auch für mich nicht anstrengend, erst ab Kilometer 30 mit einer Durchgangszeit von max. 3:10 Stunden spießt es sich dann. Wer nun denkt, dass ich bei einem Marathon immer nur kopfrechne, der irrt. Es ist vielmehr die lange Laufzeit, die es mit sich bringt, dass man auf allerlei Gedanken kommt. Ich rede eigentlich öfters mit Läufern während eines Marathons, hier in Oslo wirken alle so zielorientiert. Nur die beiden Pacemaker quatschen miteinander.

Die Laufstrecke geht kurz durch die Stadt, mündet dann vorbei an einer Jazzkapelle  in den Rad- und Spazierweg, der entlang der E18 zum Color Line Hafen führt. Noch vor der 5 km-Marke befindet sich die erste Labestelle, bei der ich nicht stehenbleibe – auch die Pacemaker laufen weiter. Die Color Fantasy steht zur Abfahrt ab 14 Uhr bereit, ich gehe davon aus, dass ich meinen geplanten zweiten Durchlauf bis spätestens 13.30 Uhr schaffen und das Schiff noch einmal sehen werde.

In einer Schleife führt der Marathonkurs vom Westen Oslos wieder in den Osten in Richtung Rathausplatz zurück. Auf diesem Radweg habe ich vor exakt 24 ½ Stunden meine Samsonite-Reisetasche mit integrierten Rollen gezogen, heute laufe ich auf ihn im Pulk mit der 4:30er-Gruppe. Langsame Läufer werden mitunter zu Philosophen, denen es sonst vielleicht fad wird, wenn ihnen die Ansprache fehlt und sie mit sich und ihrer Gedankenwelt vorlieb nehmen müssen. Ein Ordner stoppt eine Handvoll Schiffspassagiere, die ungeachtet der herankommenden Läufer die Strecke queren wollen.

Über die Akker Brygge, die als Erhebung nicht spürbar ist, geht es am Wasser vorbei zur Linken an Restaurants in Richtung Start- und Zielbereich. Die 10 km-Marke wird hier durchlaufen, ich bin mit der Gruppe unterwegs und fühle mich eigentlich gut. Nun führt der Kurs unter der Akershus-Festung, die ich gestern besucht habe, weiter. Zur Rechten befindet sich die Anlegestelle des Fährschiffunternehmens Stella Line. In einer erneut fast 180 Grad-Schleife wendet der Marathonkurs und geht ein Stück aufwärts, bevor wir nach einem kurzen Durchlauf durch Wohngebiet mit einer weiteren Labestelle die berühmte Oper erblicken. Die Architektur des eigenwillig anmutenden Marmor- und Glasgebäudes im Stadtteil Bjørvika ist preisgekrönt. Hier finden die bekanntesten Opern und Ballettaufführungen auch der Moderne statt. Das Opernhaus ist öffentlich zugänglich und man kann sogar das Dach erkunden.

Der Kurs führt nun in eine Zone, die man als Großbaustelle bezeichnen könnte. Dem Wasser wird Land abgerungen, um auf diese Weise wie z.B. in Singapur heuer nach 20 Jahren Abwesenheit hautnah erlebt, Quadratkilometer an Landfläche für Wohnbauprojekte und dergleichen zu gewinnen. Hier haben wir zum ersten Mal „Gegenverkehr“, der infolge der Absperrung mit Gitter aber keinen Läufer beeinträchtigt. Die 12 km-Marke wird bald erreicht, ich bin immer noch bei den 4:30ern in der Gruppe. Uns kommen die 4:15er entgegen, es wird Zeit, dass ich bald wieder dort mitlaufen kann. Ich bin gespannt, ob ich es aushalte, im Neuen Jahr ein paar Monate bei keinem Marathonbewerb dabei zu sein. 

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