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Laufberichte

Niesenlauf: Auf die Treppe, fertig, los

06.06.09

Fünf, vier, drei, zwei, eins und los

Um 7.30 Uhr wird pünktlich die achte Auflage des Niesenlauf gestartet. Immer drei Läuferinnen und später Läufer werden zur Startlinie im Gebäude der Talstation vorgelassen und der Starter zählt die letzten Sekunden bis zum Start runter: Fünf, vier, drei, zwei, eins und los.

Ich beobachte die ersten Starts und wünsche dann Jens alles Gute für seinen Lauf. Wir sind schon recht gespannt, ob wir das Ziel auf dem Gipfel erreichen werden. Zwar hatten wir seit etwa 3 Monaten zu Hause im Königsdorfer Wald auf einer Treppenanlage mit 190 Stufen trainiert, aber hier warten 11.674 Treppen. Dazu gilt es innerhalb von 1.10 Std. die Mittelstation Schwandegg zu erreichen. Wer länger braucht bzw. die Mittelstation erst nach 9 Uhr erreicht wird aus dem Rennen genommen.

Start im Regen

Viel Zeit zum Grübeln habe ich nicht. Meine Startnummer wird aufgerufen und ich reihe mich in die Warteschlange ein. Hinein geht es ins Gebäude der Talstation, dann heißt es 187, 188 und 189. Die 187 bin ich, die 188 tritt nicht an. Daher starten 187 und 189 als Zweiergruppe. Ich lasse den Laufkollegen direkt vor und laufe die ersten Meter über Gitteroste. Richtige Treppen sind am Anfang nicht zu bewältigen. Die Gitteroste, die neben dem Viadukt über die Kander hinauf in den Wald führen, sind jedoch in regelmäßigen Abständen mit Trittleisten versehen.
Pünktlich zu meinem Start setzt wieder Regen ein. Ich bin wenig amüsiert darüber und frage mich ernsthaft, ob die Entscheidung für den Lauf die Richtige war. Aber Jammern hilft nichts, davon hört der Regen nicht, es wird nicht wärmer und das Ziel kommt auch nicht näher.

Ich blicke nach oben, vor mir bewegt sich eine Schlange von Läufern entlang der Standseilbahn und verschwindet irgendwo oben im Wald bzw. Dunst. Es dauert nicht allzu lange und schon höre ich den ersten Ruf: „Treppe“. Ich trete zur Seite und lasse die Schnelleren vor.

Nach den Gitterrosten kommen bald die ersten echten Treppen. Ich steige Treppe für Treppe hoch und konzentriere mich immer auf die nächste Treppe. Dabei finde ich meinen Rhythmus. Es macht Spaß zu beobachten wie man rasch an Höhe gewinnt. Leider ist es nichts mit der Aussicht auf die Schweizer Bergwelt. Ich hatte mich im Vorfeld sehr auf die schönen Aussichten und Fernblicke gefreut. Nun konnte ich mich dank der Wolken und des Dunstes ganz auf die Treppen konzentrieren.

Zählen ist sinnlos

Ich versuche gelegentlich die Treppen zu zählen. Es ist ein unsägliches Unterfangen. Ich lasse es bald sein. Wer zählt schon bei klarem Verstand von 1 bis 11.674? Gegenfrage: Wer geht bei klarem Verstand 11.674 Treppen rauf?
Die Treppen wechseln in ihrer Beschaffenheit und ihrer Höhe. Es gibt Stufen aus Natursteinen und Betonplatten. Oftmals wechselt die Höhe. Vor der Zwischenstation Schwandegg empfinde ich die Treppen wegen der etwas größeren Höhe der Stufen als unangenehm.

Jeder Läufer hat seinen eigenen Rythmus und eigene Technik. Ein Läufer fällt mir besonders auf. Als ich ihn das erste Mal bemerke denke ich er sei gefallen. Dann sehe ich, dass er bewusst auf allen vieren die Treppen nach oben steigt.
Auf der Strecke sind mehrere Viadukte zu bewältigen. Hier steigen wir auf Gitterosten und Metalltreppen hinauf. Wer nicht schwindelfrei ist muss auf den Viadukten mit Problemen rechnen.

Plötzlich sehe ich auf dem Gleis links neben mir eine grüne Aufschrift: 3.000. Ich interpretiere die Zahl als Anzahl der schon bewältigten Treppenstufen und bin mir nunmehr sicher die Zwischenstation Schwandegg in der vorgeschrieben Zeit zu passieren.

Cut geschafft

Leider kann ich keine weiteren Angaben über die bewältigte Anzahl von Treppen mehr erkennen. So sauge ich aus den Schildern mit den Höhenangaben weitere Motivation. 1.000m, 1.500m, dann kann die Zwischenstation doch nicht mehr fern sein.

Da taucht aus dem Dunst vor mir ein Tunnel mit der Aufschrift „Schwandegg“ auf. Rechts am Tunneleingang gibt ein Schild die Höhe mit 1.600 m an. Na also, es geht doch, denke ich mir und steige die Stufen im Tunnel empor.

Meine Stimmung ist nun recht locker. Ich weiß, ich werde nicht nur die Mittelstation im Zeitlimit erreichen. Ich bin mir auch sicher das Ziel auf dem Gipfel zu erreichen. Mein Tempo ist zwar langsam, aber gleichmäßig. Sportliche Ambitionen habe ich keine, der Weg ist das Ziel.

Verpflegungsaufnahme und neue Motivation

In der Mittelstation ist eine Verpflegungsstelle eingerichtet. Ich greife beim Tee zu und lasse mir die kleinen Stücke Müsliriegel schmecken. Die Schokolade lasse ich liegen. Dazu wird später noch Zeit sein. Die freundlichen Helfer wollen uns Mut machen und sagen, wir hätten hier ja schon mehr als die Hälftegeschafft. Mein Hintermann sagt: „Glaub denen kein Wort“.

Aber es stimmt. Wir sind schon über der Hälfte. Vom Start auf 693 m sind wir nun auf 1.669 m angelangt. Fast 1.000 Höhenmeter in weniger als einer Stunde, ich bin zufrieden. Die restlichen etwa 700 Höhenmeter werde ich wohl noch schaffen.
Die kurze Pause an der Verpflegungsstelle tut mir gut. Dazu kommt, dass die folgenden Abschnitte eine geringere Treppenhöhe haben und das Steigen leichter fällt.

Zwischenzeitlich hört der Regen auf und es gibt vereinzelt sogar Ansätze von Ausblicken in die Umgebung. Teile der Sonnenterrasse zum Thuner See sind zu erkennen. Dann aber zieht es sich wieder zu und nix ist mit Sicht.

Treppensteigen macht Spaß

Der Lauf macht richtig Spaß. Wer hätte das beim Klingeln des Weckers um 5.30 Uhr gedacht? Plötzlich sehe vor mir im Dunst eine orange Jacke. Ich komme langsam näher heran und am Ende eines weiteren Tunnels erkenne ich Jens. Auch er hat den Cut an der Mittelstation geschafft und ist im Schlussanstieg.
Ich sehe, wie Jens sich ein Privatgetränk von einer freundlichen Helferin reichen lässt und dann anschickt ein weiteres Viadukt auf Gitterrosttreppen zu überqueren. Ich schließe auf und wir klatschen uns ab. Auf dem Viadukt ist es empfindlich kalt und es regnet. Die Kälte wird durch den hier oben herrschenden starken Wind noch verschärft. Ich überlege meine Windjacke anzuziehen. Da vor mir jedoch schon der nächste Tunnel wartet lasse ich die Jacke im Trinkgürtel und sehe zu, dass ich aus dem Wind und Regen heraus in den Tunnel hinein komme.

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