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Laufberichte

Kysucky-Marathon: Wo man den Laufsport lebt

20.06.15 Special Event
 

Kurz bevor ich mich bei Kilometer 8 einem Läufer mit der Aufschrift Polska am Shirt in Begleitung einer jungen Kollegin sukzessive nähere, sehe ich in einer Entfernung von geschätzten 300 bis 400 m die schnellsten Halbmarathonläufer herankommen. Jetzt geht es Schlag auf Schlag, in kurzen Abständen bekomme ich die Vorhut vor die Kameralinse, deren hohes Tempo ich heutzutage kaum mehr als einen Kilometer mithalten könnte.

Ich bleibe hinter dem polnischen ungleichen Pärchen (in Bezug auf das Alter), vielleicht läuft der Papa mit der Tochter. So wie ich 2004 – nur war unsere Tochter bald viel schneller als ich. Mit 14 Jahren lief sie den Vienna City Marathon 2004 in 3:25, den Halbmarathon in Graz locker knapp über 1:30. Ich sage im Scherz auf Polnisch zur jungen Frau: „Proszę piwo“ – der Begleiter antwortet auf Englisch: „Until you‘ll reach the finish line,  the beer might be over“. Da kann er Recht haben, denke ich mir – ich bin heuer schon öfters durch den Rost gefallen: in Milano waren alle Gels weg, beim Überdrüber-Marathon alle Mehlspeisen aufgefuttert und letzte Woche in Senica alle Getränke weggeräumt.

Im Ort Podvysoka erreichen wir die 10 km-Marke, hier ist auch die Wende für die Halbmarathonis. Die Polen drehen als Schlussläufer-Pärchen um, sie winken mir nach, ich zurück. Jetzt beginnt wieder das gewohnte Szenario: Allein auf weiter Flur, nur hie und da ein Auto, Menschen hinter Zäunen, die ihre alten Häuser verschönern sollen, ein paar Kinder, die das vom tschechischen Eishockey bekannte Do toho („Auf geht’s“) rufen. Mein langjähriger Versicherungsberater hat vor 20 Jahren eine junge Slowakin geheiratet, die aus der Gegend stammt. Voller Stolz erzählte er mir, dass er in den Jahren viel Grund und Boden für die beiden Kinder erworben habe und hoffe, dass die Preise in den kommenden Jahren steigen. Inzwischen hat sich die Frau scheiden lassen, der Tourismus in der Region Tourismus ist auch ausgeblieben.

Lange bin ich in Gedanken nicht mit mir alleine, denn knapp nach der 15 km-Anzeige bei Turzovka erblicke ich meinen Namensvetter Anton Gombar mit der Nummer 50. Beim Weihnachtsmarathon in Žilina am 20.12.2014 war er auch dabei. Wie hoch seine heutige zeitliche Vorgabe ist, frage ich aus Respekt nicht, denn nur wenige 71-Jährige erreichen seine Fitness. Den Begleitradfahrer, der eine Fahne wie in der Formel1 mitführt, deute ich vom Rad zu steigen, 20 m nach vorne zu laufen und uns beide zu fotografieren. Das wird zur Prozedur: Zuerst fällt das Rad um, das Pedal soll als Stütze auf der Gehsteigkante dienen, dann kann er keine 10 m laufen, damit er vor uns postiert ist. Außer Atem gibt er mit die Kamera nach nur einem Klick auf den Auslöser zurück – dementsprechend ist das Foto.

Anton geht mehr als er läuft, ich kann auf ihn wegen meiner zeitlichen Vorgaben nicht warten und muss nach dem Stopp von mehreren Minuten für die Fotosession wieder etwas zulegen. Kurze Zeit später kommen die ersten und schnellsten Marathonläufer auf mich zu. Die meisten sind bestrebt, die kürzere Innenseite bei den langgezogenen Kurven zu laufen. Auf 42,195 km bringt das eine gewisse Wegersparnis. Meine GPS-Uhr zeigt bei 16,87 km 1:48 h an, 2:15 für die Halbdistanz wäre natürlich wünschenswert, wird sich aber nicht ausgehen.

Mit einer guten Optik und adäquaten Kameraeinstellung – statt Automatik den Sportmodus – hätte sich für mich die Gelegenheit geboten, hier und heute  Spitzenlauffotos zu machen. Ich habe inzwischen ein halbes Dutzend Digicams, ziehe aber die älteste und am meisten beanspruchte den neuen vor – wegen des geringen Gewichtes. Leider sind die Fotos nicht die besten, die Bildqualität lässt öfters zu wünschen übrig.

Mehrere der auf mich zukommenden Läufer waren in Senica dabei, man kennt sich auch von anderen Veranstaltungen in Tschechien und der Slowakei. Auch die Berichte auf M4Y verfolgen einige der Läufer, wie mir öfters erzählt wird.

Ich kann nicht oft genug betonen, dass am vermeintlichen Klischee des ehemaligen Ostblocksportlers etwas dran ist: Härte zu sich selbst, Bescheidenheit, unbändiger Wille, feste Ziele und eine Physis, die einem degenerierten Städter so fremd ist, wie dem Vollschlanken eine Magerdiät. Stefan Polc z.B. mit der Nr. 83 hatte in Senica dasselbe rote Trikot an wie heute,  – er ist 1950 geboren und läuft Finisherzeiten zwischen 3:30 und 3:45. Oder Simon Alexander, Jahrgang 1947, auch seine Laufzeiten liegen um 3:45. Es gibt 45-Jährige, wie ein mir bekannter notorischer Ländersammler, die es nicht mehr schaffen, unter 4 Stunden zu kommen und damit im Altersindex schlecht platziert sind. Aber solche laufphilosophische Gedanken sind vielleicht nicht erwünscht, daher zurück zum Geschehen.

Der Wendepunkt für die Marathonläufer ist Vysoka nad Kysucou, ich befinde mich ca. 2 km davor, als die letzten Marathonläufer daher brausen. Nur Juraj ist nicht darunter – auf einer leicht ansteigenden Geraden erblicke ich ihn ca. 400m vor mir laufend. Wir werden uns nach der Wende treffen. Ich bin mir sicher, dass ich ihn einholen werde.
Der Sprecher begrüßt mich herzlich, ein paar Zuschauer klatschen, meine Uhr zeigt 2:18 für den Halbmarathon. Jetzt geht es zurück, zunächst ein paar Hundert Meter abwärts. Nur ca. einen Kilometer hinter mir kommt Anton Gombar daher, wir klatschen ab. Nun ist Juraj zum Greifen nahe, ich hole ihn ein und wir laufen nun nebeneinander her. 

Es beginnt zu regnen, Juraj wird langsamer. Er sagt, dass er schon müde sei. Er spricht gut Deutsch und arbeitet an der Uni in Bratislava. Ich frage ihn, wie weit die polnische Stadt Rytro von Čadca  entfernt ist. Dort findet nämlich am 21. Juni, also morgen, der Visegrad-Marathon statt, der als Zweiländerveranstaltung von Poliniec in der Slowakei nach Rytro in Polen konzipiert ist. Ich habe mir kurz überlegt, die 200 km nach dem Lauf in Čadca weiter in den Nordosten zu fahren. Doch ob die Laufschuhe bis morgen trocknen werden, bleibt ebenso fraglich wie das Prozedere bei der Nachmeldung. Juraj hat eine Bahnkarte, ich kann ihn nicht überzeugen, mitzumachen.

Bei Kilometer 25 bleibt Juraj länger an der Labe stehen. Ich warte zunächst, doch er verweilt. Der Regen hat aufgehört, es wird schwül. Die Unebenheiten am Fahrbahnrand stören mich, wenn ich von hinten kommenden Autos nach rechts seitlich ausweichen muss. Es kostet nämlich Zeit, wenn man ständig auf den Straßenverkehr achten muss, denn auf den Streckenabschnitten außerhalb des bewohnten Gebietes gibt es keine Gehwege oder Ausweichmöglichkeiten außer den Straßenrand.

Beim letzten Durchlauf am Rückweg durch Turzowa bleibe ich an der Labe stehen und gönne mir erstmals etwas Süßes. Mit Marmelade gefüllte Kekse, die wie Linzer Augen aussehen und auch so schmecken, hat es an mehreren Stationen gegeben.
Wegen des wieder einsetzenden Regens ist die Labe bei Km 30 verwaist. Mag sein, dass sich das Regenwasser mit dem in den Trinkbechern vermischt hat, so schmeckt es jedenfalls.  Mir macht Regen bei einem Marathon nichts aus. Die Luft ist frisch, von Leuten mit Schirmen wird man bewundert.

Ein Begleitfahrzeug fährt nun hinterher, überholt mich und parkt sich bei Kilomter 35 ein. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass auch Schlussläufer wie ich, Juraj und Anton versorgt werden. Mit 4:10 für 36.95 km liege ich im Plansoll: 40 km unter 5 Stunden. Für 3 km könnte ich mir unter diesen Vorgaben fast 50 Minuten Zeit lassen. Ein Rettungswagen bleibt kurz stehen, der Beifahrer fragt nach meinem Befinden. Alles ok, antworte ich und deute auf die Uhr, ich bin in der Zeit.

Als ich die 40 km-Marke erreiche – die Uhr zeigt 4:38 h, halte ich Ausschau nach dem Kontrollposten an einer Seitenstraße, den ich am Beginn des Marathons wahrgenommen habe. Der ist längst verschwunden, wahrscheinlich  hat man telefoniert, dass zumindest zwei von drei Schlussläufern zeitgerecht im Ziel eintreffen werden.

Ich laufe am Hotel Centrum vorbei, das übrigens pro Nacht fast 100 Euro verrechnet und wohl eine Kategorie höher als das Lipa ist, und nähere mich dem Ziel. Kurios ist, dass ein kleiner Pritschenwagen davor steht, auf den Helfer inzwischen allerlei aufladen. Mir wird klar, dass der Abbau voll im Gange ist. So laufe ich seitlich am Auto vorbei und erreiche das Ziel mit 4:56:11.

Inzwischen ist die Siegerehrung auch schon vorbei, die Mädchen, die die Medaillen ausgeben, sind auch verschwunden. Ein Mann vom OK-Team zaubert eine herbei und  gratuliert. An einem Nebenstand bekomme ein Bier. Mit dem Bon, den ich gar nicht vorweisen muss, hätte ich auch eine Gulaschsuppe erhalten.

Für die geplante Sonnenwendfeier werden die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Der Platz ist stark belebt, kleine Marktstände sind aufgebaut, der Marathon ist so etwas wie das alljährliche Vorprogramm. Noch mit knapp unter 4:59 finisht auch Juraj.

Als ich um 15 Uhr 40 nach dem Duschen nochmals vom Hotel zum Coop gehe, ist der Zielbereich schon abgebaut.  So schnell wie die einheimischen Läufer sind auch die Organisatoren.

Wer den Kysucky-Marathon laufen will, muss wie in Bratislava damit rechnen, dass man bei den zeitlichen Vorgaben keine Toleranzgrenzen kennt. Daher ist das Risiko für langsame Läufer wie mich groß, nicht anzuschreiben. Doch ich suche bewusst auch solche Herausforderungen, um zu reüssieren.

Fazit:

Der Marathon ist gut organisiert, die Versorgung an den Laben ausreichend – wenn es nicht regnet und man nicht ganz am Schluss läuft. Die Veranstaltung ist mehr für gute und schnelle Läufer ausgerichtet, Marathontouristen sind hier eher am falschen Ort. Nach wie vor störend ist der Verkehr, doch nicht gesperrte Straßen bei einem Marathon gibt es auch hierzulande.

 

Sieger bei den Männern:

1.Paul Kiprop (KEN): 2:26:17
2.Viktor Starodubtsev (UKR): 2:28:08
3. Peter Tichy (SK): 2:45:22

Reihenfolge bei den Frauen:

1.Pachtova Eva (CZ): 3:32:11
2.Anna Stitikova (SK): 3:41:12
3. Zuzanna Stochlican (SK): 3:42:48

91 Finisher beim Marathon, 81 beim Halbmarathon

Veranstalter-Link:

 

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