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Laufberichte

Ich hatte einen Lauf, hoch über Afrika

28.05.16
Autor: Joe Kelbel

2.Etappe 54 km, +2264/-2227m

 

„Ca va?“ „Bien dormiiiiii?.  So geht es ab 4:30 Uhr los. Kurz vor 7:00 wird abgehakt, wer heute dabei ist. Es gibt erste Ausfälle, es gibt Läufer, die nur die „Challenge“ machen, die  geht jeweils nur bis zum zweiten PC (point de controlle). Adam drückt mir wortlos die besprochene Tablettendosis in die Hand.

 

 

Der M´Goun (4068 m, „Arm der Winde“) ist der dritthöhste Gipfel des Hohen Atlas. Das Massif  besteht aus einem 20 km langen, steilen Grat, der sich durchgehend oberhalb der 4000er Marke bewegt. Unser heutiger Weg führt unterhalb, an der 3000er Marke vorbei.  Aufstieg zum Tizi (Bergweide) N´ Tafanfant in 2400 Meter Höhe, an einer wundersamen Quelle vorbei, hinauf zum Rouguelt (3210m).

Unser Trinkwasser wird von der Firma Ain Atlas gesponsert. Das Wasser wird aus drei Quellen des Hohen Atlas abgefüllt: Lala Haya hat Mineralien aus einem Vulkanmassiv bei Oulmes, Sidi Ali Chérif aus dem Mittleren Atlas hat Eisen und Mangan und Hamou Agamgam hat Mineralien aus Felsengesteinen. Ein anderer Sponsor ist Sultan, der Hauptsponsor des Marathon des Sables, eine Teefirma. Favorit für mich ist Vervainetee, auf deutsch Eisenkraut. Das Zeug lässt einen gut schlafen.  Wenn man keine Brustschmerzen hat.

Uralte Wacholderbüsche und verbrannte Akazienbäume geben der Gegend eine surrealististisches Aussehen, die Kalksteinfelsen sind scharfkantig, das Geröll bietet kaum Halt. Blick hinunter ins Tal der Rosen und in die farbenfrohe Dadès Schlucht mit ihren, vom Eisen tiefrot gefärbten Mergelhalden.

Geologisch wird es nun spannend: Wir kommen vom östlichen Atlas Gebirge mit seinen  Jura-, Kambrium- und Kreideformationen in das vulkanisch geformte westliche Atlas Gebirge. War die östliche Seite mit ihren bunten Farben, versteinerten Dinospuren, Ammoniten und Belemiten, Seerosen und Korallen, mit den lieblichen grünen Tälern und den fröhlichen Menschen eine Freude fürs Gemüt, so beginnen jetzt tiefe, dunkle Täler, steil abfallende Wände, schroffe Grate mit dunklen, drohenden Granit. Es wird düster, urig, vulkanisch, ab und zu leuchtet wieder Kalkstein, auf dem man deutlich fette Ammoniten erkennt.

 

 

Einst lag unter diesem Gebiet eine vulkanischer Hotspot, der die urzeitlichen Kanarischen Inseln formte, dann stieß die Afrikanische Platte auf die Italienische, faltete die Alpen und das Atlasgebirge. Der Laufuntergrund wird extremer, die steilen, brösligen Mergelhalden fallen 400 Meter tief ab. Ziegen schicken mit jedem Tritt eine geräuschvolle Steinlawine ins Tal. Die Schuhe des Dealers aus Bochum geben guten Halt, doch es reisst mich von den Füßen, die Fingernägel brechen wie umfallende Dominosteine, als ich sie  haltsuchend in den Dreck grabe. Ein Bein blutet wie ein geschächtetes Rind, bleibt oberhalb hängen, rettet mein Leben. Heftige Schmerzen an der Rippe.

Die Erdschichten liegen übereinander, durcheinander und kreuz- und quer, genau wie meine Laune. In Regoult gibt es Wasser am CP. Dann direkt von 1800 m auf 2907 Meter zum Tizi Rouguelt. Kein Weg, ein Bachlauf. Einfach wunderbar, bekomme gleich nasse Füsse. Oft stecke ich meinen Kopf unter einen der kleinen Wasserfälle, die von duftender Minze eingefasst sind. Ich kann wieder lachen. Nach drei Stunden bin ich oben. Links vom spitzen Kegel des Wagraraz (3200) tönt das jämmerliche Schreien eines vergessenen Zickleins durch den brausenden Saharawind. Hinter dem Wagraraz die Mauer des M´Goun (4068). Ich wecke einen Berber, der uns mit dem Maultier Wasser hier hoch gebracht hat, fülle auf, begebe mich auf den steilen Abstieg.

Im Tassaout-Tal verfolgen mich drei junge Mädchen. Ich singe „Heiß über Afrikas Boden, die Sonne glüht….“ Ob das Lied erlaubt ist? Die drei marschieren begeistert bis zum nächsten Dorf mit. 

Es ist dunkel, als ich in Ait N`Itto ankomme. Man murmelt, es seien 60 km gewesen und über 3000 Höhenmeter. Ich diskutiere nicht und bin um 21 Uhr bei vollem Licht weggepennt.


3. Etappe 44 km  + 2100/-2020 m

 

Konnte wegen der Schmerzen nur auf dem Rücken schlafen: „Man, you can snore!“ Wieder liegt ein extremer Ultra vor mir, bin gut drauf, der Transalpin sei ein Kinderlauf gegen diese Sache hier.

Es geht auf die Karavanenstrasse Richtung Timbuktu. Keine Strasse, ein Weg. UNESCO World Heritage. Es ist der ehemalige Handelsweg der Hamburg-Marokko-Gesellschaft, deren Speichergebäude noch an den Hängen des Onillatals hängen. Deutschland garantierte die Unabhängigkeit des Sultanats Marokko, einem der letzten freien Länder Afrikas, doch Frankreich besetzte 1911 Marokko. Berlin schickte zur Warnung das Kanonenboot Panther nach Agadir. Im Herbst verzichtete Berlin auf die Schutzhoheit Marokkos, um einen Krieg zu verhindern, erhielt dafür von Frankreich einen Teil Kameruns. Der Berberfürst, der Pasha von Ouarzazate, erhielt als „Abschiedsgeschenk“ nur die  Kanone der Panther, sie steht jetzt im Innenhof der Kasbah von Ouarzazate.

 

 

“In the dry winds of summer
We were sharpening the blades
We were riding to act upon the promise we had made
With the fist and the dagger
with the rifle and and the lance
We will suffer no intrusion from the infidels of France
We will suffer no intrusion from the infidels of France”

Das Lied geht mir durch den Kopf, als ich den Tizi Awrghiz (2454) erreiche und auf die Kette des Anghomar (3570) blicke. Erst letzten Monat bin ich hier gelaufen (Tizi N´Trail), nun komme ich von der anderen Seite, arbeite mich durch eine grandiose Mondlandschaft nach oben zu den Bergwiesen von Azibs Taoudja. Hier stand 1906 Alfred Mannesmann, untersuchte die Kupfervorkommen mit Billigung des Pashas Glaoui. Die Fundstellenberichte (1910-1914) des Marokko-Minen-Syndikats von Mannesmann sind bis heute Grundlage sämtlicher Explorationsvorhaben in Marokko.

Meterdick liegen hier die Tone und Mergel des Keuper, dazwischen glitzern wunderschöne Kristalle des Aragonit, einst in der Tethys, einer Bucht im Pangaea gebildet. Wenn ich über glatte Felsen laufe, dann grinsen mich die versteinerten Mundwerkzeuge der versteinerten Seeanemonen an, oder breite Spiralen der Amoniten erinnern mich an die Zeichnungen von Nazca.

Auf der Grenze der Provinz Azilal zur Provinz Souss.Massa-Draa, am Tizi N´Fedghat ( 2181) steht eine Versorgungsfahrzeug. Aus der Sahara kommend, presst sich ein Extremwind über diesen Pass unterhalb des Tizi Tamadla( 2850), sodaß das Umfüllen aus den 5 Liter Kanistern in meine Halbliterflaschen schiefläuft. Im wackelden Fahrzeug sitzend, kann ich nachfüllen. Hier sitzen aber auch einige Abbrecher, zwischen denen ich mich nicht wohl fühle.

Kaum draußen, reisst es mir die Brille weg. Es gibt hier mehrere ungesicherte Minenschächte, 80 x 80 groß, ich möchte hier nicht im Dunkeln laufen, versuche hinab zu blicken, doch die Windböen sind mir unheimlich.

Auf einer wunderbaren Ebene steht eine große Stehle mit arabischer Inschrift: „Auf dieser Fläche ist das Campieren verboten, weil Wassereinzugsgebiet des Dorfes xy. Zuwiderhandlungen kosten 80.000 Pesetas.“ Es sind die Pesetas von Spanisch Marokko, 1906 wurde der Stein von der Hamburg Marokko Gesellschaft aufgestellt. Der heutige Umtauschkurs Pesetas- Dirham scheint noch zu exestieren, er beträgt laut Auskunft eines Berbers 1:1000.  Dirham ist das Wort für die griechische Drachme, bedeutet Silbermünze. Das Weltbild hier bleibt griechisch. Auch ein weiterer Stein verbietet wortwörtlich das Kacken in dieses Gewässer. Die Quellen hier speisen sich aus fossilem Gletscherwasser, was hier in den winzigen Tümpeln lebt, hat seit 10.000 Jahren keine Verwandte mehr. So klingt das Quaken der Frösche wie eine Nachricht aus der Steinzeit.

Der Tizi Tamadla (2900) will nicht kommen, immer wieder kommt eine höhere Fläche. Zunächst der Pass Col de Tizi Timililt(2588). „Tizi“ bedeutet Bergweide, die Berber bezeichnen also nur wichtige Dinge, wir Europäer deuten Tizi automatisch als Berg, doch das ist falsch, dann noch einer und noch einer…

Die Sahara liegt links unter mir. In 50 km Entfernung ist der Stausee von Ouarzazate sichtbar. Dort beginnt offiziell der Draa Fluß, der weit hinter M`Hamid, hinter der algerischen Grenze in der Wüste verschwindet. Der Stausee liefert die gesamte Strommenge, die südlich des Hohen Atlas gebraucht wird. Hinter dem Stausee sind deutlich die Panele des weltgrößten Solarkraftwerkes zu sehen, finanziert von Deutschland. Nie wird ein Megawatt das Land des Finanziers erreichen, nie ein Megawatt den Weg nach Nordmarokko finden. Die Bundesrepublik lobt auf ihrer Website ihre Investition in den Umweltschutz, ein Stichwort mit dem man jede sinnlose Steuerausgabe begründen kann.

Der Abstieg zu Marokkos höchstem See Tamda (2680) geht über einen 10.000 Jahre alten Gletscherfluß. Ein schmerzender Lauf über große Quarzsteine, dazwischen liegen Olivinbomben, grüne, runde Kristallkugeln, die einst die Vulkane ausschleuderten, und die nun die Schuhsohlen aufreissen.

Ein Nomade hat Wasser  hoch gebracht, er beobachtet meine Selfieversuche an diesem wunderbaren See, ich beobachte seine Angelversuche. „Trucha“, also Forelle sagt er, es ist altes Spanisch aus vorfranzösischer Zeit, mich nennt er „ Ju Alemania“ und überreicht mir zwei Bierdosen. „Viente-ditsche kilometro“ seien es noch, also dreissig, eine Zählweise, die sich auch im Französischen noch erhalten hat.

Auf einem Felsen steht eine verschrumpelte, rostige Teekanne. Schon letzten Monat habe ich mich gefragt, welche Geschichte dieses Gerät erzählen könnte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit komme ich im Ort Tighza-Wawrikt(1900) an. Ziel.

In der  Gite Tighza wird Cola verkauft, ich trinke sechs Flaschen, kaufe mir nochmal sechs fürs Frühstück. Es wird an diesem Abend viel getanzt, es ist Halbzeit, von nun an geht es nach Hause. Ich  habe das erstemal nennenswert gegessen. In den Sanitäranlagen ist kein Licht. Mit Stirnlampe auf dem Kopf taste ich mich vorsichtig unter die eiskalte Dusche. 

Adam bespricht mit mir die morgige Dosis Medikamente. Mein Zwerchfell hat sich entzündet. Adam sagt, es liege an der aktiven Atmung und der Kompensation der Muskeln.

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