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Laufberichte

Grande Trail Serra d'Arga: Wahnsinn über dem Atlantik

27.09.15
Autor: Joe Kelbel

Ultra Trail Serra d ´Arga

 

Diese Nacht keine Mietze, sondern Moskitos. Zieht man sich die Bettdecke über den Kopf schwitzt man, macht man das Fenster auf, kommen neue Blutsauger und der Nebel. Ich schlafe nicht.

Um 6 Uhr bringt mich Mauro nach Dem. Komischer Name für einen Ort. Kein Abendessen, kein Frühstück, aber blutarm. Der fette Ochse wird aufgespiesst. Ich könnte ihn jetzt schon fressen, er braucht aber noch 8 Stunden. Ich wohl auch.

Die Schule liegt außerhalb, Ziel, Zielverpflegung, Party, Duschen etc sind dort. Es gibt 3 Cafés, die leben nur von diesem einen Tag. Dafür müssen die auch mit den  Kloverstopfungen klarkommen. Auch die winzigen Strassen sind verstopft. Jeder parkt, wo er will.

 

Hier sind nun 2000 Trailrunner versammelt, die Hälfte läuft 33 km, die andere 53 km. 10er und 23er starten im Zielort des 33ers in San Lourenco da Montaria. Ich bin für die 53 gemeldet, ich könnte es schaffen. 

Mit dem Team von den Kapverdischen Inseln hatte ich mich gestern angefreundet. Sie sprechen gut Englisch, sind verspielt und werden deswegen wie ich den Sieg verpassen. Aber Spass ist wichtiger. Wir lachen uns kaputt und laufen uns auf dem Parkplatz warm, bis wir den Startschuß überhören.

Es geht eine Ehrenrunde durch das Dorf, nicht ohne, ich ja auch nicht. Nach einer Stunde sind wir oberhalb des Nebels, der sich anscheindend über dem gesamten Atlantik ausbreitet. Die Serra d´Arga ist wie ein großer Vulkan geformt. Wir werden heute an den Flanken hoch und runter laufen, durch die fruchtbare Hochebene (deswegen der Name: „ Agrar-Hochfläche), so kommen 3300 Hm zusammen. Die Ausschreibung erzählt von 6000 plus minus, ich dachte nicht, dass minus orthopädisch so relevant sein kann.

Den Rand der Hochfläche erreiche ich mühelos, doch der Weg hinab macht mir Probleme. Ich kann mich nicht konzentrieren, zu wenig Schlaf. Susana, Platz 21 beim UTMB, holt mich ein und erklärt mir, dass sie die Schlussläuferin ist. In  Arga S. João, bei km - 9 ist der erste VP. Schnell laufe ich weiter, Susana nimmt die ersten Läufer aus dem Rennen. Sie wird so viel zu tun haben, dass ich sie erst im Ziel wiedersehe.

Es geht nun an der Innenseite der Serra wieder hinauf, zunächst an einem lieblichen Bachlauf entlang, dann sogar durch dichten Tannenwald, dass ich glaube, wieder im Pfälzer Wald zu sein. In Mostreiro, bei km 12, gibt es eine frische Quelle.  Jeder kippt sich das eiskalte Wasser über den Kopf, die Sonne hier ist mörderisch. Das Hinablaufen erfordert viel Kraft, es ist schwierig die Steine zu treffen, oft knickt der Fuss ab, Knie, Hüfte, Rücken mosern gewaltig.

Mir ist das Wasser ausgegangen. Es fängt mit einem Kribbeln im Unterkiefer an, breitet sich über den Kopf aus, die Hände werden kraftlos, die Beine zittern: Unterzuckerung Ich gehe in die Knie. Ich muss diesen Lauf abbrechen.

Im Rucksack finde ich zwei alte Müsliriegel, man wird mit der Zeit nachlässig und packt den Rucksack nicht mehr ordentlich. Die Riegel schmecken nach Schweiss. Unter mir liegt Arte na Leira, gerade wird die Sonntagsmesse abgehalten, die mit Lautsprechern in das Tal übertragen wird, damit auch diejenigen, die nicht mehr laufen können, an der Messe teilhaben können: Gloria in Excelsis Deo. Ehre sei dem da oben, der nicht mehr kann, trotz Deo. Ich muss aufstehen, sonst verbrenne ich. 

Ich schaffe es in den Ort hinab, dort ist der zweite VP bei  km 17. Es gibt einen leckeren Reisbrei mit Zimt, leider  mit vielen Fingerabdrücken. Anscheinend gibt es Läufer vor mir. Das Zeug ist köstlich, nur ein wenig zu trocken, weswegen ich das Zeug wieder auswürge. Zu den etwa 15 Abbrechern möchte ich mich noch nicht gesellen.

Auf der anderen Seite von Arte na Leira gibt es ein uraltes Bewässerungssystem aus schmalen, gemauerten Kanälen. Carlos sagt, hier kann man laufen. Die Idee ist gut, allerdings sind die Ränder recht hoch, scharfkantig und lustig, so wie Amanda, die mich heute morgen herzlich begrüßt hat.

Es geht durch ein verfallenes Dorf, Efeu wächst aus den hohlen Fenstern, verwilderter Wein aus den dachlosen Häusern. Fotomotive für Tage, ich muss mich jedoch sputen, mir droht die Cut-Off- Zeit. Acht winzige Dörfer gibt es hier in der Hochebene, sie entstanden vor 1000 Jahren, als die Wickinger die Küsteregion blondierten.

Es geht wieder den Innenrand der Serra hinauf. Ein Trikefahrer holt einen Fussbrüchigen ab. Danach wird es still, so still, dass ich mitbekomme, wie mein Handy selbständig arbeitet. Das kostet Geld, ich werde von drei deuschen Teilnehmern zurückgerufen, versuche das Handy auszuschalten, geht nicht, bin also wieder unterzuckert. Gruss an Martin.

Ich habe mich verlaufen. Kostet 30 Minuten, dann bin ich zurück, dort wo ein großer Pfeil die Richtungsänderung ankündigt. Warum nur habe ich mich vom Handy ablenken lassen und diesen Pfeil nicht wahrgenommen? Warum nur bin ich 2 Kilometer ohne Markierung weitergelaufen? Ich dachte, der Pfeil führt zu einer Verpflegungsstation, wollte nur schnell weiter. Ich bin demnach am Arsch.

Oben sehe ich den Turm, zu dem gestern der Vertical führte. Ich weiss, ich muss dort wieder hoch. Ich könnte direkt laufen, doch ich bin nicht fit und unten wartet eine Kontrollmatte. Meine Zeit ist grottenschlecht, der Untergrund nicht laufbar, in Deutschland ist das Trailleben einfacher.

Nach ewiger Zeit komme ich nach Cerquido, dem dritten VP bei km 25. Wieder viele Abbrecher, ich kämpfe gegen meinen Schweinehund. Reisbrei und Orangen helfen, nach 20 minütiger Pause raffe ich mich auf, laufe über die Kontrollmatte und begebe mich auf den grellen Pfad nach oben.

Hier auf der Römerstrasse ist es zwar angenehmer zu laufen als querfeldein, doch die Sonne hat mir die Haut verbrannt. Gestern habe ich für die 800 hm und 4,5 km 1:22 Std gebraucht, heute wohl mehr als  2 Stunden. Ich kann viele Mitläufer überholen, zwei kotzen in den Stechgister. Das motiviert, nach einer Stunde bin ich oben am alten Funkturm (km 28). Dort gibt es einen Wasserhahn, kaltes, klares Wasser, für die heisse Birne reicht es.

Nebenan ist die Kirche Srª do Minho, die Messe hat noch nicht begonnen. Die Lautsprecher übertragen Gesänge über die Hochebene, das hat was Mystisches, das ist bewegend in der Einsamkeit der Gluthitze hier oben. Santiago-Pilger laufen im Kreis um die Kirche, in der Hand den Rosenkranz.  Sie werden hier oben übernachten und morgen den Jakobsweg weiterlaufen, 200 km sind es noch.

Für mich noch 4 Kilometer, ich werde die Cut-Off-Zeit nicht mehr schaffen und darüber bin ich froh. Ich kann jetzt diese eigentümliche Hochebene, die von unzähligen Funkmasten gesäumt wird, geniessen. Ich könnte, doch Flüssigkeiten fließen  nicht aus diesem Hochkessel nicht ab und so läuft man durch Gras, das von Pferdeurin getränkt ist, und den Schuhen und Socken entsprechenden Geruch gibt. Der Enzian leidet dementspreched auch und bleibt ziemlich farblos.

Mein einstündiger Leidensweg hinab nach Montaria, dem Ziel der 33 km-Wertung, bleibt auch farblos, ich habe meinen Meister gefunden: Carlos Sá.  Für die 33 Kilometer habe ich 7:53 gebraucht,darüber kann mich die große Party nicht hinwegtrösten. Ich verziehe mich verschämt in das Café, wo mich alte Leute begaffen, weil ich mit zwei großen Gläsern zur Terrasse zurückkehre.

Drei ungewöhnliche Trail habe ich geschafft, drei krasse, neue, wunderschöne, abwechslungsreiche, total unterschiedliche Landschaften habe ich erkundet. Ich bin ein Held, glotzt ihr nur!  Wer das Aussergewöhnliche liebt, den Aufstieg nach Bovine jemals geschafft hat, der ist hier gut aufgehoben, der wird abkacken vor Anstrengung und Freude! Alle anderen sollten trainieren!

In Portugal bin ich ein Kuriosum. Niemand hier ist mehr Marathons/Ultras gelaufen, als ich. Man begegnet mir mit sehr viel Herzlichkeit, vor allem die schnellen Läufer, also eigentlich alle. Man spricht englisch, unter Älteren komme ich mit Spanisch weiter. Es gibt super funktionierenden Shuttleservice, jeder Läufer nimmt mich gerne mit.

Die uralte Landschaft fasziniert mich, die Trails, die nicht für Durchschnittsläufer geeignet sind, reizen mich bis auf die Blutblase. Es bleibt eine Rechnung offen, für die ich nicht viel zahlen musste: Mit Ryan Air nach Porto für marathonale 42 Euro. Manche Flieger landen wegen des jahreszeitlich bedingten dichten Küstennebels auf den höhergelegenen Ausweichflughäfen Santiago oder Viego, das ist näher zum Startort.

Ab Flughafen Porto mit der Metro zum Bahnhof Porto Campanha, von dort mit dem Zug der Linha do Minho (Hauptbahn des Minho) Richtung Valenca, 1 Std, 10 €.

Mit dem Mietwagen über die A 28, 100 km, ab 19 € pro Tag.

Fernbus:  Rede Expressos: 11:00 und 11:30 ab Porto ( 2 Std)

Hotels in Caminha ab 30 €, in Dem, dem Startort des Ultras ab 15 €, Übernachtung in der Turnhalle möglich ( drei Läufer waren anwesend)

In Caminha Meldebüro am zentralen Platz, dem Praca Conselheiro Silva Torres.
Anmeldung über die Website (nur portugisisch).

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Übrigens, für alle deutschen Läufer organisiere ich einen Shuttleservice, Hotelbuchungen und Anmeldungen bei meinen folgenden Projekten in Portugal:

Geres Marathon: „ The World´s Toughest Road Marathon” 29.11.

110 km nonstop Ultra Trail Sico – Conimbriga  26.02.

Peneda-Geres Adventure Trail 280 km, oder 130 km  24.04.- 01.05.

Bin gespannt auf den ersten Deutschen, der hier finisht.

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