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Laufberichte

Desert Ultra Namibia

10.12.13

Dennis Grüne aus Wuppertal verläuft sich morgens und wird trotz Flugzeug- und Helikoptereinsatz erst am nächsten Tag gefunden. Er hat gegen Mittag bereits sein Wasser verbraucht. Aber er ist Ernährungswissenschaftler und weiß, was man mit seinem eigenen Urin in solch einer Situation macht. „Etwas Energizer mit Erdbeergeschmack macht es erträglicher“ erzählt er mir später. Das Rennen war an diesem Tag wegen der intensiven Suche unterbrochen worden und geht erst einen Tag später weiter. Die Crew von Beyond the ultimate hat bei der Suche nach Dennis einen sehr guten Job gemacht, wie überhaupt die Stimmung sehr familiär und das medizinische Team hochqualifiziert war.

Aus den Krankenhäusern kommen die Signale, dass alle wieder gesund werden. Wir können morgens aufatmen und wieder losrennen. Mein zum Teil selbstverschuldeter erster Tag hängt mir noch nach und ich gehe ziemlich geladen an den Start. Wer mich kennt weiß, dass ich in der Not für alle ansprechbar bin und sowieso immer alle Seiten verstehe. Manchmal geht es so weit, dass ich nicht mehr genau weiß, was meine eigene Meinung dazu anfangs war. Aber wenn ich mir etwas in den Kopf setze, kann ich ernsthaft anstrengend werden und zum Borderliner mutieren. Um dieses Rennen noch zu drehen, muss ich Andrew Clarke und Alan Leed sofort attackieren.

Etappe 2 geht heute eher über unebene Jeeptracks, auf denen aber zügiges Laufen möglich ist. Nach Checkpoint 2 muss der führende Andrew Clarke abreißen lassen und ich bin mit Alan Leed und Michele Ufer aus Deutschland unterwegs. An Checkpoint 3 und 4 müssen alle Läufer nach einer neuen Vorgabe eine 10 minütige Zwangspause einlegen. Die Ärzte haben Sorge wegen der großen Hitze und weiteren Ausfällen.

Ich betrachte das Rennen nun aus einer neuen Sicht: ich baue mir das um in zwei schnelle 10 km Läufe mit Trinkpause und laufe den Kollegen davon. An diesem Tag bin ich so zügig unterwegs, dass das Course making team die Markierungen auf den letzten 8km noch nicht fertig hat. Die Helfer zeigen mir den Weg per Handzeichen ins Ziel. Ich habe Alan 20 Minuten und dem führenden Andrew sogar 50 Minuten abnehmen können. Michele Ufer hat Spaß an der Veranstaltung gefunden und hat seine Knieprobleme des ersten Tages überstanden. Er kommt heute als Zweiter mit 20 Minuten Abstand hinter mir ins Ziel. Ein langes Flusstal mit sehr weichem Sand, in dem die Hitze steht, hat allen arg zugesetzt. Für mich ist es aber die Stelle an der ich wusste, dass der Ausgang dieses Rennens noch offen ist.

Am nächsten Morgen starten wir bei Sonnenaufgang auf die 35 km lange Etappe entlang des Brandberges, der sich auch die Ehre gibt, in der aufgehenden Sonne ganz in Rot zu erscheinen. Daher auch der Name Brandberg. Diese Etappe ist ja eher eine Sprintdistanz. Von den Höhen des Brandberges geht es runter in ein riesiges Flussbett. Der junge Edwin Snippe ist mein Begleiter bei diesem zügigen Ritt ins Tal. Alan und Andrew können das hohe Tempo nicht halten und kommen 5 Minuten später rein.

Unser Lager ist angeblich umgeben von Elefanten. Überall sieht man die Spuren. Ich gehe auch in den kleinen Wald, in dem sie alles zerlegt haben, aber es ist nichts von ihnen zu sehen. Unser Truck hat sich im Flussbett festgefahren und es gibt erst später am Tag heißes Wasser und Zelte. Der LKW bekommt hier seinen Spitznamen von mir. Bei dem Versuch, das 4Rad Monster rauszufahren, rufen der Motor und die eingegrabenen Räder zusammen immer und immer wieder „RAOOUUULLL , RAOOUUULLL“. Dieses großartige Bild führt zu meinem spontanen Entschluss:  Wenn ich groß bin, werde ich Raoul kaufen und mit ihm durch Afrika fahren.

Mittlerweile ist nur noch die Hälfte der Teilnehmer in der Wertung. Selbst Mimi Anderson, vielfache Weltrekordhalterin im Ultrabereich, ist verletzungsbedingt ausgestiegen. Eine Ausfallquote von 50 % unterstreicht den Slogan „ Nothing tougher“.

Es folgt die letzte Etappe über 100 km mit Start beim ersten Sonnenstrahl. In der Gesamtwertung liegen Alan und ich sehr dicht beieinander. Er ist mit zwei Minuten Vorsprung auf Platz 1, ich folge auf Platz 2 und schon 20 Minuten später kommt Andrew Clarke. Die übliche 5er Gruppe läuft zusammen vorne weg und bevor es zu den Dünen kommt, sind Andrew und ich schon mit leichtem Vorsprung unterwegs, der am Ende der Düne auf 20 Minuten angewachsen sein wird. Wir gewinnen gemeinsam die „king of the dunes“ Etappe als die schnellsten Läufer in den Dünen zwischen Checkpoint 2 und 4. Das Tempo ist ungewöhnlich hoch für eine 100 km Etappe in der Wüste. Klar ist, dass Andrew seinen 20 Minuten Rückstand in der Wertung zu Alan aufholen möchte, um doch noch den 2. Platz zu erreichen, oder zu gewinnen. Ich hingegen habe den Plan, ihn zu kontrollieren und in seiner Nähe zu bleiben.

Andrew zieht zwischendurch immer wieder an, was unser Tempo sehr unruhig macht und Kraft kostet. Um dem ein Ende zu setzen, zeige ich ihm zwischen Checkpoint 4 und 5, dass ich in der Lage bin, ein durchaus höheres Tempo zu laufen. Den Versuch an mir dran zu bleiben, muss er nach 15 Minuten mit einer längeren Gehpause beenden. Danach warte ich am nächsten Checkpoint auf ihn und wir besprechen uns. Die Dinge sind fortan geklärt und wir unterhalten uns den Rest des Tages beim Laufen viel über Familie, Job, Laufen und Afrika.

Zwischen km 60 und 80 laufen wir durch die totale Marslandschaft. Nur Steine in Rot und wir warten darauf, dass jeden Moment eine Filmcrew mit einsatzfähigen Marsmobilen auftaucht. Die Steine speichern die Energie der Sonne und nun kommt auch die Hitze vom Boden durch die Schuhe. Auf den letzten 20 km müssen wir immer wieder Gehpausen einlegen, da es ohne Wind in den wunderschönen kleinen Tälern unerträglich heiß wird. Hier warte ich ständig auf die Ankunft von Winnetou und Old Shatterhand… es wird Zeit dass das Ziel kommt, da die ersten leichten Halluzinationen einsetzen.

Die letzten 10 km machen wir im Dunkeln. Ich liebe es jetzt zu gehen. Der klare Sternenhimmel, die totale Ruhe und die Gewissheit, dass mich die Wüste wieder hat, lassen mich in diesen Momenten sehr ruhig werden. Ich will mich gebührend verabschieden. Wir gehen - anstatt zu laufen -  die letzten 5 km in aller Ruhe gemeinsam ins Ziel. Nach 100km und 15h liegen wir uns in den Armen.

Ich habe die 250 km in der Namib Wüste in 28:56h gewonnen. Ich ziehe mich zurück, mache mir einen Espresso und denke nach über dieses Rennen. Ein hartes Rennen. Vielleicht sogar das Schwerste nach dem 200 km Nonstoplauf in Libyen 2008. Ich hatte einige zweite oder dritte Plätze bei großen Wüstenrennen und ging bisher davon aus, dass Platz 1 nicht automatisch das perfekte Rennen bedeutet. Lässt sich auch schnell behaupten, wenn man gerne mal den ersten Platz verpasst. Grins! Nun habe ich gewonnen und bin um eine Gewissheit reicher: gelegentlich stimmt das, was ich erzähle. Und noch etwas wurde mir klar. Ich hatte viel Zeit in der Namib mich mit dem Thema „warum laufe ich?“ zu beschäftigen. Ich liebe es, weil ich ständig Fragen stelle und Antworten suche.

Zu den großen Gefühlen kam ich erst ein wenig später. Auch wenn es jetzt gleich sentimental klingt: es war nicht der Ausgang des Rennens. Ich war einer der ältesten und erfahrensten Teilnehmer und dadurch auch Ansprechpartner für andere. Nach dem Rennen haben sich zwei Läufer in einem sehr emotionalen Moment für meine Unterstützung in dieser Woche bedankt. Während ich hier schreibe, erlebe ich diesen Moment wieder und es berührt mich sehr.

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Ergebnisse:

1. Rafael Fuchsgruber BRD 28.58h
2. Andrew Clarke GB 29:17h
3. Alan Leed DK 30:56h

Alle Ergebniss auf der website www.beyondtheultimate.co.uk

Dort allerdings plus 60min wegen eingerechneter Pflichtstops auf den letzten beiden Etappen

 

 

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