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Laufberichte

Łódź - Marathon (Polen)

17.04.16 Special Event
 

 

Der 13. Lodz-Marathon beginnt


Ich stehe am Ende des Feldes, als gestartet wird. Laut der Marathon-Statistik von August Schwab, die in Österreich als „amtlich“ gilt, ist das heute mein 251. Marathon. Mit meinen Ultras und einigen Läufen in Übersee auf der Weltreise sind es ein paar mehr, doch so genau nimmt man es ab einer gewissen Anzahl nicht mehr. Die Zahl 13 ist mir inzwischen auch schon egal, denn in den letzten Jahren kam sie in der Sequenz regelmäßig vor, wenn man wie ich zum Marathonsammler wird.

 


Die erste Begegnungszone mit anderen Läufern ist immer der Startbereich, heute klatschen zudem die unmittelbar vor uns Marathonläufern ins Rennen gegangenen 10 km-Läufer/innen mit uns ab. Ihr Kurs führt in die entgegengesetzte Richtung, sie strecken ihre Arme über die Absperrungsgitter. Mit der Kamera in der Rechten werde ich so zum Abklatschmuffel, ich knipse statt Hände zu berühren.

Wir laufen gleich nach dem Start die ul. Mickiewicza aufwärts – in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, denn der Marathonkurs mit einer ausgewiesenen Differenz von 49 Höhenmetern ist wellig. Ein paar Läufer in der 4:30er-Gruppe, der ich mich anschließe, präge ich mir ein. Nämlich jene, die extrem nahe am Pacemaker drankleben. Man kann davon ausgehen, dass sie früher oder später zurückfallen werden. Auch den korpulenten Kollegen mit dem blauen Singlet mit der Aufschrift „KUBA“ schätze ich so ein, dass er ab Kilometer 30 schon längst marschieren wird.

Bis zum Straßenbahnknoten an der Piotrkowska sind es 2 km, der Kurs führt nun um 90 Grad nach links gedreht Richtung Norden. Die Straßenbahn hat einen eigenen Gleiskörper, wir laufen auf der gesperrten Straße. Was ich übrigens gut finde, ist der Umstand, dass der Marathon ganze sechs Stunden offen ist. Die 4:30er-Tempomacher sind aber zu schnell unterwegs, die Garmin 225 zeigt Kilometerzeiten um 6:05 und darunter an. Mit vollem Magen läuft es sich meiner Meinung nach nicht schlechter, nur liegt mein Wohlfühltempo bei 6:30 und darüber. Aber ich nehme mir vor, zumindest bis Kilometer 15 dranzubleiben. Wegen der leichten Steigung wird das Tempo knapp vor Kilometer 4 etwas langsamer. Zu unserer Linken in ca. 200 m Entfernung befindet sich der Gebäudekomplex um den Poznansky Palast, in dem heute das Historische Museum untergebracht ist. Die danebenliegende Manufaktur mit ihren braunen Backsteinen war einst die Textilfabrik von Izrael Poznansky,  heute fungiert sie als Einkaufs-, Kultur,- Gastronomie- und Unterhaltungszentrum.   

Die Marathonstrecke verläuft nun in östliche Richtung, es geht über die Trasse der Tramway in den Staromieski Park, wo sich bei Kilometer 5 die erste Labestelle befindet. Die Gruppe mit 4:30 Stunden als Zielzeit ist noch dicht beisammen, doch die Pacer gönnen den Läufern keinen Trinkstopp – sie schnappen sich einen Becher mit Wasser und eilen weiter. Im Nu liege ich 50 m zurück. Pflastersteine unter den Füßen mag ich nicht, Freude bereiten aber die in weiß gekleideten Mädchen mit Schultertüchern in Blumendesign und Steckblumen im Haar, die die Läufer begrüßen. Im anschließenden Park Helenow nutzen einige Läufer die Gelegenheit, um kurz auszutreten.

 

 

Bei Kilometer 6 wendet der Kurs nach Südosten. Anschließend dreht die Strecke erneut um fast 180 Grad, es geht zurück in Richtung des Poznansky-Palastes. Zu unserer Linken befindet sich das Teatr Muzyczny (musikalisches Theater) von Lodz,  wo Musicals, Rockopern, Konzerte etc. aufgeführt werden. Die zweite Labestelle kommt für mich kurz vor Kilometer 8 etwas zu früh – ich bin auf die üblichen 5 km-Abschnitte eingestellt. Aber die 4:30er-Tempomacher bleiben auch hier nicht stehen, sondern trinken gekonnt im Laufschritt.

Wir erreichen den Platz der Freiheit (plac Wolnosci), der in den 1920er-Jahren erbaut wurde und wo sich das Museum für Architektur befindet. Hier ist der Beginn der Prachtstraße Piotrkowska, die im oberen Teil als Fußgängerzone angelegt ist. Gestern habe ich hier eifrig geknipst, heute werden wir den kompletten oberen Teil beim Marathon passieren. Der Kurs führt nach Süden. Rund 50 Minuten sind seit dem Start vergangen. Es ist 10 Uhr morgens, noch sind keine Touristen unterwegs, vereinzelt stehen Zuschauer neben der Strecke und nehmen Anteil. Ein Orchester als Werbeträger für die größte polnische Versicherung PZU (Grupa Powszechny Zakład Ubezpieczeń), die auch den Marathon sponsert, spielt auf. Gegenüber dem Haus Nr. 78 in der Piotrkowska befindet sich das etwas ramponierte Denkmal des spielenden Pianisten Artur Rubinstein, den ich gestern schon mal fotografiert habe.

Der Marathonkurs führt nun um 90 Grad gedreht nach Osten. In einer Schleife geht es nach Norden zum EC1, im Nowe Centrum Łodzi (NCŁ) gelegen, wo in einem ehemaligen  Fabrikgelände ein Wissenschafts-, Technologie- und Kulturzentrum entstand. Ein modernes Planetarium soll 2016 eröffnet werden. Die Läufer/innen werden hier von Eltern mit winkenden Kindern, einer Cheerleader-Abordnung und einer Brass-Band empfangen.

Die nächste Versorgungsstelle erwartet uns knapp nach Kilometer 11, es gibt Wasser und Iso. Ich bin noch in der 4:30er-Gruppe, die inzwischen kleiner geworden ist. Abschnittsweise ist der Asphalt auf den Nebenstraßen etwas aufgebrochen, ich passe in solchen Situationen besonders auf, nicht zu stürzen. Es geht nach Süden, bei Kilometer 12 dreht die Strecke um 90 Grad in Richtung Westen und führt vorbei an Häusern, die renovierungsbedürftig sind, zurück in die ul. Piotrkowska. Nun geht es den Rest der Flaniermeile in leichtem Gefälle in südlicher Richtung zunächst bis Kilometer 14.

Der folgende Marathonkurs verläuft auf der ul. Pilsudskiego (benannt nach Marschall Piłsudski) stadtauswärts, vom Zentrum weg in den Osten von Lodz. Bei Kilometer 15 befindet sich die Galeria Lodzka, eines von mehreren großen Einkaufszentren in der Stadt. Es wird viel gebaut, auch ausländisches Kapital investiert. Junge Leute aus vielen Ländern studieren an einer der über 20 Hochschulen, an der Uni Lodz sind 50.000 Studierende inskribiert. Bis man aber einmal so gut Polnisch sprechen und verstehen könnte, um Vorlesungen zu folgen und Prüfungen abzulegen, müsste man zumindest ein Jahr die Sprache erlernen. Falls ich je wiedergeboren werde und die Lebenshaltungskosten in Polen weiterhin um die Hälfte unter denen in Österreich liegen, wäre es eine Überlegung wert. Ob man in ferner Zukunft  überhaupt noch Geld zum Leben benötigen wird, bleibt offen.

 

 

Bei der 15 km-Markierung zeigt mein Garmin 1:35 Stunden an, eine Minute kann ich abziehen. Jetzt kommt der Moment, wo die Pacer erneut anziehen, ich gönne mir eine kurze Trinkpause im Gehtempo. Die 2:15 für die Halbdistanz werde ich einhalten können, vielleicht sogar knapp darunter liegen. Die dritte Labe kommt bei Kilometer 16, hier gibt es erstmals auch Orangenstücke. Viele Zuschauer mit Kindern aus der nahen Grundschule stehen an der Strecke. Sie halten papierene Lachgesichter in ihren Händen, die Bolek und Lolek darstellen sollen. Es handelt sich um die beiden polnischen Brüder, die als Kinderbuch- und Comic-Serie wiederaufgelegt und deren Abenteuer auf Reisen seinerzeit in der DDR auch verfilmt wurden. Auf einem Transparent steht zu lesen:  „Podróże Bolka i Lolka“  Die Kindheit ist vielleicht in den an der Strecke liegenden verfallenen Ziegelhäusern mit riesigen Kaminen für Kohleheizung mit Comics, die phantasieanregend in ferne Länder entführen, leichter zu ertragen. In diesen uralten Wohnhäusern aus dem späten 19. und dem Beginn des 20. Jahrhundert wohnen gewiss keine begüterten Menschen.

Ich eile dem 4:30er-Tross nicht mehr nach, sondern laufe mein eigenes Tempo. Der Marathonkurs dreht nun erneut, es geht nach Südwesten, vorbei am ehemaligen Palast von Edward Herbst, der Residenz Ksiezy Mlyn, wo heute das Kunstmuseum untergebracht ist, das die Räumlichkeiten und das Interieur der Fabrikbesitzerfamilie zeigt. Auf der Strecke werden die Läufer/innen wieder von einer Mädchengruppe sowie einer Jugendkapelle empfangen.

Knapp vor der 18 km-Anzeige dreht der Marathonkurs nach Norden, wir queren den unteren Teil der Piotrkowska. Der Verkehr wird von Polizisten solange angehalten, bis sich eine freie Lücke ergibt und für die Läufer/innen keine Gefahr mehr besteht.  Ich bin immer froh, heil über eine Straße zu kommen, die nur kurzfristig gesperrt ist, denn die Autofahrer sind selten diszipliniert und fahren einfach drauflos.  

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